Kritik des Koalitionsvertrages

10. Februar 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Der Titel des Koalitionsvertrages der CDU/CSU und der SPD lautet: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Es ist zu sehen, ob mit dem Koalitionsvertrag, falls er in Politik umgesetzt wird, diese Ziele erreichbar sind.

Bemerkenswert ist, dass das Thema der europäischen Integration einen besonderen Stellenwert einnimmt. Das ist auch notwendig, weil der Rechtspopulismus und verschiedene EU-Skeptiker mit ihrer Ablehnung der EU sich seit einiger Zeit im politischen Aufwind befinden, nicht zuletzt durch den Brexit-Beschluss in Großbritannien. Die wahrscheinlichen Koalitionäre halten dagegen, indem sie Protektionismus, Isolation und Nationalismus eine Absage erteilen und auch die Eurozone nachhaltig stärken wollen. Dazu gehört auch, dass mit Frankreich zusammen ein Eurobudget und ein Europäischer Währungsfonds zur Stützung finanzschwächerer EU-Länder aufgebaut werden soll. Es wird ein Ende des Spardiktats in Europa gefordert, besonders von den Mitgliedern der Sozialdemokratie in der Koalitions-Kommission. Das ist eine klare Abwendung vom Schäuble-Kurs, der Hilfen für wirtschaftsschwache Eurostaaten nur gegen neoliberale Gesellschaftsreformen in diesen Ländern vorsah. Wenn dieser neue Kurs gelingen sollte, wäre eine neue Etappe europäischer Zusammenarbeit zusammen mit Frankreich nicht auszuschließen.

Doch wie steht es mit einer neuen Dynamik in Deutschland? Gefordert werden müsste, die einseitigen Verteilungseffekte der neoliberalen Politik aufzuheben. Der Ausbau sozialstaatlicher Regulierungen bleibt allerdings im Koalitionsvertrag unterbelichtet. Eine Umverteilung zu Lasten der Lohnabhängigen konnte die Union zwar nicht durchsetzen, aber der Ausbau von Themen wie z.B. der Mindestlohn, der Rente mit 63 oder der Mietpreisbremse bleiben hinter den Erwartungen zurück. Eine wirkliche Umverteilung von oben nach unten, die ökonomisch und sozial notwendig wäre, findet nicht statt. Das kann an verschiedenen Punkten gezeigt werden.

Positiv bei der Rentenproblematik ist, dass bis 2025 das Rentenniveau bei 48% gehalten werden soll. Dabei wird lediglich eine erwartete Entwicklung des Rentenversicherungsberichts festgeschrieben. Die Einführung einer „Grundrente“ wird nur einen kleinen Teil der Menschen treffen, die schon jetzt in Altersarmut leben, verursacht wegen ihrer restriktiven Bedingungen. Sie ist mit 880 Euro viel zu gering, wenn berücksichtigt wird, dass die Armutsschwelle laut Statistischem Bundesamt bei 969 Euro liegt. Es ist also bei der „Grundrente“ kein Schutz vor Altersarmut zu erwarten. Das Gleiche gilt für die Kinderarmut bzw. für die Situation vor allem der Alleinerziehenden, die zu 68% von Armut betroffen sind. Um Kinderarmut wirklich zu bekämpfen bedürfte es einer Aufstockung der Regelleistungen, auf die Situation der jeweiligen Eltern zugeschnitten, die es dann auch den Eltern erlauben würde, sich beruflich zu qualifizieren bzw. einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

Die Deregulierung der Arbeitsmärkte, die unsere Arbeitsmärkte prägt, wird in einem viel zu geringen Maß zurückgenommen. Durch den Koalitionsvertrag soll Langzeitarbeitslosen eine Perspektive eröffnet werden, indem die Zahl öffentlich geförderter Arbeitsplätze ausgeweitet werden soll. Das ist sicherlich zu begrüßen, doch es sollen nur 150000 Personen gefördert werden, was nur der Hälfte des erforderlichen Bedarfs entspricht. Es besteht zudem die Gefahr, dass nur „1 Euro-Jobs plus“ gefördert werden also keine regulären Arbeitsplätze entstehen.
Ein besonderes Anliegen der SPD war die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Das betrifft augenblicklich etwa 4% der 40 Millionen Beschäftigten in der Bundesrepublik, im öffentlichen Dienst immerhin 11% der Beschäftigten. Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund soll jetzt nur noch für 18 Monate, statt 24 Monate bisher, zulässig sein. Diese Befristung kann jetzt nur noch einmal wiederholt werden, bisher war das dreimal möglich. Diese Eingrenzung ist sicherlich eine Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation, ist aber nur ein bescheidener Beitrag zur Eindämmung prekärer Arbeitsverhältnisse.

Weitgehend offen bleiben die Reform der Krankenversicherung bzw. die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin. Ob eine Angleichung der Arzthonorare für gesetzlich und privat Versicherte stattfinden wird ist noch unklar. Von einer weitgehenden Einführung einer Bürgerversicherung ist allerdings nicht mehr die Rede. In Fragen der Bildung war man sich einig, viel Geld in die Digitalisierung der Schulen zu stecken und ab 2025 ein Recht auf eine Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern einzuführen. Aber auch hier ist die minimale Dosierung zu kritisieren und kann nicht von einem großen Wurf gesprochen werden.

Zusammengefasst kann Folgendes festgehalten werden. Diese Koalitionsvereinbarungen, sofern sie das zukünftige Regierungsprogramm werden, werden die soziale Spaltung in Deutschland kaum zurückdrängen. Manche Ansätze sind positiv, aber die Stärkung der Binnenwirtschaft hält sich in engen Grenzen und die soziale Ungleichheit bleibt ein Hindernis zur Entfaltung der gesellschaftlichen Ressourcen. Das kann rückwirkend auch wieder die an sich positiv gedachte Weiterentwicklung einer europäischen Integration negativ beeinflussen. Die mittelfristige Alternative bleibt weiterhin eine pluralistische linke Reformregierung, die viel weitergehende Einzelmaßnahmen zu treffen hätte und, was von der Großen Koalition nicht erwartet werden kann, einen Weg zur grundlegenden Veränderung des Kapitalismus hin zu einem demokratischen Sozialismus zu beschreiten hätte. Das wäre nur möglich durch einen tiefgehenden Wandel der SPD, eine klare und nachvollziehbare Positionierung der Linken und eine Integration der Grünen als Gesamtpartei in ein pluralistisches linkes Parteienbündnis.

(1) Siehe auch: Joachim Bischoff u.a. in Sozialismus aktuell vom 9.2.2018