Das Ende der griechischen Tragödie?

01. August 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Das dritte Hilfsprogramm der europäischen Gläubiger für Griechenland endet am 20.8.2018. Es umfasst 86 Mrd. Euro, von denen bisher 46,9 Mrd. Euro ausgezahlt wurden. Die geringeren Rückzahlungspflichten waren eingeräumt worden und dazu gedacht, dass sich Griechenland mit den internationalen Banken und Finanzmärkten in Zukunft leichter arrangieren kann. Allerdings gilt weiter die Einschränkung der EU, dass die Krise weitergehen könnte, sollte Griechenland die vorgeschriebenen „Reformen“ zurücknehmen oder Abstriche bei der Rückzahlung der Kredite machen. Dann müsse Griechenland einem neuen Programm unterworfen werden.
Wie die Entwicklung in Griechenland weitergeht, hängt entscheidend davon ab, wie sich die Zuwachsraten der realen Wirtschaft entwickeln. Diese wiederum werden sich nicht positiv entwickeln, wenn die EU-Politik schwerpunktmäßig darauf setzt, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren und die staatlichen Einnahmen zu erhöhen. Diese Konsolidierungspolitik hat negative Rückwirkungen auf die Wirtschaftskreisläufe. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine Austeritätspolitik die Wirtschaftsbasis Griechenlands nicht stärkt. Infolge der Austeritätspolitik hat Griechenlands Wirtschaft sechs Jahre Schrumpfung und vier Jahre leichtes Wachstum hinter sich. Das hatte erhebliche Folgen für die griechische Bevölkerung. Neben starken Einkommenseinbußen wurde für alle spürbar, dass zum Beispiel in Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen heftig gespart wurde. Das Wirtschaftswachstum steigt jetzt nur leicht, nachdem Griechenland ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren hat. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 Prozent, bei den 15-24Jährigen sogar bei 42 Prozent. Über eine halbe Million gut ausgebildeter Menschen hat das Land verlassen, u.a. in Richtung der Bundesrepublik. Es wird Jahrzehnte dauern, bis Griechenland wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird.

All das bewerten die Gläubiger Griechenlands als Erfolg, insbesondere vor allem deswegen, weil Griechenland an die Finanzmärkte zurückkehren kann und bei der Bedienung der Schulden ein gutes Stück vorangekommen ist. Auf der anderen Seite wird der Regierung Tsipras von Seiten einiger linker KritikerInnen vorgeworfen, nicht frühzeitig die Systemfrage gestellt zu haben und aus der Eurozone bzw.EU ausgetreten zu sein. Ein Beispiel für diese Position lieferte jüngst Steffen Stierle von Attac. „Faktisch ändert sich also mit dem offiziellen Ende der Rettungspolitik wenig…Innerhalb der Währungsunion gibt es für Griechenland keine Möglichkeit, diesen Verarmungs- und Unterwerfungskurs in einem überschaubaren Zeitraum zu beenden und zur Demokratie zurückzukehren. So unglücklich die Rolle eines Yannis Varoufakis heute ist: Er hatte Recht, als er in seiner Zeit als Finanzminister auf einen Alternativplan pochte, der das Land aus der Eurozone führt.“ (2) Stierles Position geht u.a. auf das Frühjahr 2013 zurück, die Oskar Lafontaine schon damals zusammen mit Sahra Wagenknecht vorgetragen haben und im Jahr 2015 durch den sogenannten Lexit-Aufruf verbreitet wurde. Der Aufruf wurde von einigen Mitgliedern von Attac und auch der Linkspartei unterschrieben, in dem eine Alternative zum Euro gesucht wird. Die Diskussion erfuhr eine Zuspitzung von Janine Wissler und Nicole Gohlke im „Neuen Deutschland“ im Jahre 2015. Die grundlegende Schwäche der Lexit- Position ist bis heute die Verkürzung der europäischen Probleme auf die Währungsfrage als Schlüsselfrage. Es ist eine Illusion zu glauben, ohne umfassende Ausgleichsprozesse auf ökonomischen, politischen und sozialen Gebieten in der EU könnten auch für Griechenland die Probleme gelöst werden. Die Rückkehr zu einer nationalen Währung mit möglichen Auf- und Abwertungen kann nur kurzfristige Entlastungen bringen. Im Kern geht es um die Frage, ob die neoliberale Politik auf Dauer weitergeführt werden kann. Eine grundlegende Abkehr von dieser Politik hat in den einzelnen Nationalstaaten, insbesondere in der Bundesrepublik, zu beginnen. Folgende Schlussfolgerungen sind angesagt:

1.Nicht der Euro ist das Kernproblem, sondern die wachsenden Unterschiede in der Produktivität und den Lohnstückkosten in der Eurozone bzw.EU.

2. Die Europäische Währungsunion ist das Unterthema einer Debatte über die Wirtschaftsordnung des Kapitalismus und seines Geld- und Kreditsystems und eines Postkapitalismus des 21.Jahrhunderts.

3. Es geht in Europa um eine Investitionsoffensive des sozial-ökologischen Umbaus.

4. Für die Bundesrepublik ist die Belebung des Binnenmarktes mit dem Ausbau hochwertiger Dienstleistungen in Bildung, Gesundheit und Pflege vordringlich durchzusetzen. Für Griechenland, aber auch Portugal, Spanien etc, ist der Neuaufbau bzw. Erweiterung einer Produktions- und Dienstleistungsstruktur u.a. für den Export zwingend erforderlich.

5.Für die Linke bedeutet das, für eine ökonomische, soziale und politische Wende hin zum demokratischen Sozialismus zusammen mit Bündnispartnern zu kämpfen.

Die Vorstellung, es könne einen sanften Grexit geben, ist eine illusionäre Vorstellung. Abgesehen davon, dass sich die große Mehrheit der Griechinnen und Griechen für den Verbleib in der Eurozone ausspricht, ist von linker Seite vor dem Austritt aus der Eurozone und der Rückkehr zur nationalen Währung zu warnen, und das aus mehreren Gründen.

1.Die meisten Exitbefürworter übersehen, welche inflationäre Wirkung für ein Land hervorgerufen wird, das 48 Prozent seiner Lebensmittel und 82 Prozent seiner Energie aus dem Ausland beziehen muss. Die Abwertung der nationalen Währung gegenüber dem Euro hätte katastrophale Auswirkungen.

2.Die Landwirtschaft und der Tourismus alleine sind nicht in der Lage, Griechenland auf Dauer aus der Krise zu ziehen bzw. herauszuhalten. Da sonst kein relevanter Exportsektor besteht, wird sich das Defizit in der Handelsbilanz wieder vertiefen.

3. Das Schuldenproblem wäre nicht lösbar und Insolvenzen an sich lebensfähiger Unternehmen wären die Folge.

Das bedeutet, das Geld der Gläubiger müsste in eine Investitionsoffensive fließen und ein wettbewerbsfähiger industrieller und Dienstleistungssektor wäre zu errichten. Es müsste ein effektiver öffentlicher Sektor mit einer strikten Steuerdisziplin aufgebaut werden. Eine Regulierung des Bankensystems wäre durchzuführen und es müsste den progressiven Kräften unter der Führung von Syriza die Möglichkeit gegeben werden, den Rekonstruktions- und Transformationsprozess tiefer in der Gesellschaft zu verankern. Es müssen auch nach dem Ende des 3. Hilfsprogramms der EU Mehrheiten im politischen Raum gesichert werden, um die Demokratie in Griechenland weiter auszubauen. Eine Linke, die das Nationale wieder in den Vordergrund stellt und den gemeinsamen europäischen Rahmen verlassen will, wird keine Hilfe in diesem Tranformationsprozess sein. Sie kommt auch nicht darum herum zur Kenntnis zu nehmen, dass damit große Schnittmengen mit den konservativen und rechtspopulistischen Kräften in Europa entstehen werden.

(1) Siehe hierzu: Sozialismus aktuell vom 26.Juli 2018
(2) A.a.O. S. 2