Der Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung

06. September 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ wurde gegründet und gleichzeitig ein Gründungsaufruf veröffentlicht, der im Internet nachzulesen ist (1). Die Autorinnen und Autoren wollen ihn verstanden wissen als eine Darstellung der grundsätzlichen Gesinnung der Bewegung und nicht als den Beginn einer Parteigründung.

Der Inhalt des Aufrufs.

1.Es wird zuerst festgestellt, dass heute nur noch Werte zählen, die sich an der Börse handeln lassen und wir in einem Land voller Widersprüche leben. Einerseits werden international gefragte Autos und Maschinen gebaut, andererseits herrscht öffentliche Armut, ablesbar zum Beispiel am Lehrermangel und maroden Schulen. Es werden Banken gerettet und Konzerne subventioniert, viele Menschen werden aber nicht vor Armut geschützt. Die soziale Marktwirtschaft mache Aufstiegsversprechen, die sie nicht mehr halten könne. Das drücke sich aus in Leiharbeit, Niedriglohnjobs und einer großen Einkommensschere sowie Vermögensungleichheit und einer schlecht bezahlten sozialen Arbeit.
2.Die Gewinner dieser Entwicklung sind nach Auffassung der Autorinnen und Autoren große Konzerne, Wohlhabende und hoch Qualifizierte. Im Gegensatz dazu habe die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland heute ein geringeres Realeinkommen als Ende der neunziger Jahre. Die Ärmsten der Armen müssen an den Tafeln um überlagerte Lebensmittel kämpfen. Der Sozialstaat gebe keine ausreichende Sicherheit mehr. Besonders dramatisch sei die Lage am Wohnungsmarkt seit renditeorientierte Investoren hier den Takt bestimmten.
3.Die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts führe zu Unzufriedenheit, empfundener Ohnmacht und Hass und Intoleranz. Die Flüchtlingsentwicklung habe zu einer zusätzlichen Verunsicherung geführt. Die Regierung Merkel habe unverantwortlich gehandelt, indem in dieser Situation Städte, Gemeinden und ehrenamtliche Helfer allein gelassen wurden und sich der Mangel an Sozialwohnungen, überforderten Schulen und fehlenden Kita-Plätzen weiter verschärft habe.

4.In den internationalen Beziehungen ersetze wieder das Faustrecht die Diplomatie. Es gehe um Rohstoffe und geopolitischen Einflusszonen als Ursache dieser Entwicklung. Die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes der Atommächte werde größer, zwischen dem Westen und Russland herrsche Eiszeit. Es komme heute darauf an, gegen eine auf Konflikt orientierte US-Politik anzugehen und sich auf das Erbe der Friedenspolitik W. Brandts zu besinnen.
5.Es sei eine Lüge, die aktuelle Politik sei alternativlos. Soziale Ungleichheit sei keine Naturgewalt und der globale Finanzkapitalismus, der Konzerne und Vermögende begünstige, sei das Ergebnis politischer Entscheidungen. Ein fairer internationaler Handel sei zu bejahen, aber nicht die Betrachtung von Beschäftigten als Spielball von Renditezielen. Die Bürger seien vor dem entfesselten Dumpingwettbewerb des Finanzkapitalismus zu schützen.
6.Eine marktkonforme Demokratie habe die Menschen von der Politik entfremdet. Deswegen wollen die Autorinnen und Autoren des Aufrufs eine neue Politik, denn es gebe in der Bevölkerung Mehrheiten für eine Friedens- und Abrüstungspolitik, für höhere Löhne, bessere Renten, gerechtere Steuern und mehr soziale Sicherheit. Es gebe allerdings keine mehrheitsfähige Parteienkoalition, die für eine solche Politik steht. Deswegen wolle sich die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ ein detailliertes Programm in einem transparenten Diskussionsprozess erarbeiten. Die Bewegung wolle aufklären, eine Diskussion organisieren und gesellschaftlichen Druck entfalten und ihre Forderungen auf die Straße und in die Politik tragen.

Eine kritische Würdigung des Aufrufs.

Die Autorinnen und Autoren gehen vom aktuellen Finanzkapitalismus aus und stellen richtig fest, dass in dieser Gesellschaft eine Menge von Widersprüchen bestehen, u.a. eine ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung und massive soziale Probleme. Insgesamt sind die Aussagen allerdings häufig sehr vage und wenig konkret. Man kann gespannt sein, was in dieser Hinsicht der Diskussionsprozess in der Sammlungsbewegung erbringt. Was jedoch schon jetzt feststellbar ist sind verschieden theoretische Unschärfen, gerade bei der Charakterisierung des Finanzkapitalismus. Er wird als Gesellschaft großer Konzerne, Wohlhabender und Hochqualifizierter dargestellt. Aus linker theoretischer kommt es darauf an, dass nicht auf dem Boden der bürgerlichen Ökonomie verblieben wird und ein Bild des Kapitalismus entworfen wird, in dem kleine und mittlere Unternehmen zum Ideal erklärt werden, quasi im Gegensatz zu den großen Kapitalgesellschaften. Es ist im Rahmen einer linken Politik notwendig, erstens eine starke Regulierung des Finanzsektors mit einer weitgehenden staatlichen Kontrolle von Banken und anderen Kapitalsammelstellen vorzunehmen. Bestimmte Fonds, die nur der Spekulation dienen, sind ganz zu verbieten. Der Nicht-Finanzsektor ist zweitens so umzugestalten, dass auf Dauer eine wirtschaftsdemokratische Struktur mit einem Zurückdrängen der Herrschaft der Aktionäre und einem erheblichen Zuwachs der Entscheidungsmöglichkeiten der Beschäftigten sowie außerbetrieblicher Gruppen, beispielsweise Kommunen, erreicht wird. Wenn die Diskussion in der Sammlungsbewegung nicht in dieser Richtung geführt wird, wird man im schlechtesten Fall in einer ordoliberalen Sackgasse landen. Es ist allerdings zu hoffen, dass in den Diskussionen ein Weg auf Basis der Marxschen und Keynesschen Theorie gefunden wird.

Der Einbezug der Beschäftigten und außerbetrieblichen Gruppen auf Basis gesamtgesellschaftlicher Vorgaben in den betrieblichen Entscheidungsprozess, vor allem der Investitionsentwicklung, wird die ökonomische, soziale und politische Verantwortung der Bürger erhöhen und einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen Unzufriedenheit, empfundene Ohnmacht sowie Hass und Intoleranz leisten können. So kann der Rechtspopulismus Schritt für Schritt zurückgedrängt werden, der ja gerade nicht eine grundlegende Strukturveränderung des Kapitalismus im Auge hat. Es bleibt abzuwarten, ob die Autorinnen und Autoren des Gründungsaufrufs die Diskussion in dieser Richtung weiterentwickeln.
Es ist zuzustimmen, dass in den internationalen Beziehungen das Faustrecht wieder um sich zu greifen droht. Es ist allerdings zu wenig, sich nur auf das Erbe der Friedenspolitik W. Brandts berufen zu wollen. Brandts Friedenspolitik in den 60er und 70er Jahren wurde unter gänzlich anderen gesellschaftlichen Bedingungen betrieben. Es war die Zeit der Systemkonkurrenz und des Kalten Krieges und auch, was wichtig ist, in einer Zeit des noch prosperierenden Kapitalismus. Heute kommt es darauf an, durch einen Kampf gegen den Finanzkapitalismus und für die Verwirklichung einer internationalen Prosperität die internationalen Konfliktpotentiale zu entschärfen. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen dem innergesellschaftlichen Kampf gegen den Finanzkapitalismus und seinen sozialen Verwüstungen und der außenpolitischen Entspannung zwischen den Nationen. Eine sogenannte marktkonforme Demokratie wird auch in der internationalen Politik in die Sackgasse führen.

Wenn es richtig ist, dass für Friedenspolitik, höhere Löhne, bessere Renten, gerechtere Steuern und mehr soziale Sicherheit augenblicklich schon Mehrheiten existieren, dann ergibt sich natürlich die Frage, wie das in politisches Handeln umgesetzt werden kann. Die Autorinnen und Autoren des Gründungsaufrufs beabsichtigen, auf Basis neuer Diskussionsstrukturen ein detailliertes Programm zu entwickeln und stellen fest, dass es augenblicklich keine mehrheitsfähige linke Parteienkoalition gibt. Die logische Konsequenz wäre dann, auf Basis dieses Programms und neuer umfangreicher Diskussionsstrukturen zu einer Neugründung einer linken Partei zu kommen. Wenn aber eine solche Spaltung der Linken vermieden und auch nicht angestrebt werden soll, dann wäre doch die einzige Alternative, den Diskussionsprozess der Sammlungsbewegung in die Linkspartei, die SPD und die Grünen hineinzutragen und auf diese Weise zu erreichen, dass eine mehrheitsfähige linke Parteienkoalition entsteht. Das läuft aber dann auf eine Bündnispolitik der drei Parteien hinaus, die auf absehbare Zeit zu einem Politikwechsel in der Bundesrepublik und darüber hinaus führen muss. Wenn die Diskussion in der Sammlungsbewegung in diesem Sinne geführt würde, könnte auch ein positiver Beitrag zu einer politischen Veränderung geleistet werden.

(1) www.aufstehen.de/gründungsaufruf/und weitere Links