Gedenken an die Atomraketen auf der Waldheide

11. Januar 2020  Frieden, Presseecho, Reden
Dr. Erhard Jöst spricht für den Friedensrat.

Der Heilbronner Friedensrat hat eine Gedenkveranstaltung auf der Waldheide organisiert, um an den 35ten Jahrestag des Pershing II-Unglücks zu erinnern. Gut 50 ZuhörerInnen nahmen an der Veranstaltung teil, auf der neben den Friedensratsmitgliedern Marianne Keller und Dr. Erhard Jöst auch der Heilbronner OB Harry Mergel sprach. Wir dokumentieren hier die Rede von Stadtrat Dr. Erhard Jöst und den Artikel der Heilbronner Stimme in dem neben Jöst auch der Stadtrat Konrad Wanner zitiert werden (unter der Rede):

Gedenken an den 11. Januar 1985

Liebe Friedensfreundinnen und Freunde,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir sind heute hier zusammengekommen im Gedenken an die drei amerikanischen Soldaten John Leach, Todd A. Zephier, Darryl L. Shirley, die am 11. Januar 1985 hier an diesem Ort auf der Heilbronner Waldheide in Folge eines schrecklichen Raketenunfalls getötet worden sind. Sie gehören zu den Opfern des sogenannten Kalten Krieges.

„Dass seinerzeit kein 3. Weltkrieg ausgelöst wurde – vielleicht war es nur pures Glück“, schrieb Wilfried Werner in der Heilbronner Stimme vom 14. Dezember 2019 im Rückblick auf den Höhepunkt des Kalten Kriegs, der durch den NATO-Doppelbeschluss herbeigeführt worden war. Durch ihn wurden über einhundert Pershing II-Raketen in Deutschland stationiert, und zwar in Mutlangen, Neu-Ulm und in Heilbronn. Damit war Deutschland zur Zielscheibe für einen Krieg mit atomaren Waffen geworden. Leider hatten die Friedensdemonstrationen die Stationierung der Atomraketen nicht verhindern können, und auch in Heilbronn wachten die Befürworter des atomaren Rüstungswahns erst auf, als es zu dem fatalen Unfall gekommen war, durch den unsere Region nur knapp an einer Plutonium-Verstrahlung vorbeigeschlittert ist.

Wir betrauern heute nicht nur den Tod der drei Soldaten, sondern wir denken auch an die 16 Personen, die durch diesen Unfall zum Teil schwerste Verletzungen davon getragen haben. Und schließlich denken wir auch an alle Friedensfreunde, die sich seinerzeit mit zahlreichen Aktionen und Blockaden für den Abzug der Atomraketen eingesetzt haben. Sie haben nicht nur berufliche Nachteile und Strafbefehle für ihre Blockaden in Kauf genommen, sondern sie haben auch ihre Gesundheit riskiert. Wären die schrecklichen Atomraketen nicht aufgestellt worden, hätte es den fürchterlichen Unfall nicht gegeben.

Man kann es kaum glauben, dass 35 Jahre später ein neuer Rüstungswettlauf gestartet wird. In Deutschland stehen 2020 riesige Militärmanöver und die Stationierung einer neuen Atomwaffen-Generation an, schließlich sollen die alten Waffen verschrottet werden, damit die Rüstungsindustrie mit den neuen wieder riesige Profite einfahren kann. In dem neuen Jahr werden die Militaristen also gegen alle Vernunft versuchen, den gefährlichen Totentanz auf dem bedrohlichen Vulkan wieder zu befeuern, wogegen wir Friedensfreunde mit allen Mitteln vorgehen müssen. Richtig ist der Satz, den Stefan Lange in seinem Kommentar „Ausmanövriert“ in der Heilbronner Stimme vom 23.12.2019 verwendet hat: „Deutschland sollte sich vor dem Hintergrund seiner Geschichte in Demut und Abrüstung üben“. Das sind wir den Opfern des Kalten Kriegs, das sind wir den Toten vom 11. Januar 1985, das sind wir den engagierten Friedensaktivisten aus dieser Zeit schuldig. Wir legen heute hier an diesem Gedenkstein Blumen nieder als Mahnung für Frieden und atomare Abrüstung.

Hier der Zeitungsartikel:

Der Tragweite des Pershing-Unfalls wurden sich die Heilbronner spät bewusst

Heilbronn  Friedensrat und OB Mergel erinnern an den Tag, als vor 35 Jahren das Pershing-Triebwerk auf der Waldheide explodierte. Es brauchte damals eine Monitor-Sendung, dass die Menschen die Gefahr verstanden.

Von Christian Gleichauf

Der Tragweite des Pershing-Unfalls wurden sich die Heilbronner spät bewusst
Mit einem Transparent mahnte der Friedensrat auch 2020 zur Abrüstung im Rahmen der Gedenkfeier zum 35. Jahrestag des Pershing-Unfalls auf der Waldheide. Foto: Dennis Mugler

Drei Soldaten starben, als am 11. Januar 1985 das Triebwerk einer Pershing-Rakete auf der Heilbronner Waldheide explodierte. 16 Menschen wurden teils schwer verletzt. Beinahe hätte es ausgerechnet zum 35. Jahrestag dieses denkwürdigen Unfalls auf der Heilbronner Waldheide keine Gedenkveranstaltung gegeben.

OB klinkt sich ein

Die Veteranen der US-Streitkräfte wollten sich in diesem Jahr auf die zentrale Gedenkfeier am US-Stützpunkt in Ramstein konzentrieren. Damit strich auch die Stadt Heilbronn den Termin für dieses Jahr aus dem Kalender. Doch nachdem der Friedensrat eine Ersatzveranstaltung an der Gedenkstele angekündigt hatte, klinkte sich OB Harry Mergel wieder ein.

„Ich bin den Friedensfreunden in Heilbronn dafür außerordentlich dankbar“, erklärte Mergel in seiner Ansprache vor zwei Dutzend Zuhörern. Kurzfristig hatte er die Veranstaltung auch wieder an den altbekannten Ort beim Gedenkstein für die drei Soldaten verlegt.

Komplexe geschichtliche Hintergründe

Mergel zählte vor allem auf, was er nicht in den Mittelpunkt seiner Rede stellen wolle: die weltpolitische Lage zur damaligen Zeit etwa. Den Fakt, dass Heilbronn in einem Dritten Weltkrieg eines von den drei ersten Zielen gewesen wäre, die zerstört werden sollten. Oder wie sich das Verhältnis zu den Amerikanern seit dem Zweiten Weltkrieg verändert hatte, von einer Besatzungsmacht zum Bündnispartner.

Nein, er wolle sich auf die drei Soldaten konzentrieren, „die Träume hatten, für die der Militärdienst vielleicht die einzige Möglichkeit gewesen war, die finanzielle Grundlage für die Gründung einer Familie zu schaffen“. Trotzdem betonte er auch, wie wichtig es ist, in einer Demokratie über Dinge diskutieren zu dürfen, über die man unterschiedlicher Meinung ist.

Friedensaktivisten riskierten Nachteile im Job

Marianne Keller vom Friedensrat erinnerte daran, dass der Einsatz für Frieden und Freiheit in aller Welt bis heute häufig mit dem Leben bezahlt wird. So weit war es bei den Demonstrationen in Heilbronn in den 80er Jahren nicht gekommen. Aber viele Aktivisten hätten damals beruflich durchaus Nachteile in Kauf nehmen müssen, erinnerte Linken-Stadtrat Dr. Erhard Jöst an die damalige Friedensbewegung. Ihr Einsatz habe die Stationierung der Atomraketen dennoch nicht verhindert. „Erst der Unfall hat die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht.“

Nicht verstanden, was da oben vor sich geht

Konrad Wanner, ebenfalls für die Linke im Gemeinderat, erinnerte sich an die Tage danach. Am Freitag, 11. Januar, war der Unfall, am Samstag gab es eine kleinere Demonstration in Heilbronn. Die Tragweite des Unfalls hätten die Menschen aber erst verstanden, als Klaus Bednarz im ARD-Politmagazin „Monitor“ die Zusammenhänge erläuterte. „Das hat die Heilbronner am 1. Februar 1985 auf die Straße getrieben – von den Linken bis zu den CDU-Anhängern.“ Unvorstellbar ist für Jöst allerdings, dass 35 Jahre später wieder ein Rüstungswettlauf gestartet wird, wieder neue Atomwaffen produziert werden.



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