Bildungsbericht 2020

25. September 2020  Allgemein

Redebeitrag von Dr. Erhard Jöst in der Gemeinderatssitzung am 24.9.2020

Zweifellos hat Heilbronn sich in den letzten Jahren als Bildungsstandort profiliert, was zu begrüßen ist. Aber bei allen Lobgesängen muss auch ständig kritisch geprüft werden, wie und was uns als Bildung präsentiert wird. Ob das, was auf dem Bildungs-Campus situiert wurde, ausreicht für das Ortsschild „Universitätsstadt Heilbronn“, sei dahingestellt, fehlen doch einige Fakultäten, die eine „richtige“ Universität ausmachen. In HN sind es bezeichnender Weise neben der Medizin vor allem die gesellschaftskritischen.

Über dem Eingang zum Hörsaal-Gebäude der Neuen Universität Heidelberg stehen die Worte: „Dem lebendigen Geist“. Im Gebäude selbst waren 1968 an einer Wand monatelang die Verse aus dem Gedicht „Wacht auf!“ von Gunter Eich zu lesen: „Seid unbequem, / seid Sand, / nicht das Öl / im Getriebe der Welt!“ Am Eingang zum Bildungs-Campus in Heilbronn liest man hingegen: „Where management meets technology“.

Nichts gegen Management und Technologie, aber sie allein machen nicht den lebendigen Geist aus, dem sich eine akademische Jugend verschreiben soll, ja verschreiben muss. Denn an einer Universität sollte nicht nur gelehrt werden, wie man am besten, schnellsten und effektivsten Profite erzielt, sondern auch, wie man mit einem lebendigen Geist der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Humanität dient. Bertolt Brecht hat in seinem Stück „Leben des Galilei“ seinem Protagonisten die Worte in den Mund gelegt: „Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern.“ Deshalb sollten die Wissenschaftler wie die Ärzte einen hippokratischen Eid ablegen.

In der demokratischen Gesellschaft besteht noch eine weitere Notwendigkeit: An einer Universität müssen der Pluralismus der Wissenschaft und die Chancengleichheit für alle Lehrmeinungen garantiert werden.

Deshalb sollten Universitäten freie Volksuniversitäten sein, denn als Privatisierungs-Projekte stehen sie in der Gefahr der einseitigen Ausrichtung, die eine Kritik des kapitalistischen Wirtschaftssystem in keiner Weise zulassen. Schon gar nicht, wenn diese feststellt, dass „Inhalt einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung von Grund auf (…) nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volks sein“ kann. Damit sich niemand über den letzten Satz zu sehr aufregt, kann ich offen legen, dass ich ihn aus dem Ahlener Programm der CDU zitiert habe.

Bei Privatisierungs-Projekten ist es zudem auch erforderlich, die Personen ins Auge zu fassen, die sie betreiben, und die Ziele, die diese verfolgen. Daher nur ein kurzer Hinweis auf die Ecole 42, die in Kürze in Heilbronn startet und bejubelt wird, soll doch mit ihr unsere Stadt angeblich ein Silicon Valley werden. Die Ecole 42 wurde 2013 von Xavier Niel gegründete, der es geschafft hat, als Sex-Shop Betreiber und anschließend als Großaktionär so viel Geld zu verdienen, dass er heute zu den reichsten Franzosen gehört, was ihm gegönnt sei. Nachdem er die Zeitung Le Monde gekauft hat und zum Mobilfunkanbieter wurde, entdeckte er seine Vorliebe für die Förderung des IT-Bildungsbereichs.

Im Neckarbogen siedelt die Dieter-Schwarz-Stiftung zusammen mit der Phorms educations-Gruppe eine weitere Privatschule an. Ziel der phorms-education ist es, Gemeinnützigkeit und Wirtschaftlichkeit miteinander zu verbinden, was auf ein kommerzielles Interesse schließen lässt. Dabei weiß jeder verantwortliche Politiker, dass Schulen nicht dazu da sind, Rendite zu erzielen. Die GEW warnt mit Nachdruck davor, „das Schulwesen als Versuchsfeld für gewinnorientierte und kommerzielle Interessen“ zu missbrauchen. Denn die Schulen haben in einem demokratischen Staat einen Integrationsauftrag. Die Demokratie darf nicht zulassen, dass ihr öffentlich-rechtliches Schulsystem ausgehöhlt wird.


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