TTIP erneut Thema im Karlsruher Gemeinderat

23. Oktober 2015  Allgemein, Pressemitteilung

Die geplanten Freihandelsabkommen TTIP, TiSA und CETA werden erneut Thema im
Karlsruher Gemeinderat. Mit einem gemeinsamen Antrag wollen die Fraktionen von
SPD, GRÜNEN, KULT sowie die beiden Gemeinderatsmitglieder von DIE LINKE
erreichen, dass sich das Karlsruher Stadtparlament einer Stellungnahme der
kommunalen Spitzenverbände anschließt. Der interfraktionelle Antrag benennt klar
Erwartungen aus Sicht der Stadt Karlsruhe an die Abkommen.

 
„Wir sagen ‚Ja“ zum Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der
Europäischen Union und den USA. Gleichzeitig macht unser gemeinsamer Antrag
deutlich, dass die Interessen der Städte und Gemeinden im geplanten
Freihandelsabkommen unbedingt zu schützen sind“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende
Parsa Marvi.

 
Die GRÜNEN-Fraktionsvorsitzende Bettina Lisbach unterstreicht: „Uns ist wichtig, dass
sich der Karlsruher Gemeinderat wie bereits viele andere Kommunen kritisch mit den
Risiken von TTIP, CETA und TISA auseinandersetzt. Wir wenden uns gegen so
genannte Marktöffnungsverpflichtungen, damit die Stadt Karlsruhe auch künftig die
kommunale Daseinsvorsorge selbst gestalten kann und keine Handlungsspielräume
verliert.“

 
„Wasserversorgung, Gesundheitsvorsorge bis hin zu Bildung und Kultur, – all das
gehört zur Daseinsvorsorge. Die Qualität und die preiswerte Zurverfügungstellung
dieser Angebote sowie die Umweltstandards dürfen wir nicht aufs Spiel setzen“,
machen der KULT-Stadtrat Max Braun und Stadtrat Niko Fostiropoulos (DIE LINKE)
deutlich.

 

Allen vier Gruppierungen sind beispielsweise die Schiedsgerichte außerhalb
der bestehenden Gerichtsbarkeit ein Dorn im Auge: „Ein einklagbares Recht auf einen
Marktzugang über die bisherige Rahmensetzung der EU hinaus darf es nicht geben.“

 
Trotz teilweise unterschiedlicher Auffassungen der beteiligten Gruppierungen zu den
Freihandelsabkommen sei es mit dem interfraktionellen Gemeinderatsantrag gelungen,
eine gemeinsame Positionierung zu erarbeiten, unterstreichen die AntragstellerInnen.

 
Dabei standen die InitatorInnen des Antrags auch im engen Kontakt mit dem Karlsruher
Stadtverband des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Dessen Vorsitzender Dieter
Bürk lobt die interfraktionelle Initiative: „Es ist ein gutes Signal, dass sich der Karlsruher
Gemeinderat erneut mit TTIP, TiSA und CETA befasst. Der jetzt eingebrachte Antrag
warnt zu Recht deutlich vor den Risiken der Freihandelsabkommen und sensibilisiert
damit für ein Thema, das auch viele Karlsruher BürgerInnen bewegt.“

 

Karlsruhe, den 23.10.15

Gemeinderatsfraktionen von SPD, GRÜNEN, KULT und DIE LINKE im Gemeinderat

 

 

Im Folgenden der interfraktionelle Antrag im Wortlaut:

Gemeinderatsfraktionen von SPD, GRÜNE und KULT sowie DIE LINKE im Gemeinderat

Interfraktioneller Antrag
Stellungnahme des Gemeinderates der Stadt Karlsruhe zur
Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sowie zu CETA und TiSA

 
Der Gemeinderat der Stadt Karlsruhe spricht sich grundsätzlich für gute internationale Beziehungen aus. Dies beinhaltet auch einen guten, fairen wirtschaftlichen Austausch. Eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika wird begrüßt. Allerdings birgt die derzeit verhandelte Handelspartnerschaft TTIP Risiken für die öffentliche Daseinvorsorge, insbesondere im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung.

 
Deshalb fordert der Gemeinderat der Stadt Karlsruhe, dass die kommunale Daseinsvorsorge durch das Freihandelsabkommen TTIP sowie Abkommen wie CETA und TiSA nicht gefährdet werden darf. Mit Blick auf die TiSA- und auf andere Freihandelsverhandlungen besteht die übereinstimmende Auffassung, dass auch durch diese Abkommen keine weitergehenden Marktöffnungs-verpflichtungen für den Bereich der Daseinsvorsorge vorgenommen werden dürfen. Das CETA-Abkommen sollte erst ratifiziert werden, wenn sichergestellt ist, dass das Abkommen nicht zu Marktöffnungsverpflichtungen führt.
Die Stadt Karlsruhe betätigt sich wirtschaftlich, etwa durch eigene Unternehmen und Einrichtungen, um öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Es ist im Rahmen der Daseinsvorsorge Aufgabe der Kommunen, für ihre Bürgerinnen und Bürger effizient und kostengünstig ein, diskriminierungsfreies, verlässliches und flächendeckendes Angebot notwendiger Dienstleistungen in hoher Qualität zu gewährleisten.

 
Deshalb schließt sich der Gemeinderat der Stadt Karlsruhe der gemeinsamen Positionierung des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages, des Deutschen Städte- und Gemeindebundes sowie des Verbands der kommunalen Arbeitgeber zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft an und fordert, auch für weitere Handelsabkommen wie CETA und TiSA:
1. Das europäische und nationale Recht gewährleistet einen weiten Handlungs-spielraum der Kommunen bei der Organisation der Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Freihandelsabkommen dürfen diesen Handlungsspielraum der Kommunen nicht einengen. Deshalb muss jedenfalls für Deutschland der gleiche Vorbehalt gegen Marktöffnungsverpflichtungen im Bereich der Daseinsvorsorge aufgenommen werden, der auch im WTO-Dienstleistungsabkommen von 1995 (GATS) enthalten ist.

 

Für Marktzugangsverpflichtungen im Dienstleistungssektor wird die Verwendung einer Positivliste bevorzugt, weil damit sichergestellt werden kann, dass für den Bereich der Daseinsvorsorge keine neuen Marktöffnungsverpflichtungen übernommen werden und der Handlungsspielraum der Kommunen erhalten bleibt. Die Verwendung einer Negativliste ist abzulehnen, denn damit bestünde die Gefahr, dass auf EU-Ebene für alle Staaten definiert würde, was Daseinsvorsorge umfassen soll. Dies lehnen die kommunalen Spitzenverbände in Übereinstimmung mit dem Verband kommunaler Unternehmen ab, da davon auszugehen ist, dass die Daseinsvorsorge in Deutschland und deren weite Interpretation und Ausgestaltung durch die öffentliche Hand auf Grund der Situation in den anderen EU-Mitgliedsländern in Frage gestellt werden dürfte.

 
2. Für öffentliche Auftraggeber in Deutschland dürfen durch TTIP keine Verpflichtungen übernommen werden, die über die Bestimmungen des reformierten europäischen Vergaberechts hinausgehen. Die in den neuen EU-Vergaberichtlinien verankerten Möglichkeiten für Inhouse-Vergaben und die interkommunale Zusammenarbeit sowie insbesondere auch die Bereichsausnahmen für Rettungsdienste, die Trinkwasserversorgung und die Abwasserbeseitigung oder -behandlung dürfen durch TTIP nicht in Frage gestellt werden. Beispielhaft darüber hinaus müssen die Bereiche Abfallentsorgung und ÖPNV, soziale Dienstleistungen und Gesundheitsvorsorge sowie alle Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Bereich der Kultur explizit ausgeschlossen werden.

 
3. Die in TTIP bisher vorgesehenen speziellen Investitionsschutzregelungen mit ad hoc- besetzten Schiedsgerichten werden abgelehnt. Sofern solche Regelungen auf Wunsch der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten in TTIP Eingang finden, müssen sie nach rechtstaatlichen Grundsätzen ausgestaltet sein und insbesondere gewährleisten, dass die Verfahren auch für die Zivilgesellschaft transparent durchgeführt werden, die Unabhängigkeit und hinreichende Qualifikation der SchiedsrichterInnen sichergestellt ist, sowie eine Berufungsmöglichkeit vorgesehen und die Schaffung eines Schiedsgerichtshofs angestrebt wird. Es muss sichergestellt werden, dass nicht-diskriminierende Maßnahmen der Gesetzgebung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen keine Schadensersatzansprüche für InvestorInnen begründen können. Ein einklagbares Recht auf einen Marktzugang darf es nicht geben.

 
4. Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz dürfen durch TTIP nicht abgesenkt werden. Vielmehr soll ein hohes Umwelt- und Verbraucherschutzniveau im Einklang mit dem Besitzstand der EU und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gefördert werden. Bei unterschiedlichen Schutzniveaus dürfen Schutzstandards nicht herabgesetzt werden mit dem Ziel eines Abbaus von Handelshemmnissen.
Unterzeichnet von:

Parsa Marvi (SPD) und Fraktion
Bettina Lisbach (GRÜNE) und Fraktion
Lüppo Cramer (KULT) und Fraktion
Niko Fostiropoulos (DIE LINKE)

Karlsruhe, 20.10.15

 


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