Anforderungen an Leitungskräfte enorm gestiegen

28. Juni 2017  Allgemein, Anfragen, Berichte

Die Antwort der Stadtverwaltung auf unsere Anfrage:

1. Wie viele Stunden pro Woche stehen der Leitung einer Kita durchschnittlich für Leitungsaufgaben (v. a. für Pädagogik, Personal, Budget, Elterngespräche) zur Verfügung.
a) in städtischen Kitas
b) in den Kitas anderer Träger in Karlsruhe

Nach § 47 SGB VIII ist für jede Einrichtung eine Einrichtungsleitung zu bestimmen, welche die in § 7 Abs. 7 Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) erläuterten Aufgaben wahrnimmt.
Der Mindestpersonalschlüssel nach der Kindertagesstättenverordnung (KiTaVO) berücksichtigt die gesetzlich vorgesehene Einrichtungsleitung im Sinne des § 47 SGB VIII für die „Arbeit am Kind“ sowie anteilige Verfügungszeiten zur Vor- und Nachbereitung und zur Dokumentation. Eine Leitungsfreistellung ist nicht im Mindestpersonalschlüssel berücksichtigt. Es besteht keine Verpflichtung der Träger, die Leitung einer Einrichtung ganz oder teilweise für originäre Leitungsaufgaben freizustellen. Bei einer freiwillig vereinbarten Leitungsfreistellung ist folglich ein entsprechender Ausgleich durch andere Fachkräfte zur Einhaltung des erforderlichen Mindestpersonalschlüssels in der Gruppenarbeit zu gewährleisten.

 

Nimmt eine Einrichtungsleitung ihre Leitungsaufgaben vollumfänglich (u.a. Führen von Mitarbeiter- und Elterngesprächen, Konzeptentwicklung, Verwaltungsaufgaben) wahr, fehlt diese Zeit für die Arbeit in den Gruppen mit den Kindern. Ohne zusätzliche Stellenanteile für die Leitungsarbeiten, würde dies einen Verstoß gegen den Mindestpersonalschlüssel gemäß KiTaVO darstellen. Eine Einrichtungsleitung in einer Einrichtung, die sich strikt an die Vorgaben des im Rahmen der Betriebserlaubnis des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales (KVJS) erforderlichen Mindestpersonalschlüssels hält, kann folglich keine Leitungsaufgaben wahrnehmen.

 

In einschlägigen Expertisen, Communiqués und jüngst auch beim „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung wird moniert, dass es in Baden-Württemberg keine explizit ausgewiesene Leitungszeit gibt. Entsprechende Forderungen wurden auch an die neue Landesregierung herangetragen, unter anderem von der Stadt Karlsruhe über den Städtetag Baden-Württemberg.

 

a) in städtischen Kitas

Den Leitungen in den städtischen Kitas stehen für Leitungsaufgaben keine festgelegte Stundenanzahl zur Verfügung. Allerdings ermöglicht der im bundesweiten Vergleich recht großzügig bemessene Personalschlüssel in Baden-Württemberg einen zeitlichen Puffer für Leitungsaufgaben. Den Leitungen stehen ungefähr 0,125 Vollzeitäquivalente pro Gruppe zur Verfügung, so dass bei einer 4-gruppigen Einrichtung rund 50 Prozent der Arbeitszeit für Leitungstätigkeiten eingesetzt werden. Die verbleibende Arbeitszeit wird für den Gruppendienst eingesetzt, oft auch in den „Randzeiten“, wenn weniger pädagogisches Personal, aber auch weniger Kinder, in der Einrichtung sind.

b) in den Kitas freier Träger

In Karlsruhe befinden sich nur 20 der insgesamt 194 Kindertageseinrichtungen für Vorschulkinder in städtischer Trägerschaft (ca. 10 Prozent). Die übrigen 174 Einrichtungen verteilen sich auf 41 freie Träger. Die mit Abstand größten Träger sind die katholische und evangelische Kirche, die rund zwei Drittel der Karlsruher Kindertageseinrichtungen betreiben.

 

Die „Richtlinie der Stadt Karlsruhe für die Förderung von Kindertagesstätten und Kinderkrippen“ regelt die Grundsätze der Bezuschussung von Kindertageseinrichtungen freier Träger. Die hierin für die Fachpersonalkostenbezuschussung je Angebotsform festgelegten förderfähigen Stellenschlüssel berücksichtigen grundsätzlich die Einrichtungsleitung sowie Verfügungszeiten.

 

Seit 1. Januar 2011 sieht die Förderrichtlinie keine explizit ausgewiesenen Stellenanteile für Leitungsfreistellung mehr vor, da diese Anteile in den förderfähigen Stellenschlüssel integriert wurden. Je nach tatsächlichen Öffnungszeiten der Einrichtungen der freien Träger, liegt der vom KVJS vorgeschriebene Mindestperso-nalschlüssel unter dem förderfähigen Stellenschlüssel der Stadt Karlsruhe. Ist der förderfähige Stellenschlüssel noch nicht vollständig ausgeschöpft, kann eine vom Träger vorgenommene Leitungsfreistellung bis zum vollständigen Ausschöpfen des förderfähigen Stellenschlüssels bezuschusst werden. Sollten jedoch die Öffnungszeiten der Einrichtungen deutlich länger sein als die dem förderfähigen Stellenschlüssel zu Grunde liegenden durchschnittlichen Öffnungszeiten und somit der vom KVJS vorgeschriebene Mindestpersonalschlüssel höher sein als der förderfähige Stellenschlüssel, kann keine Bezuschussung einer vom Träger vorgenommenen Leitungsfreistellung erfolgen.

 

Der Sozial- und Jugendbehörde liegen keine Angaben darüber vor, ob und in welchem Umfang die freien Träger den Leitungen tatsächlich eine Freistellung für Leitungsaufgaben gewähren. Falls hierzu weitere Angaben gewünscht sind, müsste eine Abfrage bei den Trägern vorgenommen werden, die gewisse Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen würde.

 

2. In wie vielen Kitas in Karlsruhe sind die Leitungsstellen derzeit gar nicht oder nur teilweise besetzt? Wie sah das vor einem Jahr aus?

Alle Leitungsstellen in den städtischen Kitas sind besetzt.
Über die Situation in Einrichtungen freier Träger liegen der Sozial- und Jugendbehörde keine Angaben vor.

3. „Die gestiegenen Ansprüche von Eltern, Gesellschaft und Politik kann eine Kita kaum erfüllen, wenn nicht wenigstens eine halbe Stelle für Leitungsaufgaben vorhanden ist.“ (Jörg Dräger, Vorstand Bertelsmann Stiftung) – Kann die Stadt diese Auffassung teilen? Wenn nein, warum nicht?

In den vergangenen Jahren sind die Anforderungen an Leitungskräfte enorm gestiegen, z.B. durch den Ausbau von Plätzen für Kinder unter drei Jahren sowie von Ganztagsangeboten, die Anleitung von Auszubildenden oder der Umsetzung pädagogischer Handlungsfelder wie Inklusion oder Sprachbildung. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist eine anteilige Leitungsfreistellung notwendig. Diese Maßnahme wäre aus Sicht der Stadt Karlsruhe geeignet, für Leitungskräfte sowohl eine Arbeitsentlastung als auch höhere Wertschätzung zu erwirken.

 

Auf Initiative und unter Federführung der Stadt Karlsruhe wurde über den Städtetag Baden-Württemberg ein Forderungskatalog im Rahmen des „Pakts für Familien“ für Verhandlungen mit dem Land Baden-Württemberg erstellt. In diesem Forderungskatalog ist der Vorschlag enthalten, die Leitungsfreistellung verbindlich in die Vorgaben des Berechnungsschemas des KVJS zum Mindestpersonalschlüssel einzuarbeiten. Vorgeschlagen wurde eine anteilige Leitungsfreistellung pro Gruppe von 0,15 Vollzeitfachkraftstellen. Die Aufnahme einer anteiligen Leitungsfreistellung in den Mindestpersonalschlüssel des KVJS würde durch das Konnexitätsprinzip eine Finanzierungsverpflichtung seitens des Landes Baden-Württemberg gegenüber den Kommunen auslösen.

 

4. Wie schätzt die Stadt die Situation der Leitungskräfte in Karlsruher Kitas dahingehend ein?

 

In den städtischen Einrichtungen haben die Leitungen Zeit für Leitungstätigkeiten, Unterstützung durch qualifizierte Fachberatung, ein an den Themen und Bedarfen orientiertes Fortbildungsangebot und ein umfängliches betriebliches Gesundheitsmanagement.

 

Die freien Träger Karlsruher Kindertageseinrichtungen haben in den vergangenen Jahren regelmäßig in unterschiedlichen Arbeitskreisen geäußert, dass die Anforderungen an die Kita-Leitungen stetig steigen. Auch aus Sicht der freien Träger wäre die Aufnahme einer expliziten Leitungsfreistellung in den Mindestpersonalschlüssel des KVJS und in der Folge eine Bezuschussung seitens der Stadt Karlsruhe eine Möglichkeit, die Arbeitssituation der Leitungskräfte in Kitas und die Qualität in der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung weiter zu verbessern.

5. Ist die Situation von Leitungskräften in Karlsruher Kitas in Bezug auf Arbeitsbelastung und Arbeitsüberlastung bereits konkret untersucht bzw. seitens gewerkschaftlicher Vertretungen oder von Kita-Leitungskräften gegenüber der Stadt bzw. den Trägern von Kitas thematisiert worden?
Wenn ja, wann und mit welchen Ergebnissen? Wenn nein, wird die Stadt in diese Richtung aktiv werden?

Wie bei den Ausführungen zur dritten und vierten Frage bereits erläutert, strebt die Stadt Karlsruhe über den Städtetag Baden-Württemberg eine Verbesserung für die Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen durch eine im Mindestpersonalschlüssel vorgesehene Leitungsfreistellung an.
Eine dezidierte Untersuchung zur Situation von Leitungskräften in Karlsruher Kitas fand nicht statt, da es hierfür bislang weder einen Anlass noch einen Auftrag gab.

 

Stadt Karlsruhe
Der Oberbürgermeister, 27.06.2017


Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*