Haushaltsrede von Brigitte Ostmeyer, Fraktionsvorsitzende DIE LINKE im Kreistag Böblingen
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Kreistags,
sehr geehrter Herr Landrat,
bei der Kreisumlage scheiden sich im allgemeinen die Geister, weil es auf den Blickwinkel ankommt: wir halten die Senkung der Kreisumlage auf 33% für falsch, weil das 6,2 Millionen weniger für den Kreis bedeutet und deshalb die Handlungsfähigkeit des Kreises unnötig einschränkt. Damit können sinnvolle haushaltsrelevante Anträge und Vorschläge aus den Fraktionen mit Hinweis auf die angespannte finanzielle Situation des Kreises abgelehnt werden – was ja sehr schade sein kann, wenn die Anträge einem guten Zweck dienen, wie es bei uns immer der Fall ist.
Zur Schaffung von „bezahlbarem Wohnraum“ sind im Haushalt 70000 € eingestellt „für Projekte im Rahmen eines Impulsprogramms“. Wir halten das für einen zu geringen Betrag, wenn es dem Kreis wirklich ernst bei diesem Thema ist – und erfreulicherweise taucht „bezahlbarer Wohnraum“ in diesem Jahr ja auch auf dem Deckblatt zum Haushalt auf, sicher ein Indiz für die Ernsthaftigkeit.

Die Wohnungsnot für Gering- und Normalverdiener ist schon seit vielen Jahren für die Betroffenen ein drängendes Problem – allerdings scheint es so, dass die Brisanz des Themas bei den Verantwortlichen erst zusammen mit den Flüchtlingen angekommen ist, und richtig an Fahrt aufgenommen hat, seit die Unternehmen in der Region lautstark beklagen, dass sie deshalb Schwierigkeiten haben, Arbeitskräfte zu finden.
Beim Bürgerdialog zum Thema bezahlbarer Wohnraum letzte Woche waren ca 70 Menschen gekommen, allerdings leider kaum „Betroffene“ wie die Umfrage gezeigt hat – um die zu errreichen, braucht es vermutlich andere Methoden und Formate. Thematisiert wurde – nur in Stichworten: Statistiken mit völlig falschen Annahmen, zu viele große und viel zu wenig kleine Wohnungen, systematischer Abbau von Sozialwohnungen in der Vergangenheit, Bedarf an mehrgeschossigen Mehrfamilienhäusern und die Umsetzungshindernisse, Lebenszyklushäuser, fehlende attraktive Seniorenwohnangebote, Leerstand, Immobilienspekulation, zu wenig Mittel vom Land, Baugemeinschaften usw.. Thema war auch, dass es selbst bei den Sindelfinger und Böblinger Baugenossenschaften zur Zeit keinerlei Angebote gibt.
Trauerspiel Kreisbaugenossenschaft
Selbst wenn der Kreis nur als Moderator auftreten und Ideen zusammentragen will, scheint es uns angesichts der Komplexität der Problematik unmöglich, dass diese Aufgabe in der Verwaltung „nebenher“ erledigt wird. Deshalb beantragen wir eine zusätzliche Personalstelle für diese Koordinationsaufgabe. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass angesichts der bisher unbefriedigenden Ergebnisse der kommunalen Baugenossen-schaften in Sindelfingen und Böblingen, der nicht vorhandenen Baugenossenschaften in anderen Kommunen und dem Trauerspiel Kreisbaugenossenschaft ein Paradigmenwechsel in Richtung kommunaler Baugenossenschaften als langfristiges Konzept statt finden muss. Deshalb beantragen wir eine Machbarkeitsstudie mit dem Ziel, aufzuzeigen, ob und wie die Kreis- (und ggf. andere kommunale) Baugenossenschaft reaktiviert, aufgebaut bzw. als Akteur gestärkt werden können, damit es z.B. eine Kreisbau gibt, die ihren Namen verdient, weil sie niedrigpreisige Wohnungen anbietet. Ein Blick über den Zaun zu der Kreisbau in Tübingen oder noch weiter zum Wiener Modell – die Kommune als Wohnungseigentümer und Vermieter – zeigt, dass es da Vorbilder gibt!
In diesem Zusammenhang beantragen wir auch eine Überprüfung und ggf. eine Mietobergrenzenanpassung (die letzte Anpassung war im April 2016) und auch eine Darstellung über die aktuelle Bemessungsmethode der Ermittlung der Mietobergrenzen – weil die bisherige Methode – freundlich ausgedrückt – einige Mängel hatte. Und wie im letzten Jahr beantragen wir darzustellen, wieviele Berechtigte nicht auskommen (absolut und prozentual) mit der aktuellen Mietobergrenze und zuzahlen müssen. Im letzten Jahr waren die Zahlen mit 25% der Hartz 4 EmpfängerInnen und 15% derjenigen, die Mietbeihilfe bekommen, sehr ernüchternd und es ist zu befürchten, dass diese Zahlen weiter gestiegen sind. Hier stellt sich auch die Frage nach dem für das 4te Quartal zugesagten Armuts-/Reichtumsbericht – wann können wir damit rechnen?
Unseren Wachstumskurs generell überdenken
Die Wohnunsknappheit genau wie der Dauerstau auf unseren Straßen ist zu einem erheblichen Teil unserem dauernden Wachstumskurs geschuldet: dem Werben um die Ansiedlung immer weiterer Unternehmen bzw. der Unterstützung der Ausweitung bestehender Unternehmen. Auch bei weiteren Straßenbaumaßnahmen – A81, B295, B464 – werden die zusätzlichen Kapazitäten absehbar bald wieder an Grenzen stoßen, wenn wir es nicht schaffen, die Zahl der Fahrzeuge drastisch zu senken, also Verkehr zu vermeiden. Weder Elektroautos noch Radwegebau werden das Problem im Kreis lösen können. Elektroautos sind schon deshalb keine Lösung, weil sie ja keinen Stau verkleinern – außerdem wird viel zu wenig über die Stromerzeugung, die Batterieherstellung (Lithium, Nickel und Kobalt ) und -entsorgung geredet. Und ich persönlich bin sehr skeptisch, dass es mit e-Bikes möglich sein wird, die Zahl der All-Wetter-und-Dunkelheit-RadlerInnen so zu steigern, dass es auf den Straßen spürbar wird.
Langfristig muss tatsächlich eine neue Mobilitätskultur entwickelt werden mit einem leistungsfähigen und bezahlbaren ÖPNV-Angebot, damit die Menschen auf das eigene Lenkrad verzichten und Fahrgemeinschaften bilden, Car sharing nutzen, Fahrrad fahren, zu Fuß gehen oder auf den ÖPNV umsteigen. Langfristig fordert die LINKE den ÖPNV zum Nulltarif für die NutzerInnen – und wir werden weiterhin gegen ständig steigenden VVS-Tarife streiten. Wir sind aber auch der Meinung dass unser Wachstumskurs generell überdacht
werden muss, zugunsten einer Diskussion darüber, wie wir leben wollen und was für uns als „gutes Leben“ in einer Welt immer knapper werdender Resourcen denkbar ist – um die Lebensqualität in unserem Kreis nicht dauerhaft zu schädigen.
Einführung eines kreisweiten Sozialtickets
Zu unserem Lieblingsthema Sozialticket. Wir haben unseren Antrag vom letzten Jahr wieder eingebracht, weil wir von unserer Forderung nach einem regionalen VVS-weiten Sozialticket als Angebot des VVS nicht abrücken.
Weil aber die Mehrheitsverhältnisse im VVS-Aufsichtsrat so sind wie sie sind, begrüßen wir als ersten Schritt die Vorlage der Verwaltung für ein kreisweites Sozialticket.
Aus der Vorlage zum Evaluationsergebnis des Stuttgarter Sozialtickets und zu den daraus abgeleiteten Überlegungen wie ein Sozialticket im Kreis Böblingen aussehen könnte, geht hervor, dass erstens das Sozialticket in Stuttgart eine Erfolgsgeschichte ist und zweitens, dass ein kreisweites Sozialticket – ob 4 oder 7 Zonen – problemlos zu finanzieren ist. Die Schätzung der Verwaltung liegt bei 1,2 Mio € plus nicht genau zu beziffernden – teilweise einmaligen – Verwaltungskosten. Selbst wenn es 2 Mio werden würden: Das ist nicht mal ein Drittel Kreisumlagepunkt – ich erinnere an den Beginn meiner Ausführungen zur Senkung der Kreisumlage. Wir beantragen deshalb, dass die Verwaltung auf diesem Weg weitergeht und die Details klärt, um möglichst bald eine Beschlussvorlage zum Thema kreisweites Sozialticket in den Ausschüssen diskutieren zu können. Wir warnen auch davor, dieses Thema mit der geplanten VVS-Tarifstrukturänderung zu verknüpfen, weil die Themen nichts miteinander zu tun haben. Es gilt, den politischen Willen zu bekunden, dass wir für die Bürgerinnen und Bürger, für die die VVS-Tarife schlichtweg nicht zu bezahlen sind, bezahlbaren ÖPNV ermöglichen – es ist nicht zu vermitteln, dass es sich ein so reicher Kreis wie BB nicht leisten kann, wenn es z.B. Göppingen, Freiburg, Heilbronn, Stuttgart schaffen! Wir meinen, es gibt ein Recht auf Mobilität für alle.
Die Fahrplanrobustheitsprüfung Hermann-Hesse-Bahn wird am 1. Dezember vorgestellt. Wir stimmen dem Landrat zu, dass es dann Zeit ist, uns mit einer Beteiligung an den Investitionen und einer Mitgliedschaft im Zweckverband zu beschäftigen. Diese Bahn ist auch für die BewohnerInnen im Kreis Böblingen attraktiv und auch unsere Straßen werden entlastet.
Beim eingangs schon erwähnten Deckblatt des „Papier-Haushalts“ fällt auf, dass beim Haushaltsplan 2017 das Thema Flüchtlinge und Anschlussunterbringung vorkam, dieses Jahr fehlt das. Da könnte man ja auf die Idee kommen, dass das Thema Flüchtlinge mehr oder weniger “gelöst“ ist. Wir alle wissen ja aber, dass das so nicht stimmt und im Moment nur die Abschottung Europas ziemlich gut funktioniert, für uns – nicht für die Flüchtlinge, die auf Lesbos dahinvegetieren, nach Lybien zurückgebracht werden oder ertrinken. Beim diesjährigen Europakongress von AWO, ATTAC und diversen Gewerkschaften berichtete ein Mitarbeiter von Seawatch 2 von den Zuständen vor Ort: einfach gruselig.
Für den Kreis stellt sich jetzt vorrangig die Aufgabe der Integration. Allerdings gibt es handfeste Hindernisse für die Integration: der verwehrte Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz und drohende Ablehnungsbescheide z.B. für Menschen aus Afghanistan.
In letzter Zeit gab es immer wieder Zeitungsberichte, dass die Zahl der engagierten Ehrenamtlichen in den Asylarbeitskreisen rückgängig ist aus vielerlei Gründen: ausgebrannt und überfordert, zu wenig Unterstützung, Frustration über die eben genannten Integrationshindernisse. Wir begrüßen sehr, dass zusätzliche IntegrationsmanagerInnen eingestellt bzw. Stellen geschaffen wurden, die hoffentlich auch das Leben der Ehrenamtlichen leichter machen werden.
Beim diesjährigen Ehrenamtstag in Leonberg wurde mehrfach die Forderung laut, bitte im Sozialbetreuungsaufwand nicht zu kürzen, weil die Belastung für die Ehrenamtlichen zu groß würde. In der Rede des Landrats werden aber 21 „weggefallene“ Stellen beim Amt für Migration und Flüchtlinge erwähnt. Wir beantragen, dass im zuständigen Ausschuss detailliert dargestellt wird, wie sich der Sozialbetreuungsschlüssel entwickelt hat.
Äußerst hilfreich für die Arbeit der Ehrenamtlichen ist die Arbeit der beiden Ehrenamtskoordinatorinnen – allerdings sind kw-Vermerke im Stellenplan zu sehen. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass eine der Stellen nur bis Juni 2018 befristet ist – auf absehbare Zeit kann doch aber niemand von uns davon ausgehen, dass diese Stellen nicht mehr benötigt werden!! Wir beantragen deshalb, dass die Stellen der beiden Ehrenamtskoordinatorinnen in unbefristete Arbeitsverhältnisse überführt werden. Das steigert die Motivation und verhindert Fluktuation.
Bei Gesprächen mit den Ehrenamtlichen wurde auch das Problem der fehlenden Dolmetscher für Behördengänge und Arztbesuche angesprochen. Im Haushalt 2017 waren Mittel für einen Dolmetscherpool ausgewiesen. Im SGA im Mai wurde aufgrund unserer Anfrage ein Bericht über den Dolmetscherpool (KT-Drucks. Nr. 073/2017) abgegeben. Aus meiner Sicht wurde dort nur die völlig unbefriedigende Situation geschildert und es wurde ausgeführt, dass das LRA den Aufbau eines Sprachmittler-Pools plane. Allerdings habe ich keinerlei Posten im Haushalt dafür gefunden? Deshalb beantragen wir erneut, die Umsetzung des Sprachmittlerpools darzustellen.
Den Sanierungsstau an Schulen angehen
Themawechsel: dem Hauhaltsplan ist beim Teilhaushalt 13, u.a. Sanierungsstau Schulen, zu entnehmen, dass „in den nächsten Jahren ein nachhaltiges Sanierungsprogramm erstellt werden soll mit der Unterstützung eines IT-gestützten Gebäudemanagements (CAFM).“ Das scheint uns etwas vage und auf die lange Bank geschoben und dem teilweise desolaten Zustand der Schulen überhaupt nicht angemessen. Wir beantragen stattdessen, zeitnahe Begehungen der Schulen mit einem Gutachter und Ingenieuren und Technikern aus dem LRA um den Instandhaltungsrückstau zu ermitteln – das scheint uns praktikabel und deutlich schneller als der Vorschlag der Verwaltung.
Noch ein paar Bemerkungen zum Stellenplan und der Personalsituation im Landratsamt. „Nach hausinternen Sparrunden wurden die Neuanmeldungen von über 70 auf 40 Stellen reduziert“ – so der Landrat in seiner Rede. Ich muss sagen, dass ich mich überfordert fühle zu beurteilen, ob das eine „vernünftige“ Reduzierung ist, oder ob es dadurch zu einer Personalunterdeckung kommt, die von den anderen Kolleginnen und Kollegen im LRA aufgefangen werden muss. Für die Zukunft regen wir deshalb an, dass der Personalrat im zuständigen Ausschuss zu den hausinternen Personal-Sparrunden Stellung bezieht und dabei auch aufzeigt, wie die Überstundenbelastung und der Krankenstand aussieht. Uns allen muss ja daran gelegen sein, gesunde und motivierte MitarbeiterInnen im LRA zu haben. Dazu gehört auch das Thema „kw“-Vermerke: die bedeuten für die Angestellten eine Unsicherheit – deshalb sollte die Anzahl der kw Vermerke aus unserer Sicht drastisch reduziert werden, weil mit einer solchen Stelle die Lebensplanung deutlich erschwert wird und es auch schwer wird, auf solche Stellen die besten BewerberInnen zu finden – Stichwort IntegrationsmanagerInnen.
Durch Steuerhinterziehung gehen den Gemeinden Millionen verloren
Wir unterstützen selbstverständlich den interfraktionellen Antrag, dass die Initiative FRIDA einen Zuschuss von 5000€ erhält. Und auch den Antrag von „Lernort Bauernhof im Heckengäu (LOB)“, den Haushaltsansatz um 10000€ zu erhöhen.
Das Thema Steuerhinterziehung ist gerade durch die Paradise Papers ja wieder mal aktuell – und den Gemeinden gehen Millionen verloren dadurch. Im letzten Jahr hatten wir den Landrat und die Bürgermeister aufgefordert, sich im Landkreistag und Städtetag dafür stark zu machen, Druck auf die Landesregierung auszuüben, mehr Stellen bei den Finanzämtern auszuweisen.
Laut Synopse der Hauhaltsberatungen sollte das auch bei den zuständigen Gremien vorgetragen werden – nun sind wir neugierig, zu erfahren, was dabei rauskam!!
Abschließend noch ein paar Sätze zu den Plänen für ein Digitalisierungs-zentrum bzw. „Digital Hubs“. Wenn öffentliche Gelder von Land und Kreis für ein Forschungsprojekt zum Thema, wie die Digitalisierung die Wirtschaft und die Arbeitswelt verändern wird, zur Verfügung gestellt werden, sollte der Blickwinkel unserer Meinung nach erweitert werden über die Unterstützung von KMUs hinaus. Wenn ich in der Präsentation z.B. lese: „mit immer weniger hoch intelligenten Menschen immer mehr smarte Produkte produzieren“ erzeugt das eine Gänsehaut bei mir – was passiert mit den „übrigen“ hoch intelligenten Menschen, was mit den nicht ganz so hoch intelligenten? Deshalb müsste auch im Fokus stehen, wie der gesellschaftliche Dialog zum Thema organisiert und wie gestaltend eingegriffen werden kann, damit die Entwicklung der Arbeitswelt eben nicht so verläuft, wie Prof. Hertweck es im Oktober im KT dargestellt hat und am Ende nur noch – so wörtlich – „wenige gestresste Wissensarbeiter“ gebraucht werden.
Zum Schluss auch von uns noch ein herzliches Dankeschön für die Hilfestellungen aus der Verwaltung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.