Die gemeinsame Haushaltsrede von Ursula Merz und Richard Pitterle, die Ursula Merz heute im Gemeinderat Sindelfingen gehalten hat.
“In der Haushaltsrede wird eine Politik skizziert, die die Interessen der Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, immer im Blick behalten.
Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wessen Tätigkeit für das Funktionieren der Gesellschaft, systemisch ist: nur beispielhaft nenne ich die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die Erzieherinnen und Erzieher, die Menschen im Transportwesen, die Menschen in der Lebensmittelversorgung und die Zusteller der Paketdienste. Alles Berufe, die eines eint: sie sind chronisch unterbezahlt.”

Richard Pitterle und Ursula Merz, die LINKE Gruppe im Gemeinderat Sindelfingen
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Vöhringer,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich trage heute den gemeinsamen Standpunkt der Gruppe der LINKEN im Gemeinderat vor:
Die Haushaltsreden haben immer auch die Funktion die Richtung zu beschreiben, wohin die künftige Entwicklung nach der Vorstellung der jeweiligen Fraktionen verlaufen soll.
Viele reden von notwendiger Priorisierung. Wie sieht unsere Sicht darauf aus:
Die LINKE will hierbei wie bei der Kommunalpolitik allgemein die Interessen der Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, immer im Blick behalten.
Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wessen Tätigkeit für das Funktionieren der Gesellschaft, systemisch ist: nur beispielhaft nenne ich die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die Erzieherinnen und Erzieher, die Menschen im Transportwesen, die Menschen in der Lebensmittelversorgung und die Zusteller der Paketdienste. Alles Berufe, die eines eint: sie sind chronisch unterbezahlt.
In der Kommunalpolitik wollen wir insbesondere deren Interessen im Blick behalten.
Priorisierung bei den kommunalen Finanzen bedeutet für uns LINKE, dass wir uns auf Projekte konzentrieren wollen, die für die Mehrheit in der Bevölkerung von Bedeutung sind.
Was ist aus unserer Sicht wichtig:
• Eine gute und verlässliche Betreuung unserer Kinder in den Kitas und Schulen
• Schaffung von bezahlbarem Wohnraum
• Ausbau und Sanierung der Sportstätten
• Sanierung und Ausbau des Hallenbades
• Entwicklung einer attraktiven Innenstadt
• Förderung der Kulturlandschaft
Wir haben mit und durch Corona viel Gewerbesteuer verloren, aber zur Wahrheit gehört auch, wir hatten einen Absturz der Kommunalfinanzen vor Corona, weil der Betrieb mit dem Stern wegen kriminellen Abgasmanipulationen hohe Geldbußen zu zahlen hatte und diese größtenteils von der Steuer abschreiben durfte.
Als wir noch ordentliche Gewerbesteuereinnahmen hatten, hatten wir einen weitgehenden Konsens im G-Rat darüber gehabt, welche Infrastrukturprojekte voran zu bringen wären: die Sanierung der Sportstädten, das ehemalige Mädchenheim in Maichingen, die Sanierung der Tiefgarage, ein Bürger- und Kulturzentrum auf dem VoBa-Gelände, Weiterentwicklung des Hallenbads zu einem Familienbad, ja auch die Sanierung des „Hirsch“.
Jedem von uns ist angesichts der
finanziellen Situation, trotz guter Rücklagen, klar:
Alles gleichzeitig ist nicht mehr möglich.
Also müssen alle sagen, was ist aus ihrer Sicht heute die PFLICHT und was lediglich die KÜR ist. Mit PFLICHT sind nicht die Pflichtaufgaben im Sinne der Gemeindeordnung gemeint, sondern das was für ein soziales Miteinander in dieser Stadt erforderlich ist.
Wir halten Sparmaßnahmen etwa durch Personalabbau in der Verwaltung oder den städtischen Unternehmen oder Gebührenerhöhungen für Kitas für kontraproduktiv. Diese senken die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger. Dadurch sinkt auch die Nachfrage, auch im städtischen Einzelhandel, aber auch zwangsläufig bei den Ausgaben für kulturelle Angebote. Das halten wir für den falschen Weg!
Gerade in der Krise muss der öffentliche Sektor antizyklisch handeln. Es geht unserer Meinung nach nicht darum uns aus der Krise heraus zu sparen, sondern aus der Krise heraus zu wachsen. Daher wäre es auch falsch auf Zukunft gerichtete Investitionen zu verzichten, denn diese haben neue Steuereinnahmen zur Folge.
Welches finanzträchtige Projekt wären wir bereit in dieser Situation aufzugeben?
Angesichts der schwindenden Finanzkraft haben wir nach ausführlicher Diskussion mit unseren sachkundigen Bürgern beschlossen, unsere bisherige Unterstützung der Sanierung der Marktplatz-Tiefgarage aufzugeben. Im Gegenteil greifen wir den Vorschlag des früheren Grünen-Fraktionsvorsitzenden Hannes Grau auf, der schon vor Jahren vorgeschlagen hatte, die Grube zu zumachen.
Im Hinblick auf unseren Antrag an den Markttagen die Buse kostenlos zum Marktplatz fahren zu lassen, im Hinblick auf die reichlich vorhandenen Parkplatzkapazitäten im Sterncenter, aber auch im Hinblick auf die allgemeine Tendenz in der Stadtplanung, die auf autofreie Innenstädte orientiert, halten wir den Verzicht auf die Marktplatzgarage für eine vertretbare Option.
Die für die Sanierung eingeplanten Millionen könnten so für andere Infrastrukturmaßnahmen eingesetzt werden. Zum Beispiel für einen Masterplan Innenstadt, der nach den Vorstellungen zur Entwicklung im Osten der Stadt zur Rettung der Innenstadt wichtiger denn je ist.
Wir sind der Meinung, dass in die Entscheidung, welches Projekt vorrangig ist, die Bürgerschaft einbezogen werden sollte.
Wir könnten uns vorstellen, dass wir in einem Bürgerentscheid die Frage stellen, ob der Bürgerschaft ein vom OB vorgeschlagenes Familien- und Spaßbad oder die Sanierung und Beibehaltung der Marktplatz-Tiefgarage wichtiger wäre.
Unabhängig von der Corona-Problematik haben wir ein strukturelles Defizit im Haushalt, dass darin bestand, dass die laufenden Ausgaben nicht durch die laufenden Einnahmen gedeckt sind.
Neben unserem traditionellen Vorschlag die Gewerbesteuer zu erhöhen, haben wir dieses Mal einen weiteren Vorschlag für mögliche Einnahmen der Stadt vorgelegt.
Wir haben die Herausgabe einer „Sindelfingen isch mei Heimat-Anleihe“ im Wert von 25 Millionen € beantragt. Diese soll eine sichere Anlage bieten und nur in Höhe eines Inflationsausgleichs verzinst werden. 5.000 Menschen mit breiteren Schultern aus der Bürgerschaft und Unternehmen, die jeweils 5.000 € leihen und die sich dadurch lokalpatriotisch einbringen können, werden sich wohl im reichen Sindelfingen finden lassen.
Als LINKE wollten wir immer das Geld für sinnvolle gesellschaftliche Aufgaben dort holen, wo es zu holen ist. Bei den großen Konzernen, die Dividenden in Milliardenhöhe an die Aktienbesitzer verteilen, oder bei den Konzernen wie IKEA, die sich durch Steuergestaltungen von der Steuerzahlung drücken, die jedoch gerne von der guten Infrastruktur in Sindelfingen profitieren. Die Mehrheit des Gemeinderats hat sich unseren Finanzierungsvorschlägen fortwährend verweigert.
Daher lehnen wir auch diesmal einen Haushalt ab, der weiterhin darauf aufbaut, auf eine angemessene Gewerbesteuer zu verzichten. Mehrere Redner haben letzte Woche die Gefahr für den Mittelstand an die Wand gemalt. Die von uns beantragte moderate Erhöhung würde den Mittelstand, der zum überwiegenden Teil aus Personengesellschaften besteht, nicht betreffen, weil diese die zu zahlende Gewerbesteuer im vollen Umfang von der Einkommensteuer abziehen können.
Mein Kollege Pitterle hat das letzte Mal gesagt, das ein Haushalt die in Zahlen gegossene Politik der politischen Mehrheit des Gemeinderats ist. Solange es eine solche Mehrheit gibt, brauchen Sie unsere Zustimmung zum Haushalt nicht. Wenn Sie unsere Stimmen bräuchten, würden Sie uns wenigstens an einem Punkt entgegenkommen. Dann hätten wir beispielsweise ein gebührenfreies KiTa-Jahr vor der Einschulung. Davon ist weiter nichts zu spüren. Daher werden auch diesmal dem Haushalt nicht zustimmen.