Haushaltsrede von Gitte Hutter im Gemeinderat von Leonberg
Aktuelles aus dem Gemeinderat SindelfingeAlle Jahre wieder diskutieren wir über den „Geldbeutel“ unserer Stadt. Was kommt hinein, was geht hinaus. Doch so einfach ist es eben nicht.
Von Albert Einstein stammt die Weisheit, dass man die Probleme von heute nicht mit den Methoden von gestern lösen kann, durch die die heutigen Probleme entstanden sind. Wie Recht er hat! Doch was könnte das konkret für Leonberg bedeuten.

Seit Jahrzehnten wird über den Stau in und um Leonberg diskutiert, verschiedene Gutachten erstellt und vor allem ärgert sich jeder. Es herrscht „dicke Luft“ in unserer Stadt. Immer wieder flammt der Begriff des Tunnels auf. Wenn ein Tunnel gut für Leonberg wäre, warum gibt es ihn noch nicht? Sprechen zu viele Gründe dagegen?
Wenn ja, dann ist doch jetzt der Zeitpunkt umzudenken und den „Tunnelblick“ ad acta zu legen. Warum nicht „über“ von Leonberg fahren? Mit einer Seilbahn oder Expressbahn – alles ohne Feinstaub und Lärm.
Eine alte deutsche Firma hat sich in diesem Jahr für den Standort Leonberg entschieden, um autonomes Fahren in Deutschland voran zu bringen. Warum also nicht gleich in Leonberg selbst damit anfangen? Lassen Sie uns gemeinsam mit der Firma ein neues, abgasfreies, staufreies und attraktives Konzept für Leonberg entwickeln.
Was die Autokolonnen betrifft, die sich durch Leonberg und den Teilorten schlängeln, wenn mal wieder Stau auf der Autobahn ist, so kann dieser Stau nur überregional gelöst werden.
Hier müssen die Städte der Region Stuttgart zusammen an einen Tisch und so schnell als möglich agieren. Dabei muss der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) oberste Priorität haben. Günstigere Tickets, höhere Taktung der Busse, S-Bahnen und U-Bahnen, Ausbau des U-Bahn-Netzes und vieles mehr.
Um den Bedarf für die Menschen in Leonberg, die hier arbeiten und wohnen, zu ermitteln, ist eine Umfrage unumgänglich. Denn für Menschen, die in Leonberg im Schichtbetrieb arbeiten, z.B. im Krankenhaus, der Pflege, im Verkauf oder anderen Bereichen, ist es mittlerweile existenziell, dass sie ohne Auto kostengünstig zur Arbeit kommen.
Wie könnten wir also neue Wege im Bereich Verkehr für die Stadt Leonberg gehen? Zum einen „über den Wolken“ von Leonberg kurze Wege bestreiten, eigene Busspuren in Leonberg für Busse und Rettungsfahrzeuge, günstige Stadttickets, Ausbau der U-Bahn nach Leonberg, höhere Taktung der S-Bahnen und Busse.
Mehr oder, wenn möglich, nur noch Kreisverkehre in Leonberg und Teilorten einsetzen, die den Verkehr flüssiger gestalten. Das beste Beispiel ist der Kreisverkehr am Waldfriedhof. Außerdem spart die Stadt viel Geld. Keine Reparaturkosten und Stromkosten für die Ampeln. Fußgänger mit Handicap haben deutlich mehr Zeit eine Straße auf einem Fußgängerüberweg zu überqueren als die kurze Grünphase einer Ampel es zulässt. Bei Stau interessiert es viele Autofahrer sowieso nicht, welche Farbe die Ampel zeigt, also kann man sie gleich weglassen.
Auch den ganzen „Schilderwald“ in der Stadt roden spart der Stadt immense Kosten für die Schilder und die Ersatzbeschaffung der Schilder. Es gilt in Leonberg grundsätzlich die StVO – also rechts vor links. Somit wird ein jeder Verkehrsteilnehmer gezwungen langsamer und achtsamer zu fahren. Eine positive Folge wäre, weniger Lärm und mehr Geld für Straßenausbesserungen und sichere Fahrrad- und Gehwege.
Nicht zu vergessen, dass die zuständigen Stellen endlich mehr Kontrollen beim LKW-Durchfahrtsverbot durchführen. Das ist gut für unsere Gesundheit und spült ein bisschen Geld in die Steuerkassen.
Um den Lärmschutz weiter auszubauen, bedarf es weiterer Überlegungen und vor allem müssen alle Stadtquartiere untersucht werden und ein Gesamtkonzept erstellt werden, denn in jedem Quartier gibt es Lärmbelästigungen wegen durchfahrender Autos bei Stau in der Stadt. Vielleicht könnten kleinere Grünfläche und ausgewiesene Parkplätze, die punktuell auf die Straße gesetzt werden, das schnelle Durchfahren von Autos in Wohnquartieren eindämmen.
Nicht nur auf der Straße machen mehr Grünflächen Sinn, auch zwischen einzelnen Gebieten brauchen wir mehr „Erholungs- und Belüftungsflächen“. Dafür benötigen wir ein Gesamtkonzept für die Stadt und ihre Teilorte, um eine optimale Aufenthaltsqualität zu gewährleisten. Bereits bestehende Grünflächen müssen aufgewertet werden und neue geschaffen werden.
Wie schön ist es im Sommer durch den Stadtpark zu flanieren und seinen Blick schweifen zu lassen. Und plötzlich – man trifft genau die eine, mit der man nicht gerechnet hat.
„Mehr Sackerl fürs Kackerl“
Die „Tretmine“. Nun bin ich Pazifistin und kann Tretminen absolut nicht gut heißen. Sie sind nun auch nicht wirklich appetitlich.
Deshalb fordere ich „Mehr Sackerl fürs Kackerl“ und entsprechend mehr Mülleimer, so dass die Tüten da hinein kommen, wo sie hingehören und nicht in die Sträucher geworfen werden.
Und es sind nicht nur kleine Mülltüten in Sträuchern zu finden, sondern leider auch großer wilder Müll. Ich konnte oft in den Abendstunden Bürgerinnen mit ihren Fahrrädern und Tüten beobachten, die wilden Müll aufgesammelt und ordentlich entsorgt haben. Diesen Bürgerinnen gilt mein herzlicher Dank.
Als Stadt können wir im Bereich Müllbeseitigung moderner werden. Und da spreche ich hoffentlich aus dem „digitalen“ Herzen unseres Kollegen Zander, wenn wir zukunftsorientiert „intelligente Mülleimer“ in ganz Leonberg aufzustellen. Der Bauhof hat morgens am Computer eine Übersicht über alle Mülleimer und kann dann eine aktuelle Route zusammenstellen, um nur die vollen Mülleimer anzufahren. Das spart Zeit und Geld. Deshalb fordere ich ein Müllkonzept für die Stadt Leonberg und ihre Teilorte.
Sauberkeit in der Stadt wertet die Aufenthaltsqualität deutlich auf. Doch nicht nur das, sondern auch sichere und ausreichend breite Fahrrad- und Gehwege sind wichtig für das Stadtleben.
In den letzten Wochen und Monaten konnte ich im Stadtzentrum beobachten, dass es neue Hindernisparcours für Kinderwagen schiebende Personen und Rollatoren-Benutzer gibt.
Können diese Personengruppen neuerdings eine Eignungsprüfung mit Urkunde bei der Polizei ablegen, wie Schulkinder beim Fahrrad? Da hätte die Stadt uns ruhig aufklären können. Oder warum parken so viele große Autos auf Gehwegen oder stellen Kneipenbesitzer ihre Tische und Stühle soweit vor ihr Lokal, dass Fußgänger und Fahrradfahrer auf die Hauptstraße bei der Neuen Stadtmitte ausweichen müssen?
Ich fordere die zuständigen Stellen auf, diese wilden Bestuhlungen und das wilde Parken sofort zu unterbinden.
Dort, wo Menschen zu Fuß gehen, dort spielt das Leben, dort findet Kommunikation statt. Diese kann auf dem Bürgerplatz vor der Stadthalle wieder belebt werden. Denn momentan entspricht der Bürgerplatz nicht wirklich seiner Bestimmung. Weshalb kann hier nicht der Samtags-Wochenmarkt stattfinden? Es sind kostenfreie Parkplätze an der Stadthalle vorhanden und die Fußgänger bleiben von Autos verschont.
Die jetzige Situation am Wochenmarkt beim Reiterstadion ist lebensgefährlich. Muss erst was passieren, dass sich etwas ändert? Der Bürgerplatz hat es verdient belebt zu werden.
Freilich ist der Festplatz ein wichtiger Ort im Zentrum für verschiedene Veranstaltungen. Jedoch das Reiterstadion in seinem jetzigen Zustand eher nicht.
Die Fläche wäre eine gute Möglichkeit für sozialen Wohnungsbau und bezahlbaren Wohnraum. Wenn aber die Mehrheit des Stadtrates gegen Wohnungen an diesem Standort ist, dann sollte diese öffentliche Fläche sinnvoll und vor allem ganzjährig genutzt werden. Das brüchige Reiterstadion abreißen und z.B. ein Amphitheater bauen für Theateraufführungen, Open-Air-Kino-Vorstellungen, den Pferdemarkt und im Winter, mit Hilfe der Feuerwehr, eine Eislaufbahn. Somit hätten wir eine ganzjährige Nutzung dieser Fläche und einen Hingucker in der Stadt.
Wie die Sauna. Ein Prestigeobjekt par excellence. Vor kurzem in Betrieb gegangen und schon schreibt sie rote Zahlen. Im Jahr 2017 mussten die Steuerzahler knappe 21 EUR pro Badegast dazuzahlen. Das nenne ich mal Luxus, den wir aber gar nicht haben. Auch bei der Berechnung der Gesamtkosten sind große Fehler unterlaufen. Angefangen hatte man mit einer Zahl knapp unter 2 Mio. EUR. Geendet hat es bei knapp über 3 Mio. EUR. Meine Mathematiklehrer hätten gesagt „setzen – 6“.
Dieser Zuschuss von ca. 21 EUR wäre sinnvoller in kostenfreien Mittagessen für Schüler und einem kostenfreien Kindergartenjahr angelegt.
Wenn die roten Zahlen für die Sauna so weitergehen, sollten wir uns für die Zukunft überlegen, welche sinnhafte Nutzung diese Räumlichkeiten zu Teil werden könnte. Vielleicht ein zentral gelegener Kindergarten mit Baumhaus ?
Wohnen ist ein Grundrecht.
Ich habe einen Wunsch – bezahlbarer Wohnraum für alle!
Hier in Leonberg sind knapp 300 Haushalte bedroht von Obdachlosigkeit und über 400 Haushalte sind Wohnungssuchend. Da sind auch Steuerzahler dabei, die jeden Tag arbeiten gehen. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Man darf von einer weitaus höheren Dunkelziffer ausgehen, die in „prekären Wohnungsverhältnissen“ lebt, bei denen Menschen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bei Freunden und Familie wohnen.
Wollen Sie eine Situation wie beim Hambacher Forst? Was wollen Sie tun, wenn Menschen im Stadtpark anfangen zu zelten, weil sie keine Bleibe finden? Soll die Polizei dann eingreifen? Ich will das nicht. Ich appelliere an Sie – fangen Sie endlich an tätig zu werden. Wohnen ist ein Grundrecht.
Auf der Internetplattform AirBNB habe ich ein Einzelzimmer von Jonas für 99 EUR/Nacht in Leonberg gefunden. Das sind im Monat über 3.000 EUR Mieteinnahmen für ein Zimmer. Das ist nicht mehr normal und bei der heutigen Wohnungsnot auch nicht mehr tragbar. Die Stadt muss solche Anbieter in Ihre Schranken weisen. Berlin macht es mit einem Zweckentfremdungsverbot vor. Wir müssen das in Leonberg auch einführen, um solchen Spekulationen Einhalt zu gebieten und die ortsansässigen Hoteliers und Pensions-Anbieter zu schützen. Sie zahlen ihre Gewerbesteuer und dürfen nicht benachteiligt werden.
Zusätzlich muss die Stadt weiteren bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit Wohnberechtigungsschein und Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stellen. Dafür müssen die städtischen Grundstücke in kommunaler Hand bleiben und weitere Grundstücke müssen dazu gekauft werden. Um Spekulationen vorzubeugen, müssen alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden, dass die Grundstücke weiterhin in öffentlicher Hand bleiben.
Beim Bau von neuen Objekten benötigen wir eine eigene städtische Wohnbaugesellschaft oder eine gemeinsame Wohnbaugesellschaft mit anderen Kommunen zusammen.
Die vertikale Innenentwicklung ist die einzige Möglichkeit mehr Wohnraum in Leonberg und seinen Stadtteilen zu generieren. Die geographische Lage von Leonberg gibt uns nicht mehr Spielraum.
Aber bitte haben Sie keine Angst vor Hochhäusern. Die Stadt Wien zeigt, dass man Hochhäuser sehr gut ins Stadtbild integrieren kann. Sie können architektonisch interessant, kunstvoll mit Fassaden-Bildern gestaltet und mit viel Grün auf dem Haus, am Haus oder ums Haus herum gestaltet werden, so dass wieder mehr Grünflächen der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.
Immobilien überleben nur, wenn sie belebt werden.
Ein Hinweis an Häuslebesitzer:
Wein wird besser, je älter er ist und je länger man in ruhen lässt. Bei Immobilien ist das nicht der Fall.
Immobilien überleben nur, wenn sie belebt werden. Schöne Objekte in Leonberg stehen seit Jahrzehnten leer und verkommen.
Im Grundgesetz, Art. 14 (2) steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Ich bitte alle Eigentümer leerstehende Bestandsobjekte wieder zu beleben und endlich wieder zum Wohnen zur Verfügung zu stellen. Und die Stadtverwaltung fordere ich auf, endlich alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, damit keine Immobilien und Grundstücke in Leonberg mehr leer stehen.
Sie alle wollen Hausmeister, Altenpfleger, Verkäuferinnen vor Ort? Dann müssen Sie auch etwas für diese Bürgerinnen und Bürger tun. Denn momentan können viele Personengruppen die Mieten in der Stadt nicht mehr bezahlen und betreiben „Stadtflucht“.
Stellen Sie sich vor, morgen fallen alle Unternehmensberater, alle Investmentbanker und alle Aktienanalysten tot um. Oder stellen Sie sich vor, morgen fallen alle Krankenschwestern, alle Polizisten, alle Feuerwehrleute und alle Altenpfleger tot um. Und nun überlegen Sie kurz, wen sie persönlich vermissen würden.
Eine alleinstehende Angestellte verdient monatlich 2.400 EUR brutto, das sind etwa 1.600 EUR monatlich netto. Eine 1,5 Zimmer-Wohnung, 44qm, kostet monatlich ungefähr 590 EUR warm. Es bleiben 1.010 EUR monatlich übrig. 10 EUR über dem max. Einkommen für einen Wohnberechtigungsschein.
Und was macht ein Arbeiter mit dem Mindestlohn von 8,84 EUR/Stunde, bei 40 Stunden pro Woche? Das sind 1.500 EUR brutto im Monat. Unsere Azubis und Studenten können ohne Eltern gar nicht mehr alleine überleben.
Deshalb haben viele Menschen mittlerweile 2-3 Jobs, um nur über die Runden zu kommen. Aber was ist mit unseren Eltern oder Großeltern, die in Rente sind, die Deutschland aufgebaut haben und zu dem gemacht haben, was es heute ist? Sie können keine 2-3 Jobs mehr machen, um über die Runden zu kommen. Aber bei den meisten Rentnern ist die Rente zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben.
Zum Leben und zu viel zum Sterben
Es ist unsere Pflicht, dass wir uns um diese Menschen kümmern und nicht an den Rand der Gesellschaft drängen. Wie peinlich ist es für unsere Gesellschaft, dass unsere Eltern und Großeltern Pfand sammeln müssen, um ein paar Groschen mehr im Geldbeutel zu haben. Sie haben das nicht verdient. Sie sollen ihren Lebensabend genießen.
Und unserer Jugend, unserer Zukunft, müssen wir eine Chance geben, selbständig auf die Beine zu kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und vor allem bei allen engagierten Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Sie machen unsere Stadt ein Stück lebenswerter.
Abschließen möchte ich mit einem Liedtext der Toten Hosen:
„Es kommt die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft.“