Roland Hamm – Kämpfer mit Kopf und Herz

Wir entschuldigen uns für die schlechte Bildqualität und haben den Text unten noch einmal klargestellt:

Aalener Nachrichten – 16/05-2020
Kämpfer mit Kopf und Herz Eva Stoss Aalen

An der Spitze der IG Metall in Aalen und Schwäbisch Gmünd hat Roland Hamm viel bewegt und oft, aber nicht immer, gewonnen. Von seinen Zielen ist er niemals abgerückt. Er fordert, er klagt an: „Die Arbeitgeber müssen ihrer Verantwortung gerecht werden, nicht nur für Gewinne und Dividenden, sondern für die Menschen“, sagt Roland Hamm. Es geht – in diesem Fall – um Bosch AS in Schwäbisch Gmünd, um 2500 Arbeitsplätze, die dort auf dem Spiel stehen. Es geht um den ganzen Standort, denn die geplante Verlagerung der Produktions-Neuanläufe ins ungarische Maklár könnte der Anfang vom Ende sein, so befürchtet Hamm – und er tut das, was er immer getan hat, in den 40 Jahren seit er sich bei der IG Metall für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzt: kämpfen um der Sache willen. Den Kampf um Bosch AS wird Hamm nur noch für kurze Zeit anführen. Ende Juli verlässt er seine Brücke, die IG Metall Aalen und Schwäbisch Gmünd. 1981 fing er in Aalen an, sieben Jahre später wurde er zum ersten Bevollmächtigten gewählt, seit 2008 ist er auch erster Bevollmächtigter für Schwäbisch Gmünd. Hamm geht nach 40 Jahren ohne jede Spur von Bitterkeit. Er hat viel erreicht und, das ist wohl keine Übertreibung, die Industriegeschichte auf der Ostalb mitgeprägt.

Sein erstes „Highlight“ sei 1984 der Kampf um die 35-Stunden-Woche gewesen: „Damals habe ich erlebt, welche Macht sich da zusammenballt, wenn eine so große Gewerkschaft wie die IG Metall einen Arbeitskampf führt.“ Dieser dauerte sieben Wochen lang, zehntausende Arbeitnehmer streikten, die Produktion in den Autowerken stand still. Am Ende setzte die IG Metall den Einstieg in die 35-Stunden-Woche durch: Die Arbeitszeit wurde in Schritten bis 1995 von 40 bis auf 35 Stunden gesenkt. Damals noch als Gewerkschaftssekretär sei er bei Mahle in Markgröningen vor dem Werkstor gestanden, um ein- und ausfahrende Lkws zu behindern und Streikbrecher abzublocken. Das zweite, damit verknüpfte Highlight sei die Entstehung der gewerkschaftlichen Kulturarbeit gewesen, die er mit großer Leidenschaft vorangetrieben hat. „Vor den Werkstoren wurde richtig gefeiert, Musiker und Schauspieler traten auf.“ Hamm hat in Workshops professionelle und Laien-Künstler zusammengebracht. Daraus sei vieles entstanden. „Das gemeinsame Singen und das gewerkschaftliche Liedgut haben eine viel größere Rolle gespielt als heute“, erinnert sich Hamm. „Die Bewegung brauchte Emotionen“, erklärt er. Geblieben ist aus dieser Zeit seine Liebe zur Musik, Kunst und Theater. Das Gefühl von Solidarität und Gemeinsamkeit sei schließlich der Urgedanke und Antrieb der Arbeiterbewegung oder eigentlich jeder Bewegung, meint Hamm und zieht den Vergleich zum Widerstand gegen Stuttgart 21. „Bis auf die Friedens- und die Anti-AKW-Bewegung ist diejenige gegen S21 die einzige, die so nachhaltig Präsenz zeigte in der Öffentlichkeit“, sagt Hamm. Er hat sich dort als gewerkschaftspolitischer Sprecher engagiert, ist als Redner bei der 60 000 Teilnehmer starken Kundgebung gegen den damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus aufgetreten, wortstark, wie eh und je. Auch wenn die Montags-Demos längst auf ein kleines Grüppchen geschrumpft sind: „Die Gegner des Tiefbahnhofs könnten jederzeit wieder ihre alte Kraft auf die Straße bringen“, ist Hamm überzeugt. Genauso wie die Gewerkschaften. Die IG Metall sei ihr Motor: „Die IG Metall hat auch heute noch die Macht, Massen vor die Werkstore zu bringen und etwas zu bewegen“, sagt der Bevollmächtigte, wohl wissend, dass solche Worte in den Chefetagen gehört werden. Zwar sind derzeit große Aktionen wegen der Corona-Krise ausgeschlossen, gebraucht werde die IG Metall aber gerade jetzt: „Stellen Sie sich diese Situation jetzt ohne den Einfluss der Gewerkschaften vor“, sagt Hamm und verweist auf Erfolge: die Angleichung der Aufzahlung auf das Kurzarbeitergeld an den Tarif in Baden-Württemberg für alle Metall-Tarifbezirke und die längere Zahlung von Arbeitslosengeld. Hamm war nicht immer Metaller, er hat nach der Schule beim Aalener Unternehmen Taschentuch Winkler eine Lehre zum Industriekaufmann gemacht, war als 18-Jähriger der jüngste Betriebsratsvorsitzende in der Region und Kreisvorsitzender der DGB-Jugend. Politisch aktiv sei er schon als Schüler gewesen: „Willy Brandt hat mich inspiriert.“ Später hat er sich von der SPD abgekehrt, die WASG mit aufgebaut, die in der Linken aufging. Für die sitzt er im Aalener Gemeinderat und im Kreistag. Bei Taschentuch Winkler setzte sich Hamm für die vorwiegend weibliche Belegschaft ein, kämpfte um Arbeitsplätze, als es zu den ersten Verlagerungen nach Asien kam. Karl Schmid, sein Vorgänger bei der IG Metall, erkannte sein Talent, holte ihn ins Haus und Hamm blieb, fand seine Heimat bei den unnachgiebigen Metallern. Die industriegeprägte Ostalb-Region mit vielen starken Unternehmen war für den ersten Bevollmächtigen der IG Metall von Beginn an Herausforderung und Chance. Die Chance, etwas zu bewirken und zu gestalten. Hamm hat sie ergriffen, beherzt und geleitet von seinem Ziel, die Lage der Arbeitnehmerschaft zu verbessern. Zeiss, SHW, Universal, Varta und Alfing sind die Unternehmen im Altkreis Aalen, an deren Geschichte Roland Hamm spürbar mitgewirkt hat. Die Entwicklung des Zeiss-Konzerns ist eng verbunden mit ihm. Nach dem Mauerfall 1989 änderte sich für Zeiss in Oberkochen und das Schwesterunternehmen in Jena fast alles. Zeiss in Jena wurde weitgehend abgewickelt, ein Teil ging in der Jenoptik auf. Auch auf der Ostalb wurden die Zeiten härter. Die Belegschaft klammerte sich an das Stiftungsstatut, das auf den Gründer Ernst Abbe zurückgeht und den Arbeitnehmern eine starke Rechtsstellung einräumte. „Wir sind der Zeiss“, skandierten die Beschäftigten bei den Protesten in den 1990er Jahren. In Oberkochen wehte eine fast schon sozialistische Aura. Doch das Statut, so fand Hamm bei vielen Gesprächen mit den Arbeitnehmern heraus, hatte zwar noch einen hohen ideellen Wert für die Beschäftigten. „Doch auf meine Frage, welche Inhalte ihnen wichtig sind, verwiesen die meisten auf die sehr guten Pensionen, die damals garantiert waren.“ Zeiss geriet Anfang der 1990er Jahre immer mehr unter den Druck des globalisierten Wettbewerbs, Ausgründungen und Jobabbau folgten. Hamm: „Es gab nichts mehr zu verteilen.“ Er kämpfte, Seite an Seite mit den Beschäftigten, für die Arbeitsplätze auf der Ostalb. Zeiss stand am Abgrund, das alte Statut war nicht mehr zu halten und wurde angepasst. Der Konzern hat sich gewandelt, steht heute gut da. Etwas vom alten Geist schwingt aber noch mit, wenn von den Mitarbeitern als „Zeissianer“ die Rede ist. Hamm ist stolz darauf: „Ich habe einen Beitrag dazu geleistet, dass der soziale Anspruch aus dem Stiftungsstatut von Carl Zeiss in die Zukunft gerettet werden konnte“, sagt er. Als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender und Mitglied des Präsidial-Ausschusses wirke er heute noch daran mit, dass es den Beschäftigten bei Zeiss besser gehe als anderswo, nicht nur bei der Alters-absicherung. „Man kann erfolgreich und gleichzeitig sozial sein“, davon ist Hamm überzeugt. Ein weiterer Meilenstein war der Überlebenskampf des Maschinenbauers Universal in Westhausen, der in der Spitze 800 Mitarbeiter beschäftigte. Der Kampf um den Erhalt des Unternehmens gipfelte 1998 in spektakulären Protestaktionen. Die Arbeiter zogen mit ihren Familien vor das Wirtschaftsministerium in Stuttgart, sie belagerten Banken, die Kredite verweigerten. Am 21. September 1998 stürmten Universal-Mitarbeiter die Deutsche-Bank Filiale in Aalen und besetzten sie. Mit den Protestierenden harrten damals auch Staatssekretär Gustav Wabro, Landrat Klaus Pavel und Oberbürgermeister Ulrich Pfeifle aus. Nach der Auflösung des Sitzstreiks sei er nach Hause geeilt, so erinnert sich Hamm: „Dort habe ich Campingliege und Schlafsack eingepackt und bin zur Universal gefahren. Etwa 80 Leute, die eigentlich nach der Schicht nach Hause wollten, sind mit mir über Nacht geblieben.“ Es wurden Wochen. Auf dem Fabrikdach prangte ein Transparent mit der Aufschrift „Dieser Betrieb ist besetzt“. „Das haben wir auf den Universal-Maschinen selbst gestrickt.“ Die Firma stellte zwar sechs Jahre später die Produktion ein, doch es gelang Hamm zunächst, mit den Betriebsräten Arbeitsplätze zu retten und eine Beschäftigungsgesellschaft durchzusetzen. Hamm war niemals bequem. Er hat als Gewerkschaftsführer „polarisiert und agitiert“, wie es selbst sagt. Doch die „klare und kämpferische Sprache hatte immer das Ziel, zu einer guten Lösung zu kommen“. Seinen Blick hat er in Gesprächen mit den unterschiedlichsten Akteuren in der Region geweitet. Besonders gern erinnert er sich an die früheren „Mittwochs Miniaturen“ des Aalener Stadttheaters, wo er viele Stunden an der Bar mit dem damaligen Intendanten Udo Schoen und einem katholischen und einem evangelischen Pfarrer über Gott und die Welt philosophierte. Gespräche und der Blick fürs Ganze waren wichtig, auch um über manche Niederlage hinwegzukommen. „Mein Tiefpunkt war der Niedergang der SHW-Gießerei“, sagt er. „Es tut weh, wenn so ein wichtiger Teil eines alten Industrieunternehmens kaputt geht.“ Das Gefühl der Machtlosigkeit damals habe sich tief in sein Gedächtnis eingeprägt. Resiginiert hat Hamm deshalb nicht: „Ich habe mich nie von Enttäuschungen leiten lassen“, sagt er, „sondern immer von meinen Zielen“. Jetzt sei es Zeit aufzuhören, sagt der Vater zweier Söhne und Großvater von fünf Enkeln. Wenn er Ende Juli mit 63 und acht Monaten geht, habe er das gesetzliche Rentenalter erreicht – nach über 45 Beitragsjahren. Das Ruder wird er schon Anfang Juni an seine designierte Nachfolgerin Andrea Sicker übergeben und sie noch zwei Monate begleiten. Dann ist aber Schluss. Den Ruhestand nutzt Hamm für eine Ausbildung zum systemischen Berater und Wirtschaftsmediator. Vom Polarisierer zum Mediator? Passt das? Hamm schmunzelt: „Ich glaube an win-win.“