Sehr geehrter Herr Landrat,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es kam bis jetzt noch nie vor, dass ich meine Haushaltsrede innerhalb eines Tages zwei Mal abändern musste, weil die aktuellen politischen Geschehnisse einen einholen. Demnach kann den gestrigen Tag durchaus als historisch bezeichnen – global wie national. Die Auswirkungen der Wahl Trumps auf die internationalen Beziehungen sind noch nicht ganz absehbar. Was jedoch feststeht ist, dass vor allem für die globalen Anstrengungen gegen den Klimawandel diese Wahl einen herben Rückschritt bedeutet. Gleichzeitig denke ich auch an all die Menschen in den USA, die Trump nicht gewählt haben und nun höchstwahrscheinlich einen autoritären Umbau des sowieso schon fragilen demokratischen Systems erleben. Und nun gestern die Entlassung Christian Lindners als Finanzminister und gleichbedeutend der Bruch der Regierungskoalition in Berlin. Doch die Ampel ist nicht erst gestern gescheitert, so viel steht fest. Sie hat es drei Jahre lang nicht geschafft, Sicherheit für die große Mehrheit der Menschen hier im Land zu schaffen. Die FDP wollte es nicht, SPD und Grüne konnten es nicht. Wie es nun weitergeht und welche Auswirkungen das alles auch auf die kommunale Ebene hat (vor allem im Kontext der Finanzen – es muss ja noch ein Bundeshaushalt verabschiedet werden) ist noch nicht absehbar.
Diese Regierungskrise trifft in eine Zeit in der sich der Diskurs in einer Weise bis in die politische Mitte hinein radikalisiert, wie ich es vor 1-2 Jahren kaum für möglich gehalten habe. Befeuert wird das von den üblichen Verdächtigen, aber umgesetzt wird / wurde diese Politik auch von der Bundesregierung – dies wird wie unter einem Brennglas besonders deutlich, wenn es um den Themenbereich der Migration geht. Und mit diesem Thema möchte ich meine Rede heute beginnen. Denn bei allen Problemen, die im Kontext der Migration und Integration tatsächlich existieren (auch hier im Landkreis), möchte ich eines konstatieren:
Die Reduzierung des politischen Diskurses auf das Thema der Migration nimmt teilweise absurde Züge an: Da wird der Eindruck erweckt, wenn wir nur genug abschieben, wird ein Krankenhaus weniger geschlossen, werden mehr Brücken saniert und eine KiTa wird zusätzlich in Betrieb genommen – und die Mieten sinken in diesem Zuge dann auch gleich wieder. Seehofers Ausspruch „die Migration als Mutter aller Probleme“ haben nahezu alle Parteien verinnerlicht. Realistisch betrachtet ist jedoch das Gegenteil der Fall: Wer baut denn die Brücken? Wer pflegt denn unsere alten Menschen? All diese Bereiche – Krankenhäuser, Baubranche, Bildung – würden ohne Zuwanderung überhaupt nicht mehr funktionieren. Wie fühlen sich wohl Menschen mit Migrationshintergrund, die hier tagtäglich malochen und ihren Beitrag für das Gemeinwesen leisten, und gleichzeitig diese ausschließliche Problematisierung ihrer eigenen Biographie mitbekommen? Diese Verblödung des Diskurses – entschuldigen Sie diese deutliche Ausdrucksweise – muss entgegengehalten werden. Und wenn das alles nicht schon absurd genug ist, sollen nun Gelder für Integrationskurse und damit verbunden auch Sprachkurse gekürzt werden. Doch gerade diese Maßnahmen sorgen doch erst dafür, dass Integration überhaupt gelingen kann und sich keine Parallelgesellschaften bilden und damit Radikalisierungsprozesse unwahrscheinlicher werden – Sie, Herr Landrat, haben in ihrer Rede zurecht auf diesen Widerspruch hingewiesen. Wenn man sich also insgesamt die Verschiebung des Diskurses im Bereich der Migration anschaut, bin ich froh, dass sich Die Linke hier als einzige Partei dieser Entwicklung widersetzt. Sei es auf Bundesebene oder hier im Kreistag – auch wenn diese Position aktuell nicht populär ist.
In diesem Kontext möchte ich auch auf die Einführung der Bezahlkarte in Baden-Württemberg und hier im Landkreis eingehen. Wir halten die Einführung aufgrund mehrerer Aspekte für problematisch:
1) Es ist nicht gesichert, dass der Verwaltungsaufwand durch die Einführung in irgendeiner Form geringer wird. Beispiele von schon bestehenden Bezahlkartensystemen in der Bundesrepublik deuten eher auf das Gegenteil hin.
2) Ebenso ist die erhoffte Kostenersparnis nur mit Vorsicht zu genießen. So werden für das Land Berlin die Kosten mit 5-6 Mio. € geschätzt, während die Ausgaben für die Sozialleistungen derzeit bei etwa 366.000 Euro liegen.
3) Zu guter Letzt erschwert es das Leben der geflüchteten Menschen, die es ohnehin nicht leicht haben.
Wir halten die Einführung der Bezahlkarte für einen populistischen Schnellschuss der Regierung, um auf die aufgehetzte Stimmungslage im Land zu reagieren, ohne die konkrete Praktikabilität und Umsetzbarkeit genauer geprüft zu haben. Ich bin gespannt wie die Verwaltung dieses System umsetzen möchte und die von mir genannten Punkte bewertet.
Doch es geht auch anders und in diesen Zeiten soll man ja auch auf das Positive blicken. In der vergangenen Förderphase der Programms Demokratie Leben! wurden zahlreiche wichtige und sinnvolle Projekte – gerade im Bereich der Integration und des interkulturellen Zusammenlebens – finanziell unterstützt. Es freut uns deshalb, dass die Verwaltung sich ein weiteres Mal für eine Förderphase bewerben möchte. Die erstmalige Bewerbung wurde durch einen Antrag unserer Fraktion mitangestoßen, was ich hier natürlich nicht unerwähnt lassen möchte. Wir hoffen demnach, dass der Landkreis erneut den Zuschlag bekommt und wir werden der Vorlage natürlich zustimmen. Und ich habe zu Beginn ja gesagt, dass es tatsächliche Probleme im Kontext der Migration gibt. Und deshalb könnten wir beispielsweise gerne interfraktionell im Begleitausschuss darüber diskutieren, wie wir in der nächsten Förderphase mehr Projekte im Kontext der Prävention von Islamismus umsetzen. Unsere Fraktion ist gerne bereit diesbezüglich in die Diskussion zu gehen.
Wenn man in den letzten Wochen die lokale Presse gelesen hat, gab es eine Meldung, welche ich schockiert zur Kenntnis genommen habe: ich zitiere aus der Esslinger Zeitung vom 10.September: „In den kommunalen Obdachlosenheimen im Kreis Esslingen haben Anfang des Jahres mehr Wohnungslose gewohnt, als im Vorjahr. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren dort 5985 Menschen zum Stichtag 31. Januar untergebracht. Darunter 1830 unter 18. Im Jahr zuvor waren es noch 4715 Wohnungslose“. Meine Damen und Herren, dies entspricht einem Anstieg von 1270 Personen bzw. 27% innerhalb eines Jahres!
Weiter steht im Bericht, dass die Träger der Wohnungsnotfallhilfe im Landkreis Esslingen darum mehr Anstrengungen von der Politik, vor allem mehr sozialen Wohnungsbau fordern. Unsere Fraktion hat immer wieder angeregt, das Thema bezahlbares Wohnen auch hier im Kreistag endlich als ein eigenständiges Thema zu behandeln und aktiv zu werden. In der Vergangenheit hat sich der Landkreis rausgehalten und auf die formale Nicht-Zuständigkeit verwiesen. Diese Haltung ist angesichts der Relevanz dieser Problematik unseres Erachtens nicht mehr zeitgemäß! Und ich möchte hierbei betonen, dass es längst nicht mehr nur um von Armut betroffene Menschen oder im schlimmsten Fall Obdachlosigkeit geht. Das Problem zieht sich bis in die Mittelschicht hinein. Auch in der Entscheidungsfindung von Fachkräften, sich im Landkreis niederzulassen, spielt diese Frage eine immer gewichtigere Rolle. Um als attraktiver Wirtschaftsstandort – aber auch als Verwaltung – weiterhin qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzuziehen, muss die Frage des bezahlbaren Wohnraums miteinbezogen werden. Es
gibt unseres Erachtens also mehrere Gründe neben der sozialen Frage, dieses Thema substanziell zukünftig auf Kreisebene zu behandeln.
Deshalb beantragen wir, dass die Verwaltung eine Strategie für eine eigenständige Wohnraumpolitik des Landkreises erarbeitet. Es ist unseres Erachtens höchste Zeit dafür! Und wir nehmen dabei Sie – Herr Landrat – beim Wort, da Sie ja ebenfalls im Rahmen Ihrer Wahl die Frage des bezahlbaren Wohnraums priorisiert haben.
Ein weiterer Bereich der Daseinsvorsorge sorgt innerhalb des Landkreises aktuell für erhebliches Aufsehen. Die Gesundheitsversorgung im Kreis erhält mit der geplanten Schließung der Notfallpraxis in Kirchheim einen erheblichen Dämpfer. Das hier die Emotionen bei den Bürgerinnen und Bürgern hochkochen, können wir gut verstehen: Die geplante Schließung trifft auf ein Gefühl, welches in ganz Deutschland mittlerweile präsent ist: Der schleichende Rückzug des Sozialstaates und die Aushöhlung der öffentlichen Daseinsvorsorge, vor allem im ländlichen Raum. Hier ist es kein Gefühl des „Abgehängt-seins“ mehr, sondern die Menschen sind in dieser Hinsicht faktisch abgehängt. Sei es die geschlossene Bank- oder Postfiliale, der Supermarkt der zu macht oder auch die Arzt- und Notfallversorgung. Dann braucht man sich auch über bestimmte Wahlergebnisse in den ländlichen Regionen der Republik leider nicht mehr wundern. Für unsere Fraktion ist im Hinblick auf Kirchheim klar: Die Schließung der Notfallpraxis muss mit einer erheblichen Ausweitung der Öffnungszeiten in Nürtingen einhergehen!
Es wäre wohl keine richtige Haushaltsdebatte, wenn unsere Fraktion nicht das Thema Sozialticket als einen sozialen Beitrag zur ökologischen Verkehrswende behandelt. Und ja, wir haben wieder einen Antrag dazu, jedoch gehen wir dieses Mal einen Schritt zurück.
Da sich in der Vergangenheit keine Mehrheit dafür abgezeichnet hat, werden wir keine Einführung des Sozialtickets beantragen. Vielmehr möchten wir endlich eine Datengrundlage schaffen, d.h. die Verwaltung soll detailliert aufschlüsseln und beziffern, welche Kosten bei der Einführung eines um 50 % vergünstigten Deutschlandtickets (das wäre dann das Sozialticket) entstehen. Denn egal wie man zu der Thematik steht, in den letzten Jahren – so empfinde ich es zumindest – fand die Diskussion auf keiner faktischen Datengrundlage statt und war lediglich von politischen Argumenten geprägt. Das wollen wir ändern und bitten hierfür um die Unterstützung – im Sinne aller Fraktionen im Kreistag.
Zum Abschluss möchte ich noch auf die Kreisumlage eingehen. Ich bin Ihnen – Herr Landrat – sehr dankbar, dass Sie in Ihrer Einbringung betont haben, dass der Haushalt mehr ist, als nur das Feilschen um die Kreisumlage. Und um noch etwas scherzhaft hinzuzufügen, dass der Satz auch noch von einem Freien Wähler und ehemaligen Bürgermeister kommt überrascht mich noch umso mehr im positiven Sinne. Denn manchmal kommt es einem ja doch so vor, als ob es nur um dieses Thema geht.
Die Fraktion Die Linke hält die Erhöhung auf 33,4 v.H. für unumgänglich, um den anstehenden Herausforderungen mit den entsprechenden finanziellen Mitteln zu begegnen. Demnach werden wir keiner geringeren Umlage bzw. einer Senkung zustimmen (sofern diese beantragt wird).
Zum Schluss bedanke ich mich herzlich bei der Verwaltung und den Mitarbeitenden für die Erstellung des Haushaltsplanentwurfs und wünsche uns allen eine konstruktive Debatte in den anstehenden Beratungen.
Vielen Dank!