Erklärung von Alexis Tsipras

15. Juli 2015  Allgemein

Die am Montag in Brüssel erzielte Einigung ist für die Regierung und das griechische Volk sehr schwierig, aber angesichts des extremen Drucks von Seiten Deutschlands und der Mitgliedstaaten, die die Position Deutschlands unterstützen, haben wir das bestmögliche Ergebnis erreicht.

Die einzige Alternative, die es gab, war das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone; dies war das Ziel der neoliberalen Hardliner in Europa. Wir haben dieses Ansinnen sowie das Ziel bestimmter Kreise, unsere Regierung zu Fall zu bringen, vereiteln können.

Ein „Grexit“ wäre für Griechenland, aber auch für die Idee eines vereinten Europas katastrophal gewesen und hätte in Bezug auf die Fähigkeit der Linken, das Überleben zu sichern, eine falsche Botschaft vermittelt. So können wir den Kampf fortführen in einem vereinten Europa, das wir haben wollen und das wir verändern müssen. Das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone hätte denjenigen, die ein „reines“ und neoliberales Europa wollen, in dem es keine Alternativen gibt, und den rechtsradi¬kalen und rechtsextremen Kräften, die die Europaskepsis für ihre eigenen gefähr¬lichen Ideen instrumentalisieren, noch mehr Argumente an die Hand gegeben.

Die griechische Regierung hatte niemals die Absicht, aus dem Euro auszutreten – im Gegenteil: Die Regierung war entschlossen, alles dafür zu tun, die Pläne Schäubles und seiner Unterstützer zu vereiteln.

Nach der Schließung der Banken und der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, die dem mehrmonatigen erzwungenen Abwürgen der Liquidität folgten, wäre das Land nicht in der Lage gewesen, auf den durch einen möglichen Grexit verursachten „plötzlichen Tod“ zu reagieren. Dem Grexit wären die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft zum Opfer gefallen, also diejenigen, die unter der Rezession der letzten fünf Jahre am meisten zu leiden hatten. Opfer wären auch unsere Mitbürger gewesen, die der griechischen Regierung ihr Vertrauen geschenkt und ihre Hoffnungen auf ein solidarisches Europa gerichtet hatten und ihre geringen Ersparnisse nicht von den griechischen Banken abgezogen haben.

Die griechische Regierung war daher entschlossen, den Ausschluss aus der Eurozone nicht zuzulassen, durch den aus der aktuellen humanitären Krise eine gewaltige und unberechenbare humanitäre Katastrophe geworden wäre.

Die Verhandlungen beim Euro-Gipfel fanden nicht auf Augenhöhe statt und waren für die griechische Seite äußerst schwierig, aber es ist uns gelungen, drei Hauptziele all derjenigen zu blockieren, die die einzige linke Regierung in Europa verbiegen und zerschlagen wollten (und dabei sogar das Risiko der Zerstörung Europas selbst und die Kosten dafür in Kauf nahmen).

Es ist uns gelungen, die Übertragung der griechischen Vermögensgegenstände an einen Sonderfonds in Luxemburg zu verhindern, worauf der Bundesfinanzminister beharrt hatte.

Es ist uns gelungen, den Zusammenbruch unseres Finanzsystems zu verhindern, der perfekt geplant war und dessen Umsetzung bereits begonnen hatte.

Es ist uns gelungen, in diesem schwierigen Kampf eine Perspektive für eine Umschuldung bzw. die Umstrukturierung der griechischen Schulden (also das Gegenteil von dem, was Angela Merkel gegenüber der deutschen und europäischen Öffentlichkeit verlautbaren zu müssen glaubt) und eine bestimmte mittelfristige Finanzierung zu gewinnen.

Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass die Umsetzung dieser Vereinbarung schwierig und schmerzhaft sein wird. Wir wissen, dass sich viele der darin enthaltenen Maßnah-men rezessionsverschärfend auswirken. Gleichwohl verschaffen das Investitionspaket in Höhe von 35 Milliarden Euro, die Aussicht auf eine Umstrukturierung der Schulden und die garantierte Finanzierung für die kommenden drei Jahre der griechischen Regierung die Zeit und den Spielraum, die für die Umsetzung alternativer politischer Maßnahmen notwendig sind, und sichert die notwendige Stabilität, die Anreize für Investitionen schafft, die für einen Konjunkturaufschwung sorgen werden.

Wir gehen davon aus, dass die große Mehrheit der griechischen Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung unterstützt, die perspektivisch wieder für Wachstum sorgen werden, da sie erkennt, dass wir einen fairen und schwierigen Kampf geführt haben, und weiß, dass die griechische Regierung die soziale Gerechtigkeit zum obersten Gradmesser für ihre politischen Maßnahmen machen wird. Dieses Mal müssen nicht nur diejenigen die Zeche zahlen, die seit jeher die Hauptlast schultern. Dieses Mal – und zum ersten Mal – werden diejenigen zur Kasse gebeten bzw. müssen diejenigen die Hauptlast tragen, denen es bisher gelungen war, sich vor der Zahlung ihres Anteils zu drücken, weil sie das System missbraucht haben oder weil sie von den Vorgängerregierungen begünstigt und protegiert wurden.

Griechenland wird den Kampf fortsetzen, und wir werden weiterhin darum kämpfen, unsere verloren gegangene nationale Souveränität wiederzuerlangen und den Pfad des Wachstums wieder zu erreichen, der dieses Mal mit sozialer Gerechtigkeit einhergehen wird. Wir haben bereits die Souveränität des Volkes gewonnen, und wir haben dem übrigen Europa und der Welt die Botschaft der Demokratie vermittelt und deutlich gemacht, dass es sich lohnt, zu kämpfen und zu überleben, um den Kampf fortsetzen zu können.

Gerade in diesem Kampf ums Überleben, der die Fortsetzung unseres Kampfes ermöglicht, d.h. genau in diesen schwierigen Zeiten brauchen wir Eure Solidarität dringender denn je.

Um Euch für Eure Solidaritätsbemühungen besser zu wappnen, nennen wir im Folgenden einige der Dinge, die die griechische Regierung während der harten Verhandlungen der letzten Tage erreichen konnte:

• Durch die Reform werden die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer erhöht und die Ausnahmeregelungen abgeschafft, die häufig Steuerhinterziehern als Schlupfloch gedient haben. Die Trennung zwischen den Steuersätzen ist klar und bietet keine Übergänge zu niedrigeren Sätzen; zugleich werden dadurch die Verwaltungskosten gesenkt. Gleichzeitig wird der soziale Zusammenhalt gestärkt, da für Nahrungsmittel und Energie weiterhin der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt.
• Es ist nicht unser Ziel, die Renten zu kürzen. Aber um den Zusammenbruch des Systems abzuwenden und angesichts des demographischen Problems im Land werden die Kürzungen sozial gerecht gestaltet, und die Schulden werden nicht mehr von der älteren auf die jüngere Generation übertragen. Da dies darüber hinaus durch die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge finanziert wird, ist es uns gelungen, dieses Geld im öffentlichen System und in den Rentenkassen zu behalten, wodurch diese gestärkt werden, und die übrigen Reformen werden Schritt für Schritt durchgeführt, was der Regierung Zeit gibt, Alternativen zu erarbeiten.
• Die Tätigkeit unabhängiger Behörden in einem Land schützt die Demokratie und sorgt für eine effektive Kontrolle der Zentralbehörde. ELSTAT ist dafür ein wichtiges Beispiel, da die Manipulationen hinsichtlich des Umfangs des Defizits im Jahr 2009 eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung der nachfolgenden Memoranden gespielt haben.
• Die raschere Schaffung von Gerechtigkeit durch Annahme der Verwaltungsgerichts-ordnung trägt zur Verbesserung des Justizwesens und einer besser funktionierenden öffentlichen Verwaltung insgesamt bei. Sie leistet einen Beitrag zur Beseitigung von Korruption und Machtmissbrauch in der öffentlichen Verwaltung.
• Mit der Einführung der Richtlinie zur Abwicklung und Sanierung von Finanzinstituten (BRRD) werden Einlagen in einer Höhe von bis zu 100.000 Euro erstmals durch europäische Gesetze gesichert, was für Einzelanleger und kleine und mittelständische Unternehmen, die das Rückgrat der griechischen Wirtschaft bilden, von enormer Bedeutung ist.
• Die Öffnung geschützter Berufe, an die sich bisher keine Regierung gewagt hat, sorgt dafür, dass einzelne gesellschaftliche Gruppen die Last nicht mehr der übrigen Bevölkerung aufbürden können. Geschützte Berufe tragen zu höheren Preisen bei und stehen der Entwicklung entgegen, da sie neue Investitionen verhindern. Die Regierung ist darauf bedacht, für eine nachhaltige Entwicklung zu sorgen und gleichzeitig den sozial Schwachen zu helfen.
• Veränderungen bei der Beschäftigung werden entsprechend den europäischen Gesetzen durchgeführt.
• Unternehmensdarlehen können nicht mehr von den jeweiligen Regierungen kontrolliert werden, und es wird keine politische Einmischung in die Geschäfts-tätigkeit von Banken und die Vergabe von Krediten geben.
• Öffentliche Vermögensgegenstände werden in einen unabhängigen Fonds übertragen, der durch Privatisierungen oder andere Mittel kapitalisiert wird. Diese Investition trägt zur vereinbarten Rückzahlung des neuen Kredits aus dem ESM bei, der sich auf insgesamt 50 Milliarden Euro belaufen wird, wobei 25 Milliarden Euro für die Rekapitalisierung der Banken und von den übrigen 25 Milliarden jeweils die Hälfte (12,5 Milliarden Euro) für die Verringerung der Verschuldungsquote und für Investitionen verwendet werden.

Der Fonds wird in Griechenland unter der Kontrolle der griechischen Regierung und Aufsicht der europäischen Institutionen eingerichtet. In Abstimmung mit den Institutionen und auf der Grundlage international bewährter Verfahren wird ein institutioneller Rahmen geschaffen, der Transparenz und die angemessene Festlegung des Wertes von Vermögensgegenständen entsprechend den Grundsätzen der OECD und der Standards für die Führung öffentlicher Unternehmen garantiert.

Klarstellungen:

* Der größte Staatsfonds ist in Norwegen zu finden; dieser beinhaltet alle Ölfelder des Landes und die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl.
* Das Eigentum des griechischen Staates verbleibt in den Händen Griechenlands, wobei die europäischen Institutionen eine Aufsichtsfunktion wahrnehmen (der erste und inakzeptable Vorschlag, der vorsah, dass dieser Fonds in Luxemburg angesiedelt und damit der Steuerung und Kontrolle seitens des griechischen Staates entzogen wird, konnte abgewendet werden).
* Aus der Sicht der Geldgeber ist der Fonds eher als Sicherheit denn als tatsächliches Rückzahlungsinstrument zu betrachten. Darüber hinaus wird für den neuen Kredit eine lange Rückzahlungsfrist eingeräumt, sodass der Gesamtbeitrag zum Fonds (40 Milliarden Euro) über einen langen Zeitraum eingezahlt werden muss.
* Die Einbeziehung öffentlicher Vermögensgegenstände in den Fonds bedeutet nicht zwangsläufig deren Privatisierung. Manche Gegenstände können veräußert werden (z.B. Immobilien, Aktien), während für andere Gegenstände langfristige Konzessionen (z.B. Regionalflughäfen) zum Tragen kommen und andere wiederum für die Generierung von Einnahmen genutzt werden können (archäologische Stätten, Aktiendividenden, Gewinne öffentlicher Unternehmen usw.).
* Die Hälfte des Fonds (25 Milliarden Euro) wird direkt aus der Integration von Bankenanteilen fließen, die aus dem Rekapitalisierungsprozess stammen.
* Die Verringerung der Verschuldungsquote wird nicht mit der Schuldentilgung (der Zähler wird kleiner) erreicht, sondern beinhaltet eine Steigerung des BIP (der Nenner wird größer).
* 12,5 Milliarden Euro (25 % der Vermögensgegenstände des Fonds) werden für die Finanzierung öffentlicher Investitionen verwendet, wodurch die wirtschaftliche Aktivität erhöht und die Infrastruktur gestärkt sowie Arbeitsplätze geschaffen werden, sodass dies ebenfalls ein wichtiges Entwicklungsinstrument darstellt.
• Die Stärkung der öffentlichen Verwaltung und die Abschaffung der Kontrolle über die Verwaltung durch die politischen Parteien entspricht den demokratischen Grundsätzen von Syriza. In diesem Zusammenhang wird das Fachwissen der Organisation der Europäischen Union für Industriestaaten genutzt.
•    Die Regierung behält sich das Recht vor, äquivalente Maßnahmen in den Fällen zu treffen, in denen der Schutz sozial schwacher Gruppen erforderlich ist.
• Alle Vereinbarungen beinhalten nicht nur die Maßnahmen und Vorleistungen, sondern auch Regelungen hinsichtlich des Finanzierungsbedarfs und Bestimmungen über die Tragfähigkeit der Schulden.
• Falls notwendig, werden im Rahmen der Vereinbarung Mittel in Höhe von 82 bis 86 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Man wird sich darüber hinaus bemühen, neue Märkte für Griechenland zu erschließen.
• Die direkte und unmittelbare Hilfe für das Bankensystem umfasst einen Puffer von 10 Milliarden Euro. Eine weitere Stärkung wird gegebenenfalls im Herbst geleistet.
• Schließlich eröffnet die vorliegende Vereinbarung offiziell die Debatte über Schuldentragfähigkeit, die bisher ein Tabuthema war. Eine Schuldenentlastung wird durch die Verlängerung der tilgungsfreien Phase erreicht.
• Nicht zuletzt bietet die vorliegende Vereinbarung einen stabilen finanziellen Rahmen für drei Jahre, der Anreize für neue Investitionen schaffen kann.


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