Brief an die Parteimitglieder von Bernd Riexinger

23. März 2016  Allgemein

Riexinger_in_Herrenberg_123. März 2016: Posting des Tages

„Vielen Dank für Euer Engagement im Wahlkampf!“

 Liebe Genossinnen und Genossen,

die Landespartei hat in Baden-Württemberg einen engagierten und sehr aktiven Wahlkampf geleistet. Die Mobilisierung an der Basis war nach meiner Beobachtung noch höher als vor fünf Jahren. Dafür herzlichen Dank an alle, die uns unterstützt haben. Es besteht auch kein Zweifel, dass wir ein gutes Programm auf die Füße gestellt haben.Die landespolitische Kompetenz der Partei hat sich weiterentwickelt und wir haben die zentralen und wichtigen Themen angesprochen. Auch unsere Kandidatinnen und Kandidaten haben einen wirklich guten Job gemacht. Daran hat es nicht gelegen, dass wir kein besseres Ergebnis erzielt haben.

Kein Zweifel, das Ergebnis ist für uns enttäuschend. Auch mir persönlich macht es zu schaffen.  Es gibt jedoch keinen Grund, jetzt in Sack und Asche zu gehen. Wir haben bei dieser Wahl definitiv keinen Rückenwind durch das gesellschaftliche Klima bekommen, den wir dringend gebraucht hätten, um in Baden-Württemberg über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Flüchtlinge hat den gesamten Wahlkampf überlagert und dazu beigetragen, dass wir mit unseren sozialen Themen kaum durchgedrungen sind. Das gleiche Problem hatten wir in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. Dazu kommt die Rechtsentwicklung in allen drei Bundesländern, die zu einer erheblichen Stärkung der AfD geführt hat.

Es gab jedoch auch positive Entwicklungen in diesem Wahlkampf, die nicht das Ergebnis beschönigen sollen, aber uns trotzdem ermutigen. In den Groß- und Universitätsstädten Stuttgart, Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Tübingen konnten wir über fünf, teilweise sogar mehr als 7 Prozent der Stimmen gewinnen mit teils erheblichen Zuwächsen. In Karlsruhe sind wir knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde gelandet, jedoch auch mit deutlichen Zugewinnen.  Im ganzen Land haben wir bei den 18- bis 24-Jährigen doppelt so viele Stimmen (6 Prozent) erhalten. Ebenso konnten wir zahlreiche Neueintritte bei den jungen Erwachsenen schon während des Wahlkampfes, aber auch jetzt nach dem Wahlergebnis verzeichnen. Gerade bei den jungen Menschen (vermutlich stärker ausgeprägt in den Städten) ist unsere klare Haltung gegenüber den Flüchtlingen und gegen Rassismus honoriert worden. Den neuen Mitgliedern und den politisierten jungen Menschen sollen wir schnell eine Plattform im Kampf gegen Rechts, gegen Rassismus und Rechtspopulismus anbieten. Wir sollten sie auch motivieren, bei uns aktiv mitzuarbeiten.

In den ländlichen Regionen und vielfach auch in den Mittelstädten konnten wir unser Ergebnis fast nirgendwo verbessern, obwohl auch dort ein engagierter und aktiver Wahlkampf geführt wurde. Hier hat uns das gesellschaftliche Klima nicht nur keinen Rückenwind verschafft, sondern zum Teil ist uns dort ein kalter Wind ins Gesicht geweht. Mit meist begrenzten Kräften und Ressourcen ist es kaum möglich, gegen diesen Trend Zuwächse zu organisieren.

Große Mobilisierungsprobleme hatten wir eindeutig in den sozialen Brennpunkten, also bei den Menschen, die uns bisher überdurchschnittlich gewählt haben. Zwar haben wir zum Beispiel bei den Erwerbslosen immer noch doppelt so viele Stimmen bekommen als im Schnitt, aber es sind weniger geworden. Auch bei den Lohnabhängigen und Gewerkschaftsmitgliedern konnten wir keine zusätzlichen Stimmen mobilisieren. Es muss uns und den Gewerkschaften zu denken geben, dass über15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder AfD gewählt haben, obwohl diese Partei ein gewerkschaftsfeindliches Programm hat. Uns haben dagegen gerade mal 4,5 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder gewählt, obwohl wir ein gewerkschaftsfreundliches Programm haben und mit einem Gewerkschafter als Spitzenkandidat angetreten sind. In Rheinland-Pfalz waren es gerade mal 2,9 Prozent. Die höhere Wahlbeteiligung konnte fast alleine die AfD für sich verbuchen. Obwohl wir unterm Strich 17.000 Stimmen dazugewinnen konnten, sind auch von uns 22.000 Wählerinnen und Wählern zur AfD gewechselt.

Den stärksten Erosionsprozess erlebte die SPD. Wir konnten zwar 13.000 Stimmen von der SPD dazugewinnen, die meisten Stimmen-Verluste der SPD gingen jedoch an die Grünen, an die AfD und ins Nichtwählerlager. Wir müssen uns die Frage stellen, warum von der SPD enttäuschte Wählerinnen und Wähler in so geringem Maße von uns gewonnen werden. Dabei haben die unzufriedenen SPD-Wähler sozial von Grünen und SPD nichts zu erwarten. Die Hoffnung, dass wir viele der Wählerinnen und Wähler, die bei der letzten Wahl aus taktischen Gründen Grün gewählt haben, wieder zu uns zurückgewinnen können, hat sich leider unter dem Strich nicht erfüllt. Eher hat der Zweikampf zwischen Wolf und Kretschmann wiederum einen Teil zum taktischen Wählen verleitet. Unsere Warnung, dass diejenigen, die Grüne oder SPD wählen, mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der CDU im Bett aufwachen werden, hat wenig gefruchtet, obwohl es genauso kommen wird. Und dass Winfried Kretschmann kaum von der CDU unterscheidbar ist, schadet ihm nicht.

Das Wahlergebnis der AFD bedeutet ohne Zweifel eine Zäsur in Deutschland. Schon bei den Kommunalwahlen in Hessen hat sich diese Entwicklung angedeutet. Der Wahlerfolg der AfD ist alarmierend. Sie tritt offen rassistisch auf, hat ein antisoziales Programm und vertritt ein erzreaktionäres Frauen- und Familienbild.

Leider ist es jedoch auch so, dass viele Menschen, deren soziale Lage sich nicht verbessert hat oder die Angst vor sozialem Abstieg haben, Rechts gewählt haben. Sie haben mit ihrer Stimme den etablierten Parteien einen Denkzettel verpasst und im besonderen Ausmaß die Parteien der großen Koalition abgestraft. Diese Menschen sind nicht alle rassistisch oder rechts national, aber sie nehmen bewusst oder unbewusst in Kauf, dass damit eine rassistische und rechtspopulistische Partei gestärkt wird. Uns ist es nicht gelungen, den antisozialen Charakter der AfD deutlich zu machen.

Erste Schlussfolgerungen:

Wie gesagt es gibt jetzt keinen Grund zum Verzweifeln. Gerade vor dem Hintergrund einer erstarkenden rechten und nationalpopulistischen Partei haben wir als linke besondere Verantwortung. Wenn wir nicht eine dauerhafte Rechtsentwicklung und Verrohung unserer Gesellschaft erleben wollen, müssen wir weiter darauf hinwirken, dass die LINKE stärker wird, und wir als klare Alternative zur weiteren sozialen Spaltung einen Aufbruch für soziale Gerechtigkeit in die Wege leiten. Ein Boden für rechte Parteien ist die zunehmende soziale Spaltung im Sozialabbau der letzten Jahre. Unsere Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum für alle, Arbeit, von der man leben und eine Rente ansparen kann, mehr Geld für Pflege, Erziehung und Gesundheit,  für Bildungsgerechtigkeit, der Kampf gegen Armut und Kinderarmut – gelten auch über den Wahltag hinaus!

Deshalb ist es in den kommenden Monaten, auch mit dem Blick auf die Bundestagswahl, besonders wichtig, unser politisches Profil zu schärfen und deutlich machen, dass wir die Partei der Erwerbslosen, Beschäftigten und Rentnerinnen und Rentner sind. Unserer Kampagne „Das muss drin sein.“  kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die rechte Logik ist die Abgrenzung nach Unten. Wir dagegen betonen die gemeinsamen Interessen und die Solidarität gegen Oben. Das bekommen wir dort eher hin, wo wir uns  kommunalpolitisch und in sozialen Bewegungen engagieren. Und das können wir verstärken, wenn wir zu den Leuten gehen und mit ihnen reden, wie wir das mit ersten Versuchen von Haustürbesuchen bereits im Wahlkampf gemacht haben.

Jetzt gilt es, die richtigen Schlüsse aus dem Wahlergebnis zu ziehen und die nächsten Schritte gemeinsam zu gehen.

Solidarische Grüße
Bernd Riexinger

Berlin/Stuttgart, März 2016


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