Die Abwesenheit der Vorstellungskraft in der Debatte um die Sicherheit vor Altersarmut

30. März 2016  Allgemein

Stefan Dreher

30. März 2016, Posting des Tages

Von Stefan Dreher:
Heute in der Südwestpresse ein Leitartikel zur Rentendebatte von Dieter Keller, einem Redakteur, den ich eigentlich sonst ganz okay finde. Für ihn ist die gesetzliche Rente quasi beerdigt. Er sieht aber auch die Hoffnungslosigkeit der privaten Vorsorge: Die Riester-Verträge unrentabel gescheitert und die Nullzinspolitik der EZB ohne die Möglichkeit, irgendwann mal eine Altersversorgung sinnvoll anzusparen.

Vor der Finanzkrise war meine Rechnung diese:

Für eine armutssichere Rente (ab 65) müsste der Rentenbeitrag bei 28 Prozent liegen.Der Versicherte müsste 14 % aufbringen, um das zu erreichen. 14%!

Mit Riester und einer betrieblichen Altersvorsorge bei den derzeitigen Rentenbeiträgen von 18,7% MUSS der Versicherte 9,35% Rentenbeiträge entrichten. Plus etwa 8 bis 9 % für die entsprechende Privatvorsorge TROTZ staatlicher Unterstützung. De facto zahlt also der Versicherte für das gleiche Ziel (armutssichere Rente) mindestens 16,35%!

Was auch Keller nie erwähnt: Der Arbeitgeber spart bei dieser Sache 4,65 %. Die Rentensenkung ist aus Sicht des Arbeitgebers schlichtweg eine Lohnsenkung, den der Arbeitnehmer mit 2,35 % bezahlt. Außerdem sind die staatlichen Subventionen eine Sonderzuwendung an die Privatversicherer, welche „die Steuerzahler“, also zu 67 % wiederum die Arbeitnehmer, stemmen müssen. Diese ganze Drei-Säulen-Phantasie ist in Wirklichkeit ein Umverteileprogramm zu Gunsten der Privatversicherer und der Arbeitgeber.

Das war VOR der Finanzkrise. Heute werden die Probleme zwar gesehen: Auch Dieter Keller sieht sie. Aber keiner legt Lösungsvorschläge auf den Tisch. Dabei ist die Lösung ganz einfach: Mach den Rentenbeitrag auf 28 % und stell die betriebliche und Riester Rente ein.

Warum aber wird das nicht vorgeschlagen? Abwesenheit von Vorstellungskraft oder Verfolgung von Interessenlagen . . . ?

Erstens ist das eine Lohnerhöhung, eine Rückumverteilung. Das kann ein SWP-Leitartikler nicht ernsthaft fordern ohne seinen Job zu riskieren.

Zweitens: Damit wird die Wettbewerbssituation des Exportweltmeisters gefährdet. Dazu habe ich ein klitzekleines Beispiel: Eine S-Klasse kostet 100.000. Davon Lohnkosten 10 %. Davon 4,65 % macht 465 Euro. Die S-Klasse kostet dann nicht 100.000 Euro sondern 100.465 Euro. Dass damit die Wettbewerbsfähigkeit der S-Klasse gefährdet sein soll: Wer soll das glauben???

Drittens: Die Umfragen, die Keller als unausgegoren abtut, speisen sich wohl weniger aus einer konkreten Erkenntnis, mehr aus einem Gefühl heraus: In der Tat. Aber sebst wenn der Beweggrund nicht Nachrechnen sondern Gefühl als Ursache hat, steckt dahinter Zukunftsangst. Und hier liegt jetzt tatsächlich der Ball bei uns, den Linken, im Feld: Warum sind WIR nicht in der Lage, das zu nutzen, obwohl wir die einfachen und richtigen Antworten haben.

Viertens: Verschiedene Lügengebilde würden in sich zusammenbrechen. Beim genauen Nachrechnen bei den Betriebsrenten, die „mehr netto vom brutto“ versprechen, kommt das böse Erwachen im Erlebensfall: UUps: Es sind ja richtig Steuern zu zahlen und: Bzgl. der Krankenversicherung: Der Versicherte zahlt JETZT die Arbeitgeberanteile von seiner Betriebsrente! Nicht gewusst: Oft habe ich diese Erkenntnis jetzt erlebt: „Gesagt hat mir das vorher niemand.“

Und das andere Lügengebilde ist die Rente erst ab 67. Darauf zu verzichten, da haben sich Institute drauf verständigt kostete 0,5 % mehr Beitrag. Übrigens keine linken Institute! Wenn man das in die absoluten Zahlen übersetzt, dann kostete das jemanden, der 4.000 brutto hat, gerade mal 10 Euro im Monat. Soviel kostet ein Bier am Cannstatter Wasen. Die Lüge dabei ist das Verschweigen! Wäre den Versicherten das vor Augen, würde niemand von „demographischen Problemen“ sprechen. Unser Problem dabei ist nicht die Demographie sondern die räuberische Umverteilung zu Lasten der Versicherten: Wir haben ein Verteilungsproblem!

Es gibt noch ein schwäbisches-Hausfrau-Beispiel, um den Umverteilungswahnwitz sichtbar zu machen:

Tatsache ist, die Wirtschaft wächst im Schnitt um 1,4 % jährlich: Der volkswirtschaftliche Kuchen wird kontinuierlich größer. Tatsache ist: Trotz Migration und Flüchtenden: Die Bevölkerungszahl sinkt stetig (zwar nicht so dramatisch, wie von einigen an die Wand gemalt – aber sie sinkt): Weniger, die von dem Kuchen leben müssen. Wenn also der Kuchen immer größer wird, die Esser aber immer weniger, dann müsste doch eigentlich – so die schwäbische Hausfrau – das Stückle für jeden Einzelnen immer größer werden . . .

Das, Herr Keller, wär doch mal einen Kommentar wert!

Leitartikel zur Altervorsorge: Aufatmen auf Zeit

Von Dieter Keller Die Rentner können sich derzeit freuen. Am 1. Juli winkt die höchste Rentenerhöhung seit Jahrzehnten. Doch die Steuerbelastung neuer Rentner wird steigen. Ein Leitartikel von Berlin-Korrespondent Dieter Keller.

DIETER KELLER | 30.03.2016

Das alles hört sich gut an. Es ist aber nur ein Aufatmen auf Zeit. Auf längere Sicht – und die ist bei einem System für Generationen entscheidend – steuert die Altersvorsorge auf gewaltige Probleme zu. Lösungen sind schwierig und unpopulär, schon weil sich Bürger jede Menge Illusionen machen. Etwa dass sie trotz steigender Lebenserwartung spätestens mit 65 in Rente gehen könnten und dann die gesetzliche Altersversorgung den gewohnten Lebensstandard sichern kann.

Dabei war es eine rot-grüne Bundesregierung, die mit ihrer Rentenreform 2001 den Grundstein für eine Abkehr von dieser Rentenpolitik legte. Schon damals war klar, dass der Rentenbeitrag wegen der demografischen Entwicklung langfristig deutlich steigen würde. Um das zu begrenzen, wurde die Riester-Rente als zusätzliche Säule der privaten Altersvorsorge eingeführt. Doch sie erfüllt nicht die hohen Erwartungen: Nicht einmal die Hälfte der Arbeitnehmer hat einen Vertrag abgeschlossen; einschließlich betrieblicher Altersvorsorge sollten es 70 Prozent sein. Auf jeden fünften Vertrag wird nichts mehr einbezahlt. Außerdem ist die Rendite bei weitem nicht so gut wie erhofft, eine Folge der Verwaltungskosten und der Niedrigstzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die gerade diejenigen bestraft, die fürs Alter vorsorgen. Viele Rechnungen gehen da nicht auf.

Ein Ausweg ist schwierig, schon weil die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben dürften. Alle Klagen, da würden die Sparer kalt enteignet, lassen Zentralbank-Chef Mario Draghi kalt. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble stellt die vielen Milliarden, die er an Zinsen für die Staatsschulden spart, nicht etwa für die Altersvorsorge der Bürger zur Verfügung. Ja er schöpft sogar noch mehr ab: Mit den Jahren wird die Steuerbelastung neuer Rentner deutlich steigen. Ihnen bleibt also netto noch weniger.

Die Antwort von Gewerkschaften und SPD-Linken klingt einfach: Das Rentenniveau soll nicht weiter sinken. Dafür würden die Arbeitnehmer steigende Rentenbeiträge akzeptieren. Als Beleg führen sie Umfragen an. Der Vorstoß lässt allerdings zwei Dinge außer acht: Schon aufgrund der demografischen Entwicklung droht langfristig ein deutlicher Anstieg. Zuwanderung könnte dies etwas bremsen, aber nicht umkehren. Vor allem aber werden auch die Kranken- und Pflegeversicherung deutlich teurer werden. Ob das in Summe die Arbeitnehmer noch akzeptieren, ist zu bezweifeln. Für ein langfristig stabiles System ist das keine vernünftige Basis.

Es gibt noch mehr Baustellen. Alle offiziellen Rechnungen über Rentenniveau und Beitragssatz reichen nur bis zum Jahr 2030. Doch danach geht die negative Entwicklung weiter. Viele kleine Selbstständige haben überhaupt keine Altersvorsorge. Es ist überfällig, die Probleme systematisch und über Parteigrenzen hinweg anzugehen. In früheren Jahrzehnten war das noch möglich. Das gesamte System braucht Verlässlichkeit unabhängig von wechselnden Regierungen. Illusionen sind keine Basis für eine alternde Gesellschaft.


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