„Gute Arbeit“ muss Thema im Kommunalwahlkampf werden!

18. August 2018  Allgemein, Kommunalwahl 2019

Weil eine Mitarbeiterin der Post Briefe teilweise im Altpapier entsorgte, wurde sie entlassen, und ein Strafverfahren wurde gegen sie eingeleitet. Die Post und auch eine verhältnismäßig unkritische „Südwest-Presse“ (siehe Artikel hier unten) sehen die Schuld alleine bei der Zustellerin.

Wir sehen das allerdings etwas anders: Die Post behandelt ihre Mitarbeiter wie den letzten Dreck: insgesamt und individuell, dzu gibt es einen Leserbrief (siehe weiter unten).

Und – was hat das überhaupt mit der Kommunalwahl zu tun?

  • Individuell: In solch einem Falle ist es doch naheliegend, erst mal die näheren Umstände zu untersuchen. Eventuell liegt eine Krankheit vor, Überarbeitung, psychische Probleme, ebentuell hervorgerufen durch den Zusammenhang eines zu geringen „regulären“ Einkommens bei der Post, was eventuell einen Nebenjob erforderlich machte. Mobbing am Arbeitsplatz? Alles das wird nicht untersucht, was eben auch Desinteresse dieses Arbeitgebers an seinen Beschäftigten signalisiert. Aber das geht eben auch anders: Zwischen Gesamtmetall und der IG Metall gibt es einen Tarifvertrag zur Alkoholkrankheit, der auf betrieblicher Ebene Vereinbarungen ermöglicht, Kolleginnen und Kollegen aus der Sucht Wege zu ebnen. So geht das!
  • Insgesamt: Die Post hat kürzlich mit einer gelben Gewerkschaft einen Tarifvertrag vereinbart, der für neu angestellte Beschäftigte den Einstiegsgehalt von rund 2.100 Euro auf ca. 1.700 Euro kürzte. Was das über die Konsequenzen für die noch regulär Beschäftigten bedeutet und im Leserbrief (ganz unten) aufgeführt ist: Wenn nun eine Tariferhöhung für die neu Beschäftigten ansteht, so gilt diese für die „Regulären“ so lange nicht, bis der Lohnbetrag das niedere Niveau des neuen Tarifvertrags erreicht hat. Sie bleiben also zukünftig von Tariferhöhungen ausgeschlossen, sie werden schrittweise enteignet, ihre Arbeit wird entwertet. Und das geschieht in einem Unternehmen, an dem der Staat wesentliche Anteile hält!
  • Mit der Kommunalpolitik hat das sehr viel zu tun: Miese Bezahlung und miese Behandlung nicht nur von kranken Beschäftigten führt zu Kündigungen und Entlassungen. Aber eben auch zu Arbeitslosigkeit und zur Altersarmut. Transferleistungen werden erforderlich. Bei Hartz IV zahlt das Sozialamt die Miete, das Wasser und den Strom und bei Armutsrenten kommt die so genannte Grundsicherung im Alter hinzu. Und wer zahlt das? Natürlich die Kommunen! Und so wird der Handlungsspielraum der Kommunen zwar indirekt aber Stück für Stück durch marodierende Arbeitgeber eingeschränkt. Deshalb muss sich die Kommunalpolitik für gute Arbeit einsetzen und Arbeitgeber in die Pflicht nehmen. Was gar nicht geht: Dass solche Arbeitgeber durch die Kommunalpolitik hofiert werden. Das Kriterium „Gute Arbeit“ muss zum Beispiel bei der Subventionierung einer Gewerbeansiedlung zukünftig eine maßgebliche Rolle spielen!

Hier der Artikel aus der Südwest-Presse

Ärgernis

Letzter Ausweg Altpapier

Ärgernis In Horb erreichten im Juli 340 Postsendungen ihre Zieladresse nicht. Die Zustellerin hatte sie zum Großteil entsorgt – wohl wegen zu großer Arbeitsbelastung.

11.08.2018 von Mathias Huckert

Ein Nachmittag Mitte Juli: Eine Leserin der SÜDWEST PRESSE begibt sich zum örtlichen Altpapiercontainer, möchte dort Pappe und Kartons loswerden. Doch am vollen Container macht sie eine Entdeckung: Mehr als 50 Briefe findet sie vor, allesamt ungeöffnet und noch nicht zugestellt. Darunter befinden sich auch amtliche Schreiben – alles im Container entsorgt. Die Nachfrage bei der nächstgelegenen Poststelle ist nicht befriedigend: „Werfen Sie die einfach in den nächsten Briefkasten, dann kommen sie ja noch an“, empfiehlt der Mitarbeiter der Deutschen Post ihr. Doch genau das tut die Horberin nicht.

Sie alarmiert die Polizei, die Briefe werden beschlagnahmt. Eine genaue Durchsuchung der Container im Horber Teilort ergibt später: Dort wurden mehr als einhundert Briefe auf diese Weise entsorgt. „Solche Fälle sind eher selten“, erklärt Markus Mast, Revierleiter in Horb. Für die Beamten liegt der Verdacht nahe, dass die zuständige Zustellerin verantwortlich ist für die weggeworfenen Briefe. Als die Polizei die Wohnung einer 22-Jährigen durchsucht, die für den Zustellbezirk zuständig ist, in dem die Briefe gefunden wurden, entdecken sie noch mehr. Insgesamt 117 weitere, nicht ausgelieferte Sendungen hat die Postzustellerin in einem Rucksack versteckt. Harri Frank vom Polizeipräsidium in Tuttlingen erklärt später: „Die junge Frau hat angegeben, dass sie sich überfordert fühlte wegen der hohen Zahl an Zustellungen.“ Gemeinsame Ermittlungen mit der Staatsanwaltschaft in Rottweil ergeben, dass insgesamt 340 Sendungen im Juli nicht zugestellt wurden.

Dass Zusteller der Deutschen Post oder anderer Lieferdienste oft unter enormem Druck arbeiten müssen, ist hinlänglich bekannt. Dennoch betont Hugo Gimber, Pressesprecher der Deutschen Post in Stuttgart: „Fälle wie der jetzt in Horb bekannt gewordene sind extrem selten.“ Er erklärt weiter: „Wir haben bundesweit in der Brief- und Paketzustellung mehr als viermal so viele Mitarbeiter eingesetzt, als Horb Einwohner hat. Sie liefern an jedem Werktag rund 59 Millionen Briefe und mehr als 4,6 Millionen Pakete aus. Natürlich können wir bei dieser Anzahl von Sendungen und Mitarbeitern Unregelmäßigkeiten nie ganz ausschließen.“

Bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe

Gimber bestätigt, dass die 22-jährige Zustellerin eine Ausbildung als Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen (FKEP) bei der Post abgeschlossen hat. Das bedeutet, dass sie in ihrer Anfangszeit als Zustellerin zusätzlich ein paar Tage lang von einem erfahrenen Kollegen begleitet wurde. Ihre Anstellung bei der Post ist die Zustellerin nun los, außerdem erfüllt ihre Handlung den Tatbestand der Postunterdrückung, die mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass die junge Frau dem Druck ihrer Arbeit nicht mehr standhalten konnte?

Maik Brandenburger von der Fachgewerkschaft für die Beschäftigten der Post (DPVKOM) in Bonn zeichnet ein klares Bild vom Arbeitsalltag vieler Postzusteller: „Die Belastung ist oftmals so hoch, dass ich eher von einer Überlastung sprechen würde.“ Extrem hohe Zahlen an Sendungen müssten die Zusteller tagtäglich austragen, hinzu kämen zusätzliche Schwierigkeiten, wie etwa defekte Arbeitsgeräte. „Wenn während der Tour der Akku des E-Bikes defekt ist, wird es natürlich noch schwieriger, den Arbeitstag erfolgreich zu beenden“, so Brandenburger. Für ihre Zusteller hat die Post zwei Verfahren entwickelt, die das tägliche Ausliefern der Sendungen gewährleisten sollen: Zunächst kann eine Variante gewählt werden, bei der nach den tatsächlich abgeleisteten Stunden bezahlt wird.

Hinzu kommt die Arbeitsweise nach dem Prinzip „Wer mit der Arbeit fertig ist, kann gehen.“ Bei diesem Arbeitsmodell ist laut Hugo Gimber der Zusteller sein „eigener Herr“: Wenn etwa dienstplanmäßig eine Arbeitszeit von acht Stunden vorgesehen sei, der Zusteller aber bereits nach sechs Stunden alle Sendungen abgeliefert habe, könne er gehen, ohne dass ihm die zwei Stunden abgezogen würden. „Im Gegenzug dafür muss an einem Tag, an dem sehr viele Sendungen vorliegen, bis zu einer Stunde länger gearbeitet wurden, ohne dass diese Stunde als Überstunde zählt“, erklärt Gimber.

Welche Variante die 22-jährige Zustellerin gewählt hat, die in Horb auslieferte, ist nicht bekannt. Fest steht aber: Die Arbeit wuchs ihr über den Kopf. Wer einen genauen Blick auf die Briefkästen der Post in Horb und Umgebung wirft, der stellt fest, dass gerade Zusteller gesucht werden. Eine genannte Anforderung in der Stellenanzeige: „körperliche Belastbarkeit.“ Das ist wohl nicht übertrieben.

Hier der Leserbrief

Funktioniere oder hau ab

Wenn ich eines Tages erfahren würde, dass mich ein Liebesbrief nicht erreichte, so würde mich das maßlos ärgern, eine nicht zugestellte Rechnung bereitete erst später Ärger: Anrufen, wenn die Mahnung kommt: „Bitte schicken sie mir die Rechnung nochmal, mit der Mahnung fange ich buchhalterisch nichts an.“ Und sicherlich wäre ich sauer, würde ich erfahren, die Sendung ist ins Altpapier gewandert. Einerseits.

Andererseits fällt es mir schwer, bei der Postzustellerin die Schuld alleine zu suchen, denn die Post behandelt ihre Beschäftigten wie den letzten Dreck. Erst jüngst drückte sie eine neue Tariflandschaft durch: Neu Eingestellte kriegen deutlich weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Deutliches Signal an die Älteren: Ihr seid teuer. Und weil draußen viele junge, billige Willige vor der Tür stehen, würden wir es begrüßen, wenn ihr besser heute als morgen endlich geht. Dass man von dem neuen Lohn nicht gescheit leben kann, ist das Problem der neuen Beschäftigten, sie werden sich schon irgendwie durchwurschteln. Programmierte Altersarmut? Egal, wir zahlen’s nicht, das machen später die Kommunen mit ihrer Grundsicherung im Alter.

Das alles durchgesetzt mit einer gelben „Gewerkschaft“ namens DPVKOM. Von einem fürsorglichen Arbeitgeber würde ich erwarten, dass er eine Mitarbeiterin, die offensichtlich versagt, nicht feuert (wie geschehen), sondern Ursachenforschung betreibt, strukturelle Defizite der Arbeitsorganisation beseitigt, der Mitarbeiterin bei ihren Problemen hilft. Die IG Metall hat beispielsweise einen Tarifvertrag, der Betriebsvereinbarungen zulässt, mit deren Hilfe alkoholkranken Beschäftigten Wege aus der Sucht geebnet werden. So was wäre die Alternative zur Kündigung, die allen andern Beschäftigten signalisiert: Funktioniere oder hau ab. Dass ausgerechnet ein Unternehmen, an dem der Staat wesentliche Anteile hält, sich als Brutalo-Arbeitgeber präsentiert, lässt ahnen, was im deutschen real existierenden Kapitalismus demnächst alles als „Arbeitswelt“ zu erwarten ist.

Es sei mir eine sanfte Kritik an dem Autor des Artikels gestattet: Er hat es m.E. versäumt, sich in die Situation der inkriminierten Postmitarbeiterin als Mensch einerseits, als Rädchen im Postgetriebe andererseits zu versetzen. Und bei der Gewerkschaft ver.di, die eigentlich wirklich für die Post zuständig ist (im Gegensatz zu dieser willfährigen DPVKOM), wäre die Antwort doch deutlich kritischer ausgefallen. Und wahrscheinlich lauteten dann auch die Fragen an den Pressesprecher der Post anders, der sich natürlich die Chance nicht nehmen ließ, die Post als Arbeitgeber-Lämmchen darzustellen.


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