Parteitag des Aufbruchs?

16. Juni 2018  Allgemein

PARTEITAG DES AUFBRUCHS ODER RATLOS IN DIE NÄCHSTEN MONATE? (1)

Der Parteitag unserer Partei in Leipzig fiel in eine Zeit des politischen Umbruchs. Die rechtspopulistischen Kräfte, an der Spitze Donald Trump mit der Devise „America first“, sind dabei, die Fundamente der internationalen und auch der nationalen Ordnungen zu zerlegen. Die Fragen der internationalen Sicherheitskonzeption und die Abwendung eines wirtschaftlichen Protektionismus stehen auf der Tagesordnung. Damit geht es auch um die Zukunft der EU, die nicht nur wegen der Flüchtlingsfrage vor einer Zerreißprobe steht. Der Brexit, das Entstehen und Erstarken rechtspopulistischer Kräfte und die jüngsten Regierungsübernahmen jener Kräfte in Italien und Slowenien zeigen, dass das europäische Projekt auf das Höchste gefährdet ist. Hinzu kommen der politische Niedergang der Sozialdemokratie, die Entwicklung der AFD und der mögliche Bruch innerhalb der Union. In dieser Situation kann für die Linkspartei bestenfalls von einer Stagnation gesprochen werden.

Vor diesem Hintergrund wäre der Parteitag in Leipzig der gebotene Anlass gewesen, sich den strategischen Herausforderungen zu stellen. Aber schon vor dem Parteitag war davon wenig zu spüren, wenn zum Beispiel Petra Paul angesichts der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen eine Programmdebatte anregte, ohne auf die angegebenen Herausforderungen einzugehen. Die sogenannte „Emanzipatorische Linke“ meinte gar, dass die Linke sich neu erfinden müsse. In dieser Situation hatte Oskar Lafontaine noch einmal die Idee einer „linken Sammlungsbewegung“ ins Spiel gebracht.
Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass die politische Linke links der Mitte derzeit kein Bündnis auf Basis eines linken Minimalkonsenses zustande bringt, es ist allerdings zu bestreiten, ob eine „linke Sammlungsbewegung“ zu mehr als einer Verschiebung innerhalb des linken Lagers führen würde. Im Gegenteil, es wäre eine Schwächung der bestehenden Formationen absehbar. Es bleibt somit festzuhalten, dass das Projekt der Sammlungsbewegung auf eine Spaltung der linken Kräfte hinauslaufen würde und damit auch der Versuch, soziale Sicherheit und eine grundlegende Änderung der Verteilungsverhältnisse durch eine linke Bündnispolitik untergraben würde. Ohne einen solchen Versuch werden weder die Sozialdemokratie noch die Linkspartei auf Dauer zu einem gewichtigen politischen Faktor werden.
Die Frage ist also, was der Parteitag in Leipzig im Hinblick auf diese politische Richtung gebracht hat?
Eigentlich sollten Themen wie die Wohnungsfrage, Gesundheit, Pflege, prekäre Beschäftigung und Bildung in den Mittelpunkt gestellt werden. Es wurden auch zwei Tage lang diszipliniert und zumeist praxisnah Anträge abgearbeitet und auch ein Wahlmarathon ohne Eskalation bewältigt. Doch durch die von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vorgebrachte Kritik an der Flüchtlingspolitik, die sie mit angeblichen Belastungsgrenzen und Problemen der Arbeitsmigration in Verbindung brachten, wurde die Planung des Parteitages deutlich über den Haufen geworfen. Es ging jetzt schwerpunktmäßig um die Formulierung im Parteiprogramm, in der „offene Grenzen für alle Menschen“ gefordert wird. Das Spektrum von Meinungen in dieser Frage in der Partei ist groß, wobei der Parteivorstand meinte, durch Formelkompromisse die Schwierigkeiten umschiffen zu können. Bernd Riexinger forderte dabei einen Dreiklang:
1.Bekämpfung der Fluchtursachen
2. Eröffnung einer sozialen Offensive
3.Eröffnung legaler Fluchtwege
Diese Position unterstützte Katja Kipping ausdrücklich und versuchte, den Konflikt mit Sahra Wagenknecht zu entschärfen. Sahra Wagenknecht bestand aber weiter darauf, eine Welt ohne Grenzen sei unter kapitalistischen Vorzeichen kein realistisches linkes Ziel und wehrte sich gegen die pauschale Formulierung, dass jeder, der nach Deutschland komme, einen Anspruch auf landesübliche Sozialleistungen habe und sich hier Arbeit suchen könne. Das wiederum führte zur Empörung eines Teils der Parteitagsdelegierten. Letztlich kündigten der Parteivorstand und die Fraktionsführung an, dass, da auf dem Parteitag keine Einigung möglich war, die Diskussion auf einer Klausurtagung und Fachkonferenz weitergeführt werde.
Die Konsequenz der mangelnden Bereitschaft der Partei- und Fraktionsführung, bereits im Vorfeld des Parteitages den Konflikt zu entschärfen, bestand und besteht darin, dass sich die Partei zerlegt und eine Spaltung hervorgerufen wird, nicht zuletzt durch die von Wagenknecht und Lafontaine propagierte „Sammlungsbewegung.“ Auch in der Linken ist also nicht zu übersehen, dass es eine große Bandbreite von Positionen zur EU, ihrer Reformierbarkeit oder auch zum Austritt aus der EU bzw. dem Euro gibt. Wenn es nicht gelingt, in diesen Fragen eine vernünftige Debatte zu organisieren, wird auf die Dauer keine Lösung der vielfältigen sozialen Probleme möglich sein und kein demokratisches Bündnis mit anderen fortschrittlichen Parteien und Organisationen zustande kommen.

(1) Siehe auch „Sozialismus aktuell“ vom 5.6.18 und 11.6.18