DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG
DER KONJUNKTURZYKLUS UND LANGFRISTIGE ENTWICKLUNGSTENDENZEN DES KAPITALISMUS (1)
Wenn auf Basis der Marxschen Theorie das Thema betrachtet werden soll, dann muss davon ausgegangen werden, dass im Marxschen „Kapital“ die ökonomische Grundstruktur der kapitalistischen Produktionsweise dargestellt worden ist. Auf dieser Basis gilt es dann, die historische Entwicklung des Kapitalismus und ihre Besonderheiten zu untersuchen. Eine empirisch-statistische Analyse kann dann wichtige Hinweise für die politische Arbeit der Linken geben.
Die erste wirkliche Weltmarktkrise 1825 stellt den Beginn der zyklischen Bewegung des Kapitalismus dar. Vorher gab es keine regelmäßig auftretenden ökonomischen Krisen, weil in vorkapitalistischen Gesellschaften in erster Linie unregelmäßig auftretende, durch Herrschaftsverhältnisse (z.B. im Feudalismus) oder Naturkatastrophen bedingte, ökonomisch-soziale Krisen gegeben waren. Erst die Betriebsweise der großen Industrie, die erste Betriebsweise des Kapitalismus, führte zu regelmäßigen Konjunkturzyklen. Das liegt daran, dass nach einer kurzen Periode ein Teil des fixen Kapitals (Maschinen) durch konkurrenzfähige Exemplare zu ersetzen ist. Das führt zur Steigerung des Mehrwerts im Produktionsgütersektor und zeitversetzt auch im Konsumgüterbereich. Die Entwicklung der Löhne zieht nach bis die Verwertung des Kapitals beeinträchtigt wird und zu einem Abschwung bzw. Krise führt. Erst die wieder hergestellten Mehrwert- bzw. Profitverhältnisse, bedingt durch die Senkung der Löhne und Ausgabensenkung beim fixen Kapital, geben den Anstoß für einen neuen Zyklus (2). Damit verbunden war der Ersatz des fixen Kapitals durch konkurrenzfähige Produkte. Seit 1825 bis zum Ausbruch des 1.Weltkrieges durchlief die kapitalistische Produktionsweise 10 industrielle Zyklen mit Großbritannien als Demiurg des Weltmarktes (3). Diese ersten industriellen Zyklen umfassten jeweils 10 Jahre und verkürzten sich auf 7-8 Jahre. Die Verkürzung erklärt sich durch die zunehmende Konkurrenz Großbritanniens durch die USA und später auch des Deutschen Reiches und damit zusammenhängend, dass das fixe Kapital schneller aus Konkurrenzgründen ersetzt werden musste. Die Zyklen hatten ausgeprägte Auf- und Abschwünge mit absoluten Kontraktionen am Ende eines Zyklus. Das hatte mit dem noch unentwickelten Geld- und Währungssystem, fehlenden Staatseingriffen und fehlendem Sozialstaat zu tun. Im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts wurden die USA und das deutsche Reich zu den größten Konkurrenten Großbritanniens und damit auch zu einer Einebnung der industriellen Vorherrschaft Großbritanniens und zu einer Synchronisierung der Konjunkturzyklen. Großbritannien verlor seine Rolle als Demiurg des Weltmarktes, blieb allerdings aufgrund seiner führenden Rolle als Handels- und Finanzplatz der Hegemon des Weltmarktes (4).
Nach dem 1.Weltkrieg dauerte es nur kurz bis die USA und Großbritannien zur Friedenswirtschaft zurückkehren konnten und auch zur zyklischen Bewegung der Kapitalakkumulation. Die Zykluslänge war inzwischen auf 5-7 Jahre verkürzt. Das Deutsche Reich durchlief eine Periode der Hyperinflation, die 1923 durch eine Währungsreform beendet wurde. Das einschneidende ökonomisch-soziale Ereignis war dann die Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. Sie ist durch das Zusammentreffen einer Agrarkrise peripherer Staaten mit einer zyklischen Krise der kapitalistischen Metropolen und einer kreditfinanzierten Spekulation an den Börsen zu erklären. Hinzu kam, dass die staatliche Politik (Brüning) eine restriktive Haushaltspolitik betrieb und damit die staatliche Nachfrage einschnürte. Keynes hatte schon damals darauf hingewiesen, dass durch eine nachfrageorientierte Politik der Kapitalismus noch erhebliche Wachstumspotentiale haben könnte.
Der 2. Weltkrieg war mit einem rasanten ökonomischen Wachstum für die USA verbunden. Am Ende des Krieges waren sie der unbestrittene Repräsentant der sogenannten fordistischen Betriebsweise. Damit ist gemeint, dass die seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in den USA betriebene Massenproduktion und Fließbandfertigung auch in Europa zunehmend Eingang fand. Sie wurde Fordismus genannt, weil sie zuerst in der Autoindustrie bei Ford entwickelt wurde. Wichtig war seit 1944 ebenfalls, dass auf der Konferenz von Bretton Woods das Geld- Kredit- und Währungssystem im Kapitalismus total verändert wurde. Der Banknotenumlauf wurde nicht mehr an den Goldschatz der Zentralbank gebunden, die Wechselkurse der beteiligten Länder waren innerhalb bestimmter Schwankungsbreiten fest und es sollte verstärkt in die Finanztransaktionen zur Abwehr von Spekulationen eingegriffen werden. Der US-Dollar wurde die Leitwährung des Systems und verpflichtete die USA Gold gegen Dollar umzutauschen, wenn es die beteiligten Länder wünschten. Der Weltmarktzyklus zwischen 1950-1975 ergab eine ziemlich genaue Übereinstimmung mit dem US-Zyklus bei einer Zyklusdauer von 4-5 Jahren. Diese ökonomische Führungsrolle der USA ging allerdings schrittweise verloren, weil insbesondere die Bundesrepublik und Japan die wichtigsten Konkurrenten wurden und die Produktivitäts- und Kostenvorteile der USA eingeebnet wurden. Die USA verzeichneten einen Goldabfluss und wurden zu einer Schuldnernation. Das Ergebnis war, dass das Bretton-Woods-System 1971 von den USA aufgehoben wurde. Darin muss der Vorbote des Übergangs der meisten kapitalistischen Nationen in die sogenannte chronische Überakkumulation gesehen werden, die dann auch mit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 begann.
Chronische Überakkumulation bedeutet, dass an die Stelle des Prosperitätszyklus bis zur Mitte der 70er Jahre ein neues Zyklusmuster mit schwachen Aufschwüngen und tieferen Abschwungsphasen trat bei einer Verlängerung der Zyklusdauer vom 7-8 Jahren. Während früher Überkapazitäten in der Industrie am Ende eines Zyklus abgebaut wurden, gelang das nun nicht mehr, das heißt, die Überakkumulation wurde chronisch. Bis zur Jahrtausendwende konnten die USA ihren Anteil am Welthandel halten, inzwischen gilt das nicht mehr. Es begann der ökonomische Aufstieg der VR China. Weil sich Kapital im industriellen Sektor nicht mehr ausreichend verwerten ließ, wurde und wird es in der Finanzsphäre untergebracht mit der Hoffnung auf Kursgewinne und Spekulationsgeschäfte. Besonders in den USA und Japan verselbstständigte sich der Finanzbereich mit einer Aktienhausse und einer gewaltigen Immobilienspekulation. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auch in der Bundesrepublik offenbarte eine spekulative Bewertung von Wertpapieren (fiktivem Kapital). Das unterliegende Problem ist das Verhältnis der Akkumulation des Realkapitals zum Geldkapital. Eine gewaltige Steigerung des Geldvermögens steht einer weit geringeren Steigerung der tatsächlichen Wertschöpfung der BRD-Ökonomie gegenüber. Dahinter verbirgt sich der tendenzielle Fall der durchschnittlichen Profitrate, der dadurch entsteht, dass durch die Produktivitätsentwicklung im Kapitalismus das variable Kapital (mehrwertschaffende Arbeitskräfte v) langsamer wächst als das konstante Kapital (Produktionsmittel c). Das Verhältnis von beiden Größen zueinander stellt die gesellschaftliche Profitrate m/c + v dar, die dadurch die Tendenz hat zu sinken. Das gilt auch in der Zeit der Prosperität, solange auch v wächst wird die Akkumulation des Kapitals nicht unterbrochen. Erst wenn das nicht mehr gelingt, wie seit den 70er Jahren, entsteht die chronische Überakkumulation mit einer krisenhaften Akkumulationsentwicklung des Kapitals. Als Konsequenz kommt es zum Ausscheiden eines Teils des Kapitals aus der Konkurrenz und die Flucht eines anderen Teils auf die Finanzmärkte.
Die Finanzmarktkrise 2007 ist eine Zäsur und hat die Grenzen der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation zur Überwindung der chronischen Überakkumulation deutlich gemacht. Sie ging von den USA aus als Folge vor allem der Überhitzung des Immobilienmarktes und griff auch auf andere kapitalistische Länder über. Zum Übergang in eine neue Prosperitätsentwicklung sind besondere Weichenstellungen nötig. Es muss eine neue Betriebsweise etabliert werden, in der eine enge Kooperation der Unternehmen stattfindet, begleitet von einer Orientierung auf eine Wirtschaftsdemokratie einzelbetrieblich und gesamtgesellschaftlich. Das bedeutet auch, die Mitbestimmung und Mitentscheidung der abhängig Beschäftigten zu erhöhen. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen gilt es besonders zu fördern. Die Verteilung der Einkommen und Vermögen ist durch staatliche Interventionen zugunsten der großen Masse der Bevölkerung zu verändern. Eine Regulierung der Finanzmärkte ist angesagt, Spekulationsgeschäften muss ein Ende gemacht werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist mehr auf beschäftigungspolitische und investive Ziele zu verpflichten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist in eine Weltzentralbank zu überführen. Insgesamt ist die Dominanz der kapitalistischen Produktionsverhältnisse Schritt für Schritt zu beseitigen und es ist in die Richtung einer sozialistischen Marktwirtschaft zu gehen,
(1)Der Aufsatz basiert auf dem Text von Stephan Krüger: Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, VSA-Verlag, Hamburg 2010. Außerdem wurde ein Vortrag von Stephan Krüger an der Universität Hamburg am 27.10.2010 zugrunde gelegt.
(2) a, a, O. S. 321 ff
(3) Demiurg bedeutet in diesem Zusammenhang Schöpfer des kapitalistischen Weltmarktes
(4) Ein Hegemon hat eine herausgehobene Stellung am kapitalistischen Weltmarkt.