DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG
DAS BÜNDNIS SAHRA WAGENKNECHT (BSW) -WAHLERGEBNIS, POLITISCHE PROGRAMMATIK UND POLITISCHE PERSPEKTIVEN. (1)
Die Europawahl hat etwa 6% der WählerInnen- Stimmen für die BSW erbracht, womit sie neben der CDU und der AFD zu den Wahlgewinnern zu zählen ist. Unsere Partei erlitt demgegenüber große Verluste und erhielt knapp 3% der WählerInnen-Stimmen. Dadurch wurde unser Ergebnis von 2019 glatt halbiert. Wichtig ist sich genau anzusehen, von wem die BSW ihre Stimmen erhielt und zu versuchen, eine Erklärung für das Ergebnis zu finden und zu schauen, welchen Weg wir in Zukunft beschreiten oder nicht beschreiten sollten.
Wenn man sich die Wählerwanderungen hin zur BSW kurz anschaut, so ist festzustellen, dass sie schwerpunktmäßig von ehemaligen Wählern und Wählerinnen der SPD und von uns profitiert hat. Interessant ist allerdings auch, dass etwa 8oo.000 Stimmen von der FDP, AFD und den Grünen gekommen sind. Das heißt, dass sie Zulauf aus allen Parteien bekommen hat, die meisten Stimmen allerdings mit einer Million von der SPD und von uns.
Wie ist das Ergebnis zu erklären?
Ein erster Zugang zur Erklärung könnte das Parteiprogramm der BSW sein. Dabei wird von der BSW gleich darauf hingewiesen, dass das jetzige Programm nur ein vorläufiges sei, das endgültige Programm könne erst 2025 erwartet werden. Zu Beginn wird festgestellt, ohne einen politischen Neuanfang stünde „unsere Industrie und unser Mittelstand auf dem Spiel.“ Die Bürgerinnen und Bürger wünschten sich eine verantwortungsvolle Politik, die die Wirtschaftsstärke, den sozialen Ausgleich, eine gerechte Verteilung und den Frieden gewährleiste. Aus diesem Grunde unterstütze die BSW folgende Grundsätze:
1.Wirtschaftliche Vernunft
Die Rahmenbedingungen für die Industrie und ein innovativer Mittelstand sollten gegeben sein. Besonders die gesellschaftliche Infrastruktur sei in einem schlechten Zustand, so dass viele Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlegten. Die Märkte funktionierten nicht mehr, weil große Konzerne die Politik massiv beeinflussten, die Märkte untergrüben und die Demokratie zerstörten. Als Alternative schlägt die BSW eine Wirtschaftsordnung mit fairem Wettbewerb und der Begrenzung der Marktmacht marktbeherrschender Konzerne vor.
- Soziale Gerechtigkeit
Seit Jahren wachse im Land die soziale Ungleichheit und die gesellschaftliche Unsicherheit. Die Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft würden nicht mehr eingehalten. Die Politik müsse wieder dem Gemeinwohl dienen und die Kommerzialisierung existenzieller Dienstleistungen beenden. Der gesellschaftliche Wohlstand müsse das Ergebnis von Fleiß und individueller Anstrengung sein.
3.Frieden
Die Außenpolitik müsse wieder in der Tradition von Willy Brandt und Michail Gorbatschow stehen. Es müsse eine Ära der Entspannung und der Abrüstung folgen, dafür müsse die Bundeswehr entsprechend ausgerüstet sein, um ihren Verteidigungsauftrag erfüllen zu können. Die Blockkonfrontation sei abzubauen, auch wenn das amerikanischen Interessen widerspreche.
4.Freiheit
Die demokratische Mitbestimmung sei auszubauen und der Rechtsextremismus und der Rassismus seien zu bekämpfen. Eine Zuwanderung von Menschen könne bereichernd sein, solange sie begrenzt bleibe. Zuwanderung dürfe nicht zu Lasten der sozial Schwachen gehen. Wir benötigten faire Weltwirtschaftsbeziehungen, wir allein könnten nicht die Armut in der Welt abschaffen. Die BSW wolle deshalb keine Gesellschaft, die von denen geführt werde, die nur das Geldmachen im Sinn hätten. Es müssten Diejenigen gewinnen, die gute, ehrliche und solide Arbeit leisteten.
Die Formulierung, dass „unsere Industrie und unser Mittelstand“ auf dem Spiel stünde, deutet gleich darauf hin, dass insbesondere Kleineigentümer und Eigentümerunternehmer angesprochen werden sollen. Sahra Wagenknecht hatte allerdings schon lange gefordert, man müsse Ludwig Erhard ernst nehmen und eine soziale Marktwirtschaft verwirklichen. Damit fällt die BSW auf den Ordoliberalismus der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Walter Eucken als Vertreter einer rückwärtsgerichteten und reaktionären Sichtweise steht hier Pate. Ein Widerspruch entsteht sogleich, wenn „unsere Industrie“ gefördert werden soll, aber gleichzeitig die industriellen Unternehmen und Finanzunternehmen, die in der Form von Kapitalgesellschaften vorherrschend sind, bekämpft werden sollen. Marx hatte bereits deutlich gemacht, dass Aktiengesellschaften die entwickelten Unternehmensformen seien, zu der es der Kapitalismus bringen könne. In dieser Unternehmensform ist ja bereits die Entwicklung nicht mehr an das Eigentum gebunden, sondern sind Eigentum und die Führung sowie Weiterentwicklung voneinander getrennt. Die Alternative, die die BSW vorschlägt, ist ein fairer Wettbewerb, was immer darunter verstanden wird. Wenn die BSW ein wirkliches Gegenkonzept zur Anarchie des Kapitalismus gesucht hätte, wäre sie bei Marx fündig geworden. Dann wäre klar gewesen, dass es um die Abschaffung der Mehrwertproduktion geht und die Bekämpfung aller Folgen, die mit dieser Produktionsweise verbunden sind. Zu den Folgen gehört, dass die Akkumulation des Kapitals durch die Profitrate gesteuert wird und dadurch ein Konjunkturzyklus mit Aufschwüngen und Abschwüngen entsteht, ein sogenannter Krisenzyklus. Der geht in der Regel zu Lasten der Beschäftigten und sozial Schwachen. Die Akkumulation kann auch beschleunigt verlaufen, wie in der Nachkriegszeit, kommt aber an ein Ende, wenn der Fall der Profitrate nicht mehr durch das Wachstum des gesellschaftlichen Kapitals kompensiert werden kann. Ein Teil des Kapitals begibt sich dann auf den Weg der Abenteurer wie Marx formulierte. Spekulation an den Finanzmärkten ist dann Trumpf und es deutet sich an, dass die kapitalistische Produktionsweise an ihre Systemgrenze kommt. Es steht dann eine umfassende Demokratisierung aller Lebensbereiche auf der Tagesordnung, wenn sich auch ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür entwickelt hat. Das ist allerdings etwas Anderes als die romantisch-reaktionäre Neuauflage der Forderung, eine soziale Marktwirtschaft wiederherzustellen.
Richtig ist sicher, wenn die BSW für eine Außenpolitik plädiert, die eine Friedenspolitik ist und auf Verhandlungen im aktuellen Ukraine- und Gaza- Krieg setzt. Das kann allerdings nicht mit der Friedenspolitik von Brandt und auch nicht mit der von Gorbatschow in einen Topf geworfen werden. Heute geht es nicht um einen Konflikt zwischen dem Kapitalismus und dem realen Sozialismus und dem damaligen Kalten Krieg. Heute geht es um einen Konflikt zwischen einer parlamentarisch- demokratischen Form des Kapitalismus und autoritären Formen des Kapitalismus. Es muss deutlich werden, dass aus marxistischer Perspektive gesehen in der Struktur des Kapitalismus national und international immer gewaltsame Konflikte angelegt sind. Friedensinitiativen sind immer als breite demokratische Bündnisse zu führen, was nur durch eine kritische Auseinandersetzung und nicht durch eine Spaltungspolitik zu erreichen ist. Das gilt auch für den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassendiskriminierung und den Kampf für eine solidarische Zuwanderungspolitik.
Dass die BSW trotz aller programmatischen Mängel ein sehr gutes Wahlergebnis bei der Europawahl und vermutlich auch bei den kommenden Landtagswahlen erzielt hat bzw. erzielen wird weist darauf hin, dass die BSW eine personalisierte Form der politischen Ansprache betreibt, insbesondere durch die Person Sahra Wagenknechts. Viele Medien springen bereitwillig auf diesen Zug auf. Neben der Personalisierung macht die BSW Konzessionen an rückwärtsgewandte Positionen in der Wirtschafts-Sozial- und vor allem Zuwanderungspolitik. Eine sozialistische Partei sollte im Gegensatz dazu beitragen, romantisch-reaktionäre und illusorische Vorstellungen klar zu benennen und Wege aufzuzeigen, wie Schritt für Schritt diese Wirtschaftsordnung grundlegend umzugestalten ist, um eine Demokratisierung aller Lebensbereiche zu erreichen. Dabei müssen auch die Grenzen einer Demokratiebewegung aufgezeigt werden, wenn die Struktur des Kapitalismus nicht angetastet wird. Es gilt im Rahmen einer breit angelegten Bündnispolitik die politischen Kräfteverhältnisse zu verändern, um der ökonomischen, sozialen und politischen Unsicherheit der Bürgerinnen und Bürger ein Ende zu setzen. Das wird allerdings nur gelingen, wenn den beharrenden politischen Kräften durch die Bevölkerungsmehrheit entschlossen entgegengetreten wird.
(1)Der Aufsatz bezieht sich auf das vorläufige Programm des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW).