Gregor Gysi im Interview

13. August 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

 

GREGOR GYSI IM INTERVIEW.

In der Ausgabe der Badischen Zeitung vom 11.8.23 wurde Gregor Gysi gefragt, warum die Partei DIE LINKE bei Wahlen nicht vorankomme. Er gab daraufhin mehrere Gründe an. Er sagte, nach 2007 habe die Partei Ostdeutschland sträflich vernachlässigt. Ferner sei in der Partei ein Klima der Denunziation entstanden, gegen das inzwischen vorgegangen werde. Vor allem aber habe sich die Partei, wenn sie vorankommen wolle, auf fünf Probleme zu konzentrieren und nicht zu allen Allerweltsproblemen Stellung zu beziehen.

Die Probleme seien die reale Friedenspolitik, die soziale Gerechtigkeit, die ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung, die Gleichstellung von Frauen und Männern und die Gleichstellung von Ost und West. Sein Unterschied zu Sahra Wagenknecht bestehe darin, abgesehen von ihrer Position zu Migrationsfragen, dass er die soziale Frage in den Fokus nehmen wolle ohne gleich eine neue Partei gründen zu wollen. Dass die Partei DIE LINKE wieder als Partei der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen werde, dazu trage zum Beispiel der Vorschlag bei, die Löhne und Gehälter per Gesetz mit einem Inflationsausgleich zu versehen, damit die Lohn- und Gehaltssteigerungen nicht durch die Inflation aufgefressen würden. Dazu bedürfe es allerdings auch Gewerkschaften, die gestiegenen Gewinne und Produktivitätentwicklungen auch in Reallohnsteigerungen umsetzten.

Die Frage, ob eine Parteigründung von Sahra Wagenknecht das Ende der Partei DIE LINKE sein würde, beantwortete Gregor Gysi auf folgende Weise. Er werde entschieden für den Erhalt der Partei kämpfen, er hoffe aber, dass es nicht zu einer Neugründung komme. Er plädiere für einen Ausschluss Sahra Wagenknechts aus der Partei nur als letztes Mittel der Partei. Gregor Gysi erinnerte auch daran, dass der letzte Versuch Wagenknechts die Bewegung „Aufstehen“ zu gründen bereits schief gegangen sei. Eine Zusammenarbeit der Partei DIE LINKE mit der CDU könne er sich in Form einer Duldung nur im Extremfall vorstellen, um eine Regierungsbeteiligung der AFD zu verhindern.

Zum Ukraine-Krieg stellte Gregor Gysi fest, dass weder die Ukraine noch Russland nach Lage der Dinge den Krieg gewinnen könnten, so dass es dringend auf einen Waffenstillstand, den unsere Bundesregierung nicht im Auge habe, ankomme. An den hätten sich komplizierte Friedensverhandlungen anzuschließen. Es werde behauptet, Putin wolle keinen Waffenstillstand. Eine Möglichkeit zu einem Waffenstillstand zu kommen wäre Moskau anzubieten, dass der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine beendete, wenn dafür auch die Waffen auf russischer Seite schweigen würden.  Man müsse abwarten, wie Putin dann reagieren würde. Bei einer Ablehnung des Vorschlages durch ihn sei er für weitere Waffenlieferungen des Westens verantwortlich. Am Ende der komplizierten Friedenverhandlungen dürfte allerdings nicht stehen, dass die Ukraine auf einen Teil ihres Territoriums zu verzichten habe.

Insgesamt kommt es Gregor Gysi darauf an, dass die Politik heute transparenter sein müsse und das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung zurückgewinnen müsse. Ehrlichkeit im Umgang miteinander sei für ihn dabei ein wichtiges Stichwort.

Aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, dass über die Vorstellungen Gregor Gysis in der Partei DIE LINKE zu diskutieren ist, ohne dass das zu einer Zerreißprobe und neuen Denunziationen führt.

 

 

 

Der Ukraine-Krieg und die Spaltung der Weltwirtschaft

27. Juli 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DER UKRAINE-KRIEG UND DIE SPALTUNG DER WELTWIRTSCHAFT (1)

Die Welt und ihre Wirtschaft stehen augenblicklich an einem Knotenpunkt ihrer Entwicklung. Die beiden größten Volkswirtschaften, die USA und China, ringen um die Hegemonie in der Weltwirtschaft. China sieht sich zwar noch als Schwellenland bei Betrachtung des Wohlstandes der Bevölkerung, es macht seine Unterlegenheit gegenüber den USA aber wett durch sein überlegene Wirtschaftsentwicklung auf seinem Weg zu einer sozialistischen Marktwirtschaft. Der Kapitalismus amerikanischer Prägung mit seiner Hegemonie bei Währung, Auslandsvermögen und militärischem Potential befindet sich gegenüber Chinas Weg zur sozialistischen Marktwirtschaft in einem Abstiegsprozess. Das ist der eigentliche Hintergrund für die Zuspitzung von Krisen und Auseinandersetzungen in geopolitischer Dimension, den Gegensatz von liberalen und autoritären Formen des Kapitalismus einerseits und dem marktorientierten Sozialismus Chinas andererseits.

Die Spaltung der Welt wird aktuell durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf einen neuen Höhepunkt getrieben. In unseren Medien ist die Bewertung eindeutig, es ginge um eine Auseinandersetzung von Demokratie und Autokratie. Dabei wird unterschlagen, dass die Ukraine schon lange vor dem Krieg mit Russland ebenso wie Russland selbst ein Oligarchen-Kapitalismus war und bis heute ist. Wie bei allen ehemaligen Sowjetrepubliken war die Transformation zum Kapitalismus mit autoritären politischen Formen verbunden. Die Darstellung der Ukraine als Garant demokratischer Werte im Gegensatz zu Russland trifft die Realität nur unzureichend. Auch in der Ukraine haben Oligarchen und die Korruption weiter ein großes Gewicht. Korruption befindet sich auf jeder Ebene, die Ukraine ist für Transparency International eines der korruptesten Länder Europas. Beim Korruptionsindex von Transparency International belegt die Ukraine den Platz 122 von 180 Plätzen. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass die Ukraine schon vor der Annexion der Krim durch Russland im Jahre 2014 ein notleidender Staat war. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um mehr als zwei Drittel zum Ausgangsniveau von 1991, das war das Ergebnis der gescheiterten Transformation zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Auch in den 2010er Jahren reichte es nur zu einer Stagnation und das BIP der Ukraine fiel 2022 aufgrund des Krieges um 30 Prozent.  So desaströs wie das BIP sind inzwischen die Staatsfinanzen des Landes. Das Land benötigt monatlich 5 Mrd. Dollar von ausländischen Kapitalgebern, um staatliche Stellen und die Armee finanzieren zu können. Das hat auch politische Konsequenzen, die kommunistische Partei der Ukraine (KPU) wurde 2015 nach dem Euro-Maidan verboten und seit dem Ausbruch des Krieges mit Russland alle politischen Parteien, die als Repräsentanten der russischsprachigen Bevölkerung und als russlandfreundlich angesehen werden ebenso.

Die russische Föderation verzeichnete einen Niedergang insbesondere wegen der Schocktherapie von Boris Jelzin, der die Transformation zum Kapitalismus bei weitgehend ungeschützten Freigaben der Märkte und vieler gesellschaftlichen Bereiche vollzog. Durch die Nachfolgeregentschaft von Wladimir Putin wurde eine Konsolidierung erreicht, die aber auch krisenhaft und auf stagnierendem Niveau ablief. Putin, als Vertreter der extraktiv-industriellen Oligarchie, versuchte und versucht die ehemaligen Sowjetrepubliken als seine Einflusssphäre zu behaupten. Auf der anderen Seite rückten die USA und die Nato durch die Nato-Osterweiterung bis nahe an die Westgrenze der russischen Föderation heran. Die Ukraine war ursprünglich ein Pufferstaat, in dem sich die Westorientierung in Richtung der EU und die Anlehnung an Russland im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion lange Zeit die Waage hielten. Im Jahre 2014 kam es zum Euro-Maidan, in dem EU-orientierte Teile der Westukraine mit Unterstützung von Vertreten der USA und der EU den Rücktritt des Präsidenten Janukowytsch erzwangen. Russland reagierte mit der Annexion der Krim und unterstützte separatistische Bewegungen im Donbass. Seitdem herrschte Krieg in der Ukraine zwischen der Zentralmacht und den Separatisten. Schlichtungsversuche im Rahmen von Minsk 1 und Minsk 2 unter Beteiligung Frankreichs und der Bundesrepublik waren ohne Erfolg, wobei gesagt werden muss, dass weder die russische noch die ukrainische Seite ein besonderes Interesse am Erfolg der Verhandlungen hatte.

Dieser scheinbare innerukrainische Konflikt und der staatliche Konflikt zwischen der Ukraine und Russland müssen in die geopolitische Gesamtkonstellation eingeordnet werden. Die USA und die Nato hatten nach 2014 versucht, die Ukraine durch Waffenlieferungen und Militärberater in die Einflusssphäre der Nato zu integrieren. Es folgten Versuche Russlands durch Aufmarsch russischer Truppen an den Grenzen der Ukraine eine schriftliche Verpflichtung der USA zu erreichen, der Nato-Beitrittsperspektive der Ukraine eine Absage zu erteilen. Diese Perspektive war inzwischen in der ukrainischen Verfassung verankert. Die Versuche Russlands wurden abgelehnt mit dem Argument, jedem Staat stehe der Beitritt zu Militärbündnissen frei, zumal die Nato kein Kriegs-sondern ein Friedensbündnis sei. Dieses Argument traf allerdings bei vielen Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika auf Skepsis, da die Nato allgemein und die USA direkt in vielen Fällen versucht hatten, durch politisch-militärische Interventionen Regimewechsel in ihrem Sinne durchzusetzen, Regimewechsel hin zum Kapitalismus amerikanischer Prägung versteht sich.

Im Februar 2022 begann Russland nach Anerkennung der beiden abtrünnigen Provinzen im Donbass die sogenannte „Spezialoperation“. Sie erfolgte mit reaktionären und antikommunistischen Argumenten und sollte darauf hinauslaufen, der Ukraine das Recht auf eine eigene Staatlichkeit zu nehmen. Auf diese Weise traf ein rückwärtsgewandter oligarchisch-etatistischer Kapitalismus auf einen Oligarchen-Kapitalismus, der im Begriff war, die Oligarchie im Lande zurückzudrängen unter Mithilfe der USA und der Nato. Dieser Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist somit als Konflikt zwischen zwei ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion zu verstehen, die die Transformation zum Kapitalismus in mehr oder weniger autoritärer Form vollzogen haben. Die USA und verschiedene NATO- Staaten sind inzwischen selbst zu Kriegsparteien geworden, weil sie durch Wirtschaftssanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen für die Ukraine in den Krieg eingegriffen haben. Das hat zu einer Aufwertung der Nato geführt, zu der auch jüngst Schweden und Finnland beigetreten sind. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass es zwischen Russland und der Ukraine einen längeren Stellungs- und Abnutzungskrieg geben wird, zumindest solange die Kontrahenten noch meinen, den Krieg gewinnen zu können.

Die eigentliche ökonomische und geopolitische Herausforderung für die USA besteht in dem Systemgegensatz zur VR China, weniger in dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Es ist erklärtes Ziel der US-Politik, China nicht die Hegemonie auf dem Weltmarkt zu überlassen, „America-first“ bleibt weiterhin die Zielsetzung jeder amerikanischen Regierung. China versucht einen „Sozialismus chinesischer Prägung“ aufzubauen, erhöhte seine Offensive im Außenhandel und betreibt eine Industriepolitik, um seine Direktinvestitionen in kapitalistischen Ländern und weniger entwickelten Ländern zu erweitern. Die USA und die EU werden dadurch gezwungen Abstand von einer Politik des „Washingtoner Konsensus“ zu nehmen, das heißt, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik nicht nur im eigenen neoliberalen Interesse zu betreiben.

Es bleibt aber nicht bei einem ökonomischen Wettstreit zwischen verschiedenen Wirtschaftssystemen, sondern es geht auch um den Kampf um die Hegemonie in der Weltwirtschaft und der Weltpolitik. Eine internationale Friedenspolitik, ein Kampf gegen Hunger, Armut und den Klimawandel werden allerdings nur durch kooperatives Miteinander möglich sein. Das wird aus linker Sicht nur möglich sein, wenn in den wichtigsten kapitalistischen Hauptländern auf absehbare Zeit die kapitalistische Produktionsweise überwunden und ein demokratischer Sozialismus aufgebaut wird. Das heißt dann aber auch für die VR China, wirtschafts- und zivildemokratische Reformen in Betrieb und Gesellschaft vorzunehmen, die Repression gegen Andersdenkende zu beenden und eine Entwicklung in Gang zu setzen, die auf einen demokratischen Sozialismus hinauslaufen. Das wird nicht gehen, ohne dass die Kommunistische Partei Chinas selbst eine Wandlung vollzieht und ihren Einfluss in der Gesellschaft zugunsten zivildemokratischer Kräfte zurücknimmt.

(1)Der Aufsatz hat als Grundlage den Text von Stephan Krüger: Epochen ökonomischer Gesellschaftsformationen, VSA-Verlag Hamburg, 2023.

 

Kapitalistische Mythen 2

18. Juli 2023  Allgemein

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KRITIK KAPITALISTISCHER MYTHEN 2 (1)

 

MYTHOS 6:  DIE STEUERN SIND ZU HOCH, WÜRGEN DIE WIRSCHAFTSKRAFT AB UND UNTERGRABEN UNSERE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT.

Die Grundlage der Steuerberechnung bei der Einkommenssteuer ist das sogenannte zu versteuernden Einkommen. Es ist das Jahreseinkommen das sich ergibt, nachdem verschiedene Abzugsmöglichkeiten in Anschlag gebracht worden sind. In der Bundesrepublik wird auf das zu versteuernde Einkommen ein progressiver Steuersatz angewendet, der 2023 zwischen 0 Prozent, dem Grundfreibetrag, und dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent liegt. Wer mehr als 277.826 Euro an Einkommen im Jahr hat, muss mit 45 Prozent den Höchststeuersatz entrichten. Es gibt noch eine Anzahl anderer Steuerarten, bloß für den obigen Mythos ist die Einkommenssteuer die wichtigste Steuerart.

Zwei wichtige Kennzahlen im Steuersystem sind weiter die Staatsausgabenquote und die Abgabenquote. Die Staatsausgabenquote setzt die gesamten öffentlichen Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden in ein Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Abgabenquote gibt an, welchen Anteil der inländischen Produktion der öffentliche Sektor in Form von Steuern und Sozialabgaben vereinnahmt, um damit sein Angebot an öffentlichen Gütern und Dienstleistungen zu finanzieren bzw. Einkommen umzuverteilen. Es besteht in der neokonservativen Politik das Bestreben, die Abgabequote zu senken. Wenn das realisiert werden soll, müssten an anderer Stelle Einnahmen erhöht werden, zum Beispiel staatliche Gebühren, oder zusätzliche Staatsverschuldung betrieben werden. Beides ist problematisch, Gebühren gehen überdurchschnittlich zu Lasten niedriger Einkommen und hohe Zinszahlungen zu Lasten des Staatshaushaltes. Insgesamt ist auf die negativen sozial- und beschäftigungspolitischen Effekte hinzuweisen, wenn ein Nulldefizit angestrebt wird. Die Senkung der Abgabenquote wird in der Regel gefordert, um einer Umverteilung nach oben zum Durchbruch zu verhelfen, andernfalls, so argumentieren Vertreter der Kapitalseite, sei damit zu rechnen, dass Kapital und Vermögen ins steuergünstige Ausland verlegt werden.

Programme und Aussagen von politischen Parteien sind immer danach zu beurteilen, in welchen Formen Veränderungen der Abgabequoten vorgenommen werden sollen. Zumeist werden die Vorschläge mit dem Wirtschaftswachstum in Verbindung gebracht. Eine hohe Abgabenquote wird von der Kapitalseite und ihren Verbündeten in den Parteien behauptet, führe in der Regel zur Senkung des Wirtschaftswachstums. Weiter gefährde eine hohe Abgabenquote die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf internationalen Märkten. Wenn dem wirklich so wäre, dann müssten im Umkehrschluss Länder mit niedrigen Abgabequoten, wie zum Beispiel in Afrika, eine hohe Wettbewerbsfähigkeit besitzen. In manchen Lehrbüchern der Ökonomie wird die These vertreten, dass Abgaben oberhalb eines „kritischen Punktes“ das Wirtschaftswachstum beeinträchtigten. Das ist theoretisch sehr umstritten, und es ist empirisch kaum möglich eine optimale Abgabenquote zu ermitteln. Auch ein einfacher internationaler Vergleich zeigt, dass kein eindeutiger Zusammenhang von Abgabenhöhe und Wirtschaftswachstum besteht. Skandinavische Länder und auch Frankreich haben höhere Abgabequoten bei gutem Wirtschaftswachstum, während Japan und die Schweiz eher schleppende Wachstumsraten aufwiesen.

Spielraum für Abgabenerhöhungen bestehen vor allem bei Vermögenden und Unternehmen, deren Beitrag zum Steueraufkommen in der Regel unterdurchschnittlich hoch ist. Zum Schluss ist anzumerken, dass in Deutschland seit 1997 keine Vermögenssteuer mehr erhoben wird und das Gesamtaufkommen aus Grundsteuern im Bagatellbereich liegt. Das Immobilieneigentum ist sehr ungleich verteilt, was jüngst das Bundesverfassungsgericht kritisiert und eine stärkere Besteuerung des Immobilienvermögens verlangt hat, Aus linker Sicht wäre eine Steuerpolitik, die die ungleichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse angeht, ein wichtiger Schritt um Schritt für Schritt die private Kapitalverwertung als Grundlage des Wirtschaftens zurückzudrängen.

MYTHOS 7: DIE PRIVATISIERUNG VON ÖFFENTLICHEN GÜTERN UND DIENSTLEISTUNGEN IST NOTWENDIG. PRIVATE KONNEN DIE AUFGABEN BESSER ERLEDIGEN.

Seit vielen Jahren finden in verschiedenen Ländern Europas eine Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen statt. Insbesondere die öffentliche Infrastruktur wie zum Beispiel die Wasserversorgung, die Bundesbahn, die Energieversorgung, die Telekommunikation, das Postwesen und der öffentliche Nahverkehr ist davon betroffen. Da ist neoliberales Denken am Werk, es ist allerdings nicht nachweisbar, dass nun eine höhere Effizienz der Dienste gegeben ist. Die Telekom wird häufig als gelungenes Beispiel der Transformation angegeben, allerdings bleibt offen, ob die Einführung von Wettbewerb oder die technologische Umwälzung maßgebend gewesen sind.

Die praktische Erfahrung mit der Liberalisierung und Privatisierung im Bereich Strom, Gas und Bundesbahn zeigt ein durchwachsendes Bild, es sind mehr Nachteile als Vorteile festzustellen. Die Strompreise für Industriekunden sind häufig gesunken die für Privatkunden weniger. Verloren haben definitiv viele Beschäftigte im Energiesektor, die ihren Arbeitsplatz verloren haben. Gesunken sind ebenfalls nicht selten die Investitionen, was auf lange Sicht die Versorgungssicherheit tangiert. Problematisch ist auch die starke Konzentration im Energiesektor mit der Gefahr, dass sich monopolartige Strukturen herausbilden, die sich der politischen Kontrolle entziehen.

Die Liberalisierung der Postdienste hat ebenfalls dazu geführt, dass die Beschäftigung in diesem Sektor gesunken ist. Der Beschäftigungsabbau konnte nicht ausgeglichen werden durch alternative Postdienste mit Kurierdiensten. Außerdem wurde das Poststellennetz massiv ausgedünnt und die Postdienste nebenbei in Kiosken oder auch großen Märkten erledigt.

Häufig wurden kommunale Dienstleistungen an private Anbieter übertragen. Vor allem wegen der Finanznöte der Gemeinden wurde dieser Weg gewählt. Wenn es um die Vertragsgestaltung mit großen Konzernen geht, wurden die Vertragsbedingungen den Gemeinden meistens von den Konzernen diktiert. Im Endeffekt bedeuten Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen, dass das Gewinnstreben auch hier zum dominierenden Prinzip wird. Dadurch geraten öffentliche Zielsetzungen ins Hintertreffen und das flächendeckende Angebot und die Versorgungssicherheit werden in Frage gestellt.

MYTHOS 8: DIE ÜBERALTERUNG DER GESELLSCHAFT FÜHRT DAZU; DASS DER WOHLFAHRTSSTAAT NICHT MEHR FINANZIERBAR IST.

Diese Befürchtung wird häufig als das zentrale demografische Problem angegeben. Experten erwarten einen immer größeren Anteil älterer Menschen an der gesamtdeutschen Bevölkerung. Bis 2070 werde das Lebensalter der Frauen zwischen 86 und 90 Jahren liegen und bei Männern zwischen 82 und 86 Jahren. Andererseits drohe die Zahl der Personen im erwerbstätigen Alter, also zwischen 20 und 66 Jahren, zu sinken. Daraus wird der Schluss gezogen, dass der Sozialstaat das Problem nicht mehr lösen könne.

Dagegen ist einzuwenden, dass demografische Prognosen mit einem zeitlichen Horizont von mehr als 50 Jahren mit großer Vorsicht zu genießen sind. Neben der Zahl der Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen sind besonders Einwanderungswellen hier von großer Bedeutung.  Ferner ist die Konzentration auf das zahlenmäßige Verhältnis von Jungen und Alten irreführend. Es wird nicht gesehen, dass einerseits nicht alle Erwerbstätigen einer Lohnarbeit nachgehen und auch die niedrigere Geburtenrate eine finanzielle Entlastung des Staatshaushaltes zur Folge hat.  Während Ausgaben für Renten und Pensionen steigen, sinken die volkswirtschaftlichen Aufwendungen für Kinder, wenn an der bisherigen Politik festgehalten wird. Weiterhin liegt aufgrund der langanhaltenden Arbeitslosigkeit im Lande ein Potenzial an Beitragszahlungen und Steuerzahlungen für das Sozialsystem brach.                                                                   Für die Finanzierung des Sozialsystems bzw. Rentensystems kommt es also weniger auf das Zahlenverhältnis von Jung und Alt, also die Demografie, an, sondern darauf, ob in der Volkswirtschaft genügend Einkommen erzielt werden, vor allem in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen, um die Sozialleistungen zu finanzieren. Angesichts langanhaltender Arbeitslosigkeit könnten bei entschlossener Bekämpfung der Arbeitslosigkeit viel mehr Beiträge zur Finanzierung sozialer Leistungen erbracht werden. Alle alternden Gesellschaften Europas besitzen ein Potential von Arbeitskräften, das zur Zeit ungenutzt ist. Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen könnten zum Beispiel eine deutliche Erhöhung der Frauenerwerbsquote bewirken. Des Weiteren ist der Anteil von Zuwanderung erhöhbar, wenn die betroffenen Menschen auf dem legalen Arbeitsmarkt zugelassen würden. Das ist insoweit ein zweischneidiges Schwert, weil die Betroffenen zwar unser Gesellschaft Nutzen bringen, aber andererseits ihren Herkunftsländern fehlten, wenn diesen Ländern eine ökonomische Perspektive gegeben würde.

Dass ausreichend Menschen Arbeitseinkommen erwirtschaften ist allerdings nicht der einzige Faktor, um einen Sozialstaat zu finanzieren.  Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Höhe ihres Einkommens. Das hängt auch mit der Entwicklung der Produktivität der Arbeit zusammen. Es wurde prognostiziert, dass in den nächsten 40 Jahren das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf massiv steigen wird wegen der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das würde bedeuten, dass der gesellschaftliche Wohlstand steigen würde, selbst wenn es keine höhere Einwanderung und Geburtenrate geben wird. Auch die befürchtete zunehmende Verlagerung der Wirtschaftsaktivitäten in den Dienstleistungssektor werde zwar die Produktivität dämpfen, könne aber in Grenzen gehalten werden. Sofern die Lohnabhängigen den Fortschritt der Arbeitsproduktivität durch Lohnsteigerungen vergolten bekommen, können auch von dieser Seite her mehr soziale Leistungen finanziert werden.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht auch andere Quellen, allen voran Kapitalerträge, zur Finanzierung des Sozialstaats herangezogen werden müssen. Da geht es dann um die Verteilung von Einkommen und Vermögen in der kapitalistischen Gesellschaft, die es massiv im Sinne der Lohnabhängigen und EmpfängerInnen von Renten und Sozialleistungen zu verändern gilt. Man stößt somit immer wieder auf die private Kapitalverwertung als Hemmschuh der sozialen Entwicklung, so dass das Demografie-Argument letztlich als Argument gesehen werden muss, die Herrschaftsverhältnisse im Kapitalismus zu verschleiern.

MYTHOS 9: DIE PRIVATE ALTERSVORSORGE IST SICHERER ALS DIE STAATLICHE RENTE.

Durch das Demografie-Argument werden auch Herrschaftsverhältnisse im Kapitalismus verschleiert, denn es wurde häufig die These vertreten, der Wohlfahrtsstaat sei aus demografischen Gründen auf Dauer nicht finanzierbar. Es wird deswegen vornehmlich von der Kapitalseite als Lösung des Problems die private Altersvorsorge ins Spiel gebracht. Es wird behauptet, dass Versicherte ihre Rente selbst finanzieren könnten. Dabei überdecken finanztechnische Überlegungen die realen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse.

Die Frage ist also, ob Rentner mehr Geld mit einer kapitalgedeckten Vorsorge zur Verfügung hätten? Dazu einige Ausführungen zum Umlagesystem und der kapitalgedeckten Vorsorge.

Die meisten Länder in Europa wenden das Umlagesystem an. In dem System werden Beiträge der meisten aktuell Beschäftigten an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt, um damit heutige Renten zu finanzieren. Die Beitragszahler heute erwerben damit den Anspruch auf eine eigene Altersrente in der Zukunft (Generationenvertrag). Probleme des Umlageverfahrens ergeben sich vor allem dann, wenn Arbeitslosigkeit und eine schwache Einkommensentwicklung die gesetzliche Rentenversicherung in Finanzprobleme bringen. Das sind gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, die es heute entschlossen zu bekämpfen gilt.

Die private Vorsorge setzt dagegen auf Versicherungsprämien an Versicherungsunternehmen und Kapitalanlagegesellschaften, die das Geld vornehmlich in Aktien, Anleihen oder Immobilien anlegen. Auf dieser Basis soll dann von ihnen später die Altersrente aus den Zuwächsen der Anlagen gezahlt werden.  Diese Form der Altersvorsorge ist jedoch mit vielen Risiken verbunden, die mit der Entwicklung des Kapitalismus und der Finanzmärkte zusammenhängen. Man kann dem Risiko noch weniger entgehen, wenn die Versicherungen und Kapitalanlagegesellschaften Aktien und Anleihen im Ausland erwerben, aus Profitgründen versteht sich.

Die Werbestrategen der Kapitalanlagegesellschaften preisen die private Vorsorge, die sich allerdings viele Bürgerinnen und Bürger gar nicht leisten können. Die Menschen mit niedrigem Einkommen im Kapitalismus heute können nur geringe und vielfach keine Ersparnisse bilden. Private Vorsorge ist somit etwas für Besserverdienende und Spitzenverdiener, die allerdings auch in ein tiefes Loch fallen, wenn eine Krise auf den Finanzmärkten zuschlägt. Erfahrungen anderer Länder, die auf die Kapitaldeckung für die Bevölkerungsmehrheit gesetzt haben, haben gezeigt, dass am Schluss eine soziale Katastrophe stand. Beispiele dafür waren viele Menschen in den USA und auch in verschiedenen lateinamerikanischen Staaten, zum Beispiel in Chile.

Gegen private Vorsorge spricht auch, dass damit hohe Verwaltungskosten verbunden sind und vor allem das Ziel der Kapitalanlagegesellschaften, hohen Profit zu erzielen. Das Risiko der Kapitalanlagen der Rentnerinnen und Rentner übernehmen letztlich nicht die Gesellschaften, sondern die Versicherten selbst. Die Konsequenz der privaten Vorsorge sind eventuell die Altersarmut der Versicherten und gesamtgesellschaftlich eine Zunahme der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen.

Auch hier gilt: Im Alter wird soziale Sicherheit nicht durch private Vorsorge erreicht. Es ist notwendig, Schritt für Schritt die private Kapitalverwertung als Prinzip des Wirtschaftens zurückzudrängen, wenn eine Gesellschaft erreicht werden soll, in der auch alte Menschen in Zukunft ohne Armut und soziale Unsicherheit leben können.

MYTHOS 10: DAS GESUNDHEITSWESEN BRAUCHT MEHR MARKTWITSCHAFT.

Das Gesundheitswesen hat in den letzten Jahrzehnten sehr hohe Wachstumsraten zu verzeichnen. Die Gründe für diese Entwicklung können sein:

1.Der technische Fortschritt in der Medizin

  1. Höhere Ansprüche der PatientInnen
  2. Alternde Gesellschaft mit mehr medizinischem Bedarf

Als Vorschlag zur besseren Finanzierung und Ausstattung des Gesundheitswesens wird häufig die Forderung erhoben, hier mehr marktwirtschaftliche Strukturen zu schaffen. Dem widerspricht allerdings, dass gerade jene Staaten, die sich für ihre Marktwirtschaft im Gesundheitswesen rühmen, die Staaten mit den höchsten Ausgaben im Gesundheitssektor sind. Die Länder mit Pflichtversicherungen bei einer gesetzlichen Krankenkasse oder nationalen Gesundheitsdiensten bemühen sich dagegen, ein im wesentlichen einheitlichen Leistungsniveau bei Gesundheitsleistungen zu erbringen. Das Niveau wird auf mehr oder weniger demokratische Weise festgelegt durch Verhandlungen zwischen Leistungsanbietern, Patientenvertretungen, gesetzlichen Krankenkassen und staatlichen Behörden. Das kommt in der Regel kostengünstiger als die uneinheitliche Gesundheitsversorgung mit entsprechenden Spitzenversorgungen und Spitzenkosten für Privatpatienten.

Die Frage ist also: Wie kann das Gesundheitswesen effizient, kostengünstig und sozial gestaltet werden?

Die Pflichtversicherungen sind den Marktwirtschaftlern ein Dorn im Auge. Klar ist allerdings, dass der Wettbewerb zwischen einzelnen Versicherungen in der Regel teurer kommt als Pflichtversicherungen bei einer gesetzlichen Krankenkasse. Die Kosten des Wettbewerbs wie Werbung und Marketing führen dazu, dass pro Versicherten hohe Verwaltungskosten entstehen. Es kommt zu einer Differenzierung bei Versicherungen, bestimmte Versicherungen ziehen gute Risiken an sich (Junge, Gesunde mit gutem Einkommen), während schlechte Risiken (Alte, Kranke und Arme) in der Regel bei AOKs verbleiben. Das ist Klassenmedizin, die zudem noch viel kostet.

Marktwirtschaftler meinen, durch Selbstbehalte der Versicherten käme es auch zu effizienterem Verhalten der PatientInnen. Die Realität zeigt aber, dass das keine effiziente Lösung ist. Der Gesundheitsmarkt ist ein Anbietermarkt, das heißt, Ärzte und Ärztinnen entscheiden über die Sinnhaftigkeit einer Leistung und sind bestrebt, gut dotierte Leistungen zu verkaufen. Auch die Pharmaindustrie trägt nicht zur Kostensenkung bei, hohe Preise werden mit Forschung und Entwicklung begründet. Auch hier gilt, dass die Pharmaindustrie mit ihren hohen Profiten weniger in Grundlagenforschung investiert und dafür mehr in Marketing und Vertrieb.

Es soll zwar nicht bestritten werden, dass es im Gesundheitswesen Potenziale der Effizienzsteigerung gibt, das hat aber weniger mit Wettbewerb zu tun. Wirklich wichtig wären Strukturreformen im Gesundheitswesen:

1.Die Ausweitung der Funktionen von Hausärzten könnte verhindern, dass PatientInnen unnötig lange bei Fachärzten festgehalten werden.

  1. Es sollte mehr Anreize für Ärzte geben, kostengünstig, effizient und nachhaltig zu agieren.
  2. Schnell erreichbare Krankenhäuser zur Grundversorgung und Schaffung von Kompetenzkrankenhäusern für Spezialbehandlungen.
  3. Eine einheitliche Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens um Doppelgleisigkeit und Abschiebung von Verantwortung zu vermeiden.
  4. Zurückdrängung privater Krankenhäuser, die auf Gewinnorientierung setzen und besondere staatliche Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens allgemein und öffentlicher Krankenhäuser im Besonderen.

 

(1) Die Grundlage des Vortrages zu den Mythen des Kapitalismus bildet folgender Text: Beigewum, Mythen der Ökonomie, VSA-Verlag, Hamburg 2005.

 

 

Kapitalistische Mythen 1

18. Juli 2023  Allgemein

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KRITIK KAPITALISTISCHER MYTHEN 1

 

VORBEMERKUNG

Ökonomische und soziale Fragen werden im Alltag, aber auch in den Medien und der Politik häufig sehr kontrovers diskutiert und es wird häufig mit sogenannten Mythen gearbeitet. Dabei handelt es sich um eine ideologische Verdrehung der wirklichen Verhältnisse, die in der Regel das Ziel verfolgt, bestimmte Interessen zu verschleiern und durchzusetzen. Es ist deshalb für Linke von großer Wichtigkeit, solche Mythen zu erkennen und in der politischen Programmatik aber auch in politischen Diskussionen mit den Bürgerinnen und Bürgern über solche Mythen aufzuklären und die sich dahinter verbergenden Interessen offenzulegen (1).

MYTHOS 1: HOHE LOHNKOSTEN SIND DIE WICHTIGSTE URSACHE FÜR DIE PROBLEME AM ARBEITSMARKT. DIE LÖHNE MÜSSEN DESWEGEN GESENKT WERDEN, NUR SO BLEIBT DIE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT DER WIRSCHAFT ERHALTEN.

Tatsächlich sind die Löhne in Westeuropa sehr unterschiedlich. Klar ist auch, dass in der Bundesrepublik im Durchschnitt höhere Löhne gezahlt werden als zum Beispiel in Tschechien oder Rumänien. Das hat allerdings damit zu tun, dass hier mit hoher Arbeitsproduktivität produziert wird und es Gewerk-schaften und arbeiterorientierten Parteien gelungen ist, ein Teil des kapitalistischen Mehrwertes zu erkämpfen. Für die Wettbewerbsfähigkeit sind jedoch nicht der Lohn bzw.-Lohnnebenkosten (z. B soziale Leistungen) von entscheidender Bedeutung, sondern die Lohnkosten pro erzeugtem Stück, also die sogenannten Lohnstückkosten. Da die Arbeitsproduktivität sehr hoch ist, sinken die Lohnstückkosten gegenüber den Handelspartnern laufend. Die Industrie der Bundesrepublik gewinnt also dadurch an Wettbewerbsfähigkeit. Wenn aber trotzdem die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, sinkt, weist das auf die Verteilungsprobleme in der Gesellschaft hin.

Darüber hinaus ist zu sagen, dass Löhne nur ein Kostenfaktor der Unternehmen sind, ihr Kostenanteil im verarbeitenden Gewerbe macht lediglich etwa 2o Prozent aus. Dabei ist der Lohn nicht nur Kostenfaktor, sondern auch ein Teil der gesellschaftlichen Kaufkraft. Wenn Löhne gesenkt werden, ist bei einzelnen Kapitalen, vor allem im Dienstleistungsbereich, eventuell kurzfristig ein Arbeitsplatz gesichert. Gesamtwirtschaftlich führen Lohnsenkungen nur dann zu mehr Produktion und Beschäftigung, wenn die Nachfrage nach den entsprechenden Waren nicht negativ beeinflusst wird. Geringere Lohnstückkosten können gerade in der Exportwirtschaft Auswirkungen auf Produktion und Beschäftigung haben. Es ist allerdings damit zu rechnen, da dadurch Arbeitslosigkeit auch exportiert wird, dass ab einem bestimmten Punkt die Handelspartner Handelsbarrieren errichten. Betrachtet man die Wirtschaft der gesamten EU, so gehen nur 10 Prozent aller im Binnenmarkt hergestellten Waren in den Export, 90 Prozent werden im Binnenmarkt selbst verbraucht. Bei Nationen, bei denen ein höherer Anteil ihrer Waren in den Export geht, erweisen sich Lohnsenkungen in der Regel als kontraproduktiv, weil Handelspartner politisch zu Ungunsten der Exportnation reagieren werden. Auf die Probleme der sogenannten „beggar-my-neighbour-Politik“ hat Keynes schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts hingewiesen.

 

MYTHOS 2:  WIR LEBEN IN EINER LEISTUNGSGESELLSCHAFT. UNTERSCHIEDE IM EINKOMMEN UND VERMÖGEN SIND BERECHTIGT, WEIL SIE ERGEBNIS VON LEISTUNGSUNTERSCHIEDEN SIND.

Wenn wir von der Marxschen Theorie ausgehen, so findet im Kapitalismus eine Mehrwertproduktion statt. Das lässt sich anhand des Kapitalkreislaufes erklären. Zu Beginn des Kreislaufes kauft der Kapitalist Arbeitskräfte und Produktionsmittel am Markt. Die Arbeitskräfte, die den Wert ihrer Ware Arbeitskraft vergütet haben wollen, erhalten einen Lohn und stellen für den Kapitalisten das sogenannte variable Kapital dar. Für die Produktionsmittel zahlt der Kapitalist einen Preis, für sein sogenanntes konstantes Kapital. Die Arbeitskräfte sind sein variables Kapital, weil sie einen Mehrwert produzieren und sein variables Kapital sich dadurch vergrößert, während die Produktionsmittel eben nur Mittel und nicht wertschöpfend sind und deswegen konstant bleiben. Die Bürgerliche Ökonomie kennt keinen Mehrwert, der in der Mehrarbeitszeit des Arbeitenden geschaffen wird, nachdem er in der notwendigen Arbeitszeit den Gegenwert für den Wert der Arbeitskraft erarbeitet hat. Den Mehrwert eignet sich der Kapitalist unentgeltlich an.  Am Ende des Prozesses steht eine Ware oder Dienstleistung, deren Wert am Markt realisiert werden muss, damit der Prozess auf gleicher oder höherer Stufenleiter neu beginnen kann.

Diese Gedankenfolge kennt die bürgerliche Ökonomie nicht. Sie geht davon aus, dass jeder Produktionsfaktor, das sind die Arbeit, das Kapital und der Boden, an der Wertschöpfung beteiligt ist und deswegen auch ein Einkommen erhalten muss. Dass die Produktion des Mehrwerts nicht mehr erkannt wird, dabei spielt die Kategorie des Arbeitslohnen eine große Rolle. Durch ihn scheint alle Arbeit bezahlt zu sein und er gibt dadurch nicht mehr den Weg frei zur Erkenntnis der Produktion des Mehrwertes im Kapitalismus. Es gibt kein Unterschied mehr zwischen Arbeit und Arbeitskraft. Der Arbeitende scheint nach seiner Leistung bezahlt worden zu sein und auf dieser Basis entwickelt sich eine Anzahl weiterer Verdrehungen der Wirklichkeit.

Es wird häufig behauptet, die Lohnhöhe bemesse sich nach der Leistung des Arbeitenden, also der Höhe des Wertes seines Arbeitsergebnisses. Wenn dem so wäre, würde der Kapitalismus nicht funktionieren, denn es gäbe keinen Mehrwert und dann auch keine Produktion bzw. Dienstleistung. Bekanntermaßen wird der Lohn in Verhandlungen festgelegt, und nur wenn er auf einem Niveau liegt, der einen gewinnträchtigen Verkauf der Ware ermöglicht, wird der Kapitalist produzieren lassen.

Es wird auch behauptet, Lohnunterschiede seien notwendig, um Leistungsanreize zu geben. Dem ist zu entgegnen, dass für die Attraktivität einer Arbeit oder eines Arbeitsplatzes nicht nur die Lohnhöhe entscheidend ist, sondern auch die Art der Tätigkeit und die Arbeitszufriedenheit. Zudem ist die Messung einer einzelnen Leistung schwierig bis unmöglich, denn es kommt in der Regel auf die Teamarbeit an, bei der die Leistungsmessung des Einzelnen kaum möglich ist.

Schließlich wird bestritten, dass für die Höhe des Einkommens die soziale Herkunft erhebliche Bedeutung hat. Die gesellschaftliche Realität sieht allerdings anders aus. Das beginnt bereits bei dem Besuch der Schulart, geht weiter mit der Selektion am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und schließlich auch um Unterschiede in der beruflichen und eventuell universitären Ausbildung. In allen Fällen spielt die soziale Herkunft eine wichtige Rolle.

Auch das Geschlecht und die Nationalität drücken sich in der Lohnhöhe aus. Es gibt teilweise beträchtliche Unterschiede in der Bezahlung bei Männern und Frauen und ebenfalls zwischen Nichtausländern und Ausländern. Es wird also deutlich, dass die Bewertung einer Leistung viel mit gesellschaftlichen Konventionen, Machtverhältnissen und Aushandlungsprozessen zu tun hat.

 

MYTHOS 3: DER STAAT SOLLTE KEINE VERSCHULDUNG BETREIBEN. DADURCH ENTSTEHT UNTER ANDEREN EINE UNGERECHTE BELASTUNG FÜR ZUKÜNFTIGE GENERATIONEN.

Durch diese These wird unterschlagen, dass es gute Gründe für eine staatliche Verschuldung geben kann. Da wir in der kapitalistischen Ökonomie mit einem Krisenzyklus zu tun haben, gibt es wirtschaftliche Krisenzeiten, in denen der Staat einspringen muss. Das geschieht dadurch, dass er konjunkturbedingte Ausfälle bei Steuereinnahmen und Mehrausgaben für Arbeitslose und andere SozialleistungsempfängerInnen durch staatliche Verschuldung überbrückt. Zudem kann der Staat versuchen, die Konjunktur wieder in Gang zu bringen durch Ausgaben für die Ankurbelung des Konsums und der Investitionsgüterindustrie. Die Kosten, die die Verschuldung für staatliche Investitionen hervorruft, werden tatsächlich teilweise auf künftige Generationen übertragen, aber auch der zukünftige Nutzen. Wenn mit Krediten öffentliche Investitionen finanziert wurden, zum Beispiel Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Verkehrsnetze, dann können zukünftige Generationen diese Infrastruktur nutzen.

Häufig wird der Staatshaushalt mit einem Privathaushalt verglichen, es könne nicht mehr ausgegeben werden als eingenommen werde. Dem ist zu widersprechen, weil staatliche Haushaltspolitik öffentliche Aufgaben zu erbringen hat und auch in gewissem Maße zur Steuerung der Wirtschaft beiträgt. Gewinnerzielung aber auch ein Nulldefizit sind keine wirklichen Staatsziele. Eine staatliche Sparpolitik kann Folgen haben, die kontraproduktiv wirken. Staatliche Sparpolitik kann sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken, was die Steuereinnahmen senkt und die Unterstützung für Arbeitslose steigert und damit die Sparpolitik konterkariert und eventuell zu noch höherer Verschuldung führt. Die Politik in der Weltwirtschaftskrise 1929-32 sollte ein warnendes Beispiel sein.

Zur Beurteilung der Tragfähigkeit von Staatsverschuldung ist nicht die wachsende Staatsverschuldung ausschlaggebend, sondern das Verhältnis des Schuldenstandes zum Bruttoinlandsprodukt. Problematisch wird es dann, wenn die Neuverschuldung permanent höher ist als das Wirtschaftswachstum. Das haben viele Staaten gespürt, die sich in der Schuldenkrise befanden oder noch befinden. Eine Streichung der Schulden und eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik sind dann in der Regel angesagt. Aber auch das Zinsniveau spielt eine wichtige Rolle. Liegt die Zinsrate minus Inflationsrate höher als die Wachstumsrate der Wirtschaft, dann steigt die Belastung durch Zinsen schneller als die Staatseinnahmen und dem kann dann nur durch Steuererhöhungen und /oder Ausgabenkürzungen geantwortet werden. Wenn man keinen sozialen Kahlschlag will, muss dann eine Steuererhöhung für Besserverdienende und Spitzenverdiener ins Auge gefasst werden. Da wird dann klar, welche Interessen sich in der staatlichen Politik durchsetzen können.

MYTHOS 4: DER FINANZMARKT IM ALLGEMEINEN UND DIE BÖRSE IM BESONDEREN MACHEN UNS ALLE REICH.

Die Börse wird vor allem von Besserverdienenden und Spitzenverdienern als Quelle des Reichtums angesehen. Bei Börsen handelt es sich um Handelsplätze, an denen Eigentumstitel, Gläubigerpapiere, Öl, Gold und Devisen gehandelt werden. Für Aktienbörsen können wir feststellen, dass sie ursprünglich einem kleinen Club von Börsenakteuren vorbehalten waren. Es war im allgemeinen Bewusstsein diese Exklusivität, weshalb religiöse, kleinbürgerliche und rassistische Vorurteile mit ihnen verbunden wurden. Diese Vorstellungen betrachteten die Börsen als Fremdkörper der Gesellschaft, im Gegensatz zu Marx, der sie als notwendige Existenzform in der kapitalistischen Produktionsweise ableitete. Dass AktionärInnen am Gewinn interessiert sind, haben sie mit anderen Unternehmens- Eigentümerinnen gemeinsam. Marx nannte die Wertpapiere, die dort gehandelt werden, fiktives Kapital, weil das wirkliche Kapital in die Produktion des Mehrwertes eingebunden ist.

Historisch gesehen waren Aktiengesellschaften Organisationen, die dazu dienten, große Kapitalmengen für große Projekte aufzubringen. Inzwischen sind Börsen nicht nur Handelsplätze, an denen Eigentumsrechte nicht nur unkompliziert übertragen werden können, sondern inzwischen ist die Kursspekulation Trumpf. Insbesondere in Zeiten steigender Aktienkurse sind Aktien auch für einen größeren Bevölkerungskreis populär geworden. Das drückt sich unter anderen in der Berichterstattung der Medien aus, die Börsennachrichten sind heute Teil der Hauptnachrichten. Die Finanzindustrie expandiert und das Eigentum an Aktien ist breiter gestreut. Zudem ist die Idee, Aktieneigentum breiter zu streuen, Teil der neokonservativen Politik. Auf diese Weise sollen mehr Menschen stärker an eine kapitalfreundliche Politik gebunden werden. Diese Entwicklung wurde in den 1990er Jahren in dem Begriff des „Shareholder-Value“ verdichtet. „Shareholder-Value“ wurde zu einem Slogan, der den Glauben transportierte, Vermögensbesitz verleihe einen Anspruch auf Ertrag, dem sich alle anderen Ziele unterzuordnen hätten und sei mit Gemeinwohl gleichzusetzen.

Dass man bei einer Börsenbeteiligung schnell reich werden könnte, scheinen doch nicht so viele Menschen zu glauben, denn nur etwa 18 Prozent der deutschen Haushalte haben überhaupt Aktieneigentum. Die reichsten 1 Prozent der Bevölkerung haben die Mehrheit des Aktienkapitals in ihren Händen. Die Mehrheit der Bevölkerung bezieht weiter über Löhne und Gehälter den Großteil ihres Einkommens.

Einige Beobachter meinen, die Börsenentwicklung fördere das Wirtschaftswachstum. Aufgrund verschiedener Untersuchungen lässt sich aber kein Zusammenhang zwischen Börsenentwicklung und dem gesamtwirtschaftlichen Wachstum und der Produktivitätsentwicklung feststellen. Es gilt weiter der Satz von Keynes, dass dort wo Spekulation herrscht keine prosperierende Wirtschaftsentwicklung zu erwarten sei. Die Erklärung des „Shareholder-Values“ zum obersten Unternehmensziel stößt auf strukturelle Probleme.  Um den „Shareholder-Value“ zu steigern, sind folgende Optionen von Bedeutung:

1.Der Verkauf unprofitabler Unternehmensteile

  1. Die Übernahme anderer Firmen
  2. Der Druck auf die Beschäftigten

Zusammengefasst gilt: Der „Shareholder-Value“ reiht sich letztlich ein in eine Reihe von Maßnahmen und Entwicklungen, die sich durch viele gesellschaftlichen Bereiche ziehen und die Machtverschiebung von der Arbeit zum Kapital ausdrücken.

MYTHOS 5: DER UNEINGESCHRÄNKTE FREIHANDEL FÜHRT ZU WOHLFAHRTSSTEIGERUNGEN IN ALLEN BETEILIGTEN LÄNDERN.

Die Forderung uneingeschränkten Freihandel zu betreiben, kommt in der Regel von Vertretern hochentwickelter kapitalistischer Staaten und internationalen Organisationen, wie zum Beispiel dem Internationalen Währungsfonds (IWF), die in einer engen Beziehung zu diesen Staaten stehen. Argumentiert wird meistens mit der Theorie komparativer Kostenvorteile, die auf David Ricardo (1772-1823) zurückgeht. Von ihm wird behauptet, dass Freihandel allen Beteiligten nutze, weil jedes Land aufgrund seines Standortes eine Ware besonders gut produzieren könne. Wenn jedes Land sich auf die Ware konzentriere, bei deren Produktion es besondere Vorteile habe, könne bei einem weltweiten freien Handel international ein maximaler Wohlstand erzielt werden.

Bevor näher auf diese Theorie eingegangen wird, ist es sinnvoll, auf die Geschichte des Freihandels näher einzugehen. Das Postulat, dass Freihandel und Marktöffnung zu einem schnellen Wachstum auch in ärmeren, sich in einer nachholenden Entwicklung befindlichen Ländern führe, wird gerade auch durch die Entwicklung der entwickelten kapitalistischen Staaten widerlegt. Großbritannien und auch die USA haben kräftigen Protektionismus betrieben, besonders im 19.Jahrhundert, und erst nachdem die ökonomische Vorherrschaft gesichert war, wurden die Handelsbeziehungen liberalisiert. Auch die sogenannten Tigerstaaten (Südkorea, Hongkong, Taiwan und Singapur) öffneten ihre Märkte erst, nachdem die nationale Industrie geschützt und aufgebaut wurde. Das Gleiche gilt auch für die Wirtschaft der VR China. Der südkoreanische Ökonom Chang nannte dieses Prinzip der entwickelten kapitalistischen Länder „Kicking away the ladder.“ Das heißt, die Leiter des Protektionismus wurde erst später umgestoßen.

Die Frage, warum Ricardos Theorie kein Hilfsmittel unentwickelter Staaten sein kann, gilt es nun zu beantworten.

Bei den entwickelten kapitalistischen Staaten werden hochwertige Waren  (Fertigwaren) produziert, während die weniger entwickelten Staaten einfache Waren, in der Regel Rohstoffen, herstellen. Die Exporteure einfacher Waren sind benachteiligt, da die Wertschöpfung ihrer Waren und damit der Ertrag gering ist. Wichtig ist das Verhältnis von Exportpreisen zu Importpreisen, die sogenannten „Terms of Trade“. Sie geben an, wieviel Importwaren ein Land durch seinen Export erwerben kann. Es ist festzustellen, dass sich die „Terms of Trade“ dramatisch zu Ungunsten der weniger entwickelten Staaten verschoben haben. Hinzu kommt, dass weniger entwickelte Staaten häufig Monokulturen entwickelt haben und eigene Industrien nicht aufbauen konnten, weil entwickelte kapitalistische Staaten ihre Hegemonie voll ausgespielt haben. Das Resultat ist ein Auseinanderklaffen von armen und entwickelten Ländern der Chancen auf den Weltmärkten. Es gilt für die Zukunft, den weniger entwickelten Staaten wirkliche Chancen auf den Weltmärkten zu ermöglichen. Das heißt allerdings, der Freihandelsideologie abzuschwören und für die entwickelten kapitalistischen Staaten, Schritt für Schritt die maximale private Kapitalverwertung als Prinzip des Wirtschaftens zurückzudrängen.

(1)Die Grundlage des Vortrages ist der Text: Beigewum, Mythen der Ökonomie, VSA-Verlag, Hamburg 2005.

 

 

 

 

 

 

Die Zukunft der russischen Gesellschaft und ihrer Machtelite

17. Mai 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

WIE GEHT ES WEITER MIT DER RUSSISCHEN GESELLSCHAFT UND IHRER        MACHTELITE? (1)

Es ist der Administration von W. Putin bisher nicht gelungen, die strukturellen Widersprüche des russischen Kapitalismus wirklich anzugehen. Diese Widersprüche bestehen in der sozialen Ungleichheit, den regionalen Disparitäten sowie den separatistischen Bestrebungen in der russischen Föderation. Es besteht weiterhin eine Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten. Proteste der Bevölkerung, die vor allen in den Jahren 2013 und 2014 stattfanden, führten zu einer starken staatlichen Repression und einer politischen Entwicklung weit nach rechts. Der sogenannte Krim-Konsens 2014 wurde allerdings von einer Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert, das heißt, Russland sollte wieder eine Weltmacht werden, imperiale Bestrebungen der Machtelite wurden unterstützt und es herrschte das Gefühl, Russland werde von außen bedroht. Die Position Putins wurde auf diese Weise gestützt. Da aber eine Abkehr vom Modell der Rohstoffabhängigkeit und ein wirklicher Bruch mit der neoliberalen Tradition seit Jelzin nicht stattfand, steht die Herrschaft Putins und seiner Machtelite aufgrund der miserablen Lebensverhältnisse auf wackligen Füßen. Eine weitgehende Reindustrialisierung steht auf der Tagesordnung.

Bedeutender als die künftige Wirtschaftspolitik Russlands ist die Sanktionspolitik der USA und der EU und ihre sozialen Folgen. Eine Lösung der gesellschaftlichen Widersprüche wird dadurch kaum möglich sein.  Felix Jaitner stellt in diesem Zusammenhang die Frage, was von der Perestroika Gorbatschows übriggeblieben ist und wie die Zukunft Russlands aussehen wird? Er stellt fest, dass eine Vielzahl von Fragen, die damals aufgeworfen wurden, auch angesichts des Ukraine-Krieges zu beantworten wären.

1.Der russische Multikulturalismus sei gescheitert. Bis heute werde die Russische Föderation von Moskau aus regiert, in den einzelnen Regionen stünden oftmals regionale Größen an der Spitze, die die autoritäre Regierungspraxis Moskaus unterstützten.

2.Eine intensive Auseinandersetzung mit dem repressiven Charakter der damaligen Sowjetunion und des Stalinismus sei unterblieben. Die herrschenden Eliten Russlands hätten sich dieser Diskussion immer verweigert, weil eine tiefgreifende Demokratisierung des Landes nicht in ihrem Interesse liege, insbesondere wegen der kriminellen Methoden, mit denen staatliches Eigentum in privates Eigentum verwandelt worden sei.

  1. Die Modernisierung der russischen Wirtschaft sei ungelöst. Eine Demokratisierung erfordere eine Revision des Privatisierungsprozesses, wozu weder Staatsbürokratie, Regierung und Oligarchie bereit seien. Diese Machtelite wolle an ihrem Rohstoffmodell festhalten. Die Hoffnung, dass die Machtelite eine liberal repräsentative Demokratie schaffen könnte, sei unbegründet. Es werde bei einer autoritären Form des Kapitalismus bleiben.

4.Das Scheitern der Perestroika Gorbatschows sei deshalb so dramatisch, weil damals die Chance verpasst worden sei, die grundlegenden Probleme der russischen Gesellschaft zu lösen.  Der augenblickliche Machtblock löse kein Problem und die Machtpolitik im postsowjetischen Raum mache weitere Konflikte in der Zukunft wahrscheinlich.

(1) Dem Kurzaufsatz liegt der Text von Felix Jaitner, Russlands Kapitalismus, VSA-Verlag, Hamburg 2023, S.170-173 zugrunde.

Wie Unternehmer und Anleger den Kapitalismus sehen und was Linke dazu sagen sollten?

16. April 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

WIE UNTERNEHMER UND ANLEGER DEN KAPITALISMUS SEHEN UND WAS LINKE DAZU SAGEN SOLLTEN?

In den sogenannten „Fuchsbriefen“ für Unternehmer und Anleger wird 2021 behauptet: „Marx verliert die letzte Schlacht.“ Es wird festgestellt, dass Technik, Sprache und Kunst im Wirtschaftsleben höchst anpassungsfähig aufgenommen werden und damit das Ende „orthodoxer linker Positionen“ eingeläutet sei. Die Eigentumsfrage werde heute nicht mehr gestellt und der Marxismus endgültig besiegt. Verantwortlich dafür sei der „progressive Neoliberalismus“, bei dem neoliberale und progressive Kräfte erfolgreiche Bündnisse miteinander eingingen. Amazon beispielsweise fördere Geschäfte, die von schwarzen Personen, Frauen, queeren Gemeinschaften oder der neuen Musikkultur betrieben würden. Für die Partei Die Grünen, ursprünglich links orientiert, ginge es heute um einen grünen Kapitalismus. Enteignungen, zum Beispiel von Wohnungsbaukonzernen, werde heute nur von Minderheiten gefordert. International läge die Linke ebenfalls am Boden, zum Beispiel in Italien, Österreich oder Skandinavien. Ausnahmen seien die iberische Halbinsel und Teile Südamerikas. Der Kapitalismus setzte sich heute sogar in autoritären Systemen wie in China durch.

Die Frage ist also, was in den „Fuchsbriefen“, also bei Unternehmern und Anlegern, unter Marxismus und Kapitalismus verstanden wird und ob das Ende des Marxismus tatsächlich eingeläutet ist?

Festzuhalten ist, dass Marx nicht von einer Marktwirtschaft sprach, sondern vom Kapitalismus. Damit ist gemeint, dass das Kapitalverhältnis immer durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft an den Kapitalisten eingeleitet wird. Wenn der Produktionsprozess beginnt, gehört die Arbeitskraft des Arbeitenden dem Kapitalisten, die zu dem Zweck eingesetzt wird, einen Mehrwert zu erzielen, den er sich unentgeltlich aneignen kann. Nur aus diesem Grunde kauft der Kapitalist die Ware Arbeitskraft. Im Produktionsprozess zerfällt die Arbeitszeit in zwei Teile, einerseits die notwendige Arbeitszeit, in der der Arbeitende den Gegenwert für den Wert der Arbeitskraft schafft, und andererseits die Mehrarbeitszeit, in der er den Mehrwert schafft. Am Ende des Prozesses steht eine Ware, zum Beispiel ein Konsumgut oder Produktionsgut, die den Mehrwert enthält und der dann am Markt erlöst werden muss. Wenn das gelingt, kann der Prozess von neuem beginnen, entweder auf einfacher oder erweiterter Stufenleiter. Das ist die Grundstruktur des sogenannten Kapitalkreislaufes, der auch heute die Grundlage des Kapitalismus bildet. Von dieser Grundstruktur haben die Unternehmer und Anleger der „Fuchsbriefe“ nichts verstanden, ebenso wenig wie die kurz- und langfristigen Entwicklungstendenzen, die daraus erwachsen. Diese Grundstruktur führt zu einer beschleunigten Akkumulation des Kapitals, zu einem Krisenzyklus und auf lange Sicht zu einer strukturellen Überakkumulation des Kapitals. Das bedeutet, dass es an einem bestimmten Punkt der Entwicklung nicht mehr gelingt, den Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate durch das Wachstum des Gesamtkapitals zu kompensieren und das Wachstum der Produktivkräfte nur noch durch eine grundlegende Veränderung der Wirtschaftsordnung, die nicht durch die Mehrwertproduktion bestimmt ist, weitergeführt werden kann.

Marx hat nun im „Kapital“ aufgezeigt, dass diese Zusammenhänge weder von der bürgerlichen Ökonomie, der bürgerlichen Politik und auch nicht von größeren Teilen der Bevölkerung unmittelbar erkannt werden können. Das hat drei Gründe:

1.Der Kreislauf des Kapitals ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem scheinbar die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden jeder für sich zur Wertschöpfung beiträgt.

  1. Die Kategorie des Arbeitslohnes ruft den Schein hervor, alle Arbeit sei bezahlt worden und lässt keine Mehrwertproduktion des Arbeitenden erkennen.
  2. Der Wert der Ware Arbeitskraft enthält immer ein moralisch-kulturelles Moment, der bei entsprechenden sozialen und politischen Kräfteverhältnissen eine Verbesserung der Lebensverhältnisse größerer Teile der Bevölkerung ermöglicht.

Alle Momente des sogenannten „progressiven Neoliberalismus“ haben nur solange Bestand, solange der Kapitalismus nicht seine Systemgrenze erreicht. Das heißt, diese Grenze ist erreicht, wenn der Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate nicht mehr durch das Wachstum des Gesamtkapitals kompensiert oder überkompensiert werden kann und sich die Produktion des Mehrwertes als gesellschaftliche Schranke erweist. Diese Situation ist dann mit einer enormen Verschlechterung der Lebensverhältnisse größerer Bevölkerungsteile national und international verbunden. Inzwischen haben wir eine Situation, in der die Einkommens- und Vermögensverteilung weit auseinanderklaffen, der Staat den weiteren Niedergang durch Interventionen hinauszögert und die Zentralbanken versuchten, durch ihre Niedrigzinspolitik und den Ankauf von Wertpapieren Banken vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Augenblicklich schwanken sie zwischen einer Antiinflationspolitik und einer weiteren Erhöhung der finanziellen Liquidität. Je krisenhafter die Entwicklung wird und auch von vielen Menschen als solche empfunden wird, umso stärker kann das Bewusstsein entstehen, dass das ökonomische und politische Kräfteverhältnis zu verändern ist. Wenn es der Linken gelingt zu verdeutlichen, dass die Reformpolitik und die Schutzrechte in dieser Gesellschaft nicht ewig Bestand haben werden, kann es zu grundlegenden Strukturveränderungen weg vom Kapitalismus kommen. Dazu ist allerdings notwendig, rechtpopulistische und faschistische Entwicklungen zu stoppen und eine nachvollziehbare linke Alternative, die auch die Fehler des Realsozialismus deutlich darstellt, mehrheitsfähig zu machen. Dann wird am Ende gesagt werden können: „Marx gewinnt die letzte Schlacht.“ (1)

(1)Wer sich grundlegend über die Darstellung und Aktualisierung der marxistischen Analyse informieren möchte dem sei u .a. folgender Text empfohlen:

Stephan Krüger, Wirtschaftspolitik und Sozialismus, VSA-Verlag Hamburg 2016.

 

Die russische Aggressionspolitik und die Friedensperspektive

28. Februar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE RUSSISCHE AGGRESSIONSPOLITIK, POLITISCHE REAKTIONEN UND DIE PERSPEKTIVEN FÜR EINE FRIEDENSPOLITIK.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist nur zu verstehen, wenn die Strukturen des Kapitalismus und die historischen Knotenpunkte benannt werden, wodurch erst bestimmte Voraussetzungen der Aggressionspolitik geschaffen wurden. Da das oberste Ziel des Kapitalismus darin besteht, privates Kapital möglichst gewinnbringend zu verwerten, gehört es seit jeher zu zum Strukturmerkmal des Kapitalismus, dass Hindernisse auf dem Weg zur optimalen Verwertung privaten Kapitals national durch Beschränkung von Arbeitnehmerrechten bis hin zum Faschismus und international durch gewaltsame imperiale Politik beiseite geräumt werden. Eine außerökonomische Gewalt ist in der Regel dann an der Tagesordnung oder zu mindestens denkbar, wenn der Kapitalismus von der prosperierenden in eine krisenhafte Entwicklung übergeht.  Vor diesem Hintergrund muss auch die nationale und internationale Politik seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab 1990 gesehen werden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und ihres Staatensystems ergaben sich verschiedene wichtige historische Knotenpunkte, die eng mit der Politik der NATO-Staaten und der Hegemonie der USA verknüpft sind.

1.Der 2+4-Vertrag von 1990

Er stellte die Einheit Deutschlands wieder her. Der Vertrag zwischen den vier Alliierten und den beiden deutschen Staaten kam nur zustande, weil keine Nato-Osterweiterung vorgesehen war.

  1. Das Budapester Memorandum von 1994

Die vier Alliierten verpflichteten sich, die Souveränität von Belarus, Kasachstan und der Ukraine zu achten, die dafür auf Atomwaffen, an die sie nach dem Ende der Sowjetunion gekommen waren, verzichteten.

  1. Die Nato-Russland Grundakte 1997

Hier ging es um eine enge Kooperation zwischen der Nato und Russland bei der Abrüstung mit konventionellen und atomaren Waffen. Die Nato-Staaten versprachen, sich bei der Stationierung von Truppen und Waffensystemen in Osteuropa zurückzuhalten. Fakt war jedoch bald, dass die Nato unter der Führung der USA 14 Staaten in Osteuropa und Südosteuropa in die Organisation aufnahm.

  1. Der Nato-Gipfel in Bukarest 2008

Auf der Tagesordnung stand u.a. der Beitritt der Ukraine und Georgiens zur Nato. Die USA versuchten den Beitritt durchzusetzen, Frankreich und die Bundesrepublik lehnten das ab, weil von Russland darin eine existentielle Bedrohung gesehen wurde.

5.Das Minsker Abkommen von 2015

Es muss als wichtiger Schlüssel zum Verständnis der russischen Aggression gegenüber der Ukraine angesehen werden. Da es vorher schon zur Aggression und Vereinnahmung der Krim durch Russland und zum Bürgerkrieg in der Ostukraine gekommen war, sollte das Abkommen zum Waffenstillstand und zu Verhandlungen zwischen den prorussischen Teilen des Donbass und der ukrainischen Regierung führen. Das Ziel war, auf russischen Druck, eine Autonomie des Donbass zu erreichen. Das Abkommen kam zustande zwischen den Regierungen Frankreichs, der Bundesrepublik, und den Präsidenten der Ukraine und Russlands und sah vor, den Status der Provinzen in der Ostukraine durch regionale Wahlen zu klären auf der Grundlage der ukrainischen Gesetzgebung. Das Abkommen wurde allerdings weder von der ukrainischen Seite noch von der russischen Seite und prorussischen Seite des Donbass wirklich umgesetzt. Im Gegenteil, die Blockade des Abkommens führte zu einem 7-jährigen Stellungskrieg im Donbass mit vielen Toten. Es folgte 2022 die endgültige Aufkündigung des Abkommens durch Putin und der Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine.

Der Krieg hat somit historische Voraussetzungen, an denen die Nato-Staaten unter der Hegemonie der USA nicht unbeteiligt sind. Parallel dazu vollzogen sich nach dem Zerfall der Sowjetunion gewaltige gesellschaftliche Umbrüche in Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die für den Aggressionskrieg Russlands entscheidend sind.

Die gesellschaftlichen Umbrüche (1)

 Im Jahre 2022 waren die Machtverhältnisse in Russland, die sie nach 1990 entwickelten, nicht mehr im Blick vieler Beobachterinnen und Beobachter. Man fixierte sich auf die Person Putins und seiner meist männlichen Berater. Mit dem Amtsantritt Putins im Jahre 2000 wurde eine Trennlinie gezogen, wobei die Zeit vorher als Zeit des demokratischen Aufbruchs in Russland gesehen wurde. Dadurch wurde allerdings unterschlagen, dass die Machtverhältnisse in Russland schon sehr früh nach dem Untergang der Sowjetunion durch eine enge Verbindung von Staat und Oligarchen geprägt waren. Durch die neoliberalen „Reformer“ der Jelzin-Administration vollzog sich mittels einer Schocktherapie der Übergang in den Kapitalismus, das heißt, viele gesellschaftlichen Bereiche wurden ungeschützt den Marktgesetzen überlassen. Gegen diese Politik Jelzins entstand Widerstand, der aber mit Gewalt bekämpft wurde.  Im Jahre 1993 ließ Jelzin das Parlament beschießen und konnte danach eine autoritäre präsidentielle Verfassung durchsetzen. Damit war das Ende des Demokratisierungsprozesses im Lande eingeleitet. Ab 1995 erfolgte gegen den Widerstand des Parlaments eine schnelle Privatisierung von staatlichen Unternehmen, vor allem von Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor. Einige Kapitalisten, sogenannte Oligarchen, erhielten besonderen Einfluss auf die Staatstätigkeit. Wegen des Privatisierungsprozesses verarmten auf der anderen Seite größere Teile der russischen Bevölkerung. Die Schocktherapie hin zum Kapitalismus erzeugte einen gewaltigen gesellschaftlichen Niedergang, u.a. auch einen Prozess der Deindustrialisierung. Lediglich im Rohstoffsektor sowie im Eisen, Stahl und Chemiesektor war eine internationale Konkurrenzfähigkeit gegeben. Das Ergebnis war die Konzentration der russischen Wirtschaft auf die Ressourcenextraktion für den Export an kapitalistische Hauptländer.

Seit der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten durch Wladimir Putin ab dem Jahre 2000 wurden die politischen Machtverhältnisse in Russland neu geordnet. Man kann diese Ordnung als oligarchisch-etatistische Ordnung bezeichnen. Von den unregulierten neoliberalen Verhältnissen Jelzins wurde Abstand genommen und es erfolgte eine Stärkung staatlicher Organe. Führende Personen der Oligarchie mussten sich umorientieren mit dem Ziel der Modernisierung der Ökonomie. Politisch Oppositionelle erfuhren eine noch stärkere Unterdrückung, national-konservative und auf den Binnenmarkt orientierte Teile der Oligarchie erlangten die Oberhand. Mit dem Amtsantritt Putins wurde ein neues Verhältnis von Staat und Oligarchie geschaffen. Die neue russische Bourgeoisie versuchte ihre Position abzusichern, vollzog eine enge Kooperation mit Putin und seinen Anhängern und trägt auch seine aggressive Politik nach innen und nach außen mit.

Die Rolle der Oligarchie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion kann auch am Beispiel der Ukraine nachgezeichnet werden. Bei seinem Amtsantritt im Jahre 2019 verspracht der neu gewählte Präsident Wolodimir Selenskij das Land zu reformieren. Doch noch in der Ausgabe vom 29.3.21 stellt die Süddeutsche Zeitung fest, dass die ukrainischen Oligarchen dem Zugriff der Justiz nach wie vor entzogen sind. (2) Zu den Oligarchen zählen zum Beispiel Rinat Achmetow, Ihor Kolomoiskij und Ex-Präsident Petro Poroschenko. Sie kontrollierten noch 2021 große Teile der Wirtschaft und über eigene Sender 70 Prozent des Fernsehmarktes und verhinderten seit Jahrzehnten fast alle wichtigen Reformen im Land. Versuche, das System zu ändern, scheiterten vor allem durch Alliierte er Oligarchen in Behörden, Parlament und Regierung. Bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten am 9.2.23 in Brüssel verwies er auf das sogenannte „Anti-Oligarchen-Gesetz“, das die von der EU verlangten Reformen im Lande gewährleiste. (3) Das Gesetz zeigt erste Wirkungen, indem Achmetow und Poroschenko Kontrollen über ihre Mediengruppen verloren. Der Reichtum der Oligarchen schwindet jedoch weniger durch dieses Gesetz als durch die Zerstörungen des russischen Angriffskrieges. Trotzdem stellt das „Center for Economic Strategy“ (CES) in Kiew fest, dass noch zu wenig getan worden sei, um den Einfluss der Oligarchen zu beseitigen.

Internationale Reaktionen auf den Angriffskrieg

Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass der Westen gegenüber Russland Exportkontrollen erlassen hat, und es wird versucht, das Land von westlichen Technologien abzuschneiden. Russland soll von wichtigen Einnahmequellen abgetrennt werden. Als Gegenreaktion hat Russland die Lieferung von Erdgas eingeschränkt, was die Gas-und Elektrizitätspreise sowie die Inflationsrate im Westen auf ein Rekordniveau gebracht hat. Der Westen unterstützt die Ukraine mit enormen Militärressourcen und verhindert mithilfe des Finanzsystems den Zusammenbruch des Landes. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom Februar 2023 warben die versammelten westlichen Politikerinnen und Politiker, Militärs und Lobbyisten für das Ziel, die Ukraine solange wie nötig militärisch zu unterstützen. Die Sicherheitskonferenz verpasste damit die Chance, sich als ein internationales Forum für Sicherheitsfragen und politische Verständigung zu erweisen. (4) Dagegen ist in vielen Teilen der Welt die Rollenverteilung von Opfer und Täter sowie Gut und Böse nicht so eindeutig wie im Westen. Wang Yi, der höchste außenpolitische Vertreter der Volksrepublik Chinas, sah in dem Ukraine-Krieg eher eine Konfrontation der Nato unter der Hegemonie der USA einerseits und Russlands andererseits. Er erhielt dabei eine breite Zustimmung von den Ländern des globalen Südens. Wang Yi kündigte eine Initiative zur Beendigung des Krieges an, ebenso wie jüngst der brasilianische Präsident Lula da Silva die Gründung eines „Friedensclubs“ vorgeschlagen hatte. In dem Friedenspapier Chinas wird eindringlich vor einer Eskalation gewarnt, eine territoriale Integrität aller Länder gefordert aber auch die Forderung formuliert, dass die Sicherheitsinteressen aller Länder ernst zunehmen seien. Eine ausdrückliche Verurteilung Russlands fehlt allerdings.

Die Perspektiven für eine Friedenspolitik

Die Gefahr, dass es zum Einsatz von taktischen Atomwaffen in der Ukraine kommt, haben sowohl Putin als auch Biden jüngst deutlich gemacht. Die Eskalationsschraube dreht sich immer weiter. Das zeigt auch die Flucht das ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach vorn mit seiner Forderung, die Ukraine schnell in die EU und die Nato aufzunehmen und mit seiner Forderung zur Lieferung von Panzern und Kampfjets. Es drängt sich deswegen eine entgegengesetzte Lösung zur Beendigung des Krieges immer mehr auf, es geht also um Deeskalation und Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien. Einen bemerkenswerten Vorschlag dazu hat jüngst Hans-Peter Krüger in der Zeitschrift Sozialismus gemacht. (5)

  1. Krüger stellt die Frage, wieso der Westen in dieser Lage immer noch auf die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine orientiert? Es sei allgemein bekannt, dass das für Russland seit 2008 (Bukarester Nato-Tagung) bis heute der entscheidende Kriegsgrund sei. Klar müsse sein, dass die Ukraine Sicherheitsgarantien benötige. Es reiche nicht mehr aus, dass nur Frankreich und die Bundesrepublik wie im Minsker Abkommen (2015) für die Vermittlung zwischen den Kriegsparteien zuständig seien, sondern es gehe heute darum, Initiativen für ein Waffenstillstandsabkommen durch Nato-Länder selbst und von Indien, China und Ländern des globalen Südens zu erreichen. Multilateralismus sei heute das Stichwort und nicht mehr die Hegemonie einer einzigen Weltmacht.
  2. Die Ukraine müsse ihren Weg in die EU fortsetzen können. Die Hilfen der EU seien aber strikt an die Bedingung zu knüpfen, dass dort konsequent eine rechtstaatlich-gewaltenteilige politische Demokratie gegen die korrupten Netzwerke der Oligarchie durchgesetzt werde.
  3. In einem Waffenstillstandsabkommen müsse der Konflikt um gegenseitige Gebietsansprüche geregelt werden. Das könnte in einer Übergangsdauer von ca.15 Jahren erfolgen, die in mehrere Etappen zu untergliedern sei. Es gehe dabei um die Rückzüge der Kampftruppen, die Entminungen, die Grundversorgungen und den Wiederaufbau von Wohnungen und Infrastruktur. Zur Erfüllung dieser Aufgaben würden wahrscheinlich UN-Blauhelme und OSZE-BeobachterInnen benötigt. Die gebietsansässige Bevölkerung habe sich in freier Öffentlichkeit an Diskussionen und Wahlen zu beteiligen unter Aufsicht unabhängiger Dritter. So werde der Weg frei zu einem Friedensvertrag, in dem auch die Sezessions-und Reparationsfrage abschließend zu klären sei.
  4. Die ersten drei Schritte müssten durch Russland und die Ukraine eingehalten werden, wodurch auch ein Ende der Sanktionspolitik ermöglicht werde. Das Ziel sei, wieder zu normalen ökonomischen, sozialen und politischen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu kommen, was auch den Reformkräften in Russland und der Ukraine helfen könnte, den Imperialismus der Oligarchien zurückzudrängen. Krüger sagt auch an die Adresse des Westens gerichtet, dass er es seit 30 Jahren unter der Hegemonie der USA versäumt habe, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine wirkliche Alternative und echte soziale und friedliche Perspektive anzubieten.

(1) Siehe hierzu: Felix Jaitner, Russlands Kapitalismus, VSA-Verlag, Hamburg 2023.

(2) Siehe hierzu: Florian Hassel, Die Macht der Oligarchen ist ungebrochen, SZ vom 29.3.21

(3) Siehe hierzu: Eugen Theise, DW vom 25.2.23

(4) Siehe hierzu: Otto König/ Richard Detje, Militärische Stärke statt Dialog, Sozialismus aktuell vom 24.2.23

(5) Siehe hierzu: Hans-Peter Krüger, Supplement der Zeitschrift Sozialismus in Heft 12/2022

 

Wie kann der Ukrainekrieg beendet werden?

17. Februar 2023  Allgemein

Dr. Peter Behnen

Die Linke Freiburg

 

Wie kann der Ukraine-Krieg beendet werden? Ein Vorschlag von Hans-Peter Krüger in der Zeitschrift Sozialismus (1).

 

Die Gefahr, dass es zum Einsatz von taktischen Atomwaffen in der Ukraine kommt, haben sowohl Putin als auch Biden jüngst deutlich gemacht. Die Eskalationsschraube dreht sich. Das zeigt auch die Flucht des ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach vorn mit seiner Forderung zur schnellen Aufnahme der Ukraine in die EU und die Nato und zur Lieferung von Panzern und Kampfjets. Es drängt sich deswegen eine entgegengesetzte Lösungsrichtung immer mehr auf, es geht um Deeskalation und eine schnelle Beendigung des Krieges. Hans-Peter Krüger schlägt folgende Anfangsschritte vor:

1.Er stellt die Frage, wieso der Westen in dieser Lage immer noch auf die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine orientiert. Es sei allgemein bekannt, dass das für Russland seit 2008 (Bukarester Nato-Tagung) bis heute der entscheidende Kriegsgrund sei. Klar sei, dass die Ukraine Sicherheitsgarantien benötige und es nicht mehr ausreiche, dass nur Frankreich und die Bundesrepublik wie im Minsker Abkommen (2015) für die Vermittlung zwischen den Kriegsparteien zuständig sein könnten. Es komme heute auf Initiativen für ein Waffenstillstandsabkommen an, für die Ukraine durch die Nato und ihre Mitglieder initiiert für Russland durch China und Indien in Gang gesetzt. Multilateralismus sei heute das Stichwort und nicht mehr die Hegemonie einer einzigen Weltmacht.

2.Die Ukraine müsste ihren Weg in die EU fortsetzen. Die Hilfen der EU an die Ukraine seien strikt an die Bedingung zu knüpfen, dass dort konsequent eine rechtsstaatliche- gewaltenteilige Demokratie gegen die korrupten Netzwerke der Oligarchen durchgesetzt werde. Es müsse eine Demokratie sein, die eine Ausstrahlungskraft auf Russland habe.

3.In einem Waffenstillstandsabkommen müsste der Konflikt um gegenseitige Gebietsansprüche geregelt werden. Das könnte in einer Übergangsdauer von ca.15 Jahren erfolgen, die in Etappen zu untergliedern sei. Es gehe dabei um die Rückzüge der Kampftruppen, die Entminungen, Grundversorgungen und den Wiederaufbau von Wohnungen und Infrastruktur. Zur Erfüllung dieser Aufgaben würden wahrscheinlich UN-Blauhelme und OSZE-BeobachterInnen benötigt. Die gebietsansässige Bevölkerung hätte sich in freier Öffentlichkeit an Diskussionen und Wahlen zu beteiligen unter Aufsicht unabhängiger Dritter. So werde der Weg zu einem Friedensvertrag frei, in dem auch die Sezessions- und Reparationsfrage zu klären sei.

4.Die ersten drei Schritte müssten durch Russland und die Ukraine eingehalten werden, wodurch auch ein Ende der Sanktionspolitik ermöglicht werde. Normale Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sei das Ziel, was auch den Reformkräften dort helfen könnte, den nationalen Imperialismus und die Oligarchie zurückzudrängen. An die Adresse des Westens sei gesagt, dass er es seit 30 Jahren unter der Hegemonie der USA versäumt habe, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine wirkliche Alternative und echte soziale Perspektive zu bieten.

(1) Hans-Peter Krüger Supplement der Zeitschrift Sozialismus in Heft 12/2022

 

Als Hintergrundinformation empfehle ich auch das Interview mit Günter Verheugen „Willentlich und wissentlich eine Linie überschritten“ in der Berliner Zeitung vom 11.2.23.

 

Linke Reformpolitik und gesellschaftliche Strukturveränderungen

11. Januar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

LINKSPARTEI 2023

 

 Linke Reformpolitik und langfristige Strukturveränderungen der Gesellschaft.

 

 Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP lässt keine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Entwicklung erwarten und enthält keine Transformationsperspektive, die an die Wurzel der Probleme des Finanzkapitalismus herangeht.   Was vor allem fehlt, ist ein nachvollziehbares Konzept der sozialen Veränderung, das zu einer wirklichen Verbesserung der Lebenssituation der großen Masse der Bevölkerung führt. Nur so wird auch der Rechtspopulismus erfolgreich zurückgedrängt werden können. Es ist deshalb die Aufgabe der Linken, ein Konzept zu erarbeiten, bei dem zusammen mit reformorientierten Bündnispartnern im Rahmen einer zukünftigen Regierungsarbeit Schritt für Schritt eine Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände erreicht wird. Sollte es gelingen, für eine Verabschiedung von der neoliberalen Politik eine politische Hegemonie zu erhalten, wird es darauf ankommen, möglichst schnell sichtbare Erfolge zu erzielen, wenn die hegemoniale Position auf Dauer gehalten werden soll. Die noch schwierigere Aufgabe wird sein, die Wahlbevölkerung und eventuelle Bündnispartner davon zu überzeugen, dass langfristig eine Strukturveränderung der Gesellschaft hin zu einem demokratischen Sozialismus und einem Marktsozialismus notwendig ist, um weitere wirtschaftliche, soziale und politische Verbesserungen zu erzielen. Ein linkes Konzept muss deshalb darstellen, wie eine kurz- und mittelfristige Reformagenda zur langfristigen Strukturveränderungen führen muss und wie diese Schritte miteinander zu verknüpfen sind. (1)

 

  1. Der erste Schritt einer Reformagenda besteht darin, die marktbestimmte Verteilungsungerechtigkeit von Einkommen und Vermögen anzugehen. Eine Einkommensumverteilung zu Gunsten unterer Einkommensklassen wird die konsumtive Endnachfrage steigern und die Konjunkturentwicklung stabilisieren. Diese Erfolge sind kurzfristig wirksam und erfahrbar. Die Verteilung zwischen Arbeitslöhnen und Profit/Vermögenseinkünften wird in der Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr als unantastbar angesehen, ebenso wie die politische Verteilung durch staatliche Steuerpolitik und staatliche Transfers. Es sind der Druck auf die Löhne, die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die atypischen Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs, Midi Jobs, unfreiwillige Teilzeitarbeit) entschlossen zu bekämpfen. Die Untergrabung von Mitbestimmungsregelungen ist anzugehen. Es sind folgende Gegenmaßnahmen durchzusetzen: die Begrenzung der Leiharbeit und die gleiche Bezahlung wie für die Stammbelegschaft, das Verbot von Werkverträgen, Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und die Erhöhung des Mindestlohnes. Auf der anderen Seite gilt es, die Vorstands- und Managergehälter, vor allem bei Kapitalgesellschaften, zu deckeln ebenso wie die erfolgsabhängigen Bonuszahlungen.

 

  1. Die Erschließung neuer Techniken (Produktivkräfte) und die Digitalisierung der Arbeitswelt und des Privatlebens sind augenblicklich Schwerpunktthemen der Politik. Während im letzten Jahrhundert die bis ins Letzte getriebene innerbetriebliche Arbeitsteilung und der Aufbau von Mischkonzernen mit hoher Fertigungstiefe das Ziel war, geht es heute um eine Entflechtung von Unternehmen und um die Konzentration auf Kern-kompetenzen Das wird ergänzt durch neue Lieferbeziehungen (Just in time), die Dezentralisierung von Entscheidungen und den Abbau betrieb-licher Hierarchien (Gruppenarbeit). Es geht letztlich darum, die einzelbetriebliche Vergeudung von Arbeitszeit zu vermeiden. Allerdings läuft im Finanzkapitalismus ein widersprüchlicher Prozess ab, einerseits besteht die Hoffnung bei Arbeitnehmern, eine Humanisierung der Arbeitswelt zu erreichen, andererseits besteht aber auch die Befürchtung des Wegfalls von industriellen Arbeitsplätzen und einfachen Dienstleistungen und der Verdichtung von Arbeitszeiten. Es zeigt sich, dass der Finanzkapitalismus die kurzfristige Profitmaximierung, Kostensenkungsstrategien (Cost-cutting) und den Abbau von Arbeitsplätzen zum Ziel hat.  Zudem blockiert die staatliche Politik die Humanisierung der Arbeitswelt und eine sozial-ökolgische Transformation durch eine immer wieder neoliberale Orientierung. Eine fortschrittliche Entwicklung stößt somit an die Grenze privater Kapitalverwertung. 

Es wäre nun eine Aufgabe linker Politik, neue Bildungskonzepte vorzulegen, auf die Qualifikation der Arbeitskräfte zu setzen und auf dem Weg zu einem demokratischen Sozialismus die Technikentwicklung mit der Humanisierung der Arbeitswelt und der sozial-ökologischen Orientierung zu verbinden. Besonders die Klimapolitik hat einen besonderen Stellenwert zu erhalten. Auf diese Weise kann die politische Hegemonie bei unterschiedlichen sozialen Klassen erreicht und erweitert werden und auch außenpolitisch ein Weg zu einem friedvollen Umgang miteinander gesucht werden.

 

  1. Das Ziel der Linken ist eine ist eine wirtschaftsdemokratische Organisation von Unternehmen. Der Weg in dieser Richtung zu gehen wird augen-blicklich erschwert, weil durch die Konzentration von Unternehmen auf Kernkompetenzen eine Aufspaltung in kleinere Einheiten stattfindet. Es kommt zur Aushebelung von Mitbestbestimmungsregelungen, zum Beispiel bei der Montanmitbestimmung und der unterparitätischen Mitbestimmung bei großen Kapitalgesellschaften. Das hat auch negative Auswirkungen auf die Tarifverträge und die Bildung von Betriebsräten. Die Linke sollte somit nicht für die Rückkehr zu alten Regelungen kämpfen, sondern die neuen Regulierungen müssen darüber hinausgehen und den heutigen Perspektiven entsprechen. Es sind die Demokratiegrenzen der sozialen Marktwirtschaft zu überwinden, auch im Hinblick auf die Erschließung neuer Produktivkräfte. Folgende Maßnahmen sind angesagt:

– Die Informations- und Beratungsrechte in den Wirtschaftsausschüssen sind zu erweitern.

– Die Belegschaftszahlen beim allgemeinen Mitbestimmungsgesetz sind zu senken.

– Es sind Arbeitsdirektoren bei Kapitalgesellschaften mit mehr als 1000 MitarbeiterInnen von den Beschäftigten zu wählen und beim Vorstand anzusiedeln.

– Es sind Beteiligungen am Produktivkapital für die Beschäftigten durchzusetzen und eventuell Beteiligungsfonds einzurichten.

 

  1. Zur kurz- und mittelfristigen Reformagenda der Linken muss die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen gehören. Die neoliberale Politik der bisherigen Bundesregierungen vor der Corona-Pandemie versuchte das durch die Politik der „Schwarzen Null“ zu erreichen. Das Ziel wurde erreicht durch ein überraschend höheres Steueraufkommen, eine restriktive Ausgabenpolitik und ein geringes Zinsniveau. Diese Politik hinterließ allerdings national und international verheerende Probleme. Das ist ablesbar an gravierenden Mängeln der öffentlichen Infrastruktur, der zum Teil katastrophalen sozialen Lage verschiedener Bevölkerungsgruppen, einen europaweiten Abbau sozialer Standards und als Folge das Entstehen eines ausgeprägten Rechtspopulismus und Nationalismus.

Die Linke muss demgegenüber eine alternative Finanzpolitik ansteuern.  Zu einer Steuerreform sollte eine lineare Steuerprogression mit einer Reichen-steuer gehören. Eine Vielzahl von Steuervergünstigungen ist abzubauen, sofern sie Besser- und Hochverdiener begünstigen, u. a. auch das sogenannte Ehegattensplitting. Die Absetzbarkeit von Betriebskosten gilt es einzuschränken, die Steuerfreiheit bei Unternehmensveräußerungen abzubauen und die Vermögenssteuer und Finanztransaktionssteuer einzuführen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass alleine dadurch zusätzliche Einnahmen von etwa 85 Mrd. Euro erreicht werden. Welche Zusatzeinnahmen ein konsequenter Kampf gegen Steuerhinterziehungen erbringt muss hier noch offenbleiben. Über allem steht die Zielsetzung, die Umverteilung von unten nach oben zu beenden, den jämmerlichen Zustand der öffentlichen Infrastruktur anzugehen sowie die monetären und realen Transfers für untere und mittlere Einkommensbezieher zu steigern. Eine derartige Steuer- und Investitionspolitik muss als Einstieg in eine öffentliche Strukturpolitik gesehen werden, die die Grundlage für eine moderne Sozialismuskonzeption darstellt.

 

  1. Die öffentlichen Investitionen sind in einem beispiellosen Niedergang. Die öffentliche Infrastruktur befindet sich in einem schlimmen Zustand, das ist zum Beispiel ablesbar an dem Zustand von Schulen und Brücken. Hierbei handelt es sich um das Ergebnis der jahrelangen Austeritätspolitik und der sogenannten Schuldenbremse. Die Konsequenz, die die Linke daraus zieht, besteht darin, dass ein massives öffentliches Investitionsprogramm und Ausgabenprogramm aufzulegen ist. Es sollte ein umfassendes Programm für Bildung, Verkehr, Pflege, Kinderbetreuung, energetische Sanierung, Umwelt, Kommunen und den Arbeitsmarkt ausgegeben werden. Daneben sollte eine europaweite Energiewende betrieben bzw. finanziell unterstützt werden. Da es inzwischen immer stärker zu einer Blockade privater Investitionen kommt und damit die Systemgrenze erreicht wird, sind eine gesamtwirtschaftliche Strukturpolitik, neben der Fiskalpolitik und Geldpolitik, zu einem Politik-Mix zu vereinen. Es ist eine schrittweise Transformation des Kapitalismus in eine sozialistische Marktwirtschaft anzusteuern.

 

  1. Neben den schon angesprochenen staatlichen Geldtransfers und realen Transfers, zum Beispiel für Kinderbetreuung, geht es darum, zu einem grundlegenden Umbau des Sozialstaates zu kommen. Der Sozialstaat muss aus seiner Lückenbüßerfunktion herauskommen. Bisher gilt das Subsidiaritätsprinzip, das heißt, der Staat springt nur ein, wenn private Unterstützung nicht ausreicht. Es sollte in Zukunft nicht mehr die möglichst große Einsparung sozialer Leistungen das Grundprinzip sein, sondern eine wirkliche soziale Absicherung der Bevölkerung vermittelt über Staat und Steuern. Darin ist auch eingeschlossen, der auf längere Sicht Aufbau einer Bürgersozialversicherung. Das betrifft die gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Krankenversicherung und Pflegeversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung. Eine Bürgersozialversicherung soll für alle Gesellschaftsmitglieder soziale Sicherheit im Alter, bei Krankheit, bei Pflegebedarf, bei Berufsunfällen, bei Arbeitslosigkeit und in persönlichen Notlagen bringen. Die Bürgersozialversicherung hat bei einem Maximum an Leistung und Minimum an Verwaltungsaufwand den gesamten Sozialhaushalt der Gesellschaft zu regeln.

 

  1. Die Wohnungsfrage ist inzwischen in der Bundesrepublik als eines der wichtigsten Probleme der Bevölkerung anzusehen. Ein besonderer Wohnraummangel herrscht in Großstädten und Universitätsstädten. Die Folge sind explodierende Mieten, die durch die sogenannte Mietpreisbremse nicht aufgefangen werden konnten. Besonders der Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau und die Privatisierung dieses Bereiches haben zu dem eklatanten Mangel geführt. Die Linke muss deswegen drastische Eingriffe vornehmen und die Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbestandes stoppen sowie durch staatliche Programme den sozialen Wohnungsbau und gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften massiv fördern. Andernfalls werden sich die Bauspekulation und der Mietwucher weiter verschärfen. Kurzfristig sind Maßnahmen gegen die Preistreiberei angesagt, also ein direkter Eingriff in die marktbestimmte Mietpreisbildung.

 

  1. In der Bundesrepublik herrscht inzwischen ein akuter Fachkräfte-mangel. Das lässt sich nur auf lange Sicht ändern. Die zwischenzeitlich geäußerte Hoffnung, dass die massive Zuwanderung von Menschen quasi von selbst das demografische und bildungspolitische Problem löst, ist unrealistisch. Bevor überhaupt von dieser Seite eine Lösung erfolgen kann, ist zuerst eine soziale Integration der Menschen zu schaffen, durch das Erlernen der Sprache, die Vermittlung von Kenntnissen über die neue Heimat, und vor allem auch bei jungen Menschen eine Schul-Berufs- und Universitätsausbildung. Dass sich in den letzten Jahren Parallelgesellschaften gebildet haben lag einerseits an unzureichenden staatlichen Dienstleistungen andererseits aber auch an Ausgrenzungen vieler Menschen aus Gründen der Konkurrenzangst. Die Linke hat deswegen Eckpunkte zur Lösung des Problems zu benennen, zum Beispiel Maßnahmen zur Erweiterung des Wohnraumbereichs und zum Angebot an Bildungs- und Ausbildungsplätzen. Diese Maßnahmen sind in ein Gesamtpaket öffentlicher Investitionen bzw. einer neuen Strukturpolitik einzuordnen. Damit könnte auch der Verdrängungskonkurrenz zwischen Einheimischen und Zugewanderten bzw. Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt Schritt für Schritt der Boden entzogen und erfolgreich der Rechtspopulismus bekämpft werden.

 

Damit schließt sich der Kreis. Die dargestellten Punkte einer kurzfristigen und mittelfristigen linken Reformagenda, die um Einiges zu ergänzen wä-ren, zum Beispiel die Bekämpfung der gewaltigen Umweltprobleme, haben verdeutlicht, dass wir inzwischen an den Grenzen privater Kapitalverwertung angelangt sind und weitere ökonomische, soziale und politische Fortschritte nur durch grundlegende strukturelle Veränderungen zu haben sein werden. An dieser Stelle beginnt die Aufgabe der Linken, genau den Weg und die Perspektive der strukturellen Veränderung darzustellen. Wenn allerdings die Überwindung des Kapitalismus als Perspektive angesprochen wird, stößt man sehr schnell auf Abneigung, die eng mit der Geschichte des realen Sozialismus verbunden ist. (2) Der Marxismus und die Forderung nach einer sozialistischen Strukturveränderung sind weiterhin nur am Rande der Gesellschaft vorzufinden. Der Linken ist es bisher nicht gelungen, Eckpunkte für eine moderne und glaubwürdige sozialistische Politik zu entwickeln. Es besteht zum Beispiel Uneinigkeit darüber, welches Verhältnis der Plan und der Markt im Sozialismus haben sollen, inwieweit die extreme Ungleichheit der Einkommen im Kapitalismus für eine sozialistische Strategie nutzbar zu machen ist, welche Bedürfnisentwicklung im Sozialismus stattfinden soll und welche Position die Linke zur EU und zum Euro einnimmt.  Festzustellen ist jedenfalls, dass die Finanzkrise 2007/2008 und auch ihr Umgang mit der Corona-Pandemie und er Energiekrise zu einem Gesichtsverlust der herrschenden Eliten geführt hat, das Vertrauen in ihre Problemlösungskompetenz massiv gesunken ist und der Rechtspopulismus, der einfache „Lösungen“ anbietet, enormen Zulauf bekommt. Jedenfalls ist die augenblickliche Lage keine Stunde der Linken.

 

Welche Konsequenzen sollte die Linke ziehen, wenn über die kurz- und mittelfristige Reformpolitik hinaus eine langfristige Perspektive aufgezeigt werden soll?

 

Es geht vor allem darum, die Fehler des Staatssozialismus deutlich zu benennen und die Eckpunkte eines modernen Sozialismus darzustellen. Es bestand das Missverständnis in der kommunistischen Weltbewegung, eine marktwirtschaftliche Steuerung der Ökonomie und der Sozialismus seien unvereinbar und es gehe im Sozialismus in erster Linie um einen möglichst umfassenden Volkswirtschaftsplan zur Abschaffung der Ware-Geld-Beziehungen. Hier lag und liegt eine eklatante Fehlinterpretation der Marxschen Theorie vor, die sich in der kommunistischen Weltbewegung hartnäckig hielt und heute noch von einem Teil der Linken vertreten wird. Es wurden sogenannte „sozialistische Errungenschaften“ gefeiert und damit waren extrem niedrige Konsumgüterpreise, sehr niedrige Mieten und ebenso niedrige Verkehrs- und Kulturtarife gemeint. Die Folge war allerdings, dass die Staatshaushalte wegen der Subventionierung der Güter sehr stark belastet wurden, die Qualität der Güter häufig minderwertig war und die BürgerInnen, sofern sie über ausländische Valuta verfügten, in die Intershops getrieben wurden. Es entstand eine latente und auch häufig offene Unzufriedenheit, auch angesichts der Konsumgüter im Kapitalismus und bei vielen Menschen der Drang, das Land zu verlassen. Das Planungssystem war gründlich diskreditiert und die Parteiführungen reagierten mit Beschränkungen der persönlichen Freiheiten, insbesondere auch der Reisefreiheit. Das alles geschah ganz unabhängig von der Propaganda des Kalten Krieges, die vom Westen massiv betrieben wurde.

Wir müssen heute die Konsequenz ziehen und auch propagieren, dass im demokratischen Sozialismus nicht einer Planungsbehörde die Entscheidungen über das Was, Wie und für Wen der Produktion überlassen wird und damit auch die Bestimmung über die gesellschaftlichen Bedürfnisse.  Das liefe auf eine Bevormundung der BürgerInnen hinaus. Es bleibt nur der Weg einer dezentralen Verteilung von Angebot und Nachfrage über Märkte. Andernfalls, das hat der reale Sozialismus gezeigt. wird die Bevöl-kerung quantitativ und qualitativ von bestimmten Bedürfnissen und damit Konsumgütern ausgeschlossen. Das gilt ebenso für Produktionsgüter, wobei hier eine stärkere gesellschaftliche Steuerung von großer Bedeutung ist. Nur unter unentwickelten gesellschaftlichen Verhältnisse und in historischen Ausnahmesituationen, zum Beispiel in Kriegen und Bürgerkriegen, kann eine zentrale Planung notwendig und erfolgreich sein. Bei einer fortschreitenden Differenzierung der Produktionsstruktur, Branchenstruktur und Konsumstruktur wird eine zentrale Planung zunehmend ineffektiv. Es entstehen ökonomische Probleme, die durch nicht offizielle Märkte geschlossen werden. Es entstehen graue und schwarze Märkte, verbunden mit persönlicher Bereicherung und häufig Korruption. Diese Probleme sind nur dadurch zu lösen, wenn die Marktsteuerung das Primat erhält und darauf aufbauend die Steuerung und Korrektur der Märkte stattfindet. Das kann kurz als sozialistische Marktwirtschaft bezeichnet werden.

 

Die Kritik einiger Linker, dass sei ein Rückfall in kapitalistische Verhältnisse ist absurd. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch im Kapitalismus der Markt der einleitende bzw. abschließende Akt der Produktion ist. Es kommt somit auf die Produktionsverhältnisse an.  Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse sind durch die Mehrwertproduktion des Lohnarbeiters gekennzeichnet. Er ist von den Produktionsmitteln getrennt, die sich im Eigentum des Kapitalisten befinden. Die Produktionsmittel werden zu Kapital und der Kapitalist eignet sich den Mehrwert an, reinvestiert einen Teil des Mehrwerts um dann die Akkumulation des Kapitals auf höherer Stufenleiter weiterzuführen. Die Ergebnisse sind die Anhäufung des Kapitals auf der einen Seite und der Zwang, die Arbeitskraft an den Kapitalisten zu verkaufen, auf der anderen Seite. Sozialistische Produktionsverhältnisse gehen in eine diametral andere Richtung. Hier geht es darum, die Mitbestimmung und Entscheidungsmöglichkeiten der Lohnabhängigen schrittweise zu erweitern und das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das Direktionsrecht des Kapitalisten und die Mehrwertproduktion zurückzudrängen. Es wird schrittweise eine wirtschaftsdemokratische Struktur der Unternehmen verwirklicht. Das hat auch Einfluss auf das Bewusstsein der Lohnabhängigen. Im Kapitalismus ist das Bewusstsein von Freiheit und persönlicher Leistung dominant, insbesondere deswegen, weil durch den Arbeitslohn der Schein entsteht, die Arbeit bezahlt zu bekommen. Das Herrschaftsverhältnis im Produktionsprozess und die Aneignung des Mehr-wertes durch den Kapitalisten werden verschleiert. Es wird nicht gesehen, dass nur die Arbeitskraft und nicht die Arbeit bezahlt wird. Je krisenhafter sich allerdings der Kapitalismus entwickelt, desto stärker kann das Be-wusstsein von Unterdrückung in der Produktion zum Tragen kommen. Gewinnt das Bewusstsein die Oberhand, dass die erkämpften Schutzrechte für die Lohnabhängigen nicht ausreichen, werden neue Formen der Überwindung des Kapitalismus gesucht, zum Beispiel durch die Verwirklichung von genossenschaftlichem Eigentum, Belegschaftseigentum, Branchenfonds und auch staatlichem Eigentum.  Illusorisches Bewusstsein wird dann angegangen durch die Veränderung der Organisations- und Eigentumsformen und die Verwirklichung von wirtschaftsdemokratischen Verhältnissen. Eine sozialistische Marktwirtschaft steht somit auf drei Säulen, die wirtschaftsdemokratische Verfassung der Unternehmen, das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und eine wirksame Steuerung der Märkte. Dabei erhält die Strukturpolitik einen besonderen Stellenwert, sie ist für die politische Steuerung der Investitionen zuständig, im Gegensatz zur Strukturpolitik im Kapitalismus, wo sie sie nur am Rande zur Bewältigung von meistens regionalen Krisen eingesetzt wird (z.B. Krise des Bergbaus im Ruhrgebiet). In der sozialistischen Marktwirtschaft über-nimmt sie die Führerschaft bei der gesellschaftlichen Investitionsentwicklung und ist noch der Finanzpolitik und Geldpolitik übergeordnet. Sie bedient sich dabei im Wesentlichen dreier Instrumente, den öffentlichen Beteiligungsgesellschaften, öffentlichen Managementagenturen und Kreditinstituten mit Sonderaufgaben.

 

Insgesamt ist festzuhalten, dass die kurz- und mittelfristige linke Reformpolitik mit Bündnispartnern durchzusetzen ist und Mehrheiten in der Bevölkerung für diesen Weg zu gewinnen sind. Das muss gegen den zu erwartenden Widerstand der bürgerlichen Kräfte und verschiedener Medien auf demokratische Weise gelingen. Die noch schwierigere Aufgabe besteht darin, weitere Elemente einer sozialistischen Umgestaltungspolitik mehrheitsfähig zu machen und zu halten. Die Verteidigung der linken Hegemonie bleibt somit eine Daueraufgabe. Das wird nur dann möglich sein, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass nur eine sozialistische Marktwirtschaft und ein demokratischer Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus eine höhere Produktivität und Effektivität, die Überwindung der Krisenentwicklung und mehr Mitgestaltung und soziale Gerechtigkeit ermöglichen.

Die Wahlerfolge der AFD bei allen Landtagswahlen 2015/2016 und der Bundestagswahlen haben ein Schlaglicht auf die Stimmungslage breiter Bevölkerungsteile geworfen.  Auch von der Ampelkoalition ist kein grundlegender Politikwechsel zu erwarten. Die mittelfristige Alternative zu dieser Politik wäre eine linkspluralistische Reformregierung aus SPD, Linkspartei und Grünen. Es ist damit zu rechnen, dass auch die Wirtschaft der Bundesrepublik auf eine abschüssige Ebene der europäischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung gerät, insbesondere deshalb, weil die bisherige Politik im Grundsatz beibehalten wird. Das bedeutet politisch, dass der Bundesrepublik, als sozial zerklüftetes Land, ein weiterer verrohter Umgang in der Zivilgesellschaft bevorsteht, eine zunehmende Entleerung demokratischer Prinzipien und mit großer Wahrscheinlichkeit eine Fortsetzung des Niedergangs der SPD. „Auch für eine uneinige und regierungsunfähige Partei „Die Linke“ ist unter diesen Bedingungen nicht von einem kommoden Überwintern in der Opposition auszugehen.“ (3)

 

Diesem Szenario steht jedoch mittelfristig die Chance einer linken Reformregierung gegenüber. Dazu bedürfte es allerdings einer wirklichen Beendigung der neoliberalen Politik  und einer von der Bundesrepublik ausgehenden Strukturpolitik, die zugunsten der Stabilisierung schwächerer Volkswirtschaften der Eurozone und der EU betrieben werden muss. Im Inneren der Bundesrepublik müsste eine Weichenstellung zu einem evolutionären Prozess der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umgestaltung in Richtung der Ziele eines demokratischen Sozialismus erfolgen. Dabei käme der Sozialdemokratie als vermutlich stärkstem Partner in einer Reformregierung eine besondere Verantwortung zu.  Sie müsste über ihren immer noch wirksamen antikommunistischen Schatten springen und zusammen mit der Linkspartei den linken Flügel der Grünen stützen und dazu beitragen, die grüne Gesamtpartei in ein Reformbündnis zu integrieren. Die Linkspartei müsste es schaffen, einen tragfähigen Konsens in den eigenen Reihen zwischen Oppositionsbefürwortern und EU-Kritikern einerseits und nicht prinzipiell einen Regierungseintritt ablehnenden „Reformeuropäern“ andererseits hinzubekommen.

 

Die Ausgangssituation in der Bundesrepublik sieht so aus, dass weder eine klare Hegemonie für eine Fortsetzung der bisherigen Politik noch für eine grundlegende Reformalternative existiert. Es ist zwar festzustellen, dass es der bundesdeutschen Bevölkerung nach Meinung vieler Bürgerinnen und Bürger besser geht als dem Rest Europas, aber trotzdem besteht ein großes Unbehagen über die tiefgehende soziale Spaltung in der Gesellschaft. Das könnte auch ein Ansatzpunkt für einen grundlegenden Politikwechsel sein, völlig unabhängig von wahrscheinlichen Kriseneinbrüchen im Finanzsektor und produktivem Sektor (Industrie und kapitalistische Dienstleistungen). Dazu ist es notwendig, die Perspektive eines grundlegenden Politikwechsels im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Es muss die Hoffnung bestehen, dass ein solcher Politikwechsel eine Veränderung zum Besseren erbringen wird, sowohl durch die inhaltlichen Vorschläge als auch durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, das den Vertretern einer neuen Politik entgegengebracht wird.

Vor diesem Hintergrund gilt es, kurz – und mittelfristige Vorschläge und Maßnahmen zu einem stimmigen Gesamtpaket zusammenzubringen. Die Einzelforderungen müssen an drängenden heutigen Problemen ansetzen und auch in kürzerer Frist realisierbar sein. Das sind zum Beispiel der Kampf gegen die Verteilungsungerechtigkeit, für die Demokratisierung der Arbeitswelt, die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen durch eine soziale Steuerreform, die Ausweitung der öffentlichen Investitionen vor allem auch im Umweltbereich,  die  Sicherung der umlagefinanzierten Sozialversicherung mit der Perspektive einer Bürgerversicherung, Fortschritte in der Wohnungsfrage, eine bessere Integration von Flüchtlingen, vorwärtstreibende Reformen in der Eurozone und EU, der Kampf gegen das internationale Wohlstandsgefälle und vieles mehr. Die Einzelforderungen müssen in ihrer Gesamtheit die Perspektive einer mittelfristigen Gesellschaftsveränderung erbringen und die kritische Schwelle für einen grundlegenden Politikwechsel überschreiten. Das Gesamtpaket muss die Forderungen zusammenfassen und die Überzeugung vermitteln, dass nur durch einen demokratischen Sozialismus eine bessere Gesellschaft entstehen kann und die Versprechen, die von Vertretern des Kapitalismus, genannt soziale Marktwirtschaft, gemacht wurden, nur im demokratischen Sozialismus eingelöst werden können. Der Kapitalismus ist mit dem Finanzkapitalismus und seiner jahrzehntelangen Verschlechterung der sozialen Lage an seiner Systemgrenze angekommen, die geradezu nach dem Aufbau eines demokratischen Sozialismus verlangt. Der Politikwechsel ist durch ein Bündnis von SPD, Linkspartei und Grünen zu tragen. Organisationen wie Gewerkschaften und alternative Gruppierungen verschiedenster Art, die sich dem Ziel der Demokratisierung verschrieben haben, sind in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Es geht also nicht darum, eine neue Sammlungspartei zu gründen sondern um die Herstellung eines Konsenses verschiedener Organisationen, die für den Aufbau eines demokratischen Sozialismus zu gewinnen sind und dafür kämpfen, eine politische Hegemonie zu  erreichen und dann dauerhaft zu erhalten.

 

  • Siehe zum Folgenden: Stephan Krüger, Soziale Ungleichheit, Hamburg 2017 S. 529ff.
  • a.O.529ff.
  • a.O. S.573

 

 

 

 

Die Zeitenwende

07. Januar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

                      CHRISTIAN LINDNER UND DIE ZEITENWENDE (1).

So wie in der Verteidigungs- und Energiepolitik der Bundeskanzler und seine Ampelkoalition eine Zeitenwende sehen, so will auch Christian Lindner in der Finanzpolitik eine Zeitenwende durchsetzen. Er hat dabei vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft vor Augen. Er will an mehreren Stellschrauben drehen, das heißt, Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, die Fachkräfteeinwanderung steuern und die Digitalisierung in der Verwaltung und Forschung auf den Weg bringen. Außerdem, und darauf wird er ein besonderes Gewicht legen, will er den „Arbeitsmarkt flexibel“ gestalten und private Investitionen durch „steuerliche Möglichkeiten“ anregen. Anders ausgedrückt: Die Zeitenwende von Lindner ist ein Zurück zur angebotsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik, also zur neoliberalen Politik mitsamt der Schuldenbremse. Lindner ist überzeugt, dass das in der Ampelkoalition zu verwirklichen sei. Dem steht entgegen, dass beispielsweise der Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert in Zukunft mehr Verteilungsgerechtigkeit schaffen und Besserverdienende und Spitzenverdiener und Spitzenverdienerinnen steuerlich stärker belasten will (Badische Zeitung vom 28.12.22). Ein weiterer Punkt von Lindners Zeitenwende besteht darin, in Zukunft Kernkraftwerke in Krisenzeiten länger laufen zu lassen. Auch da wird er auf Widerstand in der Ampelkoalition stoßen, ebenso wie bei seiner Forderung, das Fracking-Verbot aufzuheben. Insgesamt geht Lindner für 2023 davon aus, dass sich mit seinen Vorschlägen die wirtschaftliche Abkühlung nicht weiter fortsetzt sondern eine sogenannte sanfte Landung erreicht wird.

Christian Lindner erweist sich als Teil der herrschenden Elite, der die kapitalistische Produktionsweise nicht antasten und die Privilegien der Vermögenden schützen will. Andere Teile der herrschenden Elite haben die Illusion, die Probleme dieser Wirtschaftsordnung auf längere Sicht durch staatliche und private Verschuldung lösen zu können. Schützenhilfe bieten dabei die VertreterInnen der Modern Monetary Theory (MMT). Dass staatliche und private Geldschöpfung und Kreditexpansion ökonomisch- soziale Grenzen haben, das zeigen allerdings viele Länder, die in eine Schuldenkrise geraten sind. Eine wirkliche Zeitenwende wäre erst dann gegeben, wenn die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Jagd nach dem Mehrwert Schritt für Schritt überwunden würde. Das wird jedoch nur durch Eingriffe des Staates auf der Basis einer grundlegenden Änderung der Steuerpolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik etc. zu Gunsten der Masse der Bevölkerung und einer grundlegenden Änderung der politischen Kräfteverhältnisse möglich sein. Eine solche Zeitenwende ist allerdings weder von Lindner noch von der Ampelkoalition insgesamt zu erwarten.

(1)Der Aufsatz basiert auf dem Interview mit Christian Lindner in der Badischen Zeitung vom 5.1.23. Die gleichen Positionen hat Lindner jüngst auf dem Dreikönigstreffen der FDP wiederholt.