Der Ukraine-Krieg und die Spaltung der Weltwirtschaft

27. Juli 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DER UKRAINE-KRIEG UND DIE SPALTUNG DER WELTWIRTSCHAFT (1)

Die Welt und ihre Wirtschaft stehen augenblicklich an einem Knotenpunkt ihrer Entwicklung. Die beiden größten Volkswirtschaften, die USA und China, ringen um die Hegemonie in der Weltwirtschaft. China sieht sich zwar noch als Schwellenland bei Betrachtung des Wohlstandes der Bevölkerung, es macht seine Unterlegenheit gegenüber den USA aber wett durch sein überlegene Wirtschaftsentwicklung auf seinem Weg zu einer sozialistischen Marktwirtschaft. Der Kapitalismus amerikanischer Prägung mit seiner Hegemonie bei Währung, Auslandsvermögen und militärischem Potential befindet sich gegenüber Chinas Weg zur sozialistischen Marktwirtschaft in einem Abstiegsprozess. Das ist der eigentliche Hintergrund für die Zuspitzung von Krisen und Auseinandersetzungen in geopolitischer Dimension, den Gegensatz von liberalen und autoritären Formen des Kapitalismus einerseits und dem marktorientierten Sozialismus Chinas andererseits.

Die Spaltung der Welt wird aktuell durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine auf einen neuen Höhepunkt getrieben. In unseren Medien ist die Bewertung eindeutig, es ginge um eine Auseinandersetzung von Demokratie und Autokratie. Dabei wird unterschlagen, dass die Ukraine schon lange vor dem Krieg mit Russland ebenso wie Russland selbst ein Oligarchen-Kapitalismus war und bis heute ist. Wie bei allen ehemaligen Sowjetrepubliken war die Transformation zum Kapitalismus mit autoritären politischen Formen verbunden. Die Darstellung der Ukraine als Garant demokratischer Werte im Gegensatz zu Russland trifft die Realität nur unzureichend. Auch in der Ukraine haben Oligarchen und die Korruption weiter ein großes Gewicht. Korruption befindet sich auf jeder Ebene, die Ukraine ist für Transparency International eines der korruptesten Länder Europas. Beim Korruptionsindex von Transparency International belegt die Ukraine den Platz 122 von 180 Plätzen. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass die Ukraine schon vor der Annexion der Krim durch Russland im Jahre 2014 ein notleidender Staat war. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um mehr als zwei Drittel zum Ausgangsniveau von 1991, das war das Ergebnis der gescheiterten Transformation zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Auch in den 2010er Jahren reichte es nur zu einer Stagnation und das BIP der Ukraine fiel 2022 aufgrund des Krieges um 30 Prozent.  So desaströs wie das BIP sind inzwischen die Staatsfinanzen des Landes. Das Land benötigt monatlich 5 Mrd. Dollar von ausländischen Kapitalgebern, um staatliche Stellen und die Armee finanzieren zu können. Das hat auch politische Konsequenzen, die kommunistische Partei der Ukraine (KPU) wurde 2015 nach dem Euro-Maidan verboten und seit dem Ausbruch des Krieges mit Russland alle politischen Parteien, die als Repräsentanten der russischsprachigen Bevölkerung und als russlandfreundlich angesehen werden ebenso.

Die russische Föderation verzeichnete einen Niedergang insbesondere wegen der Schocktherapie von Boris Jelzin, der die Transformation zum Kapitalismus bei weitgehend ungeschützten Freigaben der Märkte und vieler gesellschaftlichen Bereiche vollzog. Durch die Nachfolgeregentschaft von Wladimir Putin wurde eine Konsolidierung erreicht, die aber auch krisenhaft und auf stagnierendem Niveau ablief. Putin, als Vertreter der extraktiv-industriellen Oligarchie, versuchte und versucht die ehemaligen Sowjetrepubliken als seine Einflusssphäre zu behaupten. Auf der anderen Seite rückten die USA und die Nato durch die Nato-Osterweiterung bis nahe an die Westgrenze der russischen Föderation heran. Die Ukraine war ursprünglich ein Pufferstaat, in dem sich die Westorientierung in Richtung der EU und die Anlehnung an Russland im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion lange Zeit die Waage hielten. Im Jahre 2014 kam es zum Euro-Maidan, in dem EU-orientierte Teile der Westukraine mit Unterstützung von Vertreten der USA und der EU den Rücktritt des Präsidenten Janukowytsch erzwangen. Russland reagierte mit der Annexion der Krim und unterstützte separatistische Bewegungen im Donbass. Seitdem herrschte Krieg in der Ukraine zwischen der Zentralmacht und den Separatisten. Schlichtungsversuche im Rahmen von Minsk 1 und Minsk 2 unter Beteiligung Frankreichs und der Bundesrepublik waren ohne Erfolg, wobei gesagt werden muss, dass weder die russische noch die ukrainische Seite ein besonderes Interesse am Erfolg der Verhandlungen hatte.

Dieser scheinbare innerukrainische Konflikt und der staatliche Konflikt zwischen der Ukraine und Russland müssen in die geopolitische Gesamtkonstellation eingeordnet werden. Die USA und die Nato hatten nach 2014 versucht, die Ukraine durch Waffenlieferungen und Militärberater in die Einflusssphäre der Nato zu integrieren. Es folgten Versuche Russlands durch Aufmarsch russischer Truppen an den Grenzen der Ukraine eine schriftliche Verpflichtung der USA zu erreichen, der Nato-Beitrittsperspektive der Ukraine eine Absage zu erteilen. Diese Perspektive war inzwischen in der ukrainischen Verfassung verankert. Die Versuche Russlands wurden abgelehnt mit dem Argument, jedem Staat stehe der Beitritt zu Militärbündnissen frei, zumal die Nato kein Kriegs-sondern ein Friedensbündnis sei. Dieses Argument traf allerdings bei vielen Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika auf Skepsis, da die Nato allgemein und die USA direkt in vielen Fällen versucht hatten, durch politisch-militärische Interventionen Regimewechsel in ihrem Sinne durchzusetzen, Regimewechsel hin zum Kapitalismus amerikanischer Prägung versteht sich.

Im Februar 2022 begann Russland nach Anerkennung der beiden abtrünnigen Provinzen im Donbass die sogenannte „Spezialoperation“. Sie erfolgte mit reaktionären und antikommunistischen Argumenten und sollte darauf hinauslaufen, der Ukraine das Recht auf eine eigene Staatlichkeit zu nehmen. Auf diese Weise traf ein rückwärtsgewandter oligarchisch-etatistischer Kapitalismus auf einen Oligarchen-Kapitalismus, der im Begriff war, die Oligarchie im Lande zurückzudrängen unter Mithilfe der USA und der Nato. Dieser Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist somit als Konflikt zwischen zwei ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion zu verstehen, die die Transformation zum Kapitalismus in mehr oder weniger autoritärer Form vollzogen haben. Die USA und verschiedene NATO- Staaten sind inzwischen selbst zu Kriegsparteien geworden, weil sie durch Wirtschaftssanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen für die Ukraine in den Krieg eingegriffen haben. Das hat zu einer Aufwertung der Nato geführt, zu der auch jüngst Schweden und Finnland beigetreten sind. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass es zwischen Russland und der Ukraine einen längeren Stellungs- und Abnutzungskrieg geben wird, zumindest solange die Kontrahenten noch meinen, den Krieg gewinnen zu können.

Die eigentliche ökonomische und geopolitische Herausforderung für die USA besteht in dem Systemgegensatz zur VR China, weniger in dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Es ist erklärtes Ziel der US-Politik, China nicht die Hegemonie auf dem Weltmarkt zu überlassen, „America-first“ bleibt weiterhin die Zielsetzung jeder amerikanischen Regierung. China versucht einen „Sozialismus chinesischer Prägung“ aufzubauen, erhöhte seine Offensive im Außenhandel und betreibt eine Industriepolitik, um seine Direktinvestitionen in kapitalistischen Ländern und weniger entwickelten Ländern zu erweitern. Die USA und die EU werden dadurch gezwungen Abstand von einer Politik des „Washingtoner Konsensus“ zu nehmen, das heißt, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik nicht nur im eigenen neoliberalen Interesse zu betreiben.

Es bleibt aber nicht bei einem ökonomischen Wettstreit zwischen verschiedenen Wirtschaftssystemen, sondern es geht auch um den Kampf um die Hegemonie in der Weltwirtschaft und der Weltpolitik. Eine internationale Friedenspolitik, ein Kampf gegen Hunger, Armut und den Klimawandel werden allerdings nur durch kooperatives Miteinander möglich sein. Das wird aus linker Sicht nur möglich sein, wenn in den wichtigsten kapitalistischen Hauptländern auf absehbare Zeit die kapitalistische Produktionsweise überwunden und ein demokratischer Sozialismus aufgebaut wird. Das heißt dann aber auch für die VR China, wirtschafts- und zivildemokratische Reformen in Betrieb und Gesellschaft vorzunehmen, die Repression gegen Andersdenkende zu beenden und eine Entwicklung in Gang zu setzen, die auf einen demokratischen Sozialismus hinauslaufen. Das wird nicht gehen, ohne dass die Kommunistische Partei Chinas selbst eine Wandlung vollzieht und ihren Einfluss in der Gesellschaft zugunsten zivildemokratischer Kräfte zurücknimmt.

(1)Der Aufsatz hat als Grundlage den Text von Stephan Krüger: Epochen ökonomischer Gesellschaftsformationen, VSA-Verlag Hamburg, 2023.