Wie Unternehmer und Anleger den Kapitalismus sehen und was Linke dazu sagen sollten?

16. April 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

WIE UNTERNEHMER UND ANLEGER DEN KAPITALISMUS SEHEN UND WAS LINKE DAZU SAGEN SOLLTEN?

In den sogenannten „Fuchsbriefen“ für Unternehmer und Anleger wird 2021 behauptet: „Marx verliert die letzte Schlacht.“ Es wird festgestellt, dass Technik, Sprache und Kunst im Wirtschaftsleben höchst anpassungsfähig aufgenommen werden und damit das Ende „orthodoxer linker Positionen“ eingeläutet sei. Die Eigentumsfrage werde heute nicht mehr gestellt und der Marxismus endgültig besiegt. Verantwortlich dafür sei der „progressive Neoliberalismus“, bei dem neoliberale und progressive Kräfte erfolgreiche Bündnisse miteinander eingingen. Amazon beispielsweise fördere Geschäfte, die von schwarzen Personen, Frauen, queeren Gemeinschaften oder der neuen Musikkultur betrieben würden. Für die Partei Die Grünen, ursprünglich links orientiert, ginge es heute um einen grünen Kapitalismus. Enteignungen, zum Beispiel von Wohnungsbaukonzernen, werde heute nur von Minderheiten gefordert. International läge die Linke ebenfalls am Boden, zum Beispiel in Italien, Österreich oder Skandinavien. Ausnahmen seien die iberische Halbinsel und Teile Südamerikas. Der Kapitalismus setzte sich heute sogar in autoritären Systemen wie in China durch.

Die Frage ist also, was in den „Fuchsbriefen“, also bei Unternehmern und Anlegern, unter Marxismus und Kapitalismus verstanden wird und ob das Ende des Marxismus tatsächlich eingeläutet ist?

Festzuhalten ist, dass Marx nicht von einer Marktwirtschaft sprach, sondern vom Kapitalismus. Damit ist gemeint, dass das Kapitalverhältnis immer durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft an den Kapitalisten eingeleitet wird. Wenn der Produktionsprozess beginnt, gehört die Arbeitskraft des Arbeitenden dem Kapitalisten, die zu dem Zweck eingesetzt wird, einen Mehrwert zu erzielen, den er sich unentgeltlich aneignen kann. Nur aus diesem Grunde kauft der Kapitalist die Ware Arbeitskraft. Im Produktionsprozess zerfällt die Arbeitszeit in zwei Teile, einerseits die notwendige Arbeitszeit, in der der Arbeitende den Gegenwert für den Wert der Arbeitskraft schafft, und andererseits die Mehrarbeitszeit, in der er den Mehrwert schafft. Am Ende des Prozesses steht eine Ware, zum Beispiel ein Konsumgut oder Produktionsgut, die den Mehrwert enthält und der dann am Markt erlöst werden muss. Wenn das gelingt, kann der Prozess von neuem beginnen, entweder auf einfacher oder erweiterter Stufenleiter. Das ist die Grundstruktur des sogenannten Kapitalkreislaufes, der auch heute die Grundlage des Kapitalismus bildet. Von dieser Grundstruktur haben die Unternehmer und Anleger der „Fuchsbriefe“ nichts verstanden, ebenso wenig wie die kurz- und langfristigen Entwicklungstendenzen, die daraus erwachsen. Diese Grundstruktur führt zu einer beschleunigten Akkumulation des Kapitals, zu einem Krisenzyklus und auf lange Sicht zu einer strukturellen Überakkumulation des Kapitals. Das bedeutet, dass es an einem bestimmten Punkt der Entwicklung nicht mehr gelingt, den Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate durch das Wachstum des Gesamtkapitals zu kompensieren und das Wachstum der Produktivkräfte nur noch durch eine grundlegende Veränderung der Wirtschaftsordnung, die nicht durch die Mehrwertproduktion bestimmt ist, weitergeführt werden kann.

Marx hat nun im „Kapital“ aufgezeigt, dass diese Zusammenhänge weder von der bürgerlichen Ökonomie, der bürgerlichen Politik und auch nicht von größeren Teilen der Bevölkerung unmittelbar erkannt werden können. Das hat drei Gründe:

1.Der Kreislauf des Kapitals ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem scheinbar die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden jeder für sich zur Wertschöpfung beiträgt.

  1. Die Kategorie des Arbeitslohnes ruft den Schein hervor, alle Arbeit sei bezahlt worden und lässt keine Mehrwertproduktion des Arbeitenden erkennen.
  2. Der Wert der Ware Arbeitskraft enthält immer ein moralisch-kulturelles Moment, der bei entsprechenden sozialen und politischen Kräfteverhältnissen eine Verbesserung der Lebensverhältnisse größerer Teile der Bevölkerung ermöglicht.

Alle Momente des sogenannten „progressiven Neoliberalismus“ haben nur solange Bestand, solange der Kapitalismus nicht seine Systemgrenze erreicht. Das heißt, diese Grenze ist erreicht, wenn der Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate nicht mehr durch das Wachstum des Gesamtkapitals kompensiert oder überkompensiert werden kann und sich die Produktion des Mehrwertes als gesellschaftliche Schranke erweist. Diese Situation ist dann mit einer enormen Verschlechterung der Lebensverhältnisse größerer Bevölkerungsteile national und international verbunden. Inzwischen haben wir eine Situation, in der die Einkommens- und Vermögensverteilung weit auseinanderklaffen, der Staat den weiteren Niedergang durch Interventionen hinauszögert und die Zentralbanken versuchten, durch ihre Niedrigzinspolitik und den Ankauf von Wertpapieren Banken vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Augenblicklich schwanken sie zwischen einer Antiinflationspolitik und einer weiteren Erhöhung der finanziellen Liquidität. Je krisenhafter die Entwicklung wird und auch von vielen Menschen als solche empfunden wird, umso stärker kann das Bewusstsein entstehen, dass das ökonomische und politische Kräfteverhältnis zu verändern ist. Wenn es der Linken gelingt zu verdeutlichen, dass die Reformpolitik und die Schutzrechte in dieser Gesellschaft nicht ewig Bestand haben werden, kann es zu grundlegenden Strukturveränderungen weg vom Kapitalismus kommen. Dazu ist allerdings notwendig, rechtpopulistische und faschistische Entwicklungen zu stoppen und eine nachvollziehbare linke Alternative, die auch die Fehler des Realsozialismus deutlich darstellt, mehrheitsfähig zu machen. Dann wird am Ende gesagt werden können: „Marx gewinnt die letzte Schlacht.“ (1)

(1)Wer sich grundlegend über die Darstellung und Aktualisierung der marxistischen Analyse informieren möchte dem sei u .a. folgender Text empfohlen:

Stephan Krüger, Wirtschaftspolitik und Sozialismus, VSA-Verlag Hamburg 2016.

 

Die russische Aggressionspolitik und die Friedensperspektive

28. Februar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE RUSSISCHE AGGRESSIONSPOLITIK, POLITISCHE REAKTIONEN UND DIE PERSPEKTIVEN FÜR EINE FRIEDENSPOLITIK.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist nur zu verstehen, wenn die Strukturen des Kapitalismus und die historischen Knotenpunkte benannt werden, wodurch erst bestimmte Voraussetzungen der Aggressionspolitik geschaffen wurden. Da das oberste Ziel des Kapitalismus darin besteht, privates Kapital möglichst gewinnbringend zu verwerten, gehört es seit jeher zu zum Strukturmerkmal des Kapitalismus, dass Hindernisse auf dem Weg zur optimalen Verwertung privaten Kapitals national durch Beschränkung von Arbeitnehmerrechten bis hin zum Faschismus und international durch gewaltsame imperiale Politik beiseite geräumt werden. Eine außerökonomische Gewalt ist in der Regel dann an der Tagesordnung oder zu mindestens denkbar, wenn der Kapitalismus von der prosperierenden in eine krisenhafte Entwicklung übergeht.  Vor diesem Hintergrund muss auch die nationale und internationale Politik seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab 1990 gesehen werden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und ihres Staatensystems ergaben sich verschiedene wichtige historische Knotenpunkte, die eng mit der Politik der NATO-Staaten und der Hegemonie der USA verknüpft sind.

1.Der 2+4-Vertrag von 1990

Er stellte die Einheit Deutschlands wieder her. Der Vertrag zwischen den vier Alliierten und den beiden deutschen Staaten kam nur zustande, weil keine Nato-Osterweiterung vorgesehen war.

  1. Das Budapester Memorandum von 1994

Die vier Alliierten verpflichteten sich, die Souveränität von Belarus, Kasachstan und der Ukraine zu achten, die dafür auf Atomwaffen, an die sie nach dem Ende der Sowjetunion gekommen waren, verzichteten.

  1. Die Nato-Russland Grundakte 1997

Hier ging es um eine enge Kooperation zwischen der Nato und Russland bei der Abrüstung mit konventionellen und atomaren Waffen. Die Nato-Staaten versprachen, sich bei der Stationierung von Truppen und Waffensystemen in Osteuropa zurückzuhalten. Fakt war jedoch bald, dass die Nato unter der Führung der USA 14 Staaten in Osteuropa und Südosteuropa in die Organisation aufnahm.

  1. Der Nato-Gipfel in Bukarest 2008

Auf der Tagesordnung stand u.a. der Beitritt der Ukraine und Georgiens zur Nato. Die USA versuchten den Beitritt durchzusetzen, Frankreich und die Bundesrepublik lehnten das ab, weil von Russland darin eine existentielle Bedrohung gesehen wurde.

5.Das Minsker Abkommen von 2015

Es muss als wichtiger Schlüssel zum Verständnis der russischen Aggression gegenüber der Ukraine angesehen werden. Da es vorher schon zur Aggression und Vereinnahmung der Krim durch Russland und zum Bürgerkrieg in der Ostukraine gekommen war, sollte das Abkommen zum Waffenstillstand und zu Verhandlungen zwischen den prorussischen Teilen des Donbass und der ukrainischen Regierung führen. Das Ziel war, auf russischen Druck, eine Autonomie des Donbass zu erreichen. Das Abkommen kam zustande zwischen den Regierungen Frankreichs, der Bundesrepublik, und den Präsidenten der Ukraine und Russlands und sah vor, den Status der Provinzen in der Ostukraine durch regionale Wahlen zu klären auf der Grundlage der ukrainischen Gesetzgebung. Das Abkommen wurde allerdings weder von der ukrainischen Seite noch von der russischen Seite und prorussischen Seite des Donbass wirklich umgesetzt. Im Gegenteil, die Blockade des Abkommens führte zu einem 7-jährigen Stellungskrieg im Donbass mit vielen Toten. Es folgte 2022 die endgültige Aufkündigung des Abkommens durch Putin und der Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine.

Der Krieg hat somit historische Voraussetzungen, an denen die Nato-Staaten unter der Hegemonie der USA nicht unbeteiligt sind. Parallel dazu vollzogen sich nach dem Zerfall der Sowjetunion gewaltige gesellschaftliche Umbrüche in Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die für den Aggressionskrieg Russlands entscheidend sind.

Die gesellschaftlichen Umbrüche (1)

 Im Jahre 2022 waren die Machtverhältnisse in Russland, die sie nach 1990 entwickelten, nicht mehr im Blick vieler Beobachterinnen und Beobachter. Man fixierte sich auf die Person Putins und seiner meist männlichen Berater. Mit dem Amtsantritt Putins im Jahre 2000 wurde eine Trennlinie gezogen, wobei die Zeit vorher als Zeit des demokratischen Aufbruchs in Russland gesehen wurde. Dadurch wurde allerdings unterschlagen, dass die Machtverhältnisse in Russland schon sehr früh nach dem Untergang der Sowjetunion durch eine enge Verbindung von Staat und Oligarchen geprägt waren. Durch die neoliberalen „Reformer“ der Jelzin-Administration vollzog sich mittels einer Schocktherapie der Übergang in den Kapitalismus, das heißt, viele gesellschaftlichen Bereiche wurden ungeschützt den Marktgesetzen überlassen. Gegen diese Politik Jelzins entstand Widerstand, der aber mit Gewalt bekämpft wurde.  Im Jahre 1993 ließ Jelzin das Parlament beschießen und konnte danach eine autoritäre präsidentielle Verfassung durchsetzen. Damit war das Ende des Demokratisierungsprozesses im Lande eingeleitet. Ab 1995 erfolgte gegen den Widerstand des Parlaments eine schnelle Privatisierung von staatlichen Unternehmen, vor allem von Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor. Einige Kapitalisten, sogenannte Oligarchen, erhielten besonderen Einfluss auf die Staatstätigkeit. Wegen des Privatisierungsprozesses verarmten auf der anderen Seite größere Teile der russischen Bevölkerung. Die Schocktherapie hin zum Kapitalismus erzeugte einen gewaltigen gesellschaftlichen Niedergang, u.a. auch einen Prozess der Deindustrialisierung. Lediglich im Rohstoffsektor sowie im Eisen, Stahl und Chemiesektor war eine internationale Konkurrenzfähigkeit gegeben. Das Ergebnis war die Konzentration der russischen Wirtschaft auf die Ressourcenextraktion für den Export an kapitalistische Hauptländer.

Seit der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten durch Wladimir Putin ab dem Jahre 2000 wurden die politischen Machtverhältnisse in Russland neu geordnet. Man kann diese Ordnung als oligarchisch-etatistische Ordnung bezeichnen. Von den unregulierten neoliberalen Verhältnissen Jelzins wurde Abstand genommen und es erfolgte eine Stärkung staatlicher Organe. Führende Personen der Oligarchie mussten sich umorientieren mit dem Ziel der Modernisierung der Ökonomie. Politisch Oppositionelle erfuhren eine noch stärkere Unterdrückung, national-konservative und auf den Binnenmarkt orientierte Teile der Oligarchie erlangten die Oberhand. Mit dem Amtsantritt Putins wurde ein neues Verhältnis von Staat und Oligarchie geschaffen. Die neue russische Bourgeoisie versuchte ihre Position abzusichern, vollzog eine enge Kooperation mit Putin und seinen Anhängern und trägt auch seine aggressive Politik nach innen und nach außen mit.

Die Rolle der Oligarchie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion kann auch am Beispiel der Ukraine nachgezeichnet werden. Bei seinem Amtsantritt im Jahre 2019 verspracht der neu gewählte Präsident Wolodimir Selenskij das Land zu reformieren. Doch noch in der Ausgabe vom 29.3.21 stellt die Süddeutsche Zeitung fest, dass die ukrainischen Oligarchen dem Zugriff der Justiz nach wie vor entzogen sind. (2) Zu den Oligarchen zählen zum Beispiel Rinat Achmetow, Ihor Kolomoiskij und Ex-Präsident Petro Poroschenko. Sie kontrollierten noch 2021 große Teile der Wirtschaft und über eigene Sender 70 Prozent des Fernsehmarktes und verhinderten seit Jahrzehnten fast alle wichtigen Reformen im Land. Versuche, das System zu ändern, scheiterten vor allem durch Alliierte er Oligarchen in Behörden, Parlament und Regierung. Bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten am 9.2.23 in Brüssel verwies er auf das sogenannte „Anti-Oligarchen-Gesetz“, das die von der EU verlangten Reformen im Lande gewährleiste. (3) Das Gesetz zeigt erste Wirkungen, indem Achmetow und Poroschenko Kontrollen über ihre Mediengruppen verloren. Der Reichtum der Oligarchen schwindet jedoch weniger durch dieses Gesetz als durch die Zerstörungen des russischen Angriffskrieges. Trotzdem stellt das „Center for Economic Strategy“ (CES) in Kiew fest, dass noch zu wenig getan worden sei, um den Einfluss der Oligarchen zu beseitigen.

Internationale Reaktionen auf den Angriffskrieg

Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass der Westen gegenüber Russland Exportkontrollen erlassen hat, und es wird versucht, das Land von westlichen Technologien abzuschneiden. Russland soll von wichtigen Einnahmequellen abgetrennt werden. Als Gegenreaktion hat Russland die Lieferung von Erdgas eingeschränkt, was die Gas-und Elektrizitätspreise sowie die Inflationsrate im Westen auf ein Rekordniveau gebracht hat. Der Westen unterstützt die Ukraine mit enormen Militärressourcen und verhindert mithilfe des Finanzsystems den Zusammenbruch des Landes. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom Februar 2023 warben die versammelten westlichen Politikerinnen und Politiker, Militärs und Lobbyisten für das Ziel, die Ukraine solange wie nötig militärisch zu unterstützen. Die Sicherheitskonferenz verpasste damit die Chance, sich als ein internationales Forum für Sicherheitsfragen und politische Verständigung zu erweisen. (4) Dagegen ist in vielen Teilen der Welt die Rollenverteilung von Opfer und Täter sowie Gut und Böse nicht so eindeutig wie im Westen. Wang Yi, der höchste außenpolitische Vertreter der Volksrepublik Chinas, sah in dem Ukraine-Krieg eher eine Konfrontation der Nato unter der Hegemonie der USA einerseits und Russlands andererseits. Er erhielt dabei eine breite Zustimmung von den Ländern des globalen Südens. Wang Yi kündigte eine Initiative zur Beendigung des Krieges an, ebenso wie jüngst der brasilianische Präsident Lula da Silva die Gründung eines „Friedensclubs“ vorgeschlagen hatte. In dem Friedenspapier Chinas wird eindringlich vor einer Eskalation gewarnt, eine territoriale Integrität aller Länder gefordert aber auch die Forderung formuliert, dass die Sicherheitsinteressen aller Länder ernst zunehmen seien. Eine ausdrückliche Verurteilung Russlands fehlt allerdings.

Die Perspektiven für eine Friedenspolitik

Die Gefahr, dass es zum Einsatz von taktischen Atomwaffen in der Ukraine kommt, haben sowohl Putin als auch Biden jüngst deutlich gemacht. Die Eskalationsschraube dreht sich immer weiter. Das zeigt auch die Flucht das ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach vorn mit seiner Forderung, die Ukraine schnell in die EU und die Nato aufzunehmen und mit seiner Forderung zur Lieferung von Panzern und Kampfjets. Es drängt sich deswegen eine entgegengesetzte Lösung zur Beendigung des Krieges immer mehr auf, es geht also um Deeskalation und Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien. Einen bemerkenswerten Vorschlag dazu hat jüngst Hans-Peter Krüger in der Zeitschrift Sozialismus gemacht. (5)

  1. Krüger stellt die Frage, wieso der Westen in dieser Lage immer noch auf die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine orientiert? Es sei allgemein bekannt, dass das für Russland seit 2008 (Bukarester Nato-Tagung) bis heute der entscheidende Kriegsgrund sei. Klar müsse sein, dass die Ukraine Sicherheitsgarantien benötige. Es reiche nicht mehr aus, dass nur Frankreich und die Bundesrepublik wie im Minsker Abkommen (2015) für die Vermittlung zwischen den Kriegsparteien zuständig seien, sondern es gehe heute darum, Initiativen für ein Waffenstillstandsabkommen durch Nato-Länder selbst und von Indien, China und Ländern des globalen Südens zu erreichen. Multilateralismus sei heute das Stichwort und nicht mehr die Hegemonie einer einzigen Weltmacht.
  2. Die Ukraine müsse ihren Weg in die EU fortsetzen können. Die Hilfen der EU seien aber strikt an die Bedingung zu knüpfen, dass dort konsequent eine rechtstaatlich-gewaltenteilige politische Demokratie gegen die korrupten Netzwerke der Oligarchie durchgesetzt werde.
  3. In einem Waffenstillstandsabkommen müsse der Konflikt um gegenseitige Gebietsansprüche geregelt werden. Das könnte in einer Übergangsdauer von ca.15 Jahren erfolgen, die in mehrere Etappen zu untergliedern sei. Es gehe dabei um die Rückzüge der Kampftruppen, die Entminungen, die Grundversorgungen und den Wiederaufbau von Wohnungen und Infrastruktur. Zur Erfüllung dieser Aufgaben würden wahrscheinlich UN-Blauhelme und OSZE-BeobachterInnen benötigt. Die gebietsansässige Bevölkerung habe sich in freier Öffentlichkeit an Diskussionen und Wahlen zu beteiligen unter Aufsicht unabhängiger Dritter. So werde der Weg frei zu einem Friedensvertrag, in dem auch die Sezessions-und Reparationsfrage abschließend zu klären sei.
  4. Die ersten drei Schritte müssten durch Russland und die Ukraine eingehalten werden, wodurch auch ein Ende der Sanktionspolitik ermöglicht werde. Das Ziel sei, wieder zu normalen ökonomischen, sozialen und politischen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu kommen, was auch den Reformkräften in Russland und der Ukraine helfen könnte, den Imperialismus der Oligarchien zurückzudrängen. Krüger sagt auch an die Adresse des Westens gerichtet, dass er es seit 30 Jahren unter der Hegemonie der USA versäumt habe, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine wirkliche Alternative und echte soziale und friedliche Perspektive anzubieten.

(1) Siehe hierzu: Felix Jaitner, Russlands Kapitalismus, VSA-Verlag, Hamburg 2023.

(2) Siehe hierzu: Florian Hassel, Die Macht der Oligarchen ist ungebrochen, SZ vom 29.3.21

(3) Siehe hierzu: Eugen Theise, DW vom 25.2.23

(4) Siehe hierzu: Otto König/ Richard Detje, Militärische Stärke statt Dialog, Sozialismus aktuell vom 24.2.23

(5) Siehe hierzu: Hans-Peter Krüger, Supplement der Zeitschrift Sozialismus in Heft 12/2022

 

Wie kann der Ukrainekrieg beendet werden?

17. Februar 2023  Allgemein

Dr. Peter Behnen

Die Linke Freiburg

 

Wie kann der Ukraine-Krieg beendet werden? Ein Vorschlag von Hans-Peter Krüger in der Zeitschrift Sozialismus (1).

 

Die Gefahr, dass es zum Einsatz von taktischen Atomwaffen in der Ukraine kommt, haben sowohl Putin als auch Biden jüngst deutlich gemacht. Die Eskalationsschraube dreht sich. Das zeigt auch die Flucht des ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach vorn mit seiner Forderung zur schnellen Aufnahme der Ukraine in die EU und die Nato und zur Lieferung von Panzern und Kampfjets. Es drängt sich deswegen eine entgegengesetzte Lösungsrichtung immer mehr auf, es geht um Deeskalation und eine schnelle Beendigung des Krieges. Hans-Peter Krüger schlägt folgende Anfangsschritte vor:

1.Er stellt die Frage, wieso der Westen in dieser Lage immer noch auf die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine orientiert. Es sei allgemein bekannt, dass das für Russland seit 2008 (Bukarester Nato-Tagung) bis heute der entscheidende Kriegsgrund sei. Klar sei, dass die Ukraine Sicherheitsgarantien benötige und es nicht mehr ausreiche, dass nur Frankreich und die Bundesrepublik wie im Minsker Abkommen (2015) für die Vermittlung zwischen den Kriegsparteien zuständig sein könnten. Es komme heute auf Initiativen für ein Waffenstillstandsabkommen an, für die Ukraine durch die Nato und ihre Mitglieder initiiert für Russland durch China und Indien in Gang gesetzt. Multilateralismus sei heute das Stichwort und nicht mehr die Hegemonie einer einzigen Weltmacht.

2.Die Ukraine müsste ihren Weg in die EU fortsetzen. Die Hilfen der EU an die Ukraine seien strikt an die Bedingung zu knüpfen, dass dort konsequent eine rechtsstaatliche- gewaltenteilige Demokratie gegen die korrupten Netzwerke der Oligarchen durchgesetzt werde. Es müsse eine Demokratie sein, die eine Ausstrahlungskraft auf Russland habe.

3.In einem Waffenstillstandsabkommen müsste der Konflikt um gegenseitige Gebietsansprüche geregelt werden. Das könnte in einer Übergangsdauer von ca.15 Jahren erfolgen, die in Etappen zu untergliedern sei. Es gehe dabei um die Rückzüge der Kampftruppen, die Entminungen, Grundversorgungen und den Wiederaufbau von Wohnungen und Infrastruktur. Zur Erfüllung dieser Aufgaben würden wahrscheinlich UN-Blauhelme und OSZE-BeobachterInnen benötigt. Die gebietsansässige Bevölkerung hätte sich in freier Öffentlichkeit an Diskussionen und Wahlen zu beteiligen unter Aufsicht unabhängiger Dritter. So werde der Weg zu einem Friedensvertrag frei, in dem auch die Sezessions- und Reparationsfrage zu klären sei.

4.Die ersten drei Schritte müssten durch Russland und die Ukraine eingehalten werden, wodurch auch ein Ende der Sanktionspolitik ermöglicht werde. Normale Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sei das Ziel, was auch den Reformkräften dort helfen könnte, den nationalen Imperialismus und die Oligarchie zurückzudrängen. An die Adresse des Westens sei gesagt, dass er es seit 30 Jahren unter der Hegemonie der USA versäumt habe, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine wirkliche Alternative und echte soziale Perspektive zu bieten.

(1) Hans-Peter Krüger Supplement der Zeitschrift Sozialismus in Heft 12/2022

 

Als Hintergrundinformation empfehle ich auch das Interview mit Günter Verheugen „Willentlich und wissentlich eine Linie überschritten“ in der Berliner Zeitung vom 11.2.23.

 

Linke Reformpolitik und gesellschaftliche Strukturveränderungen

11. Januar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

LINKSPARTEI 2023

 

 Linke Reformpolitik und langfristige Strukturveränderungen der Gesellschaft.

 

 Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP lässt keine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Entwicklung erwarten und enthält keine Transformationsperspektive, die an die Wurzel der Probleme des Finanzkapitalismus herangeht.   Was vor allem fehlt, ist ein nachvollziehbares Konzept der sozialen Veränderung, das zu einer wirklichen Verbesserung der Lebenssituation der großen Masse der Bevölkerung führt. Nur so wird auch der Rechtspopulismus erfolgreich zurückgedrängt werden können. Es ist deshalb die Aufgabe der Linken, ein Konzept zu erarbeiten, bei dem zusammen mit reformorientierten Bündnispartnern im Rahmen einer zukünftigen Regierungsarbeit Schritt für Schritt eine Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände erreicht wird. Sollte es gelingen, für eine Verabschiedung von der neoliberalen Politik eine politische Hegemonie zu erhalten, wird es darauf ankommen, möglichst schnell sichtbare Erfolge zu erzielen, wenn die hegemoniale Position auf Dauer gehalten werden soll. Die noch schwierigere Aufgabe wird sein, die Wahlbevölkerung und eventuelle Bündnispartner davon zu überzeugen, dass langfristig eine Strukturveränderung der Gesellschaft hin zu einem demokratischen Sozialismus und einem Marktsozialismus notwendig ist, um weitere wirtschaftliche, soziale und politische Verbesserungen zu erzielen. Ein linkes Konzept muss deshalb darstellen, wie eine kurz- und mittelfristige Reformagenda zur langfristigen Strukturveränderungen führen muss und wie diese Schritte miteinander zu verknüpfen sind. (1)

 

  1. Der erste Schritt einer Reformagenda besteht darin, die marktbestimmte Verteilungsungerechtigkeit von Einkommen und Vermögen anzugehen. Eine Einkommensumverteilung zu Gunsten unterer Einkommensklassen wird die konsumtive Endnachfrage steigern und die Konjunkturentwicklung stabilisieren. Diese Erfolge sind kurzfristig wirksam und erfahrbar. Die Verteilung zwischen Arbeitslöhnen und Profit/Vermögenseinkünften wird in der Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr als unantastbar angesehen, ebenso wie die politische Verteilung durch staatliche Steuerpolitik und staatliche Transfers. Es sind der Druck auf die Löhne, die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die atypischen Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs, Midi Jobs, unfreiwillige Teilzeitarbeit) entschlossen zu bekämpfen. Die Untergrabung von Mitbestimmungsregelungen ist anzugehen. Es sind folgende Gegenmaßnahmen durchzusetzen: die Begrenzung der Leiharbeit und die gleiche Bezahlung wie für die Stammbelegschaft, das Verbot von Werkverträgen, Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und die Erhöhung des Mindestlohnes. Auf der anderen Seite gilt es, die Vorstands- und Managergehälter, vor allem bei Kapitalgesellschaften, zu deckeln ebenso wie die erfolgsabhängigen Bonuszahlungen.

 

  1. Die Erschließung neuer Techniken (Produktivkräfte) und die Digitalisierung der Arbeitswelt und des Privatlebens sind augenblicklich Schwerpunktthemen der Politik. Während im letzten Jahrhundert die bis ins Letzte getriebene innerbetriebliche Arbeitsteilung und der Aufbau von Mischkonzernen mit hoher Fertigungstiefe das Ziel war, geht es heute um eine Entflechtung von Unternehmen und um die Konzentration auf Kern-kompetenzen Das wird ergänzt durch neue Lieferbeziehungen (Just in time), die Dezentralisierung von Entscheidungen und den Abbau betrieb-licher Hierarchien (Gruppenarbeit). Es geht letztlich darum, die einzelbetriebliche Vergeudung von Arbeitszeit zu vermeiden. Allerdings läuft im Finanzkapitalismus ein widersprüchlicher Prozess ab, einerseits besteht die Hoffnung bei Arbeitnehmern, eine Humanisierung der Arbeitswelt zu erreichen, andererseits besteht aber auch die Befürchtung des Wegfalls von industriellen Arbeitsplätzen und einfachen Dienstleistungen und der Verdichtung von Arbeitszeiten. Es zeigt sich, dass der Finanzkapitalismus die kurzfristige Profitmaximierung, Kostensenkungsstrategien (Cost-cutting) und den Abbau von Arbeitsplätzen zum Ziel hat.  Zudem blockiert die staatliche Politik die Humanisierung der Arbeitswelt und eine sozial-ökolgische Transformation durch eine immer wieder neoliberale Orientierung. Eine fortschrittliche Entwicklung stößt somit an die Grenze privater Kapitalverwertung. 

Es wäre nun eine Aufgabe linker Politik, neue Bildungskonzepte vorzulegen, auf die Qualifikation der Arbeitskräfte zu setzen und auf dem Weg zu einem demokratischen Sozialismus die Technikentwicklung mit der Humanisierung der Arbeitswelt und der sozial-ökologischen Orientierung zu verbinden. Besonders die Klimapolitik hat einen besonderen Stellenwert zu erhalten. Auf diese Weise kann die politische Hegemonie bei unterschiedlichen sozialen Klassen erreicht und erweitert werden und auch außenpolitisch ein Weg zu einem friedvollen Umgang miteinander gesucht werden.

 

  1. Das Ziel der Linken ist eine ist eine wirtschaftsdemokratische Organisation von Unternehmen. Der Weg in dieser Richtung zu gehen wird augen-blicklich erschwert, weil durch die Konzentration von Unternehmen auf Kernkompetenzen eine Aufspaltung in kleinere Einheiten stattfindet. Es kommt zur Aushebelung von Mitbestbestimmungsregelungen, zum Beispiel bei der Montanmitbestimmung und der unterparitätischen Mitbestimmung bei großen Kapitalgesellschaften. Das hat auch negative Auswirkungen auf die Tarifverträge und die Bildung von Betriebsräten. Die Linke sollte somit nicht für die Rückkehr zu alten Regelungen kämpfen, sondern die neuen Regulierungen müssen darüber hinausgehen und den heutigen Perspektiven entsprechen. Es sind die Demokratiegrenzen der sozialen Marktwirtschaft zu überwinden, auch im Hinblick auf die Erschließung neuer Produktivkräfte. Folgende Maßnahmen sind angesagt:

– Die Informations- und Beratungsrechte in den Wirtschaftsausschüssen sind zu erweitern.

– Die Belegschaftszahlen beim allgemeinen Mitbestimmungsgesetz sind zu senken.

– Es sind Arbeitsdirektoren bei Kapitalgesellschaften mit mehr als 1000 MitarbeiterInnen von den Beschäftigten zu wählen und beim Vorstand anzusiedeln.

– Es sind Beteiligungen am Produktivkapital für die Beschäftigten durchzusetzen und eventuell Beteiligungsfonds einzurichten.

 

  1. Zur kurz- und mittelfristigen Reformagenda der Linken muss die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen gehören. Die neoliberale Politik der bisherigen Bundesregierungen vor der Corona-Pandemie versuchte das durch die Politik der „Schwarzen Null“ zu erreichen. Das Ziel wurde erreicht durch ein überraschend höheres Steueraufkommen, eine restriktive Ausgabenpolitik und ein geringes Zinsniveau. Diese Politik hinterließ allerdings national und international verheerende Probleme. Das ist ablesbar an gravierenden Mängeln der öffentlichen Infrastruktur, der zum Teil katastrophalen sozialen Lage verschiedener Bevölkerungsgruppen, einen europaweiten Abbau sozialer Standards und als Folge das Entstehen eines ausgeprägten Rechtspopulismus und Nationalismus.

Die Linke muss demgegenüber eine alternative Finanzpolitik ansteuern.  Zu einer Steuerreform sollte eine lineare Steuerprogression mit einer Reichen-steuer gehören. Eine Vielzahl von Steuervergünstigungen ist abzubauen, sofern sie Besser- und Hochverdiener begünstigen, u. a. auch das sogenannte Ehegattensplitting. Die Absetzbarkeit von Betriebskosten gilt es einzuschränken, die Steuerfreiheit bei Unternehmensveräußerungen abzubauen und die Vermögenssteuer und Finanztransaktionssteuer einzuführen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass alleine dadurch zusätzliche Einnahmen von etwa 85 Mrd. Euro erreicht werden. Welche Zusatzeinnahmen ein konsequenter Kampf gegen Steuerhinterziehungen erbringt muss hier noch offenbleiben. Über allem steht die Zielsetzung, die Umverteilung von unten nach oben zu beenden, den jämmerlichen Zustand der öffentlichen Infrastruktur anzugehen sowie die monetären und realen Transfers für untere und mittlere Einkommensbezieher zu steigern. Eine derartige Steuer- und Investitionspolitik muss als Einstieg in eine öffentliche Strukturpolitik gesehen werden, die die Grundlage für eine moderne Sozialismuskonzeption darstellt.

 

  1. Die öffentlichen Investitionen sind in einem beispiellosen Niedergang. Die öffentliche Infrastruktur befindet sich in einem schlimmen Zustand, das ist zum Beispiel ablesbar an dem Zustand von Schulen und Brücken. Hierbei handelt es sich um das Ergebnis der jahrelangen Austeritätspolitik und der sogenannten Schuldenbremse. Die Konsequenz, die die Linke daraus zieht, besteht darin, dass ein massives öffentliches Investitionsprogramm und Ausgabenprogramm aufzulegen ist. Es sollte ein umfassendes Programm für Bildung, Verkehr, Pflege, Kinderbetreuung, energetische Sanierung, Umwelt, Kommunen und den Arbeitsmarkt ausgegeben werden. Daneben sollte eine europaweite Energiewende betrieben bzw. finanziell unterstützt werden. Da es inzwischen immer stärker zu einer Blockade privater Investitionen kommt und damit die Systemgrenze erreicht wird, sind eine gesamtwirtschaftliche Strukturpolitik, neben der Fiskalpolitik und Geldpolitik, zu einem Politik-Mix zu vereinen. Es ist eine schrittweise Transformation des Kapitalismus in eine sozialistische Marktwirtschaft anzusteuern.

 

  1. Neben den schon angesprochenen staatlichen Geldtransfers und realen Transfers, zum Beispiel für Kinderbetreuung, geht es darum, zu einem grundlegenden Umbau des Sozialstaates zu kommen. Der Sozialstaat muss aus seiner Lückenbüßerfunktion herauskommen. Bisher gilt das Subsidiaritätsprinzip, das heißt, der Staat springt nur ein, wenn private Unterstützung nicht ausreicht. Es sollte in Zukunft nicht mehr die möglichst große Einsparung sozialer Leistungen das Grundprinzip sein, sondern eine wirkliche soziale Absicherung der Bevölkerung vermittelt über Staat und Steuern. Darin ist auch eingeschlossen, der auf längere Sicht Aufbau einer Bürgersozialversicherung. Das betrifft die gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Krankenversicherung und Pflegeversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung. Eine Bürgersozialversicherung soll für alle Gesellschaftsmitglieder soziale Sicherheit im Alter, bei Krankheit, bei Pflegebedarf, bei Berufsunfällen, bei Arbeitslosigkeit und in persönlichen Notlagen bringen. Die Bürgersozialversicherung hat bei einem Maximum an Leistung und Minimum an Verwaltungsaufwand den gesamten Sozialhaushalt der Gesellschaft zu regeln.

 

  1. Die Wohnungsfrage ist inzwischen in der Bundesrepublik als eines der wichtigsten Probleme der Bevölkerung anzusehen. Ein besonderer Wohnraummangel herrscht in Großstädten und Universitätsstädten. Die Folge sind explodierende Mieten, die durch die sogenannte Mietpreisbremse nicht aufgefangen werden konnten. Besonders der Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau und die Privatisierung dieses Bereiches haben zu dem eklatanten Mangel geführt. Die Linke muss deswegen drastische Eingriffe vornehmen und die Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbestandes stoppen sowie durch staatliche Programme den sozialen Wohnungsbau und gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften massiv fördern. Andernfalls werden sich die Bauspekulation und der Mietwucher weiter verschärfen. Kurzfristig sind Maßnahmen gegen die Preistreiberei angesagt, also ein direkter Eingriff in die marktbestimmte Mietpreisbildung.

 

  1. In der Bundesrepublik herrscht inzwischen ein akuter Fachkräfte-mangel. Das lässt sich nur auf lange Sicht ändern. Die zwischenzeitlich geäußerte Hoffnung, dass die massive Zuwanderung von Menschen quasi von selbst das demografische und bildungspolitische Problem löst, ist unrealistisch. Bevor überhaupt von dieser Seite eine Lösung erfolgen kann, ist zuerst eine soziale Integration der Menschen zu schaffen, durch das Erlernen der Sprache, die Vermittlung von Kenntnissen über die neue Heimat, und vor allem auch bei jungen Menschen eine Schul-Berufs- und Universitätsausbildung. Dass sich in den letzten Jahren Parallelgesellschaften gebildet haben lag einerseits an unzureichenden staatlichen Dienstleistungen andererseits aber auch an Ausgrenzungen vieler Menschen aus Gründen der Konkurrenzangst. Die Linke hat deswegen Eckpunkte zur Lösung des Problems zu benennen, zum Beispiel Maßnahmen zur Erweiterung des Wohnraumbereichs und zum Angebot an Bildungs- und Ausbildungsplätzen. Diese Maßnahmen sind in ein Gesamtpaket öffentlicher Investitionen bzw. einer neuen Strukturpolitik einzuordnen. Damit könnte auch der Verdrängungskonkurrenz zwischen Einheimischen und Zugewanderten bzw. Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt Schritt für Schritt der Boden entzogen und erfolgreich der Rechtspopulismus bekämpft werden.

 

Damit schließt sich der Kreis. Die dargestellten Punkte einer kurzfristigen und mittelfristigen linken Reformagenda, die um Einiges zu ergänzen wä-ren, zum Beispiel die Bekämpfung der gewaltigen Umweltprobleme, haben verdeutlicht, dass wir inzwischen an den Grenzen privater Kapitalverwertung angelangt sind und weitere ökonomische, soziale und politische Fortschritte nur durch grundlegende strukturelle Veränderungen zu haben sein werden. An dieser Stelle beginnt die Aufgabe der Linken, genau den Weg und die Perspektive der strukturellen Veränderung darzustellen. Wenn allerdings die Überwindung des Kapitalismus als Perspektive angesprochen wird, stößt man sehr schnell auf Abneigung, die eng mit der Geschichte des realen Sozialismus verbunden ist. (2) Der Marxismus und die Forderung nach einer sozialistischen Strukturveränderung sind weiterhin nur am Rande der Gesellschaft vorzufinden. Der Linken ist es bisher nicht gelungen, Eckpunkte für eine moderne und glaubwürdige sozialistische Politik zu entwickeln. Es besteht zum Beispiel Uneinigkeit darüber, welches Verhältnis der Plan und der Markt im Sozialismus haben sollen, inwieweit die extreme Ungleichheit der Einkommen im Kapitalismus für eine sozialistische Strategie nutzbar zu machen ist, welche Bedürfnisentwicklung im Sozialismus stattfinden soll und welche Position die Linke zur EU und zum Euro einnimmt.  Festzustellen ist jedenfalls, dass die Finanzkrise 2007/2008 und auch ihr Umgang mit der Corona-Pandemie und er Energiekrise zu einem Gesichtsverlust der herrschenden Eliten geführt hat, das Vertrauen in ihre Problemlösungskompetenz massiv gesunken ist und der Rechtspopulismus, der einfache „Lösungen“ anbietet, enormen Zulauf bekommt. Jedenfalls ist die augenblickliche Lage keine Stunde der Linken.

 

Welche Konsequenzen sollte die Linke ziehen, wenn über die kurz- und mittelfristige Reformpolitik hinaus eine langfristige Perspektive aufgezeigt werden soll?

 

Es geht vor allem darum, die Fehler des Staatssozialismus deutlich zu benennen und die Eckpunkte eines modernen Sozialismus darzustellen. Es bestand das Missverständnis in der kommunistischen Weltbewegung, eine marktwirtschaftliche Steuerung der Ökonomie und der Sozialismus seien unvereinbar und es gehe im Sozialismus in erster Linie um einen möglichst umfassenden Volkswirtschaftsplan zur Abschaffung der Ware-Geld-Beziehungen. Hier lag und liegt eine eklatante Fehlinterpretation der Marxschen Theorie vor, die sich in der kommunistischen Weltbewegung hartnäckig hielt und heute noch von einem Teil der Linken vertreten wird. Es wurden sogenannte „sozialistische Errungenschaften“ gefeiert und damit waren extrem niedrige Konsumgüterpreise, sehr niedrige Mieten und ebenso niedrige Verkehrs- und Kulturtarife gemeint. Die Folge war allerdings, dass die Staatshaushalte wegen der Subventionierung der Güter sehr stark belastet wurden, die Qualität der Güter häufig minderwertig war und die BürgerInnen, sofern sie über ausländische Valuta verfügten, in die Intershops getrieben wurden. Es entstand eine latente und auch häufig offene Unzufriedenheit, auch angesichts der Konsumgüter im Kapitalismus und bei vielen Menschen der Drang, das Land zu verlassen. Das Planungssystem war gründlich diskreditiert und die Parteiführungen reagierten mit Beschränkungen der persönlichen Freiheiten, insbesondere auch der Reisefreiheit. Das alles geschah ganz unabhängig von der Propaganda des Kalten Krieges, die vom Westen massiv betrieben wurde.

Wir müssen heute die Konsequenz ziehen und auch propagieren, dass im demokratischen Sozialismus nicht einer Planungsbehörde die Entscheidungen über das Was, Wie und für Wen der Produktion überlassen wird und damit auch die Bestimmung über die gesellschaftlichen Bedürfnisse.  Das liefe auf eine Bevormundung der BürgerInnen hinaus. Es bleibt nur der Weg einer dezentralen Verteilung von Angebot und Nachfrage über Märkte. Andernfalls, das hat der reale Sozialismus gezeigt. wird die Bevöl-kerung quantitativ und qualitativ von bestimmten Bedürfnissen und damit Konsumgütern ausgeschlossen. Das gilt ebenso für Produktionsgüter, wobei hier eine stärkere gesellschaftliche Steuerung von großer Bedeutung ist. Nur unter unentwickelten gesellschaftlichen Verhältnisse und in historischen Ausnahmesituationen, zum Beispiel in Kriegen und Bürgerkriegen, kann eine zentrale Planung notwendig und erfolgreich sein. Bei einer fortschreitenden Differenzierung der Produktionsstruktur, Branchenstruktur und Konsumstruktur wird eine zentrale Planung zunehmend ineffektiv. Es entstehen ökonomische Probleme, die durch nicht offizielle Märkte geschlossen werden. Es entstehen graue und schwarze Märkte, verbunden mit persönlicher Bereicherung und häufig Korruption. Diese Probleme sind nur dadurch zu lösen, wenn die Marktsteuerung das Primat erhält und darauf aufbauend die Steuerung und Korrektur der Märkte stattfindet. Das kann kurz als sozialistische Marktwirtschaft bezeichnet werden.

 

Die Kritik einiger Linker, dass sei ein Rückfall in kapitalistische Verhältnisse ist absurd. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch im Kapitalismus der Markt der einleitende bzw. abschließende Akt der Produktion ist. Es kommt somit auf die Produktionsverhältnisse an.  Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse sind durch die Mehrwertproduktion des Lohnarbeiters gekennzeichnet. Er ist von den Produktionsmitteln getrennt, die sich im Eigentum des Kapitalisten befinden. Die Produktionsmittel werden zu Kapital und der Kapitalist eignet sich den Mehrwert an, reinvestiert einen Teil des Mehrwerts um dann die Akkumulation des Kapitals auf höherer Stufenleiter weiterzuführen. Die Ergebnisse sind die Anhäufung des Kapitals auf der einen Seite und der Zwang, die Arbeitskraft an den Kapitalisten zu verkaufen, auf der anderen Seite. Sozialistische Produktionsverhältnisse gehen in eine diametral andere Richtung. Hier geht es darum, die Mitbestimmung und Entscheidungsmöglichkeiten der Lohnabhängigen schrittweise zu erweitern und das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das Direktionsrecht des Kapitalisten und die Mehrwertproduktion zurückzudrängen. Es wird schrittweise eine wirtschaftsdemokratische Struktur der Unternehmen verwirklicht. Das hat auch Einfluss auf das Bewusstsein der Lohnabhängigen. Im Kapitalismus ist das Bewusstsein von Freiheit und persönlicher Leistung dominant, insbesondere deswegen, weil durch den Arbeitslohn der Schein entsteht, die Arbeit bezahlt zu bekommen. Das Herrschaftsverhältnis im Produktionsprozess und die Aneignung des Mehr-wertes durch den Kapitalisten werden verschleiert. Es wird nicht gesehen, dass nur die Arbeitskraft und nicht die Arbeit bezahlt wird. Je krisenhafter sich allerdings der Kapitalismus entwickelt, desto stärker kann das Be-wusstsein von Unterdrückung in der Produktion zum Tragen kommen. Gewinnt das Bewusstsein die Oberhand, dass die erkämpften Schutzrechte für die Lohnabhängigen nicht ausreichen, werden neue Formen der Überwindung des Kapitalismus gesucht, zum Beispiel durch die Verwirklichung von genossenschaftlichem Eigentum, Belegschaftseigentum, Branchenfonds und auch staatlichem Eigentum.  Illusorisches Bewusstsein wird dann angegangen durch die Veränderung der Organisations- und Eigentumsformen und die Verwirklichung von wirtschaftsdemokratischen Verhältnissen. Eine sozialistische Marktwirtschaft steht somit auf drei Säulen, die wirtschaftsdemokratische Verfassung der Unternehmen, das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und eine wirksame Steuerung der Märkte. Dabei erhält die Strukturpolitik einen besonderen Stellenwert, sie ist für die politische Steuerung der Investitionen zuständig, im Gegensatz zur Strukturpolitik im Kapitalismus, wo sie sie nur am Rande zur Bewältigung von meistens regionalen Krisen eingesetzt wird (z.B. Krise des Bergbaus im Ruhrgebiet). In der sozialistischen Marktwirtschaft über-nimmt sie die Führerschaft bei der gesellschaftlichen Investitionsentwicklung und ist noch der Finanzpolitik und Geldpolitik übergeordnet. Sie bedient sich dabei im Wesentlichen dreier Instrumente, den öffentlichen Beteiligungsgesellschaften, öffentlichen Managementagenturen und Kreditinstituten mit Sonderaufgaben.

 

Insgesamt ist festzuhalten, dass die kurz- und mittelfristige linke Reformpolitik mit Bündnispartnern durchzusetzen ist und Mehrheiten in der Bevölkerung für diesen Weg zu gewinnen sind. Das muss gegen den zu erwartenden Widerstand der bürgerlichen Kräfte und verschiedener Medien auf demokratische Weise gelingen. Die noch schwierigere Aufgabe besteht darin, weitere Elemente einer sozialistischen Umgestaltungspolitik mehrheitsfähig zu machen und zu halten. Die Verteidigung der linken Hegemonie bleibt somit eine Daueraufgabe. Das wird nur dann möglich sein, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass nur eine sozialistische Marktwirtschaft und ein demokratischer Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus eine höhere Produktivität und Effektivität, die Überwindung der Krisenentwicklung und mehr Mitgestaltung und soziale Gerechtigkeit ermöglichen.

Die Wahlerfolge der AFD bei allen Landtagswahlen 2015/2016 und der Bundestagswahlen haben ein Schlaglicht auf die Stimmungslage breiter Bevölkerungsteile geworfen.  Auch von der Ampelkoalition ist kein grundlegender Politikwechsel zu erwarten. Die mittelfristige Alternative zu dieser Politik wäre eine linkspluralistische Reformregierung aus SPD, Linkspartei und Grünen. Es ist damit zu rechnen, dass auch die Wirtschaft der Bundesrepublik auf eine abschüssige Ebene der europäischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung gerät, insbesondere deshalb, weil die bisherige Politik im Grundsatz beibehalten wird. Das bedeutet politisch, dass der Bundesrepublik, als sozial zerklüftetes Land, ein weiterer verrohter Umgang in der Zivilgesellschaft bevorsteht, eine zunehmende Entleerung demokratischer Prinzipien und mit großer Wahrscheinlichkeit eine Fortsetzung des Niedergangs der SPD. „Auch für eine uneinige und regierungsunfähige Partei „Die Linke“ ist unter diesen Bedingungen nicht von einem kommoden Überwintern in der Opposition auszugehen.“ (3)

 

Diesem Szenario steht jedoch mittelfristig die Chance einer linken Reformregierung gegenüber. Dazu bedürfte es allerdings einer wirklichen Beendigung der neoliberalen Politik  und einer von der Bundesrepublik ausgehenden Strukturpolitik, die zugunsten der Stabilisierung schwächerer Volkswirtschaften der Eurozone und der EU betrieben werden muss. Im Inneren der Bundesrepublik müsste eine Weichenstellung zu einem evolutionären Prozess der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umgestaltung in Richtung der Ziele eines demokratischen Sozialismus erfolgen. Dabei käme der Sozialdemokratie als vermutlich stärkstem Partner in einer Reformregierung eine besondere Verantwortung zu.  Sie müsste über ihren immer noch wirksamen antikommunistischen Schatten springen und zusammen mit der Linkspartei den linken Flügel der Grünen stützen und dazu beitragen, die grüne Gesamtpartei in ein Reformbündnis zu integrieren. Die Linkspartei müsste es schaffen, einen tragfähigen Konsens in den eigenen Reihen zwischen Oppositionsbefürwortern und EU-Kritikern einerseits und nicht prinzipiell einen Regierungseintritt ablehnenden „Reformeuropäern“ andererseits hinzubekommen.

 

Die Ausgangssituation in der Bundesrepublik sieht so aus, dass weder eine klare Hegemonie für eine Fortsetzung der bisherigen Politik noch für eine grundlegende Reformalternative existiert. Es ist zwar festzustellen, dass es der bundesdeutschen Bevölkerung nach Meinung vieler Bürgerinnen und Bürger besser geht als dem Rest Europas, aber trotzdem besteht ein großes Unbehagen über die tiefgehende soziale Spaltung in der Gesellschaft. Das könnte auch ein Ansatzpunkt für einen grundlegenden Politikwechsel sein, völlig unabhängig von wahrscheinlichen Kriseneinbrüchen im Finanzsektor und produktivem Sektor (Industrie und kapitalistische Dienstleistungen). Dazu ist es notwendig, die Perspektive eines grundlegenden Politikwechsels im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Es muss die Hoffnung bestehen, dass ein solcher Politikwechsel eine Veränderung zum Besseren erbringen wird, sowohl durch die inhaltlichen Vorschläge als auch durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, das den Vertretern einer neuen Politik entgegengebracht wird.

Vor diesem Hintergrund gilt es, kurz – und mittelfristige Vorschläge und Maßnahmen zu einem stimmigen Gesamtpaket zusammenzubringen. Die Einzelforderungen müssen an drängenden heutigen Problemen ansetzen und auch in kürzerer Frist realisierbar sein. Das sind zum Beispiel der Kampf gegen die Verteilungsungerechtigkeit, für die Demokratisierung der Arbeitswelt, die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen durch eine soziale Steuerreform, die Ausweitung der öffentlichen Investitionen vor allem auch im Umweltbereich,  die  Sicherung der umlagefinanzierten Sozialversicherung mit der Perspektive einer Bürgerversicherung, Fortschritte in der Wohnungsfrage, eine bessere Integration von Flüchtlingen, vorwärtstreibende Reformen in der Eurozone und EU, der Kampf gegen das internationale Wohlstandsgefälle und vieles mehr. Die Einzelforderungen müssen in ihrer Gesamtheit die Perspektive einer mittelfristigen Gesellschaftsveränderung erbringen und die kritische Schwelle für einen grundlegenden Politikwechsel überschreiten. Das Gesamtpaket muss die Forderungen zusammenfassen und die Überzeugung vermitteln, dass nur durch einen demokratischen Sozialismus eine bessere Gesellschaft entstehen kann und die Versprechen, die von Vertretern des Kapitalismus, genannt soziale Marktwirtschaft, gemacht wurden, nur im demokratischen Sozialismus eingelöst werden können. Der Kapitalismus ist mit dem Finanzkapitalismus und seiner jahrzehntelangen Verschlechterung der sozialen Lage an seiner Systemgrenze angekommen, die geradezu nach dem Aufbau eines demokratischen Sozialismus verlangt. Der Politikwechsel ist durch ein Bündnis von SPD, Linkspartei und Grünen zu tragen. Organisationen wie Gewerkschaften und alternative Gruppierungen verschiedenster Art, die sich dem Ziel der Demokratisierung verschrieben haben, sind in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Es geht also nicht darum, eine neue Sammlungspartei zu gründen sondern um die Herstellung eines Konsenses verschiedener Organisationen, die für den Aufbau eines demokratischen Sozialismus zu gewinnen sind und dafür kämpfen, eine politische Hegemonie zu  erreichen und dann dauerhaft zu erhalten.

 

  • Siehe zum Folgenden: Stephan Krüger, Soziale Ungleichheit, Hamburg 2017 S. 529ff.
  • a.O.529ff.
  • a.O. S.573

 

 

 

 

Die Zeitenwende

07. Januar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

                      CHRISTIAN LINDNER UND DIE ZEITENWENDE (1).

So wie in der Verteidigungs- und Energiepolitik der Bundeskanzler und seine Ampelkoalition eine Zeitenwende sehen, so will auch Christian Lindner in der Finanzpolitik eine Zeitenwende durchsetzen. Er hat dabei vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft vor Augen. Er will an mehreren Stellschrauben drehen, das heißt, Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, die Fachkräfteeinwanderung steuern und die Digitalisierung in der Verwaltung und Forschung auf den Weg bringen. Außerdem, und darauf wird er ein besonderes Gewicht legen, will er den „Arbeitsmarkt flexibel“ gestalten und private Investitionen durch „steuerliche Möglichkeiten“ anregen. Anders ausgedrückt: Die Zeitenwende von Lindner ist ein Zurück zur angebotsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik, also zur neoliberalen Politik mitsamt der Schuldenbremse. Lindner ist überzeugt, dass das in der Ampelkoalition zu verwirklichen sei. Dem steht entgegen, dass beispielsweise der Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert in Zukunft mehr Verteilungsgerechtigkeit schaffen und Besserverdienende und Spitzenverdiener und Spitzenverdienerinnen steuerlich stärker belasten will (Badische Zeitung vom 28.12.22). Ein weiterer Punkt von Lindners Zeitenwende besteht darin, in Zukunft Kernkraftwerke in Krisenzeiten länger laufen zu lassen. Auch da wird er auf Widerstand in der Ampelkoalition stoßen, ebenso wie bei seiner Forderung, das Fracking-Verbot aufzuheben. Insgesamt geht Lindner für 2023 davon aus, dass sich mit seinen Vorschlägen die wirtschaftliche Abkühlung nicht weiter fortsetzt sondern eine sogenannte sanfte Landung erreicht wird.

Christian Lindner erweist sich als Teil der herrschenden Elite, der die kapitalistische Produktionsweise nicht antasten und die Privilegien der Vermögenden schützen will. Andere Teile der herrschenden Elite haben die Illusion, die Probleme dieser Wirtschaftsordnung auf längere Sicht durch staatliche und private Verschuldung lösen zu können. Schützenhilfe bieten dabei die VertreterInnen der Modern Monetary Theory (MMT). Dass staatliche und private Geldschöpfung und Kreditexpansion ökonomisch- soziale Grenzen haben, das zeigen allerdings viele Länder, die in eine Schuldenkrise geraten sind. Eine wirkliche Zeitenwende wäre erst dann gegeben, wenn die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Jagd nach dem Mehrwert Schritt für Schritt überwunden würde. Das wird jedoch nur durch Eingriffe des Staates auf der Basis einer grundlegenden Änderung der Steuerpolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik etc. zu Gunsten der Masse der Bevölkerung und einer grundlegenden Änderung der politischen Kräfteverhältnisse möglich sein. Eine solche Zeitenwende ist allerdings weder von Lindner noch von der Ampelkoalition insgesamt zu erwarten.

(1)Der Aufsatz basiert auf dem Interview mit Christian Lindner in der Badischen Zeitung vom 5.1.23. Die gleichen Positionen hat Lindner jüngst auf dem Dreikönigstreffen der FDP wiederholt.

Über die Weltunordnung

05. Januar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

ÜBER DIE WELTUNORDNUNG.

Carlo Masala, seines Zeichens Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, hat einen Text über globale Krisen und das Versagen des Westens herausgegeben. Er beginnt mit der Feststellung, dass mit der Implosion der Sowjetunion 1989/90 der Beginn des Zeitalters des Friedens und der Stabilität erwartet wurde. Zu Beginn des 21.Jahrhunderts muss allerdings festgestellt werden, dass sich diese Erwartung in Luft aufgelöst hat. Masala vertritt die These, dass nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes der Westen versucht habe, international eine Weltordnung zu errichten, die seinen eigenen „Werten“ entspreche. Masala geht davon aus, dass diese Politik fehlgeschlagen sei und der Westen auch durch das Fiasko in Afghanistan (2001), im Irak (2003) oder Libyen (2011) nicht von seiner Linie abgewichen sei. Im Gegenteil, diese Politik habe mit dazu beigetragen, dass eine Welt der Unordnung entstanden sei. Masala wirft dem Westen vor, er habe sich von dem Wunsch leiten lassen, sein Modell der Weltordnung notfalls auch mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Masala rät heute zu einer realistischen Politik. Die bestehe darin, gesellschaftliche Unterschiede zu akzeptieren und kein Machtmonopol auszuüben. Er stellt fest, dass auch der Westen und vor allem die Großmächte nicht am Allgemeinwohl interessiert seien, sondern vor allem an ihren nationalen Interessen. Insoweit ist es ein frommer Wunsch, wenn Bundeskanzler Scholz die EU als Antipode des Imperialismus und von Autokratien ansieht. Dass dem nicht so ist, zeigen die illiberalen Demokratien in Polen und Ungarn, der Rechtsradikalismus in Frankreich, Schweden und Italien und auch die AFD in der Bundesrepublik. Auch die USA und Großbritannien sind weit davon entfernt, lupenreine Demokratien zu sein, das haben wir unter Donald Trump und dem Post-Brexit-Regime erlebt. Antipoden zu Autokratien sehen anders aus. Insoweit ist auch eine Politik gegen die Autokratie Russlands bzw. gegen den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine weder in der EU noch darüber hinaus einheitlich durchsetzbar. Carlo Masala ist in dieser Hinsicht zuzustimmen, obwohl er die Weltunordnung nur in oberflächlicher Weise analysiert. Das liegt daran, dass er die ökonomischen Ursachen der weltweiten Konflikte stark unterbelichtet.

Masala spricht vom „Westen“ wenn er vom Kapitalismus sprechen müsste. Dieser entwickelt sich auf Basis bestimmter Gesetzmäßigkeiten, die die Grundlage der politischen Entwicklung und damit auch der Weltunordnung darstellen. Der Kapitalismus verläuft krisenhaft und befindet sich seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in einer strukturellen Überakkumulation. Das bedeutet, dass der Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate nicht mehr durch eine Steigerung der gesellschaftlichen Profitmasse kompensiert wird. Die Folge ist die Entwicklung eines Kapitalismus, in dem Kapital massiv auf die Finanzmärkte umgeleitet wird mit einer stark spekulativen Tendenz. Viele Staaten werden in diese Entwicklung einbezogen, deutlich sichtbar an der Russlandkrise 1998, Brasilienkrise 1999, Türkeikrise 2000 und Argentinienkrise 2001. Den Höhepunkt bildete die Finanzkrise 2007, die als zweite große Krise des Kapitalismus gilt und als Höhepunkt der strukturellen Überakkumulation. Politische Instabilitäten und die sogenannte Weltunordnung sind die logische Folge. Eine Lösung der ökonomischen und politische Probleme wird auf Dauer nur möglich sein, wenn die neoliberale  Politik beendet und Schritt für Schritt die private Kapitalverwertung als Grundlage der Wirtschaftsordnung aufgehoben wird. Es muss auf Dauer der Aufbau einer nichtkapitalistischen Ordnung erfolgen. Dazu bedarf es allerdings eines fundamentalen Wandels in der nationalen und internationalen Politik und der politischen Kräfteverhältnisse zu Gunsten der großen Mehrheit der Bevölkerungen. Eine glaubwürdige und glaubwürdig vertretene wirtschaftsdemokratische und allgemein politisch-soziale Orientierung muss angestrebt werden. Dass das keine Utopie bleibt, daran hat die demokratische Linke kräftig zu arbeiten.

Das Jahr 2023, Ängste der Bevölkerung und Illusionen der SPD.

31. Dezember 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DAS JAHR 2023, DIE ÄNGSTE DER BEVÖLKERUNG UND DIE ILLUSIONEN DER SPD.

Bei einer Umfrage des Instituts Ipsos stellte sich heraus, dass nur 35% der Befragten dem kommenden Jahr mit Zuversicht entgegensehen. Der Zukunftsforscher Opaschowski weist darauf hin, dass inzwischen viele Menschen massive Existenzängste haben. Besonders die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich werde mit großer Sorge gesehen. Die ältere Generation, das heißt Menschen ab 55 Jahren und älter, sei mehrheitlich besorgt, während bei 14-24jährigen noch der Optimismus überwiege. Die Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen fand heraus, dass 70% der Frauen und 58% der Männer mit Befürchtungen in das Jahr 2023 gehen. Bei Geringverdienern seien es 75% und auch bei Besserverdienern immerhin 50%. Hoffnung und Halt gebe laut Opaschowski die Tätigkeit des Staates, insbesondere des Sozialstaats.

Die Frage ist allerdings, ob diese Hoffnung angesichts der heutigen politischen Verhältnisse berechtigt ist?

Auf diese Frage versucht der Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert in der Badischen Zeitung vom 28.12.22 Antworten zu geben. Er ist der Auffassung, dass durch Entlastungspakete zwar schnell viel Geld an viele Menschen gegangen sei, er sieht aber auch, dass Unterstützung auch an Leute gegangen sei, die sie nicht gebraucht hätten. Das gelte sowohl für die 300-Euro-Pauschale, die Mehrwertsteuersenkung auf Gas als auch die Energiepreisbremse. Dem ist zuzustimmen, wenn Kühnert Besserverdienende und Spitzenverdiener meint. Kühnert schlägt aber für die Zukunft eine andere Herangehensweise an die ökonomisch-sozialen Probleme vor, er möchte mehr Verteilungsgerechtigkeit herstellen. Er hat dabei die Illusion, dass das in der Ampelkoalition mit der FDP machbar sei. Vorerst befinde sich aber die SPD noch in der Diskussionsphase, aber es kristallisiere sich heraus, dass es um eine Vermögensabgabe für sehr große Vermögen gehe, um Entlastungsgelder für wohlhabende Haushalte zurückzunehmen. Es gelte auch bei beim Regelsatz von 502 Euro Bürgergeld nachzusteuern, wenn es im kommenden Jahr nicht ausreiche. Entscheidend sei aber, Menschen dauerhaft in Arbeit zu bringen. Dem ist nicht zu widersprechen, ein Problem ist nur, wenn Kühnert meint, dass sei allein durch Aus- und Weiterbildung dauerhaft zu erreichen. Verteilungsgerechtigkeit und ein Ende der Arbeitslosigkeit wird nur möglich sein, wenn sich vor allem bei linken Kräften in der SPD und den Grünen die Bereitschaft entwickelt, Schritt für Schritt die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden. Nur so wird Verteilungsgerechtigkeit und Arbeit für alle erreicht werden können. Der Kampf für Verteilungsgerechtigkeit und Arbeit wird sonst immer wieder durch den Drang des privaten Kapitals nach möglichst hoher Verwertung blockiert werden. Diese Einsicht gilt es in der SPD und auch den Grünen mehrheitsfähig zu machen. Vor allem aber geht es darum, diese Einsicht im Bewusstsein der Wahlbevölkerung zu verankern, was allerdings von der Ampelkoalition nicht zu erwarten ist. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass durch Waffenlieferungen an die Ukraine der Angriffskrieg Russlands beendet werden kann und auf diese Weise die Regierung Putin an den Verhandlungstisch gebracht werden kann. Solange jede Seite noch meint, den Krieg gewinnen zu können, ist eine diplomatische Lösung nicht in Sicht.

Der Kapitalismus der letzten Jahrzehnte

17. Dezember 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

                      DER KAPITALISMUS DER LETZTEN JAHRZEHNTE.

Die Corona-Pandemie und auch der Ukrainekrieg haben dazu geführt, dass ökonomische und sozialen Entwicklungen, zum Beispiel die Verteuerung der Lebenshaltung, die steigenden Energiekosten, die Arbeitslosigkeit und die verbreitete soziale Unsicherheit aus diesen Ereignissen erklärt wurden. Dabei gerät aus dem Blickfeld, dass es sich vielfach um langfristige Entwicklungstendenzen der letzten Jahrzehnte handelt, die nur durch die obigen Ereignisse verstärkt wurden. Deswegen ein Blick zurück.

In den meisten kapitalistischen Ländern war die Weltwirtschaftskrise 1974/75 das Ende einer langen Prosperität. Schon in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts deutete sich wirtschaftlich und politisch ein Umschwung an. Die Ära des Fordismus, die gekennzeichnet war durch eine entwickelte Arbeitsteilung innerbetrieblich, national und international und die Bildung großer Oligopole, war an ihre Grenzen gestoßen.  Die Fließbandproduktion in alt hergebrachter Form geriet in Widerspruch zur Veränderung an den Märkten. Diese hatten sich zu Käufermärkten entwickelt mit sehr differenzierten Kundenwünschen. Die Folge war, dass nachträgliche Qualitätskontrollen und Nachbesserungen im Produktionsprozess von Waren an der Tagesordnung waren. Das wiederum hatte zur Folge, dass bei einer weiter sinkenden gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate auch das Wachstum der gesellschaftlichen Profitmasse abnahm. Das Ergebnis war eine sogenannte strukturelle Überakkumulation des Kapitals. An sich bedeutet Überakkumulation von Kapital eine Überreichlichkeit von produktivem Kapital (Z.B. Maschinen) sowie von Warenkapital im Verhältnis zur privaten Kapitalverwertung. Diese Überakkumulation wird strukturell, das heißt chronisch, wenn die Überkapazitäten im Laufe eines normalen Konjunkturzyklus nicht mehr abgebaut werden können. Die Überakkumulation im produktiven Sektor führt dann zu einer beschleunigten Akkumulation von Geldkapital und seinen vielfältigen Anlageformen mit meist spekulativen Bewegungen, die rückwirkend die produktiven Anlagen blockieren. Das schließt die Überschuldung vieler Unternehmen, von Privathaushalten und Staatshaushalten ein.

Die dargestellte Entwicklung prägt die größten kapitalistischen Gesellschaften seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts mit weiter fallenden gesellschaftlichen Durchschnittsprofitraten (m/c+v) und verlangsamten Wachstum der Profitmasse. Es handelt sich um allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Da die Produktion des Mehrwertes (m) durch die Arbeitskräfte(v) geschieht und der Einsatz von Maschinen etc. (c) schneller als der der Arbeitskräfte wächst, kommt es zu dem Fall der Profitrate und am bestimmten Punkt auch zur Verlangsamung der Profitmasse. Diese Entwicklung am Ende der Nachkriegsprosperität in den 70er Jahren war ebenfalls das Ende des internationalen Währungssystems von Bretton-Woods.  Spekulative Geldbewegungen hatten sich zunehmend gegen den US-Dollar gerichtet und damit das Fixkurssystem mit dem Dollar als sein Zentrum zum Einsturz gebracht. Ebenso bedrohlich erschien schon damals die beschleunigte Inflation der Warenpreise. Sie beruhte auf zwei Ursachen. Es war einerseits eine binnenwirtschaftliche Ursache mit der Verschuldung von privaten und staatlichen Haushalten sowie einer permissiven Notenbankpolitik (freizügige Kreditgewährung) und andererseits eine außenwirtschaftliche Rohstoffpreisentwicklung (Öl) also importinduzierter Preissteigerung. Im Zusammenhang mit der ausbleibenden Dynamik im produktiven Sektor führte das zur gleichzeitigen Stagnation und Inflation (Stagflation).

Der Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate traf auf eine Erhöhung des Geldzinssatzes, also das klassische Dilemma der Kapitalverwertung. Es folgte ein Paradigmenwechsel der Wirtschaftspolitik, die Bekämpfung der Inflation erhielt absolute Priorität. Die Nachfragepolitik der führenden Regierungen wurde zurückgefahren und die restriktive Geldmengenpolitik der Zentralbanken wurde Trumpf. In den 80er Jahren wirkt der Druck auf die Löhne vorübergehend entlastend für die Profitentwicklung. Allerdings war der Druck nicht nachhaltig, das heißt, er führte nicht zu einer neuen beschleunigten Kapitalakkumulation im produktiven Sektor. Die konsumtive Massennachfrage wurde ausgehöhlt, es kam nicht zu einer Auflösung der chronischen Überakkumulation. Es kam hinzu, dass viele asiatische Staaten, ausgenommen nur die VR China und Taiwan, in die Überakkumulation einbezogen wurden. Der Asienkrise folgte die Russlandkrise 1998, die Brasilienkrise 1999, die Türkeikrise 2000 und die Argentinienkrise 2001.

Neu in den USA um die Jahrtausendwende war die durch die Geld- und Finanzpolitik versuchte Nachfragestimulierung durch die sogenannte „asset-based, wealthdriven  accumulation.“ Es ist der Versuch, mithilfe der Ausweitung der Kreditaufnahme der Privathaushalte und flankiert durch die Niedrigzinspolitik der US-Zentralbank und einer Aktienhausse dem reproduktiven Kapital einen Impuls zugeben. Dieser Versuch scheiterte wegen des negativen Effektes auf die Massennachfrage ebenso wie der nächste Versuch, der eine gewaltige Immobilienkrise hervorrief. Es entstand eine gigantische kreditinduzierte Immobilienblase und wurde beendet durch die Finanzmarktkrise 2007. Sie gilt als zweite große Krise des Kapitalismus und der Höhepunkt der strukturellen Überakkumulation. Dieser Krise folgte wieder eine permissive Notenbankpolitik bei gleichzeitigem Versuch, die Schulden von Privathaushalten und Unternehmen abzubauen. Eine wirtschaftliche Entwicklung mit stagnativem Grundton war das Ergebnis der  Zeit nach der Finanzkrise.

 Die Coronakrise zu Beginn des Jahres 2020 und auch die Ukraine-Krise ab 2022 und ihre wirtschaftlichen Folgen machen deutlich, dass eine Lösung der ökonomisch-sozialen Probleme auf Dauer nur möglich sein wird, wenn der Neoliberalismus überwunden und ein kontrollierter Abbau der Schulden im Rahmen des Abbaus der Wirtschaftsblockaden der Profitproduktion und des sukzessiven Aufbaus eine nicht-kapitalistischen Wirtschaftsordnung erfolgt. Dazu bedarf es allerdings eines fundamentalen Wandels in den politischen Kräfteverhältnissen zu Gunsten der Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Das wird eine sozial-ökologische Orientierung in Betrieben, Gesamtwirtschaft und Weltmarkt sein müssen. Erforderlich ist eine sozialistische Politik die glaubwürdig ist, glaubwürdig vertreten wird und durch die Masse der Bevölkerung getragen wird. Dass das keine Utopie bleibt, daran hat die Linke kraftvoll mitzuarbeiten.  

 

Die Schuldenbremse-die Religion der herrschenden Eliten

26. November 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE SCHULDENBREMSE- DIE RELIGION DER HERRSCHENDEN ELITEN (1)

Finanzminister Lindner hat es jüngst im Bundestag propagiert, die Schuldenbremse sei 2023 wieder zu verwirklichen.

Was ist damit gemeint?

Die Schuldenbremse geht zurück auf die Finanzkrise 2008 und die darauf folgende Umorientierung in der Finanzpolitik. Ab 2009 schrieb das Grundgesetz vor, dass die Haushalte vom Bund und den Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen seien. Es galt also die Vorgabe einer Nichtverschuldung von Bund und Ländern. Der alte Artikel 115 des Grundgesetzes, der vor 2009 galt, sah noch die Möglichkeit vor, dass der Staat sich im Rahmen der Finanzierung von staatlichen Investitionen verschulden durfte. Diese Regel wurde komplett abgeschafft, dem Bund wurde allerdings eine sogenannte „strukturelle Neuverschuldung“ bis maximal 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zugestanden. Nur für konjunkturelle Abschwünge, Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen sieht das Grundgesetz heute eine Abweichung von der Regel der Nichtverschuldung vor.

Durch die Corona-Krise schien es, dass es zum Ende des Prinzips der Schuldenbremse kommen könnte. Es kam zum Schuldenanstieg bei Bund und Ländern, der durch eine außergewöhnliche Notsituation begründet wurde. Es wurde parallel dazu ein verfassungsrechtlich vorgeschriebener Tilgungsplan vorgelegt und Tilgungslasten vorgesehen, die sich nicht durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen finanzieren ließen. Es war damit abzusehen, dass auch in Zukunft eine offene oder verdeckte Staatsverschuldung (durch Nachtragshaushalte und Sonderhaushalte) vonstatten gehen würde.  

Es bleibt die Frage, welche Ideologie hinter dem Dogma steht, dass die staatliche Verschuldung grundsätzlich nicht zu akzeptieren sei?

Die Abschaffung der alten Verschuldungsregel hatte zur Folge, dass öffentliche Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen vernachlässigt wurden. Die Finanzierung der deutschen Einheit und die Finanzkrise von 2008 hatten vorher schon zu einer beschleunigten staatlichen Verschuldung geführt. Der Kern des Wechsels zur restriktiven Finanzpolitik, der dann folgte, ist allerdings das neoklassische Dogma, nach dem sich die Marktkräfte von selbst regulieren und der Staat nicht zu intervenieren habe. Diese Sichtweise lässt sich nur dadurch erklären, dass gesellschaftliche Prozesse im Kapitalismus nur aus einer einzelwirtschaftlichen Perspektive und auf Basis oberflächlicher Bewusstseinsstrukturen abgeleitet werden. Neoklassisches Bewusstsein kennt keine gesamtwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus und entsprechend fallen dann auch die Empfehlungen an die staatliche Wirtschaftspolitik aus. Dem sind aus marxistischer Sicht folgende Punkte entgegenzuhalten:

1.Aufgrund des Falls der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate (m/c+v) und gleichzeitigen stagnierenden oder fallenden Wachstums des Gesamtkapitals entstand eine sogenannte strukturelle Überakkumulation. Das bedeutet, es entstanden Überkapazitäten im industriellen Bereich mit einer wirtschaftlichen Abschwächung dort und eine Umlenkung von Kapital auf die Finanzmärkte. Eine Überhitzung der Finanzmärkte mit privater und staatlicher Verschuldung war die Konsequenz. Es handelt sich also um gesamtgesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise (2)

  1. Die staatliche Verschuldung und eine entsprechende Notenbankpolitik (Quantitative Easing) waren der Versuch diese ökonomische Entwicklung in den Griff zu bekommen. Dem stand immer die Forderung der Vertreter des neoklassischen Dogmas entgegen, dass der Staat zu einer Reduktion seiner Ausgaben und seiner Verschuldung zurückfinden müsse. Durch die Corona-Krise und jüngst den Ukraine-Krieg mit seiner Anheizung der Energiekosten und der Kosten der Lebenshaltung konnte davon erst einmal keine Rede sein.
  2. Finanzminister Lindner repräsentiert mit seiner Forderung einer Neuauflage der Schuldenbremse die Teile der herrschenden Elite, die die kapitalistische Produktionsweise nicht antasten wollen und gleichzeitig durch eine verschärfte Sparpolitik, vorwiegend im sozialen Bereich, die Privilegien von Spitzenverdienern und Vermögenden schützen wollen. Andere Teile der herrschenden Eliten haben die Illusion, durch staatliche Verschuldung die Probleme dieser Wirtschaftsordnung auch auf lange Sicht lösen zu können. Schützenhilfe bieten bei diesem Vorhaben die Vertreter der Neuen Geldpolitik ( Modern Monetary Theory). Die Schuldenkrisen verschiedener Länder zeigen jedoch deutlich auf, wo die Grenzen staatlicher Geldschöpfung und Kreditexpansion liegen. (3)
  3. Eine Lösung der Probleme dieser Wirtschaftsordnung kann nur darin bestehen, schrittweise die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Jagd nach dem Mehrwert zu überwinden. Das wird nur durch Eingriffe des Staates möglich sein auf der Basis einer grundlegenden Änderung der Steuerpolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik etc. zu Gunsten der Masse der Bevölkerung. Ziel muss die Entwicklung einer sozialistischen Marktwirtschaft und sozialistischen Demokratie sein, durch die grundlegende Fehler des realen Sozialismus vermieden werden. Das bedeutet auch, Fehlentwicklungen beim Aufbau des „Sozialismus chinesischer Prägung“ und anderer aktueller Gesellschaften mit sozialistischem Anspruch klar zu benennen. Es bedarf einer Politik der linken Alternativen, die diese Alternativen glaubwürdig vertritt, große Teile der Bevölkerung überzeugt und Schritt für Schritt die politischen Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Bevölkerungsmehrheit verschiebt.

(1) Der Text von R. Hickel u.a. „Gewinn ist nicht genug“, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2021, wurde bei der Betrachtung des Problems der Schuldenbremse mit herangezogen.

(2) Die Darstellung der Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise ist nachzulesen bei Stephan Krüger „Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation“ VSA-Verlag, Hamburg 2010.

(3) Zur Kritik der Modern Monetary Theory siehe auch Krüger/Müller „Das Geld im 21.Jahrhundert“ Papy Rossa Verlag, Köln 2020.

 

 

Der Ukraine-Krieg

05. November 2022  Allgemein

DIE LINKE FREIBURG

 

                  DER UKRAINE-KRIEG- ACHT MONATE UND KEIN ENDE!

Schon im Jahr 2014 gab es einen Appell von verschiedenen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Politik, in dem eine neue Entspannungspolitik eingefordert wurde. Das war immerhin acht Jahre vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahre 2022. Es wäre also Zeit gewesen, eine entschlossene Entspannungspolitik zu beginnen. Die Frage ist also, welche Möglichkeiten der Entspannungspolitik sowohl von der Nato als auch Russland nicht genutzt wurden. Das Problem in der Person Putins und seiner autoritär-aggressiven Persönlichkeitsstruktur zu suchen, was medial häufig gemacht wird, wird einer rationalen Untersuchung und Erklärung des Krieges nicht standhalten. Wir müssen uns somit an gesellschaftliche Strukturen und damit zusammenhängende politische Entwicklungen halten.

Die Aufgabe der Linkspartei wäre es darzustellen, welche Strukturen im Kapitalismus demokratischer oder autoritärer Prägung eine aggressive Politik nach Innen und nach Außen ermöglichen. Da das oberste Ziel des Kapitalismus darin besteht, privates Kapital möglichst gewinnbringend zu verwerten, gehört es seit jeher zum Strukturmerkmal des Kapitalismus, dass Hindernisse auf dem Weg zur optimalen Verwertung privaten Kapitals national durch Beschränkung von Arbeitnehmerrechten bis hin zur personalen Form der Klassenherrschaft (Faschismus) und international durch gewaltsame imperiale Politik beiseite geräumt werden. Eine ausserökonomische Gewalt ist in der Regel an der Tagesordnung, wenn der Kapitalismus von der prosperierenden Entwicklung in eine krisenhafte übergeht. Vor diesem Hintergrund muss auch die nationale und internationale Politik nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab 1990 gesehen werden.

Im Jahre 1990 bestand die Hoffnung, nach dem Ende des sogenannten Kalten Krieges zu einer neuen Friedenspolitik zu kommen. Der 2+4- Vertrag erbrachte mit Zustimmung der vier Alliierten (USA.SU, GB und FR) die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Nach Aussagen vieler Teilnehmer des Verhandlungsprozesses kam der Vertrag nur zustande, weil eine Nichterweiterung der Nato nach Osteuropa versprochen wurde. Auch das Budapester Memorandum von 1994 sowie die Nato-Russland-Grundakte von 1997 schienen noch im Geiste einer neuen Friedenspolitik ausgehandelt worden zu sein. Die Verhandlungen wurden allgemein so verstanden, dass sich die Nato bei der Stationierung von Truppen und Waffensystemen in Osteuropa zurückhalten wolle. Fakt war jedoch bald, dass die Nato 14 Staaten in Ost- und Südosteuropa in ihre Organisation aufnahm. Das ist so zu interpretieren, dass ohne außerökonomische Gewalt dem Verwertungsdrang privaten Kapitals politisch Rechnung getragen wurde.   Die USA als führende Kraft der Nato zeigten bereits damals, dass sie nicht an einer neuen europäischen Friedensordnung   unter Einschluss Russlands interessiert waren. Das Minsker Abkommen von 2015 macht dann deutlich, dass Russland als autoritäre Form des Kapitalismus bereits zu einer aggressiven Außenpolitik übergegangen war. Die prorussischen Teile des Donbass, die militärisch von Russland gestützt wurden, sollten durch Verhandlungen Russlands mit der Ukraine unter Beisein von Vertretern der Bundesrepublik und Frankreichs einen autonomen Status erhalten. Dieser Status wäre allerdings ein Status gewesen, der Russland die Kontrolle über den Donbass gegeben hätte. Das Abkommen wurde danach von der Ukraine blockiert und in der Folge entwickelte sich ein siebenjähriger Stellungskrieg mit vielen militärischen und zivilen Opfern. Im Jahre 2022 wurde das Abkommen von russischer Seite aufgekündigt, was den Beginn des Krieges von Russland gegen die Ukraine bedeutete.

Es bleibt die Frage, welche strukturellen Umbrüche im russischen Kapitalismus vonstatten gegangen sind, um zu der heutigen Politik zu kommen?

Der russische Angriff auf die Ukraine 2022 kam für viele Beobachter überraschend. Mit dem Amtsantritt W. Putins im Jahre 2000 war eine Trennlinie gezogen worden, die Zeit vorher wurde allgemein als Zeit des demokratischen Aufbaus Russlands betrachtet. Eine genaue Analyse der gesellschaftlichen Struktur Russlands nach 1990 ergibt allerdings ein anderes Bild. Zuerst sollte in der Ära Gorbatschows versucht werden, einen Umbau des Sozialismus im Sinne von Glasnost und Perestroika zu erreichen, also eine transparente demokratische Veränderung. Ökonomische Schwierigkeiten bei dem Umbau führten jedoch dazu, dass sich Wirtschaftsreformer durchsetzten, die einen radikalen Umbau hin zur kapitalistischen Marktwirtschaft anstrebten. Das bedeutete, sie befürworteten eine weitgehende Entstaatlichung der Wirtschaft, die Aufgabe von Preiskontrollen und eine Liberalisierung des Außenhandels. Unter Boris Jelzin erfolgte dann zwischen 1992-94 die Einführung des Kapitalismus in Russland mittels eines Schockverfahrens, das heißt, alle gesellschaftlichen Bereiche wurden ungeschützt den Märkten überlassen. Die Folge war, dass die russische Gesellschaft in eine soziale Katastrophe geführt wurde und eine Kapitalistenklasse entstand, bei der sich wenige Parteifunktionäre und Wirtschaftsführer (Oligarchen) der ehemaligen Sowjetunion bereicherten. Die ökonomische Basis der neuen Kapitalistenklasse bestand vor allem aus dem Export von Rohstoffen, zum Beispiel Erdöl, Erdgas, Aluminium und Energie. Das alles führte zu einer autoritären kapitalistischen Entwicklung, unter Führung von Boris Jelzin gegen den Willen des russischen Parlaments. Kapitalisten, Politiker und hohe Beamte waren dabei aufs Engste miteinander verbunden. Die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik und ihre Probleme führten schließlich zu einem Wendepunkt im Verhältnis von Staat und Wirtschaft und den Beginn des politischen Aufstiegs von W. Putin. Die autoritäre Form des Kapitalismus wurde weiter ausgebaut, der staatliche Unterdrückungsapparat verstärkt und oppositionelle Aktivitäten massiv bekämpft. Die logische Folge war die Militarisierung der Außenpolitik und die Angriffe auf die Ukraine als vorläufigen Höhepunkt. Konflikte im Innern Russlands werden nach außen getragen und es droht auf dieser Basis keine neue friedliche Koexistenz mit anderen kapitalistischen Staaten, sondern eine zunehmende imperiale Konkurrenz um Einflusszonen.

Der Krieg in der Ukraine, der jetzt schon acht Monate andauert, hat dazu geführt, dass der Westen gegenüber Russland Exportkontrollen erlassen hat, und es wird versucht, das Land von westlichen Technologien abzuschneiden. Energieembargos sollen Russland von wichtigen Einnahmequellen abtrennen. Als Gegenreaktion hat Russland die Lieferung von Erdgas eingeschränkt, was die Gas- und Elektrizitätspreise sowie die Inflationsrate im Westen auf ein Rekordniveau gebracht hat. Der Westen unterstützt die Ukraine mit enormen Militärressourcen und verhindert mithilfe des Finanzsystems den Zusammenbruch des Landes. Das augenblickliche Misstrauen zwischen den beteiligten kapitalistischen Staaten macht einen Frieden kaum möglich, der Westen und auch die Regierung der Ukraine gehen davon aus, dass nur militärische Stärke zu einer Lösung des Konfliktes führt. Da weder Russland noch die Ukraine mit den NATO- Staaten eine Niederlage akzeptieren, rückt der Frieden in weite Ferne. Zu vertrauensbildenden Maßnahmen müssten beide Seiten bereit sein, wenn der Krieg ein Ende haben soll. Dabei wird es auch darum gehen, ob die USA und Russland eine neue internationale Friedensordnung verwirklichen wollen. Das würde allerdings voraussetzen, dass die imperiale Konkurrenz um Einflusszonen beendet wird. Das wird in der Perspektive auch für das Verhältnis der kapitalistischen Staaten zur Volksrepublik China von Bedeutung sein.