Wie Unternehmer und Anleger den Kapitalismus sehen und was Linke dazu sagen sollten?

16. April 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

WIE UNTERNEHMER UND ANLEGER DEN KAPITALISMUS SEHEN UND WAS LINKE DAZU SAGEN SOLLTEN?

In den sogenannten „Fuchsbriefen“ für Unternehmer und Anleger wird 2021 behauptet: „Marx verliert die letzte Schlacht.“ Es wird festgestellt, dass Technik, Sprache und Kunst im Wirtschaftsleben höchst anpassungsfähig aufgenommen werden und damit das Ende „orthodoxer linker Positionen“ eingeläutet sei. Die Eigentumsfrage werde heute nicht mehr gestellt und der Marxismus endgültig besiegt. Verantwortlich dafür sei der „progressive Neoliberalismus“, bei dem neoliberale und progressive Kräfte erfolgreiche Bündnisse miteinander eingingen. Amazon beispielsweise fördere Geschäfte, die von schwarzen Personen, Frauen, queeren Gemeinschaften oder der neuen Musikkultur betrieben würden. Für die Partei Die Grünen, ursprünglich links orientiert, ginge es heute um einen grünen Kapitalismus. Enteignungen, zum Beispiel von Wohnungsbaukonzernen, werde heute nur von Minderheiten gefordert. International läge die Linke ebenfalls am Boden, zum Beispiel in Italien, Österreich oder Skandinavien. Ausnahmen seien die iberische Halbinsel und Teile Südamerikas. Der Kapitalismus setzte sich heute sogar in autoritären Systemen wie in China durch.

Die Frage ist also, was in den „Fuchsbriefen“, also bei Unternehmern und Anlegern, unter Marxismus und Kapitalismus verstanden wird und ob das Ende des Marxismus tatsächlich eingeläutet ist?

Festzuhalten ist, dass Marx nicht von einer Marktwirtschaft sprach, sondern vom Kapitalismus. Damit ist gemeint, dass das Kapitalverhältnis immer durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft an den Kapitalisten eingeleitet wird. Wenn der Produktionsprozess beginnt, gehört die Arbeitskraft des Arbeitenden dem Kapitalisten, die zu dem Zweck eingesetzt wird, einen Mehrwert zu erzielen, den er sich unentgeltlich aneignen kann. Nur aus diesem Grunde kauft der Kapitalist die Ware Arbeitskraft. Im Produktionsprozess zerfällt die Arbeitszeit in zwei Teile, einerseits die notwendige Arbeitszeit, in der der Arbeitende den Gegenwert für den Wert der Arbeitskraft schafft, und andererseits die Mehrarbeitszeit, in der er den Mehrwert schafft. Am Ende des Prozesses steht eine Ware, zum Beispiel ein Konsumgut oder Produktionsgut, die den Mehrwert enthält und der dann am Markt erlöst werden muss. Wenn das gelingt, kann der Prozess von neuem beginnen, entweder auf einfacher oder erweiterter Stufenleiter. Das ist die Grundstruktur des sogenannten Kapitalkreislaufes, der auch heute die Grundlage des Kapitalismus bildet. Von dieser Grundstruktur haben die Unternehmer und Anleger der „Fuchsbriefe“ nichts verstanden, ebenso wenig wie die kurz- und langfristigen Entwicklungstendenzen, die daraus erwachsen. Diese Grundstruktur führt zu einer beschleunigten Akkumulation des Kapitals, zu einem Krisenzyklus und auf lange Sicht zu einer strukturellen Überakkumulation des Kapitals. Das bedeutet, dass es an einem bestimmten Punkt der Entwicklung nicht mehr gelingt, den Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate durch das Wachstum des Gesamtkapitals zu kompensieren und das Wachstum der Produktivkräfte nur noch durch eine grundlegende Veränderung der Wirtschaftsordnung, die nicht durch die Mehrwertproduktion bestimmt ist, weitergeführt werden kann.

Marx hat nun im „Kapital“ aufgezeigt, dass diese Zusammenhänge weder von der bürgerlichen Ökonomie, der bürgerlichen Politik und auch nicht von größeren Teilen der Bevölkerung unmittelbar erkannt werden können. Das hat drei Gründe:

1.Der Kreislauf des Kapitals ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem scheinbar die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden jeder für sich zur Wertschöpfung beiträgt.

  1. Die Kategorie des Arbeitslohnes ruft den Schein hervor, alle Arbeit sei bezahlt worden und lässt keine Mehrwertproduktion des Arbeitenden erkennen.
  2. Der Wert der Ware Arbeitskraft enthält immer ein moralisch-kulturelles Moment, der bei entsprechenden sozialen und politischen Kräfteverhältnissen eine Verbesserung der Lebensverhältnisse größerer Teile der Bevölkerung ermöglicht.

Alle Momente des sogenannten „progressiven Neoliberalismus“ haben nur solange Bestand, solange der Kapitalismus nicht seine Systemgrenze erreicht. Das heißt, diese Grenze ist erreicht, wenn der Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate nicht mehr durch das Wachstum des Gesamtkapitals kompensiert oder überkompensiert werden kann und sich die Produktion des Mehrwertes als gesellschaftliche Schranke erweist. Diese Situation ist dann mit einer enormen Verschlechterung der Lebensverhältnisse größerer Bevölkerungsteile national und international verbunden. Inzwischen haben wir eine Situation, in der die Einkommens- und Vermögensverteilung weit auseinanderklaffen, der Staat den weiteren Niedergang durch Interventionen hinauszögert und die Zentralbanken versuchten, durch ihre Niedrigzinspolitik und den Ankauf von Wertpapieren Banken vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Augenblicklich schwanken sie zwischen einer Antiinflationspolitik und einer weiteren Erhöhung der finanziellen Liquidität. Je krisenhafter die Entwicklung wird und auch von vielen Menschen als solche empfunden wird, umso stärker kann das Bewusstsein entstehen, dass das ökonomische und politische Kräfteverhältnis zu verändern ist. Wenn es der Linken gelingt zu verdeutlichen, dass die Reformpolitik und die Schutzrechte in dieser Gesellschaft nicht ewig Bestand haben werden, kann es zu grundlegenden Strukturveränderungen weg vom Kapitalismus kommen. Dazu ist allerdings notwendig, rechtpopulistische und faschistische Entwicklungen zu stoppen und eine nachvollziehbare linke Alternative, die auch die Fehler des Realsozialismus deutlich darstellt, mehrheitsfähig zu machen. Dann wird am Ende gesagt werden können: „Marx gewinnt die letzte Schlacht.“ (1)

(1)Wer sich grundlegend über die Darstellung und Aktualisierung der marxistischen Analyse informieren möchte dem sei u .a. folgender Text empfohlen:

Stephan Krüger, Wirtschaftspolitik und Sozialismus, VSA-Verlag Hamburg 2016.