Die Schuldenbremse-die Religion der herrschenden Eliten

26. November 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE SCHULDENBREMSE- DIE RELIGION DER HERRSCHENDEN ELITEN (1)

Finanzminister Lindner hat es jüngst im Bundestag propagiert, die Schuldenbremse sei 2023 wieder zu verwirklichen.

Was ist damit gemeint?

Die Schuldenbremse geht zurück auf die Finanzkrise 2008 und die darauf folgende Umorientierung in der Finanzpolitik. Ab 2009 schrieb das Grundgesetz vor, dass die Haushalte vom Bund und den Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen seien. Es galt also die Vorgabe einer Nichtverschuldung von Bund und Ländern. Der alte Artikel 115 des Grundgesetzes, der vor 2009 galt, sah noch die Möglichkeit vor, dass der Staat sich im Rahmen der Finanzierung von staatlichen Investitionen verschulden durfte. Diese Regel wurde komplett abgeschafft, dem Bund wurde allerdings eine sogenannte „strukturelle Neuverschuldung“ bis maximal 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zugestanden. Nur für konjunkturelle Abschwünge, Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen sieht das Grundgesetz heute eine Abweichung von der Regel der Nichtverschuldung vor.

Durch die Corona-Krise schien es, dass es zum Ende des Prinzips der Schuldenbremse kommen könnte. Es kam zum Schuldenanstieg bei Bund und Ländern, der durch eine außergewöhnliche Notsituation begründet wurde. Es wurde parallel dazu ein verfassungsrechtlich vorgeschriebener Tilgungsplan vorgelegt und Tilgungslasten vorgesehen, die sich nicht durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen finanzieren ließen. Es war damit abzusehen, dass auch in Zukunft eine offene oder verdeckte Staatsverschuldung (durch Nachtragshaushalte und Sonderhaushalte) vonstatten gehen würde.  

Es bleibt die Frage, welche Ideologie hinter dem Dogma steht, dass die staatliche Verschuldung grundsätzlich nicht zu akzeptieren sei?

Die Abschaffung der alten Verschuldungsregel hatte zur Folge, dass öffentliche Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen vernachlässigt wurden. Die Finanzierung der deutschen Einheit und die Finanzkrise von 2008 hatten vorher schon zu einer beschleunigten staatlichen Verschuldung geführt. Der Kern des Wechsels zur restriktiven Finanzpolitik, der dann folgte, ist allerdings das neoklassische Dogma, nach dem sich die Marktkräfte von selbst regulieren und der Staat nicht zu intervenieren habe. Diese Sichtweise lässt sich nur dadurch erklären, dass gesellschaftliche Prozesse im Kapitalismus nur aus einer einzelwirtschaftlichen Perspektive und auf Basis oberflächlicher Bewusstseinsstrukturen abgeleitet werden. Neoklassisches Bewusstsein kennt keine gesamtwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus und entsprechend fallen dann auch die Empfehlungen an die staatliche Wirtschaftspolitik aus. Dem sind aus marxistischer Sicht folgende Punkte entgegenzuhalten:

1.Aufgrund des Falls der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate (m/c+v) und gleichzeitigen stagnierenden oder fallenden Wachstums des Gesamtkapitals entstand eine sogenannte strukturelle Überakkumulation. Das bedeutet, es entstanden Überkapazitäten im industriellen Bereich mit einer wirtschaftlichen Abschwächung dort und eine Umlenkung von Kapital auf die Finanzmärkte. Eine Überhitzung der Finanzmärkte mit privater und staatlicher Verschuldung war die Konsequenz. Es handelt sich also um gesamtgesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise (2)

  1. Die staatliche Verschuldung und eine entsprechende Notenbankpolitik (Quantitative Easing) waren der Versuch diese ökonomische Entwicklung in den Griff zu bekommen. Dem stand immer die Forderung der Vertreter des neoklassischen Dogmas entgegen, dass der Staat zu einer Reduktion seiner Ausgaben und seiner Verschuldung zurückfinden müsse. Durch die Corona-Krise und jüngst den Ukraine-Krieg mit seiner Anheizung der Energiekosten und der Kosten der Lebenshaltung konnte davon erst einmal keine Rede sein.
  2. Finanzminister Lindner repräsentiert mit seiner Forderung einer Neuauflage der Schuldenbremse die Teile der herrschenden Elite, die die kapitalistische Produktionsweise nicht antasten wollen und gleichzeitig durch eine verschärfte Sparpolitik, vorwiegend im sozialen Bereich, die Privilegien von Spitzenverdienern und Vermögenden schützen wollen. Andere Teile der herrschenden Eliten haben die Illusion, durch staatliche Verschuldung die Probleme dieser Wirtschaftsordnung auch auf lange Sicht lösen zu können. Schützenhilfe bieten bei diesem Vorhaben die Vertreter der Neuen Geldpolitik ( Modern Monetary Theory). Die Schuldenkrisen verschiedener Länder zeigen jedoch deutlich auf, wo die Grenzen staatlicher Geldschöpfung und Kreditexpansion liegen. (3)
  3. Eine Lösung der Probleme dieser Wirtschaftsordnung kann nur darin bestehen, schrittweise die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Jagd nach dem Mehrwert zu überwinden. Das wird nur durch Eingriffe des Staates möglich sein auf der Basis einer grundlegenden Änderung der Steuerpolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik etc. zu Gunsten der Masse der Bevölkerung. Ziel muss die Entwicklung einer sozialistischen Marktwirtschaft und sozialistischen Demokratie sein, durch die grundlegende Fehler des realen Sozialismus vermieden werden. Das bedeutet auch, Fehlentwicklungen beim Aufbau des „Sozialismus chinesischer Prägung“ und anderer aktueller Gesellschaften mit sozialistischem Anspruch klar zu benennen. Es bedarf einer Politik der linken Alternativen, die diese Alternativen glaubwürdig vertritt, große Teile der Bevölkerung überzeugt und Schritt für Schritt die politischen Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Bevölkerungsmehrheit verschiebt.

(1) Der Text von R. Hickel u.a. „Gewinn ist nicht genug“, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2021, wurde bei der Betrachtung des Problems der Schuldenbremse mit herangezogen.

(2) Die Darstellung der Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise ist nachzulesen bei Stephan Krüger „Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation“ VSA-Verlag, Hamburg 2010.

(3) Zur Kritik der Modern Monetary Theory siehe auch Krüger/Müller „Das Geld im 21.Jahrhundert“ Papy Rossa Verlag, Köln 2020.