Der Kapitalismus der letzten Jahrzehnte

17. Dezember 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

                      DER KAPITALISMUS DER LETZTEN JAHRZEHNTE.

Die Corona-Pandemie und auch der Ukrainekrieg haben dazu geführt, dass ökonomische und sozialen Entwicklungen, zum Beispiel die Verteuerung der Lebenshaltung, die steigenden Energiekosten, die Arbeitslosigkeit und die verbreitete soziale Unsicherheit aus diesen Ereignissen erklärt wurden. Dabei gerät aus dem Blickfeld, dass es sich vielfach um langfristige Entwicklungstendenzen der letzten Jahrzehnte handelt, die nur durch die obigen Ereignisse verstärkt wurden. Deswegen ein Blick zurück.

In den meisten kapitalistischen Ländern war die Weltwirtschaftskrise 1974/75 das Ende einer langen Prosperität. Schon in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts deutete sich wirtschaftlich und politisch ein Umschwung an. Die Ära des Fordismus, die gekennzeichnet war durch eine entwickelte Arbeitsteilung innerbetrieblich, national und international und die Bildung großer Oligopole, war an ihre Grenzen gestoßen.  Die Fließbandproduktion in alt hergebrachter Form geriet in Widerspruch zur Veränderung an den Märkten. Diese hatten sich zu Käufermärkten entwickelt mit sehr differenzierten Kundenwünschen. Die Folge war, dass nachträgliche Qualitätskontrollen und Nachbesserungen im Produktionsprozess von Waren an der Tagesordnung waren. Das wiederum hatte zur Folge, dass bei einer weiter sinkenden gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate auch das Wachstum der gesellschaftlichen Profitmasse abnahm. Das Ergebnis war eine sogenannte strukturelle Überakkumulation des Kapitals. An sich bedeutet Überakkumulation von Kapital eine Überreichlichkeit von produktivem Kapital (Z.B. Maschinen) sowie von Warenkapital im Verhältnis zur privaten Kapitalverwertung. Diese Überakkumulation wird strukturell, das heißt chronisch, wenn die Überkapazitäten im Laufe eines normalen Konjunkturzyklus nicht mehr abgebaut werden können. Die Überakkumulation im produktiven Sektor führt dann zu einer beschleunigten Akkumulation von Geldkapital und seinen vielfältigen Anlageformen mit meist spekulativen Bewegungen, die rückwirkend die produktiven Anlagen blockieren. Das schließt die Überschuldung vieler Unternehmen, von Privathaushalten und Staatshaushalten ein.

Die dargestellte Entwicklung prägt die größten kapitalistischen Gesellschaften seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts mit weiter fallenden gesellschaftlichen Durchschnittsprofitraten (m/c+v) und verlangsamten Wachstum der Profitmasse. Es handelt sich um allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Da die Produktion des Mehrwertes (m) durch die Arbeitskräfte(v) geschieht und der Einsatz von Maschinen etc. (c) schneller als der der Arbeitskräfte wächst, kommt es zu dem Fall der Profitrate und am bestimmten Punkt auch zur Verlangsamung der Profitmasse. Diese Entwicklung am Ende der Nachkriegsprosperität in den 70er Jahren war ebenfalls das Ende des internationalen Währungssystems von Bretton-Woods.  Spekulative Geldbewegungen hatten sich zunehmend gegen den US-Dollar gerichtet und damit das Fixkurssystem mit dem Dollar als sein Zentrum zum Einsturz gebracht. Ebenso bedrohlich erschien schon damals die beschleunigte Inflation der Warenpreise. Sie beruhte auf zwei Ursachen. Es war einerseits eine binnenwirtschaftliche Ursache mit der Verschuldung von privaten und staatlichen Haushalten sowie einer permissiven Notenbankpolitik (freizügige Kreditgewährung) und andererseits eine außenwirtschaftliche Rohstoffpreisentwicklung (Öl) also importinduzierter Preissteigerung. Im Zusammenhang mit der ausbleibenden Dynamik im produktiven Sektor führte das zur gleichzeitigen Stagnation und Inflation (Stagflation).

Der Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate traf auf eine Erhöhung des Geldzinssatzes, also das klassische Dilemma der Kapitalverwertung. Es folgte ein Paradigmenwechsel der Wirtschaftspolitik, die Bekämpfung der Inflation erhielt absolute Priorität. Die Nachfragepolitik der führenden Regierungen wurde zurückgefahren und die restriktive Geldmengenpolitik der Zentralbanken wurde Trumpf. In den 80er Jahren wirkt der Druck auf die Löhne vorübergehend entlastend für die Profitentwicklung. Allerdings war der Druck nicht nachhaltig, das heißt, er führte nicht zu einer neuen beschleunigten Kapitalakkumulation im produktiven Sektor. Die konsumtive Massennachfrage wurde ausgehöhlt, es kam nicht zu einer Auflösung der chronischen Überakkumulation. Es kam hinzu, dass viele asiatische Staaten, ausgenommen nur die VR China und Taiwan, in die Überakkumulation einbezogen wurden. Der Asienkrise folgte die Russlandkrise 1998, die Brasilienkrise 1999, die Türkeikrise 2000 und die Argentinienkrise 2001.

Neu in den USA um die Jahrtausendwende war die durch die Geld- und Finanzpolitik versuchte Nachfragestimulierung durch die sogenannte „asset-based, wealthdriven  accumulation.“ Es ist der Versuch, mithilfe der Ausweitung der Kreditaufnahme der Privathaushalte und flankiert durch die Niedrigzinspolitik der US-Zentralbank und einer Aktienhausse dem reproduktiven Kapital einen Impuls zugeben. Dieser Versuch scheiterte wegen des negativen Effektes auf die Massennachfrage ebenso wie der nächste Versuch, der eine gewaltige Immobilienkrise hervorrief. Es entstand eine gigantische kreditinduzierte Immobilienblase und wurde beendet durch die Finanzmarktkrise 2007. Sie gilt als zweite große Krise des Kapitalismus und der Höhepunkt der strukturellen Überakkumulation. Dieser Krise folgte wieder eine permissive Notenbankpolitik bei gleichzeitigem Versuch, die Schulden von Privathaushalten und Unternehmen abzubauen. Eine wirtschaftliche Entwicklung mit stagnativem Grundton war das Ergebnis der  Zeit nach der Finanzkrise.

 Die Coronakrise zu Beginn des Jahres 2020 und auch die Ukraine-Krise ab 2022 und ihre wirtschaftlichen Folgen machen deutlich, dass eine Lösung der ökonomisch-sozialen Probleme auf Dauer nur möglich sein wird, wenn der Neoliberalismus überwunden und ein kontrollierter Abbau der Schulden im Rahmen des Abbaus der Wirtschaftsblockaden der Profitproduktion und des sukzessiven Aufbaus eine nicht-kapitalistischen Wirtschaftsordnung erfolgt. Dazu bedarf es allerdings eines fundamentalen Wandels in den politischen Kräfteverhältnissen zu Gunsten der Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Das wird eine sozial-ökologische Orientierung in Betrieben, Gesamtwirtschaft und Weltmarkt sein müssen. Erforderlich ist eine sozialistische Politik die glaubwürdig ist, glaubwürdig vertreten wird und durch die Masse der Bevölkerung getragen wird. Dass das keine Utopie bleibt, daran hat die Linke kraftvoll mitzuarbeiten.