Das afghanische Debakel

27. August 2021  Allgemein

Dr. Peter Behnen
Die Linke Freiburg

AFGHANiSTAN- WIE ÖKONOMIE, IDEOLOGIE UND POLITIK EIN LAND ZERSTÖREN (1)
Der Rückzug der amerikanischen Truppen und der Nato-Truppen insgesamt aus Afghanistan lässt die afghanische Gesellschaft im Chaos zurück. Die Masse der Bevölkerung ist weiter bettelarm, ein Viertel der Bevölkerung ist unterernährt und es fehlt eine leistungsstarke Landwirtschaft. Nur die Hälfte der afghanischen Jungen und ein Viertel der Mädchen besuchen eine Schule. Besonders Frauen und Mädchen erfahren täglich Menschenrechtsverletzungen. Es zeigt sich sehr deutlich, auch und gerade nach einer zwanzigjährigen Militärintervention des Westens, dass sich Afghanistan weiter auf einem äußerst geringen Entwicklungsniveau befindet.
Die Frage ist allerdings, worin die tieferen Gründe für diese Entwicklung liegen?
Festzuhalten ist, dass die afghanische Gesellschaft keine kapitalistische Produktionsweise mit einer bürgerlich-demokratischen politischen Ordnung aufweist. Es handelt sich um eine vorbürgerliche Produktionsweise, bei der die Hälfte der Bauern noch Subsistenzwirtschaft betreibt. Es liegt eine Stammesgesellschaft vor, die auf Verwandtschaftsbeziehungen basiert, die zugleich mit politischen, patriarchalen und religiösen Strukturen verbunden sind. Es fehlt eine klare Unterscheidung von ökonomischer Basis und Überbaustrukturen, wie wir sie aus kapitalistischen Gesellschaften kennen. Afghanistan als Stammesgesellschaft besteht aus über 50 Ethnien, von denen die Paschtunen den größten Stamm bilden und die Führung des Landes beanspruchen. An der Stammesversammlung (Jirga) nehmen alle männlichen Stammesmitglieder teil, in der zwar nach dem Konsensprinzip entschieden werden soll, aber die Paschtunen sich in der Regel durchsetzen können. Frauen haben wenig Rechte und haben häufig Rechtsverletzungen und Gewalt zu erleiden.
Dieser gesellschaftliche Hintergrund ist als Folie zum Verständnis der Gesellschaft Afghanistans und auch ihrer jüngeren Geschichte zu nehmen. Allerdings in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts stand Afghanistan am Scheideweg zwischen der islamischen Tradition und der Moderne. Es herrschte Frieden und der König Mohammed Sahir Schah forderte demokratische Rechte auch für Frauen. Es entstand eine Bewegung von Studentinnen und Studenten in Kabul, allerdings gespalten in Vertreter des Sozialismus und der islamischen Revolution. Der Konflikt breitete sich aus, die Monarchie ging unter und die kommunistische Partei Afghanistans ergriff die politische Macht. Sie wollte das Land radikal verändern, jedoch mit stalinistischen Methoden ohne Rücksicht auf die tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die kommunistische Partei stieß auf den Widerstand der Mudschahedin, die Vorläufer der Taliban, die sich besonders aus Kämpfern vom Land rekrutierten. Sie wurden von Bauern, Viehzüchtern und teilweise auch Nomaden unterstützt und von Anfang an auch finanziell aus den USA. So war es kein Wunder, dass Afghanistan zum Schauplatz des Kalten Krieges zwischen der Sowjetunion und den USA wurden. Die sowjetischen Truppen rückten ein, um die Herrschaft der kommunistischen Partei zu sichern, ein Bürgerkrieg ab 1979 war die logische Folge. Der Konflikt dauerte 10 Jahre und führte 1989 nach einer erfolglosen Intervention zum Abzug der sowjetischen Truppen, oder wie in den USA gesagt wurde, zu einem „Vietnam“ der Sowjetunion. Die Niederlage der Sowjetunion trug zum Zusammenbruch der gesamten Sowjetunion bei, aber auch zur Geburt des islamistischen Fundamentalismus. Der Truppenabzug der Sowjetunion führte nicht zum Frieden in Afghanistan, sondern zu weiteren Kämpfen der Mudschahedin untereinander bis 1994 eine neue Bewegung in die Kämpfe eingriff, die Frieden versprach, die sogenannten Taliban. Sie obsiegten 1996, nachdem sie von den USA aber auch aus Pakistan massiv unterstützt worden waren. Ihr Sieg verwandelte das Land in eine Brutstätte für den radikalen Islamismus und zum Aufenthaltsort für Osama Bin Laden, den Anführer der Al-Kaida. Die USA hatte ihr Antikommunismus wieder einmal in eine Sackgasse geführt, bis es am 9.11.2001 zu einem Terroranschlag in New York kam, für den Osama Bin Laden und die Al-Kaida verantwortlich gemacht wurden. Da die Taliban in Afghanistan Bin Laden weiter schützten, rückte die US-Armee in Afghanistan ein, um die Taliban zu stürzen und Bin Laden zu stellen. Trotz allem begrüßten viele Afghaninnen und Afghanen die ausländischen Truppen voller Hoffnung. Frauen konnten ihre Burkas ablegen und es fanden freie Wahlen statt. Ehemalige Kriegsherren zogen ins Parlament ein mit dem Segen der USA. Andere Taliban wurden ausgeschlossen, ein neuer Aufstand entwickelte sich, trotz massiver Investitionen der USA und anderer Nato-Partner. Die Investitionen erfolgten ohne Plan und flossen in die Taschen von Wenigen. Es herrschte weiter allgemeine Armut, es gab Bildung für Wenige und kaum Wohlstand und Bildung für Landbewohner. Auf dieser Basis regenerierten sich die Taliban und gewannen in schweren Kämpfen das Land Stück für Stück zurück. Der Kampf wurde von beiden Seiten mit großer Brutalität geführt und auch die Zivilbevölkerung hatte hohe Verluste zu beklagen.
Spätestens jetzt hätte klar werden müssen, dass angesichts der oben skizzierten Gesellschaftsstruktur weder ein Sozialismus sowjetischer Prägung noch eine kapitalistische Gesellschaft mit einer parlamentarischen Demokratie verwirklicht werden konnte. Diese Einsicht war es jedoch nicht sondern die Tötung Bin Ladens, die seit 2014 zum langsamen Rückzug der USA von Afghanistan führte. Inzwischen haben die Taliban Kabul und Afghanistan insgesamt zurückgewonnen und die USA und ihre Nato-Verbündeten müssen bis zum 31.8.21 das Land verlassen. Das Gebäude der Illusionen, dem die USA und ihre Verbündeten im 20jährigen Militäreinsatz erlegen sind, ist komplett eingestürzt. Zugleich entstand eine Zäsur für die internationale Politik insgesamt. „Die hastige Beendigung der Militärintervention in Afghanistan hängt auch damit zusammen, dass sich der geo-politische Fokus der USA grundlegend verändert hat.“ (2) Den systemischen Rivalen China gilt es aus Sicht der US-Politik einzudämmen, es geht darum, die Volksrepublik China bei dem Ausbau ihrer Technologien und auch militärischen Kapazitäten zu stoppen. Die Entwicklung in Afghanistan liegt offensichtlich nicht mehr im nationalen Interesse der USA. Es ist deswegen damit zu rechnen, dass China in dieses politische Vakuum stoßen wird, ohne dass mit dem Projekt „Neue Seidenstraße“ das chinesische Modell anderen Nationen aufgedrängt werden soll. Im Zuge der Plattform-Ökonomie ist davon auszugehen, dass China die in Afghanistan vermuteten Bodenschätze (Lithium, Kupfer, seltene Erden etc.) nutzen und im Gegenzug das Taliban-Regime finanziell unterstützen will.
In der Bundesrepublik konzentriert man sich augenblicklich auf die Fehler-analyse zum Afghanistan-Konflikt. Sowohl die CDU/CSU, SPD und die Grünenmüssen sich vorhalten lassen, bis zuletzt die Intervention in Afghanistan unterstützt zu haben und sich vor den Karren der westlichen Außenpolitik haben spannen lassen. Der Partei Die Linke fehlte bisher ein klares außenpolitisches Profil, sie hatte jedoch richtigerweise die Afghanistanpolitik konsequent verurteilt. Die Linke sollte nun in die „Offensive gehen und am afghanischen Desaster beispielhaft klarstellen, um was es im Rahmen einer zukunftsfähigen Außenpolitik primär gehen muss, nämlich um verstärkte internationale Kooperation und nicht um die Bewahrung und den Ausbau technologischer und militärischer Vorherrschaft des Westens.“ (3)
(1)Diesem Aufsatz liegen der Dokumentarfilm „ Afghanistan-Das verwundete Land“ von 2020 und der Aufsatz von Friedrich Steinfeld „ Das afghanische Debakel“ aus Sozialismus aktuell vom 21.8.21 zugrunde.
(2) Friedrich Steinfeld a.a.O. S.4
(3) Friedrich Steinfeld a.a.O. S. 6

Das Ende des Kapitalismus?

05. Juni 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

WIE ENDET DER KAPITALISMUS?
Der Film „System-Error-Wie endet der Kapitalismus?“ von Florian Opitz von 2018, der 2020 in der ARD ausgestrahlt wurde, beschäftigt sich mit den Folgen des Wirtschaftswachstums. Er will Einblicke in die Welt des Kapitalismus, vor allem des Finanzkapitalismus, geben. Es ist zu sehen, welche Thesen Opitz vertritt und vor allem welche gesellschaftliche Alternative er anbietet. Aus marxistischer Sicht muss insbesondere betrachtet werden, wie Opitz die Struktur des Kapitalismus samt seinen Widersprüchen darstellt und ob er eine Alternative jenseits des Kapitalismus entwickeln kann.
Florian Opitz steigt in das Thema ein, indem er sich die vor allem in den gesellschaftlichen Eliten verbreitete Ansicht vornimmt, das Wachstum der Wirtschaft kenne keine Grenzen. Er hält dem die Auffassung von Karl Marx entgegen, Wachstum im Kapitalismus habe ein Ende und zerstöre das System selbst. An dieser Stelle ist allerdings gegenüber Opitz anzumerken, dass Marx nicht vom Wachstum an sich sprach, sondern vom Grundprinzip des Kapitalismus, der Produktion des Mehrwertes, ausging. Das führt u.a. zum wichtigsten Gesetz dieser Produktionsweise, dem tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate. Da stößt nach Marx die Entwicklung der Produktivkräfte (technische Entwicklung) an die Grenze des Systems mit der Aufhebung der Produktionsweise als Schluss.
Florian Opitz folgt jedoch nicht der Marxschen Argumentation, obwohl er in häufiger zitiert, sondern der Position Tim Jacksons. Tim Jackson, seines Zeichens Professor für nachhaltige Entwicklung an der Universität Surrey in Großbritannien, gilt als reiner Wachstumskritiker, der einen Wohlstand ohne Wachstum propagiert und Mitglied des legendären Clubs of Rome ist. Opitz stellt seinen Thesen die Vorstellungen verschiedener Vertreter der Industrie und Politik gegenüber, die, wie könnte es anders sein, das Wachstumsstreben aus der Natur des Menschen herleiten. Opitz kritisiert richtigerweise dieses Bewusstsein und führt es auf die Prosperitätsphase des Kapitalismus nach dem 2.Weltkrieg zurück. Dem ist aus marxistischer Sicht zu entgegnen, dass hier tiefer in die Struktur des Kapitalismus eingestiegen werden muss. Dass die Produktion von Mehrwert als Triebfeder des Kapitalismus weder von Industrievertretern, Politikern aber auch vielen Lohnabgängigen nicht erkannt wird, ist nicht auf eine Phase des Kapitalismus beschränkt. An der Oberfläche der Gesellschaft entsteht durch die Kategorie des Arbeitslohnes die Vorstellung, es werde die Arbeit entlohnt und nicht der Verkauf der Arbeitskraft. Die Gesellschaft stellt sich als Gesellschaft gleicher Warenbesitzer dar, die unter sich die Ergebnisse der Wertschöpfung als Leistungseinkommen aufteilen. Die Ergebnisse der gesellschaftlichen Arbeit der Arbeitenden und auch das Wachstum können als naturgegeben angesehen werden und werden nicht mehr auf die Aneignung des Mehrwertes durch Kapitalisten zurückgeführt. Dieses Bewusstsein beherrscht viele Gesellschaftsmitglieder und kann immer dann aufgebrochen werden, wenn die Entwicklung der Wirtschaft nicht mehr reibungslos abläuft.
Florian Opitz sieht nun, dass das Wachstumsbewusstsein seit der Mitte der 70er Jahre erschüttert wurde, weil viele Menschen erfuhren, dass der Kapitalismus nicht mehr prosperiert, sondern mit Arbeitslosigkeit und sozialen Unsicherheit verbunden ist. Opitz sieht nun im Sinne des Clubs of Rome das Ende der Wachstumsgesellschaft gekommen und stellt fest, dass Wirtschaft und Politik die Finanzmärkte als Rettungsanker entdecken. Was Opitz nicht sieht ist, dass sich hier grundlegende Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus durchsetzen. Der tendenzielle Fall der durchschnittlichen Profitrate, der durch das relativ langsamere Wachstum der Arbeitskräfte gegenüber den Produktionsmitteln entsteht, konnte solange überspielt werden, solange das Gesamtkapital schneller wuchs als der Fall der Profitrate. Nur dann konnten die Kapitalisten auf erweiterter Basis produzieren lassen und konnten sowohl Arbeitskräfte und Produktionsmitten gleichzeitig wachsen, wenn auch ungleichmäßig. Diese Phase des Kapitalismus endete mit der Mitte der 70er Jahre und führte zur Entwicklung des Finanzkapitalismus. Kapitalisten versuchten nun durch Börsengeschäfte, Spekulation und Immobiliengeschäfte ihrem Untergang zu entgehen und zur gesteigerten Verwertung ihres Kapitals zurückzukehren. Es geht also nicht um ein Phänomen einer Wachstumsgesellschaft, sondern um grundlegende Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Florian Opitz beschreibt nun richtig, mit welchem Bewusstsein die handelnden Personen auf den Finanzmärkten agieren, zum Beispiel Vertreter von Allianz und anderen Finanzkonzernen, die selbst als Gefangene des Wachstums der Finanzmärkte dargestellt werden. Das Schuldenmachen wird nun aus Sicht von Opitz zur treibenden Kraft des Kapitalismus. An dieser Sichtweise ist richtig, dass Geld und Kredit notwendige Elemente der kapitalistischen Produktionsweise sind und sich zeitweilig gegenüber der Mehrwertproduktion verselbständigen können, aber in letzter Instanz immer wieder auf die Produktion des Mehrwertes zurückzubeziehen sind. Es ist eine Illusion zu glauben, dass auf die Dauer die Verselbständigung der Finanzmärkte im Kapitalismus weitergetrieben werden kann, ohne das gesamte System zum Einsturz zu bringen. Das wäre dann auch das Ende der Mehrwertproduktion und der privaten Kapitalverwertung. Auch Opitz sieht das Ende, aber bedingt durch die Gier nach Wachstum und nicht aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der Mehrwertproduktion.
Auch Florian Opitz fragt nach Alternativen zu dieser Wirtschaftsordnung und kommt auf die VR China als Alternative. Er stellt fest, dass auch hier das Wachstum ganz großgeschrieben wird, Er unterlässt es allerdings, genauer den sogenannten „Sozialismus chinesischer Prägung“ zu untersuchen und den Unterschied zu kapitalistischen Gesellschaften herauszuarbeiten. Eine solche Untersuchung hätte ergeben, dass hier in kurzer Zeit ein unterentwickeltes Land in eine moderne Industriegesellschaft transformiert wurde, mit allerdings großen sozialen Ungleichheiten und politischen Widersprüchen. Sie hätte aber auch ergeben können, dass eine sozialistische Marktwirtschaft eine Alternative zum Kapitalismus erbringen könnte und, im Gegensatz zur VR China, eine Demokratisierung auf allen gesellschaftlichen Ebenen.
Opitz sieht richtig, dass das Kartenhaus der Finanzmärkte 2008 zusammenbrach, begonnen beim Zusammenbruch der Lehman Brothers. Ihm ist auch zuzustimmen, dass die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung des Finanzsektors gegeben war und diese Chance vertan wurde. Der digitale Kapitalismus wurde inzwischen als Rettungsanker des Kapitalismus propagiert. Opitz gibt zu bedenken, dass nun ein Verteilungsproblem entstünde, weil durch die fortschreitende Automatisierung immer mehr Menschen aus dem Produktions- und Dienstleistungsprozess verdrängt würden, deren kaufkräftige Nachfrage dann an den Märkten fehlte. Es hätte von ihm aber deutlicher herausgestellt werden müssen, dass es darum geht, die Verteilung als Kehrseite der Produktionsverhältnisse zu begreifen und diese grundlegend zu verändern sind. Das würde bedeuten, schrittweise den Profit als Steuerungselement der Wirtschaft zurückzudrängen und durch eine schrittweise Demokratisierung Anknüpfungspunkte einer neuen Wirtschaftsordnung zu schaffen. Da bei Opitz dieser Weg zu einer nachkapitalistischen Ordnung nicht deutlich wird und er bei einer allgemeinen Wachstumskritik bleibt, bleibt für ihn nur die Hoffnung auf Veränderung ohne Vorschläge für eine alternative Ordnung.

Gold, Geld und Geldpolitik heute.

11. Mai 2021  Allgemein

Dr. PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

GOLD, GELD UND GELDPOLITIK HEUTE (1).
Für viele Ökonomen gilt es als antiquiert, wenn heute eine Beziehung zwischen der Geldware Gold und den Währungen der kapitalistischen Staaten herausgefunden werden soll. Schließlich gibt es seit etwa vier Jahrzehnten keine Goldkonvertibilität des US-Dollar mehr, das heißt, die Notenbank der USA ist nicht mehr gezwungen, US-Dollar auf Verlangen anderer Notenbanken in Gold umzutauschen. Das war im Rahmen des sogenannten Bretton-Woods-Abkommens von 1944 vereinbart worden, um das Vertrauen in den US-Dollar als Weltgeld zu gewährleisten. Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-System ist es bisher gelungen, ohne Rückgriff auf Gold verschiedene Finanz- und Währungskrisen zu beherrschen. Es entstand die Vorstellung, auf Gold könne ganz im dem Wirtschaftsverkehr, insbesondere als Währungsreserve, verzichtet werden. Wenn das richtig wäre, hätte das allerdings gravierende Folgen für die Marxsche Theorie des Wertes. Sie geht davon aus, dass die spezifische Form der gesellschaftlichen Arbeit im Kapitalismus die Grundlage des Wertes der Waren und der Wertformen ist und zu eine Geldform mit Selbstwert, also Gold, führt.
Es ist somit Aufgabe von Marxisten heute, ausgehend von der Marxschen Theorie des Wertes die Vermittlung zu den erscheinenden Verhältnissen an der Oberfläche der Gesellschaft mit Geld, Preis und Währung darzustellen. Dabei ist fundamental, dass
1.die Ableitung der Geldform aus den Austauschverhältnissen zwingend erfordert, dass sich ursprünglich zwei Waren gegenüberstehen.
2. der Wert der Waren die abstrakt gesellschaftliche Arbeit zur Grundlage hat
3, der Wert einer Ware sich im Gebrauchswert einer anderen Ware ausdrücken muss
4. die Ware, in der sich der Wert aller Waren ausdrückt, die sogenannte Äquivalentform, Selbstwert besitzen muss, weil sie sonst kein Wertmaß für die anderen Waren sein könnte.
Das bedeutet, dass zur Ableitung des Geldes bei der Ware begonnen werden muss. Wenn das nicht gemacht wird, wäre Geld „pfiffig ausgedacht“ und nicht aus dem Warenverkehr naturwüchsig entstanden. Marx geht von bewusst-unbewusstem Handeln der Warenbesitzer aus, das heißt, sie verhalten sich bewusst zu dem unbewussten Ergebnis ihres Handelns. Hierbei handelt se sich um typisches Verhalten der Akteure im kapitalistischen Wirtschaftsprozess. Beispielhaft sei noch genannt, dass die Aktion der Wirtschaftsakteure unbewusst ökonomische Krisen hervorruft zu denen sie sich dann bewusst verhalten müssen. Der Wert der Waren wurde ursprünglich in Gold gemessen. Es konnte im Verlauf des kontinuierlichen Warenverkehres durch Zeichen ersetzt werden, zum Beispiel Münzen und verschiedene Formen von Banknoten. Diese Wertzeichen wurden zur Grundlage des heutigen Währungssystems, ursprünglich von Privatbanken und später durch Zentralbanken herausgegeben, Das Repräsentativgeld von heute baut somit auf der Grundlage des ursprünglichen Geldes mit Selbstwert auf. Aus Sicht der Marxschen Theorie kommt es zusammengefasst zu folgenden Thesen:
1.Die gesellschaftliche Grundlage des Geldes ist, wie gesagt, die historisch-spezifische Arbeit im Kapitalismus.
2.Die Produkte werden vorherrschend als Waren produziert.
3.Ware und Geld haben ein naturwüchsiges Verhältnis zueinander
4.Zeichengeld (Münzen und Papiergeld in verschiedenen Formen) haben als Grundlage die Geldware Gold, egal ob konvertibel oder nicht. Das gilt auch für das inkonvertible Zentralbankgeld von heute.
5.Die Geldpolitik der Zentralbank baut auf dieser Basis auf und erhält auf diese Weise ihre Steuerungsmöglichkeiten aber auch ihre Grenzen. Es findet eine Ersetzung der Geldware Gold statt, es besteht aber die Gefahr der Rückkehr zur Goldbasis, wenn das Währungssystem in eine tiefgreifende Krise gerät und auch die Zentralbanken ihre Funktion als Rettungsanker des Systems verlieren.
Zur Verdeutlichung der Entwicklung des modernen Repräsentativgeldes ist eine historische Rückschau notwendig. Die historisch erste Form des Geldes ist die des Weltgeldes, da der Tauschhandel und das Geld sich am Rande der Gemeinwesen und auch der internationale Handel im Kapitalismus zuerst entwickelten, bevor sie sich im Inneren eines Landes festsetzten. Als Weltgeld übernimmt es die Funktionen des internationalen Wertmaßes, des Kauf- und Zahlungsmittels und auch die der Währungsreserve. Damit verbunden war die Herausbildung des Gegensatzes von industriellen Werkstätten und Rohstofflieferanten aber auch des Gegensatzes der industriellen Metropolen untereinander. Es entwickelten sich Hegemonialverhältnisse mit einer an der Spitze stehenden Hegemonialmacht, die sie aufgrund ihrer überlegenen Produktivität der Arbeit hatte. Es lassen sich dabei zwei Entwicklungsepochen unterscheiden, einmal die Ära Großbritanniens im 19.Jahrhundert bis zum 1.Weltkrieg und die Ära der USA bis zur Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Seitdem findet ein Suchprozess mit noch unklaren Hegemonialverhältnissen statt. Unter dem Aspekt von Geld und Währung ist festzustellen, dass in der Ära Großbritanniens das Pfund Sterling sowie der Wechsel auf London dominierten. Es war die Zeit des Goldstandards, das heißt, der Umlauf der Noten war an Deckungsvorschriften durch die Goldreserve der Notenbanken gebunden. Die Goldreserve war also Weltgeldschatz und nationaler Banknotendeckungsfonds. Ein Konflikt entstand insbesondere in Krisensituationen, wenn ein Goldabfluss stattfand und Krisen verschärft wurden. Der Gestaltungsspielraum der Zentralbanken für die Geldmenge und die Wechselkurse ging gegen Null. Die Zeit zwischen den Weltkriegen war durch einen modifizierten Goldstandard gekennzeichnet (Gold-Devisen-Standard).Es kam in dieser Zeit zu diversen sozialen Erschütterungen und Krisen und zu einer neuen internationalen Hegemonieverteilung. Großbritannien verlor die industrielle Vorherrschaft, verteidigte aber sein internationales Finanzzentrum der Londoner City. Die USA entwickelten mit dem Fordismus eine neue gesellschaftliche Betriebsweise, sie wurden zur größten Gläubigernation und der US-Dollar wurde im Rahmen des sogenannten Bretton-Woods-Systems zur neuen Weltwährung. Der US-Dollar wurde zur einzigen Währung mit einer festen Parität zum Gold und die beteiligten Mitgliedsländer hielten ihre Wechselkurse untereinander stabil und besaßen damit auch indirekt ein Verhältnis zum Gold. Zudem wurde eine strenge Kontrolle der Finanzmärkte ausgeübt. Alle wichtigen Währungen hatten keine Deckungsvorschriften gegenüber ihren Goldbeständen mehr, es waren inkonvertible Zentralbanknoten gegeben. Dieses Bretton-Woods -System behielt seine vorläufige Festigkeit aufgrund folgender Faktoren:
1.Die US-Ökonomie war durch ihre Arbeitsproduktivität und ihre Gläubigerstellung den anderen Nationen überlegen.
2. Die wichtigsten Metropolen des Kapitals hatten ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum aufzuweisen.
3. Die Goldproduktion in Südafrika vermehrte sich rasch und der Goldwert entwickelte sich in ähnlichem Verhältnis wie der Warenwert in den Metropolen des Kapitals.
Das ging etwa 30 Jahre gut, in denen insbesondere durch die Bundesrepublik und Japan eine Konkurrenz zur US-Ökonomie entstand. Auf den Finanzmärkten kam es zur Spekulation gegen den US-Dollar, die US-Währungsbehörde konnte die Goldeinlösungspflicht nicht mehr gewährleisten. Das Bretton-Woods-System brach zusammen und in den kapitalistischen Staaten kam es zu einer bis heute anhaltenden strukturellen Überakkumulation. Das bedeutet, dass der Fall der durchschnittlichen Profitrate nicht mehr durch eine erhöhte gesellschaftliche Profitmasse ausgeglichen werden kann. Ein Teil der privaten Kapitale geriet auf die Bahn der Abenteurer, es wurde versucht, durch Spekulationen an den Börsen und Immobilienmärkten dem Untergang zu entgehen. Es ist augenblicklich kein neues Währungssystem mit einer umfassenden gesellschaftlichen Regulierung in Sicht. Der zurzeit bestehende Modus vivendi ist folgendermaßen charakterisiert:
1.Das Gold bleibt bei Privaten Anker gegen ökonomische Unsicherheit, aber auch als Währungsreserve bei Nationalbanken. Allerdings sind die Goldreserven der Nationalbanken immobilisiert, also in den Schatzkammern geblieben, und übernehmen nur die Funktion des Rettungsankers bei einer tiefgehenden Erosion der Währungsverhältnisse und Instabilität der Finanzmärkte.
2.Die Goldreserven wurden mit der EZB zu Marktpreisen bilanziert, gleichwohl wurde bis zur Coronakrise verhindert, eine erweiterte Zentralbankgeldschöpfung auszuüben.
3. Die Devisenreserven fungieren als Zahlungsmittel zwischen den Geschäftsbanken. Die binnenwirtschaftliche Geldmenge wird durch die nationale Devisenbilanz und damit die Wechselkurse verändert. Es zeigt sich, dass die Spielräume der Zentralbanken größer sind in Zeiten flexibler Wechselkurse.
4.Die Geldpolitik konzentrierte sich auf die Sicherung des Geldwertes und weniger auf die Sicherung der Wechselkurse. Damit verselbständigten sich auch Warenpreise und Wechselkurse von ihrer goldenen Grundlage.
Zusammengefasst: Eine komplette Loslösung vom Gold ist im Kapitalismus nicht möglich. Allerdings gelingt es durch eine entsprechende Ausgestaltung das Geld/Kredit und Bankverhältnisse den Einfluss der Wertentwicklung des Goldes auf Preise und Wechselkurse im normalen Gang der Verhältnisse weitgehend auszuschließen. Das nennt man Idealisierung des Goldes als Geld im Gegensatz zur Demonetisierung, bei der das Gold ganz aus dem Verkehr gezogen werden soll. Historisch hat sich das moderne Repräsentativgeld aus der Banknote entwickelt und mit dem Übergang der Notenausgabe auf die Zentralbank vollzog sich eine Verschmelzung mit dem Staatspapiergeld zum Wertzeichen. Heute ist das Zentralbankgeld eine Symbiose aus Wertzeichen und Kreditgeld. Das Wertzeichen tritt in die Zirkulation ein durch die Devisenbilanz, also bei Zunahme der Währungsreserven und tritt wieder aus durch Verminderung der Währungsreserven. Das Kreditgeld dagegen entsteht durch die Kreditgeschäfte der Zentralbank mit den Geschäftsbanken. Das Zentralbankgeld wird ersetzbar durch Bankdepositen, also durch Ersatz von Bargeld durch Buchgeld. Diese verschiedenen Bestandteile der Geldmenge werden folgendermaßen zum gesetzlichen Zahlungsmittel:
1.Der Ausgangspunkt ist der Außenwert der nationalen Währung in Gold. Die Währungsreserven verändern den Umfang der umlaufenden Wertzeichen als Wertmaß.
2. Mit den Wertzeichen ist zugleich der andere Teil der Geldmenge, das Kreditgeld, zum gesetzlichen Zahlungsmittel erhoben (Denomination).
3. Das Ende der Kette bilden die Depositen, die das Bargeld ersetzen können.
Bei den Wertzeichen erfolgt keine Anpassung an die Warenseite. Sie verbleiben so lange in der in der Zirkulation bis sie exogen abgebaut werden. Das ist anders beim Kreditgeld und Buchgeld. Hier findet eine Anpassung an den Warenverkehr statt. Es entsteht eine wesentliche Steuerungsmöglichkeit der Zentralbank, sie kann die ungewollte Geldschöpfung durch die Wertzeichenzirkulation konterkarieren. Die Kreditgeldschöpfung baut sich demgegenüber durch das Ende des Kreditgeschäftes ab. Damit ist gesagt, dass der Unterbau der Geldzirkulation durch die Zentralbank in Grenzen gesteuert werden kann. Das kann empirisch anhand der Bundesbankpolitik und später auch der EZB-Politik nachgewiesen werden.

(1)Die Grundlage des Aufsatzes ist Text von: Ansgar Knolle-Grothusen, Stephan Krüger und Dieter Wolf, Geldware, Geld und Währung, Hamburg 2009, S.218-238.

Entwicklung und Ende des Kapitalismus

30. April 2021  Allgemein

Dr. Peter Behnen
Die Linke Freiburg

DIE ENTWICKLUNG UND DAS ENDE DES KAPITALISMUS (1)
Interessant ist, dass, wenn über die Zukunft des Kapitalismus gesprochen wird, auch von bürgerlicher Seite wieder verstärkt über Karl Marx und „Das Kapital“ gesprochen wird. Es ist heute selbstverständlicher als in den Nachkriegsjahren und der Zeit des Kalten Krieges geworden, grundsätzlich über den Kapitalismus nachzudenken und über seine Zukunftschancen zu diskutieren. In der Regel wird Marx als großer Philosoph wahrgenommen, weniger jedoch als jemand, der die ökonomische Struktur dieser Gesellschaft dargestellt hat. Das soll jedoch hier nicht geschehen geschehen, es soll von meiner Seite auf Basis der Marxschen Theorie die Zukunft des Kapitalismus näher beleuchtet werden. Entsprechend soll, hoffentlich in verständlicher Form, zuerst die Kernstruktur des Kapitalismus, dann seine historischen Betriebsweisen, dann kurz die Frage des digitalen Kapitalismus und zum Schluss die Bewusstseinsformen vieler Bürger und die Möglichkeit der Überwindung des Kapitalismus dargestellt werden. Nähere Definitionen erfolgen in den einzelnen Abschnitten.
Die Kernstruktur des Kapitalismus
Marxens Anspruch war, die ökonomischen Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft zu ergründen, das heißt, nach welchen Gesetzen diese Wirtschaftsordnung funktioniert. Im Gegensatz zur bürgerlichen Ökonomie geht es in der Marxschen Theorie darum, das Spezifische der gesellschaftlichen Arbeit und ihre Verteilung auf das gesamte ökonomische System zu erfassen. Da wir in einer warenproduzierenden Gesellschaft leben, dient die Ware als Ausgangspunkt der Betrachtung. Jede Ware hat eine doppelte Bestimmung, sie ist Gebrauchswert und Wert. Einerseits muss sie einen Gebrauchswert haben, damit der Warenkäufer etwas damit anfangen kann, sie hat außerdem einen Wert, das heißt, sie ist als ein Teil der gesellschaftlichen Arbeit zu betrachten. Im Gegensatz zum Gebrauchswert der Ware, den jeder Mensch direkt erfahren kann, zum Beispiel man kann sich mit dem Auto fortbewegen, ist der Wert als Teil der gesamten gesellschaftlichen Arbeit eine gesellschaftliche Qualität, die nicht direkt an der Ware fassbar ist. Sie stellt sich dann in ihrem Tauschwert also in einem Geldbetrag dar. Marx gräbt tiefer und geht auf die gesellschaftliche Arbeit zurück. Die Arbeit, soweit sie einen Gebrauchswert erstellt, bezeichnet er als konkret-nützliche Arbeit und die gleiche Arbeit, die sich im Wert darstellt, nennt er allgemein gesellschaftliche Arbeit. An dieser Stelle wurde häufig die Forderung erhoben, Marx müsse seinen Wertbegriff beweisen. Marx weist das zurück und sagt, dass es um gesellschaftliche Arbeit gehe, die in jeder Gesellschaft in einer gewissen Anzahl von Arbeitsstunden gegeben sei und entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen auf verschiedene Wirtschaftssektoren verteilt werden müsse. In der warenproduzierenden kapitalistischen Gesellschaft sei es eben der Wert der Waren, über den die Verteilung der zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Arbeitsstunden vorgenommen werde.
Marx kommt in seinem Forschungsprozess zu der Einsicht, dass auch die Arbeitskraft als Ware fungiere, also wie jede andere Ware auch am Markt von der Arbeiterin bzw. Arbeiter zu verkaufen sei. Der Kapitalist kauft die Ware aber nicht, wenn sie ihm keinen Mehrwert abwirft. Was heißt das? Das geschieht im Produktionsprozess, in dem der Arbeitstag in die notwendige und Mehrarbeitszeit geteilt wird, ohne dass das den Beteiligten bewusst wird. In der notwendigen Arbeitszeit, zum Beispiel 4 Stunden, wird vom Arbeitenden der Gegenwert für den Wert seiner Ware Arbeitskraft, die vom Kapitalisten mit dem Lohn vergütet wurde, geschaffen und in der verbleibenden Mehrarbeitszeit der Mehrwert, den sich der Kapitalist unentgeltlich aneignet. Der Mehrwert kann ausgeweitet werden durch die Verlängerung des Arbeitstages und der Mehrarbeitszeit oder durch die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit vermittels der Produktivkraftentwicklung oder technischen Entwicklung. Dem Kapitalisten geht es nur um diesen Mehrwert, nur deswegen lässt er überhaupt produzieren. Er eignet sich den Mehrwert unentgeltlich an, das nennt Marx die Ausbeutung des Arbeitenden. Die Aneignung des Mehrwertes wird verschleiert, weil der an den Arbeitenden gezahlte Arbeitslohn angeblich die Arbeit entlohnt und nicht die Arbeitskraft. Schon der Begriff Arbeitslohn ist irreführend, es wird nicht die Arbeit entlohnt, sondern der schon vorher vollzogene Verkauf der Arbeitskraft. Wenn der Arbeitende zu arbeiten beginnt, gehört ihm die Arbeitskraft gar nicht mehr, sondern der Kapitalist kann sie für seine Produktion verwenden.
An der Oberfläche der Gesellschaft, treten sich die Beteiligten des Wirtschaftslebens als angeblich selbstbestimmte Warenbesitzer gegenüber. Sie erhalten für ihre angebliche Leistung jeder ein bestimmtes Einkommen, der Arbeiter den Lohn, der Kapitalist den Profit bzw. Zins und der Grundeigentümer die sogenannte Grundrente. Jeder dieser Produktionsfaktoren erhält für die Wirtschaftsakteure scheinbar ein ihrer Leistung entsprechendes Einkommen. Im Gegensatz dazu galt es für Marx den komplizierten Zusammenhang von der Mehrwertproduktion. der immer wieder neuen Reproduktion des Ausbeutungsverhältnisses und der Oberfläche der Gesellschaft zu entschlüsseln. Der Kreislauf beginnt mit dem Verkauf der Arbeitskraft in der Zirkulation, geht weiter in der Produktion, die den Mehrwert abwerfen muss, um dann am Markt realisiert zu werden und den Kreislauf von neuem beginnen zu können. Der Kreislauf wird immer wieder durch Krisen unterbrochen, die für die Arbeiterklasse und Lohnabhängigen allgemein Anknüpfungspunkte für die Entwicklung von Klassenbewusstsein erbringen können aber nicht unmittelbar müssen, das sehen wir gerade heute. Die Entwicklung von Klassenbewusstsein ist deswegen schwierig, weil der Großteil der Bürger bzw. Lohnabhängigen durch die Struktur der Gesellschaft dem Schein unterliegt, für die Schöpfung und Verteilung des Reichtums sei die eigene Leistung maßgebend. Diese Bewusstseinsform gilt es aufzulösen, wenn man andere Verteilungsverhältnisse, andere Strukturen sozialer Sicherheit und eine andere staatliche Ausgabenpolitik auf Dauer erreichen will. Diese Bewusstseinsentwicklung muss die Arbeitszeiten und eine neue Einkommens- und Vermögensentwicklung in den Fokus nehmen und schließlich zur Erkenntnis führen, dass die Einkommens- und Vermögensverteilung nur die Kehrseite der Verhältnisse in der Produktion ist. Das wird nur Schritt für Schritt geschehen können. Aus der Sicht von Marx bricht die kapitalistische Ordnung nicht einfach zusammen, sondern es entstehen materielle und geistige Bedingungen der Überwindung des Kapitalismus, vor allem hervorgerufen durch die Entwicklung der Produktivkräfte (technische Entwicklung) und einschneidenden Krisen. Dann könne ein „enormes Bewusstsein“ entstehen, das zu einer Weiterentwicklung führe. Die Vorstellung bei einigen historischen Vertretern der Arbeiterbewegung, eine schnelle Abschaffung der Warenproduktion und des Geldes und ihr Ersatz durch die Steuerung des Wirtschaftslebens durch eine zentrale Planungsbehörde war schon immer absurd und hat, wie der reale Sozialismus gezeigt hat, zu katastrophalen Ergebnissen geführt. Die Probleme bei der Versorgung der Bürger in der DDR und anderen Staaten des Realsozialismus, die langsamere technische Entwicklung und vor allem die Rücknahme von Freiheitsrechten der Bürger ist uns allen noch im Gedächtnis.
Historische Betriebsweisen des Kapitalismus.
Nach der Betrachtung wichtiger Punkte der Kernstruktur des Kapitalismus muss es nun darum gehen, die kapitalistische Wirtschaftsordnung in eine lange historische Kette von verschiedenen Betriebsweisen einzuordnen. Was ist damit gemeint?
Marx versteht unter einer Betriebsweise einerseits den Produktionsprozess mit einem ihn dominierenden technischen Prozess. Darüber erhebt sich dann ein bestimmter Überbau, das heißt, eine entsprechende Struktur des Staates und des Rechtswesens und eines bestimmten gesellschaftlichen Bewusstseins. Also der Begriff der Betriebsweise beinhaltet einen ganzen Gesellschaftsmechanismus, aber die Grundlage bleibt immer die Organisation und technische Form des Produktionsprozesses.
Die erste Betriebsweise des Kapitalismus war die große Industrie des 19.Jahrhunderts mit dem Einsatz von Maschinen. Sie differenziert die betriebliche und gesellschaftliche Arbeitsteilung, erfordert neue Transport- und Kommunikationsmittel (Eisenbahn, Elektrizität, Telefonie) und ist mit einer Fabrikgesetzgebung, der Erkämpfung des 10-Stunden-Tages sowie mit Auswirkungen auf die Bildungseinrichtungen und Familienstrukturen verbunden. Diese Entwicklung begann in Großbritannien und zeitversetzt dann auch in den USA und dem Deutschen Reich.
Die zweite industrielle Betriebsweise entwickelte sich nach dem 1.Weltkrieg in den USA mit dem sogenannten Fordismus. Der Name weist auf die Automobilproduktion von Ford hin. Es kam zur Fließbandproduktion, also zu einer neuen innerbetrieblichen Arbeitsteilung mit Massenproduktion. Es ging auch um den Verkauf dieser massenhaften Produktion. Gewerkschaften und arbeitnehmerorientierte Parteien wurden zu wichtigen Akteuren der Zivilgesellschaft und der Sozialstaat erfuhr einen erheblichen Ausbau. Der Fordismus als zweite Betriebsweise des Kapitalismus wurde später auch als das goldene Zeitalter des Kapitalismus bezeichnet, unter anderem auch deswegen, weil seit 1944 mit dem Bretton-Woods- System ein internationales Weltwährungssystem etabliert wurde. Der US-Dollar wurde die zentrale Weltwährung, er war gegen Gold umtauschbar und die dem System angeschlossenen Länder hielten die Kurschwankungen ihrer Währungen in engen Grenzen. Die Finanzmärkte wurden streng kontrolliert. Auf dem Weltmarkt dominierten die USA,
Die Erosion der US-Hegemonie begann schon in den 60er Jahren vor allem durch die Konkurrenz der Ökonomien der Bundesrepublik und Japans. Wichtiger war jedoch, dass für alle kapitalistischen Länder ein Fall der durchschnittlichen Profitrate (Verhältnis von Profit zu eingesetztem Kapital) wirksam wurde bei gleichzeitigem langsamerem Wachstume der gesellschaftlichen Profitmasse. Das soll anhand eines Zahlenbeispiels erklärt werden.
Zahlenbeispiel:
Definitionen: m= Mehrwert c=konstantes Kapital (Maschinen, Rohstoffe, Grundstücke etc.) v= variables Kapital (Arbeitskräfte).
Profitrate= m/c+v
m entsteht durch Mehrarbeitszeit von v im Produktionsprozess. C wächst schneller als v wegen Steigerung der Arbeitsproduktivität.
Ausgangslage: m =100 c=50 v= 50 daraus folgt: Profitrate 100%
Prosperierender Kapitalismus: c und v wachsen beide z.B. c um 20% und v um 10% daraus folgt: m=110 v=55 c=60 Profitrate =95,6%
Die Profitrate ist gefallen, aber die Profitmasse ist wegen der Steigerung von v auf 110 gewachsen. Es ist eine erweiterte Reproduktion möglich.
Strukturelle Überakkumulation: c wächst weiter und v stagniert, zum Beispiel c um 10% und v um 0%. Daraus Folgt m=110 c=66 v=55 Profitrate= 90,9%.
Die Profitrate ist weiter gefallen, die Profitnasse stagniert, weil v stagniert. Ein Teil des Kapitals geht unter und ein weiterer Teil weicht auf die Finanzmärkte aus wegen der Kurssteigerungen bei Wertpapieren und Immobilien. Spekulationsgeschäfte blühen und Finanzmärkte überhitzen. Die Finanzkrisen sind das Ergebnis und eine strikte Regulierung der Finanzmärkte wäre notwendig.
Deutlich wurde das Ende der Nachkriegsprosperität an der Weltwirtschaftskrise 1974/75. Das Bretton-Woods-System brach zusammen. Von marxistischer Seite wurde schon sehr früh von einer strukturellen Überakkumulation gesprochen. Das bedeutet, dass die Profitrate tendenziell fiel, was noch kein Problem war, solange durch steigende Kapitaleinsätze die Profitmasse noch weiter wuchs. Als aber die Profitmasse ab der Mitte der 70er auch langsamer wuchs, begann die Flucht auf die Finanzmärkte. Die Konsequenz, die viele Kapitalisten zogen, war, dass sie ihr Kapital umlenkten auf die Finanz- und Immobilienmärkte, in der Hoffnung durch Kurssteigerungen bei Wertpapieren und durch Spekulation an Börsen und bei Immobilien dem Niedergang ihres Kapitals zu entgehen. Das Resultat war eine wirtschaftliche Scheinblüte und die Finanzkrise 2007/2008. Auch eine ultralockere Geldpolitik, also eine massive Überschwemmung der Wirtschaft mit Finanzmitteln der Zentralbanken, führte nicht zu einem beschleunigten Wirtschaftswachstum, die wichtigste Voraussetzung für eine neue Betriebsweise. Es ist zu sehen, ob das mit dem digitalen Kapitalismus gelingen kann.
Der digitale Kapitalismus
Die Produktivkraftentwicklung (technische Entwicklung) im Kapitalismus mit einer neuen Form der Arbeitsteilung wurde auf eine neue Stufe gehoben durch die Bildung von Netzwerken, genannt Plattformökonomie. Plattformunternehmen wie Google, Facebook, Amazon, Uber und Airbnb erhielten ein besonderes Gewicht. Wir bekommen das im Privatleben und Arbeitsleben hautnah mit. Es findet auf diese Weise eine Rationalisierung statt, die allerdings mit Problemen verbunden ist.
1.Cloud und Clickworker können an verschiedenen Orten der Welt tätig sein. Es fehlt der direkte Kontakt der Beschäftigten zueinander und führt eventuell zur Untergrabung von solidarischem Verhalten
2.Es entsteht als Folge eine Fragmentierung der Belegschaft
3.Es ist Home-Office möglich mit einerseits mehr Freiheitsspielräumen aber auch der Gefahr der Selbstausbeutung
Es wird damit notwendig, eine erweiterte Mitbestimmung der Beschäftigten durchzusetzen, eventuell mit Untermauerung durch eine Beteiligung am Produktivkapital (Maschinen, Rohstoffe, Grundstücke). Damit kommt man zur entscheidenden Frage der kapitalistischen Produktionsweise. Plattformökonomien steigern die Produktivkräfte wie gehabt durch die Einsparung lebendiger Arbeit und auch beim Maschineneinsatz. Der Fall der durchschnittlichen Profitrate wird aufgehalten durch verlängerte Arbeitszeiten inzwischen aber auch durch Verlangsamung der Produktivitätssteigerungen. Die strukturelle Überakkumulation wird jedoch nicht überwunden, im Gegenteil, die Geldpolitik der Zentralbanken stachelt die Wertpapierkurse und die Spekulation an. Das Kredit- und Banksystem kommt ins Wanken und wichtige Währungen (Dollar, Euro etc.) werden geschwächt. Da die Profitraten unzureichend gesteigert werden, gelingt auch kein Übergang in eine neue dritte Betriebsweise des digitalen Kapitalismus.
Die Schlussfolgerung ist, dass eine Weiterentwicklung der Produktivkräfte durch Zurückdrängung der kapitalistischen Produktionsweise und der Profitrate als Steuerungsinstrument erfolgen muss. Angesagt ist eine gesamtgesellschaftliche Rahmenplanung, erweiterte Mitbestimmung der Beschäftigten und Verwirklichung einer Wirtschaftsdemokratie. Die Frage ist allerdings: Wie kann das gesellschaftliche Bewusstsein sich so verändern, dass dieser Weg gegangen werden kann?
Die Entwicklung eines gesellschaftsverändernden Bewusstseins
Es ist damit zu beginnen, was Marx als „ökonomische Alltagsreligion“ be-zeichnet hat. Fest steht, dass die Lohnarbeit das strukturierende Element für den Lebensalltag der meisten Haushalte ist. Die Mitglieder vieler Haushalte unterliegen bestimmten bewusstseinsmäßigen Verdrehungen (Mystifikationen) Die gesellschaftliche Wertschöpfung in der Produktion erscheint für sie als das Resultat des Zusammenwirkens verschiedener Einkommensbezieher, der Arbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer. Sie sehen sich als freie und selbstbestimmte Wirtschaftssubjekte. Wenn ein gewisses Maß an Umverteilung von Einkommen- und Vermögen stattfand, hat das auch ihre Freiheitsspielräume erweitert. Kultur und staatlicher Überbau verfeinerten sich und erhöhten individuelle Spielräume. Dieser Prozess, der auch noch im Finanzmarktkapitalismus der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts stattfand, beherbergt aber auch Widersprüche. Durch die Marktöffnung in verschiedenen Bereichen ergab sich eine zunehmende soziale Unsicherheit. Beschäftigte wurden aufgefordert, in Zukunft selbstverantwortlicher zu handeln und wurden dadurch ein dankbares Objekt von Über- und Unterordnungsstrategien, ohne, wie noch im Fordismus, sozial aufgefangen zu werden. Alle Macht den Märkten wurde die Devise. Versprechen, die noch die alte soziale Marktwirtschaft gegeben hatte (z. B. Leistung wird sich lohnen, jeder ist seines Glückes Schmied etc) wurden untergraben. Teile der Mittelklasse und auch der Arbeiterklasse waren besonders betroffen und wurden empfänglich für rechtspopulistische Versprechen. Die Corona-Krise erzwang allerdings eine zeitweilige Abwendung von der Politik der Marktöffnung und eine massive staatliche Verschuldung zur Abwehr der Krisenfolgen. Es wird jedoch darauf ankommen, dass nach der Coronakrise nicht zur neoliberalen Politik zurückgegangen wird und die Lasten der Krise nicht wieder bei Lohnabhängigen und Sozialleistungsempfängern der Gesellschaft abgeladen werden.
Aber es entstanden auch Ansatzpunkte für eine linke Politik insbesondere im Rahmen der Erwerbsarbeit, beim Wohnen, bei Bildung, bei der Umweltpolitik und bei Gesundheit und Pflege auch wegen und nach der Coronakrise.
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Somit gilt es neben der Wirtschaftsdemokratie den ökologischen Umbau, ressourcensparende Produktqualität, Gruppenarbeit und enthierarchisierende Arbeitsprozesse jenseits des privaten Profitmotivs zu verwirklichen. Das wird nicht gehen ohne das private Eigentum an Produktionsmitteln zurückzudrängen.
Die neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wird ein demokratischer Sozialismus und eine sozialistische Marktwirtschaft sein müssen. Dabei sind eine klare Ablehnung und Aufarbeitung der Fehler des sogenannten realen Sozialismus unbedingt notwendig. Nur so werden Ressentiments gegen eine sozialistische Politik angegangen werden können und der Kampf gegen den Rechtspopulismus erfolgreich sein.
(1)Für den Aufsatz wurde der Text von Bischoff u.a. Die Anatomie und Zukunft der bürgerlichen Gesellschaft, Hamburg 2018, zur Grundlage genommen.

Sahra Wagenknecht und der Gemeinsinn

19. April 2021  Allgemein

DIE LINKE FREIBURG
DR.PETER BEHNEN

SAHRA WAGENKNECHT UND DIE GESELLSCHAFT FÜR GEMEINSINN UND ZUSAMMENHALT.
Neoliberales Denken beherrscht das Denken und Handeln der Wirtschaft und Politik spätestens seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Kostensenkungen bei Unternehmen und Sparpolitik des Staates, insbesondere bei der Sozialpolitik, sind seitdem Trumpf. Umso wichtiger ist es, dass die Partei „Die Linke“ theoretisch gut begründete Vorschläge zur Bekämpfung des Neoliberalismus vorlegt. Die theoretische Grundlage sollte dabei der Rückgriff auf die Marxsche Theorie als Leitfaden und auch bestimmte Elemente der Keynesschen Theorie sein.
Sahra Wagenknecht hat nun in größeren Texten aus den Jahre 2011, 2016 und 2021 versucht, einen Beitrag zur theoretischen und politischen Positionierung der Linken zu leisten. In ihrem Text „Freiheit statt Kapitalismus“ von 2011 stellte Sahra Wagenknecht fest, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich eine neue Wirtschaftsordnung wünsche aber keine politische Kraft sehe, der eine systemverändernde Politik zugetraut werde. Sie kam allerdings nicht zu dem Ergebnis, dass es nun auf Basis der Marxsche Theorie oder der Theorie von Keynes darauf ankomme, einen Minimalkonsens zwischen verschiedenen linken Ausrichtungen zu erreichen. Im Gegenteil, sie versuchte „an einer progressiv-bürgerlichen Zivilisierung des Kapitalismus anzusetzen, die zu radikalisieren und ihr so eine neue kreativ sozialistische Eigentumsordnung abzuringen.“ (1) Sie wollte dabei Begriffe wie Leistung und Wettbewerb nicht der bürgerlichen Seite überlassen und wollte anknüpfen an Vertreter des „guten Ordoliberalismus“ wie Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack und Wilhelm Röpke. Sahra Wagenknecht stand und steht auch heute für eine Eigentumsordnung, in der nicht Großunternehmen und das Finanzkapital im Vordergrund stehen und traf damit mit Vorstellungen und Positionen des Ordoliberalismus zusammen. Gut geführte, erfolgreiche und leistungsfähige Familienunternehmen galten ihr als Gegenentwurf zu renditeorientierten Großunternehmen. Das Problem bei Sahra Wagenknecht war schon damals, dass sie den Übergang in eine neue Eigentumsordnung anhand von klassischen Familienunternehmen präsentierte und insoweit einen Kapitalismus vor Augen hat, der auch beim Ordoliberalismus als Idealbild des Kapitalismus auftritt. Sie nahm nicht zur Kenntnis, dass im Kapitalismus gesetzmäßig eine Trennung von Eigentum und Funktion bis hin zu Aktiengesellschaften und großen Finanzunternehmen stattfindet. Das hatte Marx schon klar erkannt, und darauf hingewiesen, dass kein Idealbild des Kapitalismus zu zeichnen ist, ein Idealbild, dass durch die Struktur des Kapitalismus bedingt an der Oberfläche der Gesellschaft erscheint. Insoweit ist es Aufgabe linker Politik, Vorschläge zu machen, wie die Beschäftigten in den Kapitalgesellschaften die ökonomische Entwicklung teilweise oder ganz bestimmen können.
Mit Sahra Wagenknechts Text „Reichtum ohne Gier“ von 2016 wurde auch von bürgerlicher Seite als politische Botschaft erkannt, dass eine Abwendung von der EU, dem Euro und eine Rückkehr zum Nationalstaat von ihr propagiert wurde. Sie verfolgte weiter das Ideal der kleinen Einheiten und des vollständigen Wettbewerbs. Das Anknüpfen an Vorstellungen des Ordoliberalismus führte sie zur Aufgabe des Marxschen „Kapital“ als Anknüpfungspunkt der theoretischen Analyse. Marx hatte viel Mühe darauf verwendet um zu zeigen, wie durch den Verkauf der Arbeitskraft Mehrwert produziert wird, der Arbeitstag in notwendige und Mehrarbeitszeit unterteilt wird und der produzierte Mehrwert vom Kapitalisten, ob als Familienunternehmer oder durch die Aktiengesellschaft, angeeignet wird. Dieses Ausbeutungsverhältnis, das jedem kapitalistischen Produktionsprozess inhärent ist, wird durch die Struktur des Kapitalismus verschleiert, insbesondere auch durch die Kategorie des Arbeitslohnes. Es entsteht die Illusion, dass die geleistete Arbeit vergütet werde und nicht die Arbeitskraft des Arbeitenden. Auf dieser Bewusstseinsebene schwimmen Kapitalisten, Politiker und auch ein großer Teil der Bevölkerung einschließlich der Lohnabhängigen. Sahra Wagenknecht unterließ es auch in ihrem Text von 2016, sich bei der Erklärung von Bewusstseinsformen auf die Struktur des Kapitalismus einzulassen. Es fällt auf, dass sie auch auf kritische Beiträge von Wissenschaftlern, auch Nichtmarxisten, zum Beispiel Polanyi oder Keynes selten zurückgreift, was ihr den Vorwurf eingebracht hat, einen linken Autismus zu betreiben.
In ihrem jüngsten Text „Die Selbstgerechten“ von 2021 beginnt sie damit, sogenannte Lifestyle-Linke zu benennen, die die soziale Frage nicht mehr im Fokus ihrer Politik hätten, sondern sich mehr auf Themen wie Klima, Emanzipation von Frauen, Zuwanderung und sexuelle Minderheiten konzentrierten. Zu diesen Lifestyle-Linken zählt Sahra Wagenknecht MitgliederInnen ganz verschiedener Parteien. „In Reinform verkörpern die grünen Parteien dieses Lifestylelinke-Politikangebot., aber auch in den sozialdemokratischen, sozialistischen und anderen linken Parteien ist es in den meisten Ländern zur dominanten Strömung geworden.“ (2) Sahra Wagenknecht bringt im ersten Teil ihres Buches eine Vielzahl von Themen zur Sprache verbunden mit ihrer Sicht auf und Kritik an diesen linken Strömungen. Auch in der Partei „Die Linke“ werden wohl eine Vielzahl ihrer Positionen geteilt werden können, eventuell auch im Parteiprogramm der Partei nachlesbar. Richtig ist natürlich, dass neoliberales Denken und Handeln bis heute die Politik beherrschen und es darauf ankommt, die Lebensverhältnisse der Unterprivilegierten zu verbessern. Das gelingt allerdings nur, wenn verschiedene linke Strömungen zusammengebracht werden und, wie bereits erwähnt, ein linker Minimalkonsens erreicht wird. Dabei hat die Partei „Die Linke“ die wichtige Funktion, vorwärtstreibende Reformen zu unterstützen und immer wieder die Grenzen der Reformpolitik im Kapitalismus aufzuzeigen. Das ist dann auch theoretisch zu begründen. Es ist zu sehen, welche theoretische Position Sahra Wagenknecht in ihrem neuen Text vorbringt und ob die Marxsche Theorie und die Theorie von Keynes nun einen besonderen Stellenwert als Leitfaden besitzen.
Hier ihr Originalton: „Wer nicht ins 19.Jahrhundert zurück möchte, für den kann es nur einen Weg geben: Wir müssen nicht anders konsumieren, sondern vor allem anders produzieren.“ (3) Dabei geht es ihr aber nicht um die Abwendung von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen im Marxschen Sinne, sondern um neue technische Lösungen. Es geht ihr um eine „echte Leistungsgesellschaft“, eine gute Leistung soll zu Eigentum führen und jedem ein gutes Leben und sozialen Aufstieg ermöglichen. Die Rechtsform der Kapitalgesellschaft als Unternehmensform leiste das nicht und kommt damit zurück zum Ideal des Familien- und Eigentümerunternehmers. „Die Motivation echter Unternehmer ist, wie schon Schumpeter wusste, eine andere als die von Kapitalisten. Unternehmer gründen Unternehmen, arbeiten in ihnen und machen sie groß.“ (4) Da hört man bei ihr nichts davon, dass auch diese Unternehmer bzw. Unternehmerinnen Kapitalisten sind und nur durch den Mehrwert der Arbeitenden groß werden. Auch für Unternehmen mit Leistungseigentum komme es auf eine Wirtschaft mit Wettbewerb und einer Entflechtung großer Konzerne an. Zudem gehe es darum, die Übermacht des Finanzsektors zurückzudrängen und eine andere Finanzordnung zu schaffen. Das ist zwar richtig wird aber nur gehen, wenn auch die zu Grunde liegende Produktion des Mehrwerts zurückgedrängt wird. Dazu wäre es notwendig, den Zusammenhang der Mehrwertproduktion, die strukturelle Überakkumulation des industriellen Sektors seit den 70er Jahren und die Aufblähung des Finanzsektors zu erkennen. Damit ist gemeint, dass es seit den 70er Jahren im Kapitalismus nicht mehr gelingt, den tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate durch ein schnelleres Wachstum der Profitmasse zu kompensieren. Nicht mehr jedes industrielle Kapital kann sich rentierlich verwerten und es werden viele Kapitalisten auf den Weg der Abenteurer an den Finanzmärkten gedrängt. Sie versuchen ihrem Untergang durch die Steigerung der Kurse an den Börsen und Immobilienmärkten und Spekulationsgewinne zu entgehen. Die entfesselte Marktgesellschaft wird allerdings nicht allein durch die Propagierung von Gemeinsinn und Zusammenhalt zu stoppen sein, so wichtig das auch ist, sondern nur durch die Vorstellung von nachvollziehbaren Schritten zu einer wirtschaftsdemokratischen Ordnung. Ein fortschrittlicher Gegenentwurf muss darin bestehen, nicht weiter auf den Wettbewerbskapitalismus zu setzen, sondern auf eine sozialistische Marktwirtschaft und einen demokratischen Sozialismus. Da wird die Partei „Die Linke“ einen wichtigen Beitrag im Rahmen einer linken Zusammenarbeit leisten müssen. Mit einer Verunglimpfung anderer linker Ansätze und Bewegungen ist keinem gedient, sondern ist politisch kontraproduktiv. Das heißt aber auch, dass im neuen Text von Sahra Wagenknecht eine Vielzahl richtiger Einsichten und Positionen formuliert werden, die sich die Partei „Die Linke“ zu eigen machen müsste oder schon zu eigen gemacht hat, selbst wenn sie bei Wagenknecht unpräzise und zum Teil missverständlich vorgetragen werden.
(1)Joachim Bischoff und Christoph Lieber: Zeitschrift Sozialismus 7/8 von 2011 S.40
(2) Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten, Frankfurt am Main 2021, S.25
(3) a.a.O. S.290
(4) a.a.O. S.293

Wie geht es weiter mit Corona?

06. April 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

WIE GEHT ES WEITER NACH CORONA? (1)
Die Covid-19-Pandemie hat die meisten kapitalistischen Staaten voll im Griff. Die beteiligten Regierungen greifen auf den öffentlichen Kredit zurück, um Unternehmen und private Haushalte zu stützen. Es entwickelten sich Schuldenstände von Staat, Unternehmen und Haushalte weit über denen, die sich schon vor der Pandemie entwickelt hatten. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse des Staates musste inzwischen ausgesetzt werden. Das war notwendig geworden, um den rasanten Einbruch bei der Wirtschaftsleistung zumindest abzufedern. Die Diskussion über das Für und Wider der Schuldenbremse ist inzwischen in vollem Gange. Festzuhalten ist allerdings, dass die Quote der Gesamtverschuldung der Bundesrepublik, das ist das Verhältnis der Gesamtverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt, im Vergleich zu anderen Ländern immer noch eher gering ist. Trotzdem entsteht die Frage, ob „der verstärkte Rückgriff auf die Instrumente der öffentlichen Verschuldung kurzfristig eine Bedrohung für das Zinsniveau oder gar die Stabilität der Finanzmärkte (darstellt P.B.)“ (2) Die Mehrheit der Experten verneint die Frage, aber es darf nicht übersehen werden, dass die Risiken dieser Politik nicht gering sind. Das gilt vor allem für kleine und mittlere Unternehmen und ihre Beschäftigten. Die Betroffenheit von der Corona-Krise ist im Euroraum und auch national durchaus unterschiedlich. Finanzminister Scholz weist für die Bundesrepublik darauf hin, dass am Ende des Jahres die Schuldenquote von allen G7- Staaten die niedrigste sei. Ebenso wie er erklärte auch die neue US-Finanzministerin Janet Yellen, dass es zu der augenblicklichen Schuldenpolitik keine wirkliche Alternative gebe. Wenn man durch die Pandemie gekommen sei, gehe es darum, die Wirtschaft umzubauen und massive Investitionen in die Infrastruktur, ins Gesundheitswesen und Verkehrswesen sowie in eine alternative Energieversorgung durchzuführen. Dazu sei eine gerechte Steuerpolitik unbedingt notwendig. Die Alternative wäre die Rückkehr zu einer neoliberalen Politik des Sparens zu Lasten der Lohnabhängigen und SozialleistungsempfängerInnen.
Trotzdem wird der Schuldenabbau unter Verweis auf die Zeit nach dem 2.Weltkrieg nicht ähnlich verlaufen können. Ein Schuldenabbau damals basierte auf einem starken ökonomischen Wachstumsprozess. Im Gegensatz dazu haben wir heute eine Ökonomie, die zwar sehr viel weiter entwickelt ist, aber inzwischen durch geringe Wachstumsraten der Kapitalakkumulation und Produktivitätsfortschritte gekennzeichnet ist. Das liegt daran, dass wir uns an der Systemgrenze dieser Wirtschaftsordnung befinden. Es gelingt nicht mehr, den systembedingten tendenziellen Rückgang der gesellschaftlichen Profitrate (Profitsumme/eingesetztem Kapital) durch eine Steigerung der Profitmasse zu kompensieren oder zu überkompensieren. Das führt viele Kapitalanleger auf die Bahn der Abenteurer, die sich erhoffen, durch Spekulation an den Finanzmärkten und Immobilienmärkten dem Untergang ihres Kapitals zu entgehen mit der Gefahr des Zusammenbruchs dieser Märkte (3). Notwendig wäre heute eine Transformation der Wirtschaftsordnung in Richtung einer sozial-ökologischen Veränderung. Investitionen in Bereiche „die langfristig positiven Rahmenbedingungen für eine sozialökologische Wertschöpfung bringen- etwa Bildung, Forschung, klimaneutrale Energie und Verkehrsnetze“ (4) sind angesagt. Das verweist allerdings auf eine demokratische Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung. Linke Politik muss immer wieder darauf hinweisen, dass ökonomische, soziale und ökologische Fortschritte nachhaltig nur im Rahmen einer Wirtschaftsordnung, die die private Profitorientierung und das private Eigentum an den Produktionsmitteln zurückdrängt, möglich sein werden. Es gilt somit kurz-und mittelfristige Maßnahmen mit einer Orientierung auf ein grundsätzlich anderes Gesellschaftsmodell zu verbinden.
(1)Der Aufsatz beruht in wesentlichen Teilen auf dem Aufsatz von Joachim Bischoff: Schulden-Tsunami aufgrund von Corona? Zeitschrift Sozialismus 4/2021, S.7-13.
(2) a.a.O. S.9
(3) Siehe Dr. Peter Behnen: Die chronische Überakkumulationkrise, Internetseite der Freiburger Linken, Aufsatz vom 30.4.2020, www.die-linke-freiburg.de
(4) Joachim Bischoff a.a.O. S.13

Die Freiburger Diskurse und die Staatsverschuldung.

15. März 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

DIE FREIBURGER DISKURSE UND DIE VERSCHULDUNG DES STAATES.
Die Freiburger Diskurse e.V. haben im März 2021 ein Webinar zu dem Thema Staatsverschuldung veranstaltet. Eingeladen waren die Wirtschaftsprofessoren Prinz und Beck sowie die Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) Steinhardt und Paetz. Die Moderation hatte Heinrich Roeder von den Freiburger Diskursen übernommen. Insgesamt muss gesagt werden, dass das Webinar zu einem Insidergespräch von Experten auszuarten drohte, mit wenig Erkenntnismöglichkeiten für Nichtökonomen. Heinrich Roeder ist allerdings zugute zu halten, dass er ab und zu versuchte, das Gespräch in eine allgemeinverständliche Richtung zu lenken.
Die zentrale These der MMT-Vertreter war, dass ein Staat in einer Fremdwährung zahlungsunfähig werden könnte (Originalton Pleite gehen) aber nicht in der eigenen Währung. Das heißt, dass dem Staat bei seinen Staatsausgaben und seiner Verschuldung in eigener Währung keine Grenzen gesetzt seien. Im Ernstfall wäre die Zentralbank in der Lage und auch Willens den Staat unbegrenzt mit finanziellen Mitteln zu versorgen, um die Existenz des Staates nicht zu gefährden. Dieser These wurde von Prof. Prinz und auch Prof. Beck widersprochen, indem beide darauf hinwiesen, dass in den USA bestimmte Teilstaaten durchaus zahlungsunfähig geworden seien und die Zentralbank (FED) nicht eingesprungen sei. Wichtig in der Diskussion war außerdem, dass insbesondere Prof. Prinz auf Rückwirkungen einer unbegrenzten Ausgaben- und Verschuldungspolitik des Staates auf den Wirtschaftsprozess hingewiesen hat. Inflationäre Entwicklungen seien dann möglich, wenn Kapazitätsgrenzen des realen Sektors (Industrie und Dienstleistungen) und auch institutionelle Grenzen durch die Staatsverschuldung überschritten würden. Dem stimmte Prof. Beck zu und bezeichnete die MMT als stinknormalen Keynesianismus und nicht als eine neue revolutionäres Theorierichtung. Richtig ist allerdings der Einwurf von Steinhardt, dass der Euroraum augenblicklich eher mit deflationären Tendenzen als mir inflationären Problemen zu schaffen habe. Einig waren sich alle Diskutanten, dass zu einer erfolgreichen Krisenbekämpfung kein Systemwechsel also keine Abwendung vom Kapitalismus notwendig sei.
An dieser Stelle setzt der marxistische Ansatz einen deutlichen Kontrapunkt. Im Rahmen der Marxschen Theorie wird von der warenproduzierenden kapitalistischen Gesellschaft ausgegangen mit dem Geld als Fundamentalkategorie. Es wird der Weg von der Geldware Gold, über das konvertierbare Repräsentativgeld mit Golddeckung bis zum heutigen inkonvertiblen Zentralbankgeld und Buchgeld bei Zentralbanken und Banken nachgezeichnet. Dieser Weg muss in verständlicher Form dargestellt werden. Im Gegensatz zur MMT und auch den Diskutanten der Freiburger Diskurse ist Geld nicht einfach als Kreation des Staates aufzufassen, sondern es ist aus der Warenproduktion und Warenzirkulation abzuleiten und erhält erst im Laufe der Geschichte seine staatliche Befestigung. Da die Vertreter der MMT und auch die Wirtschaftsprofessoren diesen Weg nicht beschreiten, können sie erklären, dass der Staat und die Zentralbanken mit ihrer Fiskal- und Geldpolitik den Kapitalismus nach Belieben und umfassend steuern können. Marxisten stellen dagegen dar, dass die Grundlage der staatlichen Politik und der Geldpolitik der Zentralbanken die Gesetze der privaten Kaptalverwertung sind und dass im Zuge einer tiefen Wirtschaftskrise ein katastrophaler Zusammenbruch des Geld- und Währungssystems möglich ist und eine Zerstörung der Funktion der Zentralbanken als „Lender of last resort.“ Es würde dann keine Verschuldungspolitik mehr möglich sein und die beteiligten Nationen drohten in eine Barbarei zu versinken. Eine schrittweise Abkehr von den Gesetzen der privaten Kapitalverwertung ist deswegen notwendig, ein Weg, den die Diskutanten gar nicht im Fokus haben, weil sie den Zusammenhang von realem Sektor (Mehrwertproduktion) und dem Finanzsektor mit seiner Verselbständigung nicht ableiten können. Insoweit sitzen die Vertreter der MMT und die diskutierenden Professoren im gleichen Boot. Es werden die ökonomischen Grenzen einer expansiven Geldpolitik „vergessen“. In der Zeit der Prosperität, bis etwa zur Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, schlägt die massive Geldschöpfung in inflationäre Prozesse um, was von Prinz und Beck gesehen wird. Im Überakkumulationszyklus danach mit dem Fall der gesellschaftlichen Profitrate stößt der Kapitalismus an seine Systemgrenze. Die expansive Geldpolitik kollidiert mit den Verwertungsbedingungen des privaten Kapitals, einer Abnahme der Kreditnachfrage der Unternehmen und den Einkommensgrenzen der privaten Haushalte. Die sinkende Profitrate im realen Sektor versuchen viele Unternehmen zu umgehen durch Umlenkung ihrer Gelder auf die Finanzmärkte. Die Spekulation an Börsen und Immobilienmärkten wird Trumpf. Dieser Rückbezug auf die Bedingungen der privaten Kapitalverwertung, die Einschätzung des veränderten Zyklusmusters und der Einbezug der Volkswirtschaft in die internationale Konkurrenz fehlt bei den Diskutanten komplett. Es wird in der Finanzsphäre verblieben, mit fatalen Fehleinschätzungen was die Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus angeht. Insoweit war das Webinar der Freiburger Diskurse e.V. ein Lehrstück für die Mangelhaftigkeit der traditionellen Volkswirtschaftslehre einschließlich der Vorstellungen der MMT.
Das Fazit aus marxistischer Sicht muss lauten: Staatsverschuldung ja, aber im Rahmen einer öffentlichen Strukturpolitik, ausgewogenen Finanz- und Geldpolitik und neuer Steuerungsinstrumente im Rahmen einer transformatorischen nicht-kapitalistischen Wirtschafts- Geld- und Finanzpolitik.

Staatschulden ohne Ende?

01. März 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

STAATSSCHULDEN OHNE ENDE? (1)
Um die Entwicklung der staatlichen Schulden und ihre Problematik näher beurteilen zu können, gilt es die Geldpolitik der Zentralbanken zu analysieren. Die Zentralbanken, insbesondere auch die Europäische Zentralbank (EZB), gelten als „Lender of last resort“, das bedeutet, ihnen wird die Fähigkeit zugeschrieben, dem Bankensystem und dem Staat unbegrenzt Geldmittel zukommen zu lassen. Das bedeutet auch, staatliche Ausgaben seien ohne Ende finanzierbar, ein beliebtes Argument der sogenannten „modernen Geldtheorie.“ Aus Sicht des marxistischen Ansatzes soll dieser Sichtweise hier vehement widersprochen werden. Es muss dazu die zyklische ökonomische Entwicklung in den Fokus genommen werden.
Eine forcierte Geldschöpfung der Zentralbanken schlägt in Zeiten der Prosperität, also im Nachkriegszyklus bis zur Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, in inflationäre Preissteigerungen um, wenn die Kapazitätsgrenzen des fixen Kapitals (Maschinen, Rohstoffe) erreicht und überschritten werden. Seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts setzt allerdings eine strukturelle Veränderung des Kapitalismus ein, die Prosperität ist beendet und die expansive Geldpolitik der Zentralbanken stößt auf Verwertungsprobleme der privaten Kapitale. Der systembedingte Fall der durchschnittlichen Profitrate der privaten Kapitale erreichte einen Punkt, an dem auch die Profitmasse langsamer wuchs. Das bedeutete für einen Teil des privaten Kapitals, dass Verwertungsprobleme entstanden verbunden mit nachlassender Kreditnachfrage dieser Unternehmen und Absatzproblemen bei privaten Haushalten. Marxisten nannten die Situation eine Chronische Überakkumulation (2). Ein Teil des privaten Kapitals wurde an die Finanzmärkte umgeleitet mit dem Ziel, über Kurssteigerungen und Spekulationen mit Wertpapieren und Immobilien den Verwertungsproblemen und im Extremfall dem Niedergang ihres Kapitals zu entkommen. Das wiederum hatte zur Folge, dass auf den Finanzmärkten Vermögenspreisblasen entstanden. Genau das führte zur Finanzmarktkrise 2007/2008 und Weltwirtschaftskrise 2010 und auch verschieden Formen der Eurokrise danach. Die Zentralbanken versuchten gegenzusteuern, doch der eigentliche Lackmustest entspringt aus ihrer Geldpolitik zur Stützung der Banken, des Börsengeschehens und zur Abwendung einer Staatsfinanzkrise. Die Politik der Zentralbanken war und ist darauf fokussiert, die Zentralbankgeldmenge massiv zu steigern um Investitionen im produktiven Sektor (Industrie und Dienstleistungen) zu stimulieren. Unter den heutigen Bedingungen wurden dadurch aber vor allem Preisschübe an den Finanzmärkten befördert, mit teilweise negativen Rückwirkungen auf den produktiven Sektor. Es werden neue Vermögenspreisblasen aufgebaut. Öffentliche und private Haushalte aber auch der produktive Sektor können ihre Kreditverschuldung nicht unbegrenzt weiterführen, insbesondere dann nicht, wenn die Verwertungsblockaden des privaten Kapitals nicht aufgehoben werden. Diese sind allerdings, wie bereits ausgeführt, durch die Struktur des kapitalistischen Systems bedingt. Die Zentralbanken befinden sich somit in einem Dilemma: Betreiben sie den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik, um die Spekulation an den Finanzmärkten zu bekämpfen, verschärfen sie die Probleme im produktiven Sektor und riskieren sie einen weiteren Niedergang dieses Sektors. Setzen sie die expansive Geldpolitik fort, befördern sie die Spekulation an den Finanzmärkten und riskieren deren Zusammenbruch. Kompliziert wird die Lage noch weiter, weil die USA und China um die Hegemonie an den Weltmärkten kämpfen und eventuell Handelskriege angesagt sind. Vor diesem Hintergrund kann das Finanzsystem zusammenbrechen und, wenn sich das in großen Weltregionen ereignet, zu einem Abrutschen des Kapitalismus in die Barbarei führen. Als Alternative ist eine Abwendung von der kapitalistischen Produktionsweise notwendig. Es ist eine sozialistische Marktwirtschaft einzuführen, der Einfluss des privaten Profits zurückzudrängen, die Hegemonie der Finanzmärkte zu beenden und die gesamte Volkswirtschaft einer demokratischen Steuerung zu unterwerfen. Auf diese Weise kann auch dargestellt werden, dass sich die „moderne Geldtheorie (MMT)“ auf einem Irrweg befindet.
1.Die MMT geht nicht vom System der gesellschaftlichen Arbeit und der kapitalistischen Warenproduktion aus, um Geld und Kredit zu erklären. Geld und Kredit sind für die MMT durch den Staat und die Zentralbanken geschaffene und gesteuerte Medien. Sie entstehen quasi durch eine einfache Buchung auf den Konten bei Banken und Zentralbanken.
2. Auf dieser Basis können laut MMT Staat und Zentralbank autonom die Geldschöpfung betreiben und seien nicht an die Finanzierbarkeit von Staatsausgaben gebunden. Bei der MMT fehlt der komplette Rückbezug auf die Gesetze der Kapitalverwertung und die Struktur der kapitalistischen Produktionsweise.
3. Weil in der Zeit der Prosperität eine beschleunigte und scheinbar autonome Geld- und Kreditschöpfung möglich ist, glauben die Vertreter der MMT ein allgemeingültiges ökonomisches Gesetz entdeckt zu haben. Es wird unterschlagen, dass dieser Prozess in der Krise schon wieder beendet ist und für die privaten Kapitale der Zwang entsteht, Schulden abzubauen und Kosten zu senken um die Kapitalverwertung wieder zu steigern.
4. Die MMT unterschlägt die Einbettung der Volkswirtschaft in die internationale Konkurrenz. Die unbeschränkte Geld- und Kreditschöpfung bei einer einzelnen Währung führt zu inflationären Prozessen und, wenn sie das Maß anderer Währungen überschreitet, zu einer Verschlechterung der nationalen Leistungsbilanz und destabilisierenden Kapitalbewegungen. Es kommt zu einer Schuldenkrise, die Situation vieler Staaten in den letzten Jahrzehnten spricht da eine deutliche Sprache.
5. Für die Politik der Linken bedeutet das, dass die Propagierung einer exzessiven Schuldenpolitik kontraproduktiv ist, und auch in und nach der Coronakrise eine ökonomisch ausgewiesene Politik der Ausweitung der öffentlichen Investitionen und sozialer Transfers notwendig ist. Es ist eine aktive öffentliche Strukturpolitik und eine demokratische Steuerung des Wirtschaftslebens betrieblich und national vonnöten, Das bedeutet allerdings eine schrittweise Abwendung von der kapitalistischen Produktionsweise.
6.Staatsschulden im Kapitalismus stoßen somit auf Grenzen, die Systemgrenzen dieser Wirtschaftsordnung sind.
(1)Der Aufsatz hat den Text von Stephan Krüger und Klaus Müller: Das Geld im 21.Jahrhundert, Köln 2020, S.96-150 zur Grundlage.
(2) Siehe hierzu: Politische Kommentare von Dr. Peter Behnen: Die chronische Überakkumulationskrise, Internetseite der Partei Die Linke Freiburg vom 30.4.2020

Das digitale Geld und Probleme

10. Januar 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

                               PROBLEME MIT DEM DIGITALEN GELD (1)

Seit 2019 machte Facebook seine Pläne für die Einführung eines digitalen Geldes, genannt Libra, öffentlich. Schnell gab es von verschiedenen Seiten Kritik, so dass Facebook verschiedene Planänderungen vornahm.

1.Der Libra soll nun Diem genannt werden

2.Es soll eine Diem-Association entstehen, die eine Art Währungsbehörde sein soll.

3.Der Diem soll nun auf dem Dollar basieren.

Das Ziel besteht darin, ein privates Geld zu schaffen, das sowohl im Internet als auch zwischen Smartphone-Besitzern genutzt werden soll. Die Etablierung des Diem zielt, laut Diem-Association, auf solche Nutzerinnen und Nutzer, die kein eigenes Bankkonto haben oder in Ländern mit schwachen Währungen wohnen.

Die etablierten Banken und Zentralbanken und auch die Finanzpolitik reagierten eher aufgeschreckt. Klar wurde, dass die Finanzkrise 2007/2008 erhebliche Unsicherheiten und auch Kritik am bestehenden Geld- und Finanzsystem hervorgerufen hat und keine wirkliche Reform des Geld- und Finanzsystems erfolgt ist. Nun droht “ein komplett neuer, mächtiger Spieler das altbewährte Zusammenspiel (der Finanz- und Geldpolitik P.B.) zu stören (2).“ Es ist von Facebook geplant, aus dem Diem stabiles Geld zu machen, indem er an eine wirkliche Währung (US-Dollar) gebunden wird, im Gegensatz zum sogenannten Bitcoin, dem ein solcher Anker fehlt. Entsprechend schwankt der Bitcoin, vor einem Jahr kostete er 4000 $ inzwischen 40000 $. Beim Diem soll die Finanzanlage den jederzeitigen Rücktausch in US- Dollar Bankengeld ermöglichen im Verhältnis 1:1. Der Diem soll also wertstabil sein und digital verwendbar, abgesichert durch Geld- und Vermögenstitel in gleicher Höhe. Allerdings die Zinsen und Erträge aus den Geld- und Vermögenstiteln will der Betreiber für sich einstreichen.

Die Frage, was eigentlich Geld ist, hat sowohl die Marxsche Theorie und auch die bürgerliche Ökonomie seit jeher beschäftigt. Während laut Marx die bürgerliche Ökonomie das Geld als reines „Reflexionsprodukt“ betrachtet, gräbt Marx tiefer. Er leitet es aus dem spezifisch gesellschaftlichen Charakter der Arbeit im Kapitalismus ab, es sei die Art und Weise, wie sich der Wert der Waren im gesellschaftlichen Verkehr der Warenbesitzer ausdrückt. Erst im historischen Verlauf wird es durch den Staat als allgemeines Wertmaß, Zirkulationsmittel, Zahlungsmittel und Schatzmittel befestigt. Digitalunternehmen stellen nun dieses Geld- und Währungssystem in Frage, indem sie das Ziel verfolgen, die Kundenkonten von Banken auf ihre Plattform zu ziehen und eigene Zahlungsmittel zu schaffen. Der nächste Schritt wäre die Aufnahme eines eigenen Kreditgeschäftes und Etablierung von eigenen Zahlungssysteme über die Währungsgrenzen hinaus. Die Vernetzung birgt die Gefahr in sich, dass die Plattformbetreiber einen Zugriff auf private Zahlungsdaten erhalten mit enormen Möglichkeiten der Überwachung und Beeinflussung der Verbraucher. Die Privatisierung des Geldwesens schreitet voran, und die öffentliche Kontrolle und Steuerung des Geldwesens gerät in Gefahr.

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Zentralbank (EZB) nun ihre Absicht erklärt, selbst einen digitalen Euro herauszugeben. Ein digitaler Euro soll parallel zum Bargeld (Münzen und Banknoten) eingeführt werden. Damit versucht die EZB dem privaten Geld der Digitalunternehmen eine Alternative entgegenzusetzen. Der öffentliche Sektor könnte auf diese Weise wieder mehr Kontrolle über das Geld gewinnen und die Zentralbank sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Hierbei geht es jedoch nicht in erster Linie um ein technisches Problem, sondern darum, dass das Geld- und Kreditsystem weiter gesellschaftlich kontrolliert wird. Das ist gerade aus linker Sicht besonders wichtig, wenn mithilfe der staatlichen Geld- und Finanzpolitik eine Transformation der kapitalistischen Wirtschaftsordnung hin zu wirtschaftsdemokratischen Verhältnissen eingeleitet werden soll. Das Geld- und Kreditsystem und die staatliche Finanzpolitik sind ein mächtiger Hebel für eine solche Transformation. Wenn es vor allem darum geht, ist auch klar, dass die Versuche der Plattformökonomie, über privates Geld Einfluss auf die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen, abgewehrt werden müssen und die Herausgabe privaten digitalen streng zu kontrollieren ist.

(1)Der Aufsatz  beruht in wichtigen Teilen auf dem Aufsatz von Alfred Eibl und Johannes Priesemann, „Quo vadis Geld“ in Sozialismus 1/2021, S.60-63.

(2) a.a.O. S.61

Die Abwendung des harten Brexits

28. Dezember 2020  Allgemein

Dr. Peter Behnen

Die Linke Freiburg

                                           Die Abwendung des harten Brexits (1)

Die jüngsten Wirtschaftsdaten Großbritanniens werden vom Premierminister Boris Johnson beschönigend dargestellt. Er erweist sich, wie viele Andere seines Faches, als genialer Blender ähnlich dem bisherigen Präsidenten der USA Donald Trump. Der aktuelle Konjunktureinbruch in Großbritannien erinnert an vergangene Kriegszeiten. Im Jahre 2020 wird die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas aus Sicht der britischen Regierung um 11,3% schrumpfen, aus Sicht der Bank von England um 9,5 %. Das wird von verschiedenen Expertinnen und Experten pessimistischer gesehen und auch die wirtschaftliche Erholung als langwieriger als von der etablierten konservativen Politik. Großbritannien steckt in einer schweren Rezession, stärker als in allen anderen kapitalistischen Staaten. Die Entlassungen werden aller Voraussicht nach doppelt so hoch sein wie nach der Finanzkrise von 2008/2009. Im 2.Halbjahr 2020 verloren 650 000 Menschen ihren Arbeitsplatz. Mit der Mutation des Coronavirus gerät das Land in eine noch größere Isolation.

Die Gründe für den britischen Konjunktureinbruch sind vielfältig. Erstens wurde der Shutdown in Großbritannien wegen der zögerlichen Haltung Johnsons später angeordnet und dann auch erst später wieder gelockert. Das trug zur Verunsicherung von Investoren und Konsumenten bei. Zweitens ist von Bedeutung, dass Großbritanniens Dienstleistungssektor rund 80% der Gesamtwirtschaft ausmacht. Die Gastronomie, der Kulturbereich und das Entertainment wurden weitgehend stillgelegt. Drittens spielte die Unsicherheit wegen eines eventuellen harten Brexits eine wichtige Rolle, da halfen auch Beschwichtigungen der britischen Regierung nicht. Die Corona-Krise hat schonungslos die Bedeutung der internationalen Kooperation deutlich gemacht.

Inzwischen wurde kurz vor Toresschluss der harte Brexit doch noch abgewendet. Man hat sich nach langem Ringen auf ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU geeinigt, es wurden damit die Beziehungen nach dem Ausscheiden aus der europäischen Gemeinschaft nach dem 1.1.21 geregelt.  Beteiligte Politikerinnen und Politiker sprachen von einem „fairen und ausgeglichenen Deal.“ Kritischen Nachfragen wurde eher ausgewichen. Das wichtigste Ziel der Verhandlungen war, Zölle zu vermeiden und möglichst reibungslose Wirtschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU zu erreichen.  Das Abkommen garantiert Großbritannien Exporte ohne Zölle und Mengenbegrenzungen in den EU-Binnenmarkt. Im Gegenzug erhält die EU gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards. Boris Johnson meint nun die Souveränität und Kontrolle über die eigenen Grenzen und Gesetze zurückgewonnen zu haben, es sei der Beginn eines goldenen Zeitalters für Großbritannien zu erwarten. Klar ist, dass der jetzt vereinbarte Deal eine Eskalation der durch Corona ausgelösten schweren Wirtschaftskrise auf beiden Seiten verhindert wird. Trotzdem bleibt ein Verlassen des Binnenmarktes und der Zollunion der EU eine gefährliche und ökonomisch riskante Politik. Allerdings hätte ein No -Deal- Brexit die Wirtschaftsleistung Großbritanniens stark reduziert, Verluste werden durch das Abkommen begrenzt. Ein No- Deal- Schock wäre für die EU vermutlich kleiner ausgefallen als für Großbritannien, trotzdem bleibt die Tatsache, dass Großbritannien weiter von wichtiger Bedeutung für die EU bleiben wird. Der Handelsvertrag schafft zumindest eine Grundlage, auf der sich die Kooperation zwischen Großbritannien und der EU neu aufbauen lässt.

Es bleibt die Illusion Boris Johnsons und seiner Anhänger von einem „Global Britain.“ Das ist kein Bild der künftigen Rolle des Landes, „sondern eine lächerliche Karikatur- Phantasie und Wunschbild-Chimäre und Märchen zugleich. Einerseits drückt sie die Träumereien einer niedergehenden Oberschicht aus, andererseits ist dies das Trugbild zur Beruhigung der prekären Lohnabhängigen“ (2).

(1)Der Aufsatz fasst die Ergebnisse zweier Aufsätze aus  Sozialismus aktuell vom 22.12.20 und 24.12.20 zusammen .

(2) Sozialismus aktuell vom 22.12.20 S.2