Weiterer Absturz oder Erneuerung der Partei?

30. März 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

WEITERER ABSTURZ ODER ERNEUERUNG DER PARTEI? (1)
Die Wahlen im Saarland haben zu einem haushohen Wahlsieg der SPD, einem beispiellosen Einbruch der CDU und zu einer Pulverisierung der Linkspartei geführt. Auf die Linkspartei bezogen ist das das vorläufige Ende einer langen Kette von Wahlverlusten. Von Brandenburg über Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Berlin und jetzt dem Saarland verlor die Linkspartei zwischen 7,8 und 10,3 Prozent ihrer WählerInnenstimmen. Sie zog im letzten Jahr auch nur deshalb in den Bundestag ein, weil sie trotz des Reißens der 5-Prozent-Hürde drei Direktmandate erhielt.
Die Frage, die angesichts dieser desaströsen Entwicklung gestellt werden muss, besteht darin, auf welche Weise diese Entwicklung gestoppt werden kann? Festzuhalten ist erst einmal, dass bei der Wahl im Saarland die Linkspartei bei allen Altersgruppen, Milieus und Kompetenzfeldern als bedeutungslos eingeschätzt wurde und selbst bei ihrer eigentlichen Kompetenz, Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit, nur sehr geringe Zustimmungswerte aufzuweisen hatte. Im Gegensatz dazu gelang es der SPD die Themen, Sozialstaat, Arbeitsmarkt, Friedenspolitik und auch Klimapolitik zu besetzen. Dass das so ist, kann nicht nur auf den Austritt Oskar Lafontaines aus der Partei erklärt und auch nicht auf die Zwistigkeiten in der Linkspartei des Saarlandes zurückgeführt werden. Einige Hinweise auf die Probleme der Partei haben Lafontaine mit seinem Austritt und auch Bernd Riexinger nach der Bundestagswahl gegeben. Lafontaine kritisiert die schleichende Änderung des politischen Profils der Partei, das heißt, einen Verlust der politisch-programmatischen Ausrichtung im Hinblick auf eine sozialistische Transformation der Gesellschaft. Die Linkspartei hatte sich gebildet als Reaktion auf die Lohndrückerei und den Sozialabbau der Agenda 2010 der damaligen Regierung Schröder. Es wurde eine antikapitalistische Programmatik entwickelt und sie setzte sich zu allererst für einen gesetzlichen Mindestlohn, eine armutsfeste Rente und eine Abschaffung des Hartz 4-Systems ein. Außenpolitisch wurde konsequent auf Friedenspolitik orientiert. Die Übergangsforderungen wurden in eine antikapitalistische Programmatik eingebettet als Antwort auf den finanzgetriebenen Kapitalismus. Das war eine klare Alternative zur damalige Regierung Schröder, die es nicht wagte, gegen die Finanzmärkte Politik zu machen. Nicht nur Lafontaine, sondern auch andere Teile der Partei beklagen den Verlust eines entschieden sozialistischen Profils. Die Zeitschrift Sozialismus formuliert das folgendermaßen: „Die Partei Die Linke hat es versäumt, die Debatte über Kernfragen, zum Beispiel über den Zusammenhang von Übergangsforderungen mit der solidarischen Ökonomie, voranzubringen. Es besteht die Gefahr, entweder im alltäglichen Verbesserungsanspruch stecken zu bleiben oder unkritisch auf überholte Sozialismusvorstellungen des 20.Jahrhunderts zurückzugreifen.“ (2) Wichtig wäre eine massive Kritik des sogenannten Staatssozialismus und seiner Doktrin des Marxismus-Leninismus und ein Rückgang auf grundlegende Einsichten der Marxschen Theorie. Dazu dient auch ein Ausbau der politischen Bildungsarbeit in der Partei, die, aus meiner Sicht, immer noch als Stiefkind behandelt wird. Klar muss sein, dass Fragen der sozialen Sicherheit kein Alleinstellungsmerkmal der Partei Die Linke mehr sind, sondern dass vor allem die SPD und die Grünen durch ihre Neuorientierung und Abwendung von der Agenda 2010 ihr politisches Terrain erweitern konnten. Es muss deswegen die Aufgabe der Partei Die Linke sein, den Zusammenhang von sozialen Fragen, Klimafragen und auch der Friedenssicherung mit einer grundlegenden Änderung der kapitalistischen Ordnung aufzuzeigen. Wir können davon ausgehen, dass die Revitalisierung der SPD und der Grünen begrenzt bleiben wird, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Regierungspolitik der Ampel. Eine Revitalisierung unserer Partei wird allerdings nur gelingen, wenn sie nicht als zerstritten und konzeptionslos wahrgenommen wird sondern versucht, Übergangsforderungen mit einer sozialistischen Perspektive zu verbinden und das auch glaubwürdig darstellt. Dazu gehört auch, die Identitätspolitik mit einer verbindenden Klassenpolitik zusammenzubringen und herauszustellen, dass die Lohnabhängigen heute sehr stark differenziert sind und zum Teil Diskriminierungen erleben, die nur indirekt mit ihrer Stellung im Arbeitsleben zu tun haben. Das bedeutet, dass Klassenpolitik und Identitätspolitik keine Gegensätze sein dürfen, sondern beides durch die Linkspartei glaubwürdig miteinander verbunden werden muss. Zum Schluss muss es auch zur linken Politik gehören, gerade angesichts der russischen Aggression in der Ukraine, sich konsequent für eine Friedenspolitik einzusetzen. Eine Zustimmung zu einem Aufrüstungsprogramm in Europa ist strikt zu bekämpfen und der Illusion entgegenzutreten, eine militärische Abschreckung könne zu einem dauerhaften friedlichen Nebeneinander der Staaten führen. (1)Der Aufsatz basiert auf Aufsätzen der Zeitschrift Sozialismus, insbesondere auf Artikeln von Sozialismus aktuell vom 27/10/22, 18/3/22 und 28/3/22.
(2) Siehe Sozialismus Archiv vom 18.3.22

Die Linke und der russische Aggressionskrieg

02. März 2022  Allgemein

DR. PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

DIE LINKE UND DER RUSSISCHE AGGRESSIONSKRIEG.

Im Jahre 2014 gab es einen Appell von mehr als 60 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien, die eine neue Entspannungspolitik einforderten. Zu ihnen gehörten u.a. Roman Herzog, Antje Vollmer, Wim Wenders und Mario Adorf. Heute haben wir wieder einen Krieg in der Ukraine, betrieben durch eine imperiale Politik russischer Eliten. Die Ablehnung und Empörung über diese Politik sind in den Parteien und Medien zu Recht einhellig. Auch der Vorstand unserer Partei hat sich unmissverständlich geäußert. Er sagt Nein zum Krieg und Bruch des Völkerrechts durch die russische Politik und Ja zu einer sofortigen Beendigung der Kampfhandlungen, zur Deeskalation und umfassenden Abrüstung. Er stellt zu Recht fest, dass ein Kampf um geopolitische Einflußsphären seit Jahren auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausgetragen wird. Deswegen fordert der Parteivorstand:
1.Die Anerkennung der Souveränität und Grenzen der Ukraine durch Russland.
2.Den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine
3.Ein Zurück zum völkerrechtlich verbindlichen Minsker Abkommen
4.Den Aufbau einer militärfreien Sicherheitszone an der russisch-ukrainischen Grenze
5.Keine Osterweiterung der Nato und Waffenlieferungen in Krisengebiete, d.h. auch nicht in die Ukraine. Waffenlieferungen in die Ukraine, die die Bundesregierung nun ins Auge gefasst hat, sind ohne Perspektive und hat verheerende Folgen für die Ukraine angesichts der Übermacht der russischen Armee.
Was allerdings in der Erklärung unseres Parteivorstandes ganz fehlt, und was die Aufgabe der Partei Die Linke wäre, wäre genau die historischen Knotenpunkte der Entwicklung hin zu Krieg zu benennen, und vor allem auch die Darstellung der Elemente des autoritären Kapitalismus in Russland, die immer zur außenpolitischen Aggression und Krieg führen können. Die historischen Knotenpunkte sind die Punkte, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion und ihres Staatensystems im Jahre 1990 entwickelt haben.
1.Der 2+4- Vertrag von 1990
Durch diesen Vertrag wurde mit der Zustimmung der vier Alliierten (USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien) und den beiden deutschen Staaten die Einheit Deutschlands wiederhergestellt. Sie kam aber, nach Aussage vieler Teilnehmer des Prozesses, nur deswegen zustande, weil eine Nichterweiterung der Nato nach Osteuropa versprochen wurde. Lediglich die neue Bundesrepublik sollte ein Mitglied der Nato werden.
2.Die Nato-Russland Grundakte von 1997.
Der wesentliche Kern der Grundakte besteht darin, dass die Nato und Russland eine enge Kooperation und Abrüstung konventioneller und atomarer Waffen verabredeten. Außerdem wiederholte die Nato, dass sie die kollektive Sicherheit auch dadurch gewährleisten will, dass sie die kollektive Verteidigung „eher dadurch wahrnimmt, dass sie die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass sie zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert.“ Das wurde allgemein so verstanden, dass man sich bei der Stationierung der Nato in Osteuropa zurückhalten wolle, ohne neue Stationierungen grundsätzlich auszuschließen. Fakt war allerdings alsbald, dass die Nato 14 Staaten in Ost- und Südosteuropa in die Organisation aufnahm und damit ihren geopolitischen Einflussbereich erheblich ausbauen konnte.
3.Das Minsker Abkommen von 2015
Das Minsker Abkommen von 2015 muss als ein Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Krise und des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine angesehen werden. Es enthält 13 Punkte, die zur Beendigung des Bürgerkrieges in der Ostukraine führen sollten. Es sollten ein Waffenstillstand, eine Autonomielösung für die prorussischen Teile des Donbass und direkte Gespräche zwischen den prorussischen Separatisten und der ukrainischen Regierung stattfinden. Außerdem sollte die Wiedereingliederung der abtrünnigen Provinzen in das ukrainische Staatsgebiet und Wahlen in den Provinzen abgehalten werden. Das alles geschah im Rahmen einer massiven militärischen Überlegenheit Russlands gegenüber der Ukraine und dem Versuch der russischen Politik, über eine Autonomie der Provinzen einen weiteren Einfluss auf die ukrainische Politik zu erlangen.
Es zeigte sich jedoch bald, dass das Minsker Abkommen, das unter russischem Druck zustande gekommen war, von der politischen Klasse der Ukraine nicht umgesetzt werden würde. Es wurde deutlich, dass sich seit dem Frühjahr 2015 bei der Umsetzung kaum etwas bewegte und die ukrainische Führung die Autonomie der Provinzen unter den Minsker Bedingungen verzögern wollte. Es konnte auch keine Waffenruhe in der Ostukraine erreicht werden. Die Blockade des Abkommens führte zu einem Stellungskrieg, der sieben Jahre dauerte und, weil der Bürgerkrieg in der Ostukraine weitergeführt wurde, ca.14000 Tote forderte. Am 15. Februar 2022 forderte die russische Duma Wladimir Putin auf, die inzwischen selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anzuerkennen. Nach der Anerkennung und der Aufkündigung des Minsker Abkommens kündigte Putin die sogenannte „Spezialoperation im Donbass“ an, was auch eine Kriegserklärung an die gesamte Ukraine bedeutete.
Warum die russische Regierung unter Putin inzwischen eine imperiale Politik betreibt, lässt sich letztlich nur erklären, wenn man sich die gesellschaftlichen Strukturen Russlands anschaut, die sich seit dem Niedergang der Sowjetunion und ihres Staatensystems ab 1990 entwickelt haben. (1) Zuerst sollte in der Ära Gorbatschow versucht werden, eine Veränderung des Sozialismus unter den Aspekten Glasnost und Perestroika zu erreichen, also transparente demokratische Veränderungen. Es setzten sich allerdings Wirtschaftsreformer durch, die eine radikale Veränderung hin zur Marktwirtschaft auf ihre Fahne geschrieben hatten. Sie erachteten eine weitgehende Entstaatlichung der Wirtschaft, die Aufgabe von Preiskontrollen sowie eine Liberalisierung des Außenhandels für zentral. Dieses Vorhaben sollte in einem 500-Tage-Programm verwirklicht werden. Heraus kam eine Ablösung Michail Gorbatschows durch Boris Jelzin, der Gorbatschow vorwarf, die Reformen nur halbherzig umzusetzen. Unter Jelzin erfolgte dann zwischen 1992-94 durch eine Schocktherapie die Einführung des Kapitalismus in Russland. Schocktherapie bedeutete alle gesellschaftlichen Bereiche ungeschützt den Marktgesetzen zu überlassen. Diese Schocktherapie stürzte die russische Gesellschaft innerhalb weniger Jahre in eine soziale Katastrophe. Es verarmte ein Drittel der russischen Bevölkerung als direkte Folge der unkontrollierten Privatisierung der Wirtschaft. Auf der anderen Seite nutzten ehemalige hohe Parteifunktionäre, Beamte und Wirtschaftsführer die Gelegenheit sich illegal zu bereichern. Im Zusammenhang mit der schnellen Eingliederung Russlands in den Weltmarkt bildete sich im russischen Transformationsprozess eine nationale Unternehmerschaft heraus, die auch als Oligarchie bezeichnet wurde. Die ökonomische Basis der Oligarchen bestand vor allem in dem Export von Rohstoffen, zum Beispiel Erdöl, Erdgas, Aluminium und Energie. Die Herausbildung einer nationalen Unternehmerschaft ermöglichte der russischen Regierung ab etwa der Jahrtausendwende ein autoritär-kapitalistische Entwicklung unter Einbeziehung der Oligarchen zu vollziehen. Es entstand eine Abhängigkeit von den Oligarchen insbesondere durch die Übernahme staatlicher Aktienpakete durch private Banken zwecks Haushaltfinanzierung des Staates (AKS-Finanzierung). Durch die AKS-Finanzierung schaffte der russische Staat eine Klasse von Vermögensbesitzern, den besagten Oligarchen. Es entwickelte sich eine Herrschaftselite, bei der Oligarchen, Politiker und hohe Beamte auf das Engste miteinander verbunden sind.
Im Jahre 1997/98 gerieten verschiedene ostasiatische Länder in eine tiefe Wirtschaftskrise. Das verlangsamte Wachstum in der Region traf die russische Wirtschaft aufgrund ihrer einseitigen Ausrichtung auf den Rohstoffexport schwer. Dennoch war die Wirtschaftskrise, die jetzt auch Russland traf, nicht primär auf die Asienkrise zurückzuführen, sondern auf die neoliberale Wirtschaftspolitik, die die Privatisierung des Staatseigentums und die Deregulierung der Finanzmärkte mit einschloss. Dazu gehörte auch eine Vernachlässigung der Weiterentwicklung des realen Sektors und der massive Abbau staatlicher Regulierung des Wirtschaftslebens. Die Krise erbrachte nun einen Wendepunkt in dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft und den Beginn der Herrschaft Wladimir Putins. Es kam zu einem neuen Kompromiss zwischen der Regierung und den Oligarchen, der Staat übernahm nun eine aktivere Rolle in der Organisation der Wirtschaft. Das heißt allerdings nicht, dass er seine Rolle als Lobbyist für nationale Unternehmen aufgab. Putin machte deutlich, dass er die Einkommens- und Vermögensverhältnisse unangetastet lasse, solange die Regierung die Loyalität der Oligarchen erhalte. Die autoritäre Form des Kapitalismus wurde ausgebaut, der staatliche Gewalt- und Überwachungsapparat verstärkt und oppositionelle Aktivitäten massiv bekämpft. Eine Militarisierung der russischen Innen- und Außenpolitik mit dem Angriff auf die Ukraine als bisheriger Höhepunkt sind die logische Folge dieser Politik.
In der wissenschaftlichen Diskussion wird, wenn von der russischen Gesellschaft die Rede ist, auch vom „crony capitalism“ geredet, ein Kapitalismus also, der eine starke Verbindung von Staat und Oligarchen aufweist. Allerdings ist es bisher gelungen, dieses System zu stabilisieren und trotz hoher Aufwendungen für Rüstung und einem repressiven Staatsapparat die öffentlichen Haushalte stabil zu halten. Bei einem Ölpreis von ca. 50 US-Dollar wurden sogar beträchtlichen Reserven gebildet. Dieses finanzielle Gleichgewicht machte Russland bisher nur begrenzt anfällig für eine Krise aufgrund der westlichen Sanktionspolitik. Auch der Ausschluss aus dem Swiftsystem ist nur ein Machtmittel des Westens auf Zeit und würde das Bestreben Russlands, aus dem Dollar auszusteigen, befördern.
Welche Schlussfolgerungen sollten aus dem bisher Gesagten vonseiten der Staaten des demokratischen Kapitalismus gezogen werden?
1.Wichtig ist die Einschätzung, dass der Überfall auf die Ukraine für die Regierung Putin und seine Oligarchen möglicherweise eine strategische Fehlkalkulation darstellt, denn es ist auch für Russland mit einem verlustreichen Krieg und einem möglicherweisen Umschwung in der Stimmung der russischen Bevölkerung zu rechnen.
2.Die russische Militärmaschinerie durch die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Kriegsgerät zu stoppen wird wenig erfolgreich sein sondern den Krieg verlängern. Auch die Aufrüstung der Bundesrepublik mit 100 Mrd. Euro wird nicht zur Lösung des Konflikts beitragen.
3.Auch die Einschränkungen im Energiehandel haben begrenzte Wirkungen und sind ein zweischneidiges Schwert, weil rund die Hälfte aller Erdölimporte und 90 Prozent des Erdgases Europas aus Russland kommen.
4.Es muss alles getan werden, um die Bevölkerung in der Ukraine vor wirtschaftlicher Not und den Folgen von Flucht und Vertreibung materiell und finanziell zu unterstützen.
5.Es müssen alle diplomatischen Möglichkeiten genutzt werden, zu einem Ende der Kriegshandlungen zu kommen. Es wird nach dem Ende der aktuellen Kriegshandlungen darauf ankommen, einen neuen Übergang zu gemeinsamer Sicherheit und Kooperation zu finden. Inwieweit das gelingt, wird stark davon abhängen, wie stark die internationalen Beziehungen und die zivile Ordnung beschädigt worden sind. Es wird dann auch nicht ohne tiefgreifende Reformen in den internationalen Organisationen abgehen und es wird auch über die „Rolle der Volksrepublik China auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung …ebenfalls zu reden sein.“ (2)

(1) Siehe zum Folgenden: Felix Jaitner, Einführung des Kapitalismus in Russland, VSA-Verlag, Hamburg 2014.
(2) Siehe Bischoff/Siebecke: Was folgt auf Putins Krieg? Sozialismus aktuell vom 27.2.22

Klassenpolitik versus Identitätspolitik ?

17. Januar 2022  Allgemein

Dr. Peter Behnen
Die Linke Freiburg

Klassenpolitik versus Identitätspolitik?

Die Klassenanalyse entlang der unterschiedlichen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft führt dazu, dass gezeigt wird, dass die Mitglieder der verschiedenen Klassenabteilungen ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen des Kapitalismus aufsitzen und entsprechende Illusionen über die Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus entwickeln können. Es kommt hinzu, dass die Bewusstseinsformen, die sich aus ihrer Stellung im Reproduktionsprozess ergeben, durch private Vermögensbildung, Familie, Freizeit und Traditionen modifiziert werden können. In diesem Zusammenhang entstanden Bewegungen, die für die Anerkennung vielfältiger Identitäten eintreten, häufig auch als „progressiver Neoliberalismus“ bezeichnet. Als Ziel wird ein Miteinander propagiert, befreit von patriarchalem, sexistischem, rassistischem und umweltfeindlichem Verhalten. Der Begriff Identitätspolitik hat seinen Ursprung in der krassen Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung in den USA. Er fand internationale Verbreitung durch den Kampf gegen Diskriminierung verschiedenster Art. Viele soziologische Untersuchungen zeigen inzwischen, dass auch die Lohnabhängigen heute alles andere als homogen leben, also ganz unterschiedliche Lebensstile haben. Anders als früher können sich heute viele Lohnabhängige mehr leisten und können dadurch verschiedene Lebensstile entwickeln. Auch Industriearbeiter, prekär Beschäftigte oder Arbeitslose können Diskriminierungen erfahren, die nicht direkt mit ihrem Status im Reproduktionsprozess zu tun haben. Das heißt, linke Politik hat sensibel auf Diskriminierungen zu reagieren, soziale und ökologische Ziele sollten nicht in einen Gegensatz zu Abstammung, Religion, Geschlechtszugehörigkeit, sexueller Orientierung etc. gebracht werden. Individualität in einen Gegensatz zu solidarischem Handeln zu stellen führt in eine Sackgasse. Daher sollte gelten: Wenn linke Politik erfolgreich sein will, müssen Klassenpolitik und Identitätspolitik zusammengebracht werden.

Mehr Fortschritt wagen aber für wen?

02. Januar 2022  Allgemein

vv
DR. PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

DAS MOTTO DER AMPELKOALITION: MEHR FORTSCHRITT WAGEN.

Die neue Bundesregierung hat angekündigt, mehr Fortschritt wagen zu wollen. Die Frage muss allerdings sein, ob es bei der Ankündigung bleiben wird oder eine reale Politik des Fortschritts folgen wird? Zur Beantwortung der Frage ist es notwendig, die ökonomisch-sozialen Rahmenbedingungen unter die Lupe zu nehmen (1).
Die deutsche Volkswirtschaft ist seit 2020 in eine tiefe Krise geraten. Bereits im Jahre 2019 hatte sich im Rahmen des normalen Konjunkturzyklus eine Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit angekündigt. Seit 2020 wurde der Konjunkturzyklus allerdings durch die Corona-Pandemie überlagert und führte dazu, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,6 % preisbereinigt sank. Als Reaktion auf den Einbruch in der Wirtschaftstätigkeit, verstärkt durch die Corona-Pandemie, wurden in den meisten kapitalistischen Ländern massive staatliche Ausgabenprogramme aufgelegt, finanziert durch eine gewaltige Verschuldung. Im April 2020 schätzte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass sich international die finanziellen Ausgaben auf 8 Billionen Dollar beliefen, im Januar 2021 aber bereits schon auf 14 Billionen Dollar. Es hat sich deutlich gezeigt, dass die Funktionsfähigkeit des Kapitalismus von Interventionen des Staates abhängig ist und auch die Innovationen im Kapitalismus sich im Wesentlichen durch staatliche Eingriffe vollziehen.
Wenn die neue Bundesregierung mehr gesellschaftlichen Fortschritt will, dann wird es um eine sozialökologische Transformation und eine Digitalisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen gehen. Hinzu kommt, dass die enormen Schäden, die die Pandemie mit sich gebracht hat und immer noch bringt durch einen massiven Einsatz öffentlicher Mittel zu bekämpfen sind. Das Schlüsselproblem wird in Zukunft die staatliche Finanzierung sein. Andererseits sind Steuern auf große Vermögen und Steuererhöhungen auf hohe Einkommen durch die FDP von Anfang an ausgeschlossen worden. Es sollen zwar bestimmte soziale Schieflagen von der Koalition angegangen werden, zum Beispiel Lohneinkommen, der Wohnungsmangel, die Kinderarmut und die Migration, aber eine Veränderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist nicht geplant. Eine Umverteilung, die von der SPD und den Grünen im Wahlkampf versprochen wurde, wird nicht stattfinden. Wie unter diesen Voraussetzungen eine sozialökologische Transformation, eine Digitalisierung aller Lebensbereiche und eine Bekämpfung der Pandemie funktionieren soll bleibt das Geheimnis der Koalitionäre. Es herrscht das Prinzip Hoffnung. Dass auf mittlere Sicht das Wirtschaftswachstum wieder abflachen könnte, wird nicht einmal angedacht. Das ist die Konsequenz der Tatsache, dass die Koalitionäre kein Bewusstsein von den ökonomischen Gesetzen des Kapitalismus und ihren Folgen haben. Ohne Umschichtung bei Vermögen und Einkommen werden viele Projekte der neuen Regierung im Sande verlaufen und der proklamierte Fortschritt eine Ankündigung bleiben. Aber auch von der CDU und ihrem neuen Vorsitzenden Merz werden keine progressiven Alternativen zu erwarten sein, weil an eine radikale Abwendung von ihrer neoliberalen Grundauffassung nicht zu denken ist. Es bleibt Aufgabe der Linkspartei aus ihrer krachenden Wahlniederlage einen organisatorisch-programmatischen Aufbruch zu vollziehen, der auch einen Großteil der Wahlbevölkerung überzeugt.
(1)Siehe dazu: Sozialismus Heft 1/2022 Seite 6/7.

Wohin treibt die CDU?

22. Dezember 2021  Allgemein

Dr. Peter Behnen
Die Linke Freiburg

WOHIN TREIBT DIE CDU?
Mit deutlichem Vorsprung ist Friedrich Merz zum CDU-Vorsitzenden nominiert worden. In einem Interview mit der Badischen Zeitung vom 1.12.21 wurde er nach seiner politischen Position befragt und in welche Richtung sich die CDU entwickeln solle. Merz strebt einen Erneuerungsprozess seiner Partei an und will neue Antworten zur Klimapolitik, Chancengerechtigkeit, Integrationsfähigkeit von Menschen und zur Wettbewerbsordnung finden. Da die CDU wertkonservative, liberale und soziale Wurzeln habe, wolle er seiner Partei dieses Profil zurückgeben. Was allerdings die neuen Antworten sein sollen angesichts der Zerrissenheit der Partei und den teilweise ganz unterschiedlichen Ansätzen der angesprochenen Wurzeln bleibt völlig im Dunkeln. Klar ist, dass eine Erneuerung der CDU Deutschlands unter Berücksichtigung der erodierenden gesellschaftlich-kulturellen Basis, dass heißt der religiös- ideologischen Umorientierung größerer Bevölkerungsteile, kein leichtes Unterfangen sein wird. Außerdem sind die christlich-fundierten Parteien in Europa in ein nationales und teilweise nationalistisches Fahrwasser eingetaucht. Merz will gegen den Rechtspopulismus vorgehen und die soziale Frage stärker in den Blick nehmen. Seine langjährige Allianz mit dem Finanzkapital, er war Aufsichtsratsvorsitzender des Finanzkonzerns Black Rock, wird nicht zu seiner Glaubwürdigkeit beitragen. Es bleibt abzuwarten, ob unter seiner Ägide sich die CDU aus den Fängen des Finanzkapitals befreien kann. Große Skepsis ist da sicherlich angebracht

Sondierung ohne Kenntnis kapitalistischer Strukturzusammenhänge

31. Oktober 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG
SONDIERUNG OHNE KENNTNIS KAPITALISTISCHER STRUKTURZUSAMMENHÄNGE.
Die SPD, die Grünen und die FDP haben sich auf ein Sondierungspapier geeinigt. Mit dem zwölfseitigen Papier soll es nun in die Koalitionsverhandlungen gehen. Das Papier liest sich wie ein Wunschzettel, bei dem die beteiligten Parteien versucht haben, mehr oder weniger ihre Präferenzen durchzusetzen. Der Schwerpunkte des Papiers sind die Themen Klimaschutz, Digitalisierung, Verkehr, Arbeit und Soziales, Alterssicherung, Außenpolitik und Finanzen. Der SPD ist es gelungen, dass die Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro akzeptiert wurde, dafür hat die FDP durchgesetzt, dass die Mini- und Midi Jobs flexibilisiert werden. Auch wird im Sinne der FDP die Vermögenssteuer nicht erhoben, ebenso wie es eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Superreiche nicht geben wird. Die Rente mit 67 wird bleiben und ebenso das Rentenniveau bei 48 Prozent. Der Einstieg in die Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung scheint beschlossenen Sache zu sein. Das Hartz 4 soll in Zukunft Bürgergeld heißen, ob das nur eine andere Bezeichnung für Hartz 4 ist oder auch mit einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Betroffenen verbunden ist bleibt abzuwarten. Dem Wunsch der FDP entsprechend, sollen die Empfänger und Empfängerinnen des Bürgergeldes mehr Zuverdienstmöglichkeiten erhalten, das spricht nicht für eine Höhe des Bürgergeldes, das zum Leben reicht. Beim Thema Klimaschutz ist die Lage kompliziert. Aus der Forderung der Grünen, ein Tempolimit auf Autobahnen durchzuführen wird nichts werden. Dafür kommt das vage Versprechen, einen beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung zu erreichen und durch einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien den steigenden Strom- und Energiebedarf zu decken. Durch die Verpflichtung bei gewerblichen und Förderung bei privaten Neubauten Solaranlagen auf die Dächer zu setzen, könne auch ein Konjunkturprogramm für Mittelstand und Handwerk abgeleitet werden. Beim Thema Pflege und Gesundheit wird eine Offensive für mehr Personal angekündigt, die Finanzierung durch eine Bürgerversicherung ist allerdings vom Tisch. Kompromisse gibt es beim Thema Wohnen, 400000 neue Wohnungen sollen pro Jahr entstehen, 100000 davon öffentlich gefördert. Von einer Deckelung der Mieten ist allerdings nicht die Rede. Der zukünftige Bundeskanzler Scholz erklärte zum Schluss, durch die neue Regierung werde das größte Modernisierungsprojekt seit über 100 Jahren eingeleitet.
Scholz muss aber zugeben, dass der der konkrete Finanzbedarf nicht Gegenstand der Gespräche gewesen sei. Er und auch Robert Habeck konnten nicht erklären, wie die gewaltigen Investitionen bei dem Verzicht auf Steuererhebung bzw. Steuererhöhungen bei Vermögen und hohen Einkommen und Beibehaltung der Schuldenbremse finanziert werden sollen. Es ist zu sehen, inwieweit die Vorschläge der Sondiererinnen und Sondierer, die quasi im ökonomischen Vakuum gemacht wurden, mit kurz- und langfristigen Tendenzen des Kapitalismus kollidieren werden.
Das DIW Berlin, das Ifo-Institut München, das IFW Kiel, das IWH Halle und das RWI Essen haben gerade eine Gemeinschaftsdiagnose veröffentlicht, in der sie den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts auf 2,4% in diesem Jahr nach unten korrigierten und feststellten, dass die wirtschaftliche Lage weiterhin durch die Corona-Krise belastet sei. Wichtig seien auch umfassende Lieferengpässe für die Industrie. Das Wirtschaftswachstum wird laut der Prognose der Institute nach Auslaufen der Pandemie im Jahre 2022 zuerst stabilisiert und dann wiederum auf 1,9% zurückfallen. „Schon vor der Corona-Pandemie haben wir mehrere Wachstumszyklen- unterbrochen von rezessiven Phasen-mit niedrigen und im Trend fallenden Wachstumsraten beobachtet.“ (1) Damit wird der Rückfall der Akkumulationsrate unter 2%, also in die sogenannte säkulare Stagnation deutlich. Weitere Zuspitzungen der Verteilungskämpfe sind unausweichlich, „die wegen der unverzichtbaren Aufwendungen für die ökologische Transformation (Kampf gegen Klimawandel) zu weiteren gesellschaftlichen Konflikten führen.“ (2) Es ist also nicht auszuschließen, dass die Bundesrepublik und anderen kapitalistischen Länder sich in politischen Streitigkeiten und gesellschaftlichem Stillstand verlieren werden, trotz Zweckoptimismus und Fortschrittsrhetorik der Sondiererinnen und Sondierer.
Entscheidend wird jedoch sein, welchen Einfluss die Entwicklung der Netzwerkökonomie mit der Digitalisierung auf die gesellschaftliche Profitrate haben wird. „Im Gesamtergebnis steigert das Rationalisierungsparadigma der Netzwerkökonomie durch Einsparung der lebendigen Arbeit die allgemeine Mehrwertrate.“ (3) Es gibt also Gegenkräfte gegen den Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate. Aber die „erweiterten Automatisierungsprozesse führten dort, wo sie genutzt werden und nach Maßgabe des Umfangs ihrer Anwendung…zu einer steigenden Kapitalintensität der Arbeitsplätze und dem entsprechend wieder zu einer Verstärkung des tendenziellen Falls der nationalen Profitraten.“ (4) Es gelang also nicht die strukturelle Überakkumulation des Kapitals, die auf Basis der Marxschen Theorie ableitbar ist, zu überwinden. (5) Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Umverteilung zu Gunsten der Profite nur zu einer Stabilisierung der Profitraten auf niedrigem Niveau geführt hat. Insoweit sind wir an einem gesellschaftlichen Kontenpunkt angelangt. „Neue Produktivkräfte sind vorhanden und zeichnen sich ab, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse hemmen jedoch sowohl ökonomisch durch niedrige Profitraten als auch gesellschaftlich…die Etablierung einer neuen, höheren Betriebsweise.“ (6) Es zeigt sich eine Systemgrenze, die nur durch eine Relativierung der privaten Profitproduktion, eine massive Regulierung des Finanzsektors und die Entwicklung einer Wirtschaftsdemokratie überwunden werden kann.
Diese Strukturzusammenhänge kennen weder die Sondiererinnen und Sondierer noch die zukünftigen Koalitionäre. Ihr Weg wird zu massiven gesellschaftlichen Konflikten und vermutlich zum gesellschaftlichen Stillstand führen trotz ihrer Fortschrittseuphorie. Nur eine grundlegende Änderung der Produktionsverhältnisse, als Ergebnis einer schrittweisen fortschrittlichen Reformpolitik und einer entsprechenden Änderung der politischen Kräfteverhältnisse, wird zu einer solidarischen Gesellschaft, in der soziale Gerechtigkeit, eine durchgreifenden Klimapolitik und eine demokratische Erneuerung verwirklicht werden, führen.
(1)Akkumulation nach der Pandemie: Aus Sozialismus aktuell vom 14.10.21
(2) a.a.O.
(3) Siehe Zeitschrift Sozialismus, Heft 7/8/2021, S.62
(4) a.a.O. S.62
(5) Siehe hierzu u.a. Stephan Krüger Wirtschaftspolitik und Sozialismus, Hamburg 2016 oder www.die-linke-freiburg.de/politische-oekonomie-heute.
(6) Siehe Zeitschrift Sozialismus Heft 7/8/2021, S.63

Die Zukunft des Sozialismus?

10. Oktober 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

THOMAS PIKETTY UND DER SOZIALISMUS DER ZUKUNFT.
In dem Text „Der Sozialismus der Zukunft“ werden noch einmal Kolumnen von Thomas Piketty herausgebracht, die zwischen 2016-2021 in der Zeitung Le Monde veröffentlicht worden sind. Im Vorwort des Textes stellt er seine aktuelle theoretische und politische Position dar. Es ist zu sehen, wie aus seiner Sicht ein Sozialismus der Zukunft aussehen könnte.
Thomas Piketty beginnt mit der Feststellung, dass sich im Gegensatz zu den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts sein Verhältnis zum Kapitalismus geändert habe. „Doch 30 Jahre später, im Jahr 2020, liegt mir der Hyperkapitalismus sehr fern, und ich bin der Überzeugung, dass wir wieder über die Überwindung des Kapitalismus nachdenken müssen…“ (1) Er plädiert nun für „einen neuen, partizipativen und dezentralisierten, föderalen und demokratischen, ökologischen, diversen und feministischen Sozialismus…“ (2) Thomas Piketty will eine klar formulierte Alternative zu Kapitalismus vorlegen. Dabei lautet seine Prämisse: „…Ungleichheit ist ideologischer und politischer Natur, nicht ökonomischer oder technischer Natur.“ (3) Deswegen geht er davon aus, dass die Umverteilung von Einkommen und Vermögen seit dem frühen 20.Jahrhundert zwar begonnen habe, aber die Konzentration von Eigentum bei Wenigen immer noch auf einem hohen Niveau verblieben sei. Man habe zwar inzwischen eine größere Gleichheit erreicht als in früheren Gesellschaften, seit den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts sei aber eine Stagnation des Sozialstaats eingetreten. Deswegen seine Feststellung: „Bildungsgerechtigkeit und Sozialstaat reichen nicht aus. Um wirkliche Gleichheit zu erreichen, sind alle Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu überdenken. Dafür muss natürlich auch die Macht in den Unternehmen verteilt werden.“ (4) Thomas Piketty orientiert sich dabei am Konzept der betrieblichen Mitbestimmung der Bundesrepublik, stellt aber gleichzeitig fest, dass der Widerstand der Aktionäre eine größere Verbreitung des Modells verhindert habe. Ihm schwebt vor, dass die Arbeitnehmervertreter in allen Unternehmen 50 Prozent der Stimmen haben sollten. Je größer das Unternehmen werde, desto größer müssten auch die kollektiven Entscheidungen sein. Durch eine Änderung der Rechtsverhältnisse in den Unternehmen sei aber keine wirkliche „Zirkulation von Macht“ zu erreichen. „Um eine wirkliche Zirkulation von Macht zu erreichen, müssen auch das Steuer- und Erbschaftsrecht angegangen werden, damit das Eigentum selbst in Bewegung kommt.“ (5)
Thomas Piketty kommt zu einer verblüffenden „Lösung.“ Er spricht sich für eine Mindesterbschaft für alle Bürger aus, die bei etwa 120000 Euro liegen könnte und ab dem 25.Lebensjahr auszuzahlen wäre. Diese Erbschaft für alle könnte durch eine progressive Vermögens- und Erbschaftssteuer finanziert werden. Da aber auf diese Weise nicht alle Staatsausgaben gedeckt seien, seien bei einem idealen Steuersystem 50 Prozent des Nationaleinkommens als Steuern zu erheben. Da jedoch die Erbschaft für alle noch nicht zur wirklichen Gleichheit führe, sei sie auch nur als wichtige Komponente einer gerechten Gesellschaft anzusehen. „Besitzt man nun ein kleines Vermögen, hat man mehr Optionen. Man kann sich erlauben, ein paar Angebote abzulehnen, bis ein gutes dabei ist. Man kann erwägen, ein Unternehmen zu gründen oder eine Wohnung zu kaufen, um die monatliche Miete zu sparen.“ (6) Insgesamt kommt Thomas Piketty zu dem Ergebnis: „Der von mir erhoffte partizipative Sozialismus beruht auf mehreren Säulen: Bildungsgleichheit und Sozialstaat; permanente Zirkulation von Macht und Eigentum; Sozialföderalismus und nachhaltige und gerechte Globalisierung.“ (7) Er legt Wert darauf zu betonen, dass der von ihm vertretene „partizipative Sozialismus nicht von oben herab diktiert wird. “ (8) Es komme ihm darauf an, einen Anstoß zu einer allgemeinen Diskussion zu geben.
Schon vor dem Text „Der Sozialismus der Zukunft“ hatte Thomas Piketty Furore gemacht. Sein Buch „Kapitalismus im 21.Jahrhundert“ wurde ein Bestseller ebenso wie der Text „Kapital und Ideologie.“ Manche Medien bezeichneten ihn sogar als den Karl Marx des 21.Jahehunderts. Es ist also zu sehen, ob sein Plädoyer für einen partizipativen Sozialismus theoretisch mit der Marxschen Theorie in Verbindung gebracht werden kann. Ihm ist zuzustimmen, dass es an der Zeit ist, dass die Überwindung des Kapitalismus angegangen werden muss und gegen soziale Ungleichheit vorzugehen ist. Aus Sicht der Marxschen Theorie ist allerdings seine Behauptung in Frage zu stellen, dass Ungleichheit auf polit-ideologische Maßnahmen und nicht auf ökonomische Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen sei. Um Ungleichheit zu erklären, muss auf Basis der Marxschen Theorie auf die Produktion des Mehrwerts, die organische Zusammensetzung des Kapitals und die Entwicklung der gesellschaftlichen Profitrate und Profitmasse zurückgegangen werden. Dann kann die Ablösung der beschleunigten Akkumulation des Kapitals durch die chronische Überakkumulation in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts erklärt werden. (9) Es kann dargestellt werden, dass inzwischen das Produktionspotential und die Einkommensverhältnisse so weit auseinanderklaffen, dass auch in Aufschwungsphasen der Konjunktur ein Überfluss an Kapital existiert, der nicht per se Anlage findet. Deswegen suchten sogenannte Investoren Anlagemöglichkeiten im Finanzsektor, was mit der Herausbildung von Hedgefonds, Equity-Fonds, Pensionsfonds etc. verbunden war. Gesellschaftliche Ungleichheit hat also eine ökonomische Grundlage, erst auf dieser Basis kann soziale Ungleichheit durch politische Maßnahmen entweder verstärkt oder abgemildert werden. Diesen Zusammenhang arbeitet Thomas Piketty nicht heraus. Im Gegensatz zu ihm finden sich bei J.M. Keynes deutliche Parallelen zur Marxschen Theorie. Auch Keynes stellt für den reifen Kapitalismus eine Überreichlichkeit an Kapital fest, das in Spekulation des Finanzsektors fließt und auf lange Sicht den Kapitalismus untergräbt. Aber auch er, ebenso wie Piketty, begreifen die Verteilungsverhältnisse nicht als Kehrseite der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und verbleiben bei ihren gesellschaftlichen Vorschlägen auf dem Boden des Kapitalismus. Sie haben allerdings beide eine Vorstellung davon, dass tiefergehende Eingriffe in das Finanzwesen (Keynes) und politische Eingriffe in das Erb- und Steuerrecht (Piketty) stattfinden müssen. Piketty kommt auch dazu, dass Eingriffe in die Struktur der Unternehmen notwendig sind, bleibt aber bei seinen Vorschlägen bei der betrieblichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer der Bundesrepublik stehen. Sein Vorschlag einer Erbschaft für alle begreift er aber selbst als beschränkt in seinen gesellschaftlichen Auswirkungen. Einen Sozialismus, der grundlegend die kapitalistischen Produktionsverhältnisse angreift, wird von ihm nicht als zukünftiger Weg erkannt. Er macht allerdings Vorschläge, zum Beispiel für Reformen im Bildungsbereich, Sozialstaat, für die Gleichberechtigung von Frauen und eine gerechte Globalisierung, die sehr wohl als wichtige Schritte der gesellschaftlichen Veränderung zu begreifen sind. Piketty ist allerdings nicht klar, dass die Verwirklichung dieser Schritte an Grenzen stößt, die die Gesetze der privaten Kapitalverwertung des Kapitalismus vorgeben. Bei einer alternativen Entwicklung muss ein Weg zu einer demokratisch gesteuerten Ökonomie, einem regulierten Finanzsektor und Eingriffen in die Eigentumsverhältnisse der Produktion gefunden werden. Genossenschaftliches Eigentum in der Produktion sollte zur zentralen Eigentumsform werden. In einem Marktsozialismus sind das gesellschaftliche/genossenschaftliche Eigentum, die Dispositionsgewalt über unternehmerische Investitionen und die Steuerung makroökonomischer Größen so aufeinander abzustimmen, dass eine wirtschaftsdemokratische Ordnung entstehen kann. Das ist allerdings ein Sozialismus der Zukunft, der von Thomas Piketty aufgrund seiner mangelhaften Kapitalismusanalyse nicht vorgestellt werden kann. Trotzdem leistet er einen wichtigen Beitrag dazu, grundsätzlich über den Kapitalismus neu nachzudenken. Insoweit ist er einen wesentlichen Schritt weiter als die Diskussion, die sich aktuell zwischen den etablierten bürgerlichen Parteien abspielt.
(1)Thomas Piketty: Der Sozialismus der Zukunft, München 2021, S.10
(2) a.a.O. S.1
(3) a.a.O. S.12
(4) a.a.O. S.17
(5) a.a.O. S.20
(6) a.a.O. S.23
(7) a.a.O. S.28
(8) a.a.O. S.32
(9) Siehe u.a. Stephan Krüger: Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, Hamburg 2010.

Mythos Geldpolitk

22. September 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

ÜBER MYTHEN DER GELDPOLITIK UND POLITISCHE KONSEQUENZEN (1).
Im OXI-blog hat Michael Wendl vier Aufsätze vorgelegt, in denen er mit Mythen und Vorurteilen der offiziellen Geldpolitik aufräumen will. Er beginnt damit zu untersuchen, wie sich der Staat finanziert. Er stellt fest, dass es kaum einen Bereich in der Wirtschaftspolitik gebe, der so mit Staatsverschuldungsmythen umgeben sei. Michael Wendl führt das darauf zurück, dass die bürgerliche Ökonomie vom Gleichgewichtsdenken geprägt sei und eine große Inflationsangst existiere. Um Klarheit zu schaffen, beschreibt Wendl den Modus, wie Staatsanleihen auf den Markt gebracht werden. Das laufe per Auktionsverfahren über 36 Geschäftsbanken, die dann wiederum die erworbenen Staatsanleihen an andere Banken, Fonds, Versicherungen und Private weiterverkaufen. Danach würden die Staatsanleihen von den Zentralbanken den Banken und Finanzinstitutionen abgekauft und auf diese Weise die Staatsverschuldung finanziert. Dieser an sich umständliche Weg sei allerdings den Zentralbanken rechtlich vorgeschrieben, da sie keine direkte Staatsfinanzierung betreiben dürften. Bürgerliche ÖkonomInnen und einige MedienvertreterInnen kritisieren dieses Verfahren, weil sie davon ausgehen, dass die Grundlage der Kreditgewährung die gesellschaftlichen Ersparnisse sein müssten und erst auf der Basis der folgenden Investitionen und Gewinnerzielung der Unternehmen Kredite der Banken vergeben werden dürften .Michael Wendl wendet ein, dass die Kritik nur richtig sei, wenn die Banken Intermediäre seien, das heißt, wenn sie Kredite nur ausreichen könnten, wenn vorher bei ihnen Einlagen gebildet worden seien. Banken seien aber in der Lage Kreditschöpfung zu betreiben, sie könnten quasi aus dem Nichts, wie der Ökonom Schumpeter mal formulierte, neues Geld schaffen.
An dieser Stelle soll das Problem der Geldschöpfung der Zentralbank und die der Geschäftsbanken aus marxistischer Sicht einer näheren Betrachtung unterzogen werden (2).
Grundsätzlich gilt aus marxistischer Sicht, dass die Warenzirkulation und der Kaptalumschlag (G-W-G`) die Basis der Geldzirkulation darstellen, was von Keynesianern unter Rückgriff auf Schumpeter bestritten wird. Dadurch, dass Keynesianer das Bankensystem als das Prius des Wirtschaftslebens darstellen, werden die Kausalbeziehungen aus Wertschöpfung in der Produktion und das daraus abgeleitete Bank- und Kreditsystem auf den Kopf gestellt. Michael Wendl u.a. setzen nicht die Mehrwertproduktion und ihre Gesetzmäßigkeiten an die erste Stelle, sondern den Finanzsektor als angeblichen Wertschöpfungsfaktor und berufen sich dabei auch auf die Bundesbank. In ihrem Monatsbericht vom April 2017 wird zwar gesagt, dass die Kreditvergabe der Banken nicht von ihren Einlagen oder Zentralbankguthaben abhänge, gemeint ist allerdings, dass es letztlich auf ihr Kosten-Ertrags-Kalkül, auf Regulierungsvorschriften und die Kreditnachfrage des Marktes ankomme. Das ist aber ein Gegenargument gegen die angebliche Geldschöpfung aus dem Nichts.
Es ist klar zwischen dem Geld/Kreditschöpfung des Bankensystems und der Zentralbankgeldschöpfung zu unterscheiden. Eine unbeschränkte Geldschöpfung der Banken hatte auch Keynes an extreme Modellvoraussetzungen geknüpft. Zu diesen Modellvoraussetzungen gehören ein geschlossenes Banksystem ohne Kontakt zum Ausland, ferner existiert kein Bargeld mehr und die Banken bewegen sich im Gleichschritt vorwärts. „Somit bestimmt die Gesamtmenge der vorhandenen Reserven das Tempo, in dem sich das Banksystem als Ganzes bewegt…Nehmen wir an, die Zentralbank sei die Stelle, der das Notenausgaberecht zusteht, dann werden die gesamten Reservemittel der Mitgliedsbanken unter der Kontrolle der Zentralbank stehen…In diesem Fall ist die Zentralbank der Dirigent des Orchesters und gibt den Takt an“(3). Die Frage ist also, ob die Zentralbank völlig autonom handeln kann? Dazu Stephan Krüger aus marxistischer Sicht: „Die Geschäftsbanken hängen an der Leine der Zentralbank (sowie der Kreditnachfrage der Nichtbanken), aber auch die Zentralbank ist nur Dirigent unter Bedingungen, die die Märkte setzen…“ (4). Die Zentralbank wird tätig abhängig von der Zahlungsbilanz des Landes, vom Wechselkursgeschehen und der Entwicklung der Marktzinssätze.
Michael Wendl ist zuzustimmen, wenn er es als großen Fehler bezeichnet, dass die deutsche Bundesregierung die Schuldenbremse in die Verfassung schreiben ließ und auch der EU aufgezwungen hat. Das habe die Europäische Zentralbank gezwungen, zu einer expansiven Geldpolitik überzugehen. Er stellt fest, dass wir uns „seit der Mitte der 1980er Jahre…in einer Phase der Finanzialisierung der Gesamtwirtschaft (befinden)“(5). Der Handel mit Wertpapieren bestimme zunehmend die wirtschaftlichen Aktivitäten. Investitionen in die reale Wirtschaft würden gebremst und die in den Finanzsektor gesteigert. Von marxistischer Seite wurde diese Entwicklung schon sehr früh als Übergang in die strukturelle Überakkumulation bezeichnet. Das bedeutet, dass seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts es nicht mehr gelingt, den Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate durch ein Wachstum der gesellschaftlichen Profitmasse zu kompensieren. Schon vor den 70er Jahren wurde das Wachstum der Wertschöpfung tendenziell geringer. Das war noch kein echtes Problem, solange durch steigende Kapitaleinsätze die Profitmasse noch weiter wuchs. Als aber das industrielle Kapital sich nicht mehr in vollem Umfang rentierlich verwerten ließ, drängte das Geldkapital zunehmend auf die Finanzmärkte. Hinzu kamen Gelder vom Staat, Banken und Privathaushalten, die Verschuldung von Staatshaushalten, Privaten und auch Unternehmen und eine Spekulation an den Börsen und Immobilienmärkten waren die Folge.
Eine Entwicklung der genannten Probleme aus der strukturellen Überakkumulation ist Michael Wendl nicht möglich, er setzt wie die „Modern Monetary Theory“(MMT) am Finanzsektor als Prius an. Aus marxistischer Sicht sind gegenüber diesem Ansatz folgende Kritikpunkte vorzubringen (6):
1.Ein Fundamentalfehler der MMT liegt bei ihrer Fassung der Geldeigenschaften. Ihre VertreterInnen fassen das Geld nicht als ein im Austauschprozess der Waren entstehendes Äquivalent des Werts, also nicht als notwendiges Resultat, das aus dem System der gesellschaftlichen Arbeit abzuleiten ist. Sie fassen das Geld als ein vom Staat geschaffenes und von der Zentralbank gesteuertes Transaktionsmedium, quasi durch einen Buchungssatz aus dem Nichts.
2. Da der Staat bzw. die Zentralbank das Geld selbst produzieren, folgt aus ihrer Sicht die Unmöglichkeit einer Staatspleite. Im Gegenteil, die Staatsverschuldung könne immer ohne Probleme grenzenlos weitergeführt werden.
3. Bei der MMT fehlt der komplette Rückbezug auf die Bedingungen der privaten Kapitalverwertung. Außerdem fehlt die Unterscheidung zwischen einem langfristig beschleunigten Wachstum im Kapitalismus und ihre durch die Gesetze der Kapitalverwertung hervorgerufene Ablösung durch die strukturelle Überakkumulation.
4. Die MMT blendet die Einbettung einer Volkswirtschaft in die internationale Konkurrenz aus. Die Schuldenkrisen in verschiedenen Ländern zeigen deutlich die Grenzen staatlicher Geldschöpfung und Kreditexpansion.
5. Anstatt ungehindert am Rad öffentlicher Verschuldung zu drehen, kommt es auf eine abgewogenen expansive Fiskal- und Geldpolitik und eine aktive öffentliche Strukturpolitik in einer sozialistischen Marktwirtschaft und einem demokratischen Sozialismus an. Diesen Weg kann die MMT nicht aufzeigen.
6. Zuzustimmen ist allerdings der Forderung nach Streichung der Schuldenbremse, der Einführung von Finanztransaktionssteuern und der Stärkung des umlagefinanzierten Sozialsystems. Das müssen allerdings Schritte auf dem Weg in Richtung einer grundlegenden Strukturveränderung des Kapitalismus sein, ein Weg der sowohl von Wendl als auch von der MMT nicht aufgezeigt wird.
(1) Siehe Michael Wendl Im OXI-Blog: Mythen der Geldpolitik in den Ausgaben vom 16/8/21, 18/8/21, 23/8/21 und 25/8/21.
(2) Siehe Stephan Krüger: Das Problem der Marxisten mit dem Geld und begriffslose Anleihen der Keynesianer bei Schumpeter, Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr.104 12/2015.
(3) J. M. Keynes, Vom Gelde, Berlin 1931, S.23.
(4) Stephan Krüger a.a.O.
(5) Michael Wendl a.a.O.
(6) Krüger/Müller: Das Geld im 21.Jahrhundert, Köln 2020, S.145-150.

Mythos Geldpolitik

22. September 2021  Allgemein

Linkspartei,Rot-Rot-Grün und gesellschaftliche Perspektiven

08. September 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

LINKSPARTEI, ROT-GRÜN-ROT UND GESELLSCHAFTLICHE PERSPEKTIVEN (1).
Zuerst ist festzustellen, dass die Linkspartei im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2017 deutlich an Zustimmung bei der Wahlbevölkerung verloren hat. Nur noch 6-7 Prozent der Wählerinnen und Wähler wollen Anfang September 2021 bei der Bundestagswahl am Ende September für die Linkspartei stimmen. Das liegt vermutlich u.a. daran, dass sie sich lange in Grundsatzdebatten verzettelte und nicht als Partei wahrgenommen wurde, die konkrete und umsetzbare Vorschläge zur Lösung der Alltagsprobleme in die Diskussion brachte. Nun aber hat die Parteiführung ein Sofortprogramm vorgelegt und ihre Bereitschaft erklärt, im Rahmen eines rot-grün-roten Bündnisses auch Regierungsverantwortung zu übernehmen. Eine solche Koalitionsmöglichkeit zeichnet sich etwa drei Wochen vor dem Wahltermin am 26.September ab. Allerdings haben die SPD und auch die Grünen einen klaren Aufwärtstrend zu verzeichnen im Gegensatz zur CDU/CSU. Da auch die FDP einen klaren Aufwärtstrend erlebt, sind augenblicklich rechnerisch jenseits der CDU/CSU Koalitionen aus SPD und Grünen, aus SPD, Grünen und FDP und eben auch eine rot-grün-rote Koalition möglich.
An diesem Punkt setzt Dietmar Bartsch bei der Vorstellung des Sofortprogramms der Linkspartei an und weist mit Recht darauf hin, dass es in dieser Wahl um eine Richtungsentscheidung gehe. Ein Mitte-Links-Bündnis sei das Beste für Deutschland und Europa, es könne nicht mehr ein „Weiter so“ geben. Aus diesem Grund benennt die Linkspartei in ihrem Sofortprogramm erste Schritte zur gesellschaftlichen Veränderung. Es komme auf gute Arbeit bei fairen Löhnen, eine Stärkung der Tarifbindung, Steuersenkungen für geringe und mittlere Einkommen, eine Kindergrundsicherung, höhere Renten, Mietstopp und Klimaschutzmaßnahmen sowie eine Vermögensabgabe und Vermögenssteuer an. Damit benennt die Linkspartei Themenbereiche, die einerseits die Interessen eines großen Teils der Wahlbevölkerung betreffen und andererseits die meisten Schnittmengen mit der SPD und den Grünen ermöglichen. Das Politbarometer des ZDF vom 3.September 2021 hat festgestellt, dass für die Wahlentscheidung der Befragten 51 Prozent das Thema soziale Gerechtigkeit und für 39 Prozent das Thema Klimaschutz wahlentscheidend sein werde. Diese Themen haben auch bei der SPD und den Grünen höchste Priorität. Die Themenbereiche Corona und Migration werden zwar ebenfalls bei Wählerinnen und Wählern als Präferenzen genannt, allerdings deutlich hinter der sozialen Gerechtigkeit und dem Klimaschutz. Es bleibt abzuwarten, ob es zwischen der SPD, den Grünen und der Linkspartei bei einem entsprechenden Wahlergebnis zu tragfähigen Kompromissen kommen kann.
Die größte Hürde für eine Mitte-Links-Koalition liegt laut Olaf Scholz in der Außenpolitik. Allerdings hat Janine Wissler zu Recht darauf hingewiesen, dass es um ein sozial-ökologisches Sofortprogramm gehe und nicht um eine langfristige Festlegung und Ausrichtung auf die Führungsmacht USA und die Nato. Hier sieht die Linkspartei auf längere Sicht, gerade angesichts des Afghanistan-Debakels, zu Recht Diskussionsbedarf. Ein progressiver Multilateralismus, eine Bindung der Außenpolitik an das Völkerrecht und grundlegende Menschenrechte dürften Optionen sein, an denen auch die SPD und die Grünen und die EU insgesamt auf Dauer nicht vorbeikommen werden. Klar sollte sein, dass die Führungsrolle der USA und auch die Schaffung der Nato Kinder des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion waren. Mit dem Niedergang der Sowjetunion und dem sogenannten “realen Sozialismus“ entstand eine außenpolitische Situation, in der sich die Nato nicht mehr als reines Verteidigungsbündnis verstehen konnte. Sie ging dann zu einer Politik über, überall dort militärisch einzugreifen, wo sogenannte „westliche Werte“ in Frage gestellt wurden. Es ist heute an der Zeit, seitens der Bundesrepublik und der EU insgesamt diese Position zu überdenken, und das macht die Linkspartei gerade, auch angesichts des Afghanistan-Debakels.
Die Linkspartei will daran mitwirken, ein neues soziales Fundament für unsere Gesellschaft zu schaffen. Allerdings sind die Schritte der Veränderung, die sie vorschlägt, gleich ein Schritt in den Mindestlohn, eine gerechte Steuerpolitik, höhere Altersrenten und Sozialtransfers sowie effektiven Klimaschutz. Sie unterlässt es, die wirtschaftliche Grundlage des Kapitalismus näher in den Blick zu nehmen. Auf dem Weg zu sicherer Arbeit, sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz kann man natürlich bestimmte Verteilungsschritte betonen, aber schlussendlich muss eine Linkspartei immer deutlich machen, dass es um die grundlegende Veränderung der durch das private Kapital dominierten Wirtschaftsordnung geht. Allein mit wichtigen Schritten der Verteilung hat man den Modus der Erwirtschaftung des gesellschaftlichen Wohlstandes nicht verändert. Es muss bei Linken immer klar sein, dass die gesellschaftlichen Verteilungsverhältnisse die Kehrseite der zugrunde liegenden Produktionsverhältnisse sind. Es ist davon auszugehen, dass im Sinne der Marxschen politischen Ökonomie die individuelle Arbeitskraft als Ware zu verkaufen ist. Die Kapitalisten, ob nun als Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften oder Einzelunternehmer kaufen die Ware Arbeitskraft nur, wenn sie einen Mehrwert abwirft. Das geschieht im Produktionsprozess, indem der Arbeitstag in die notwendige und Mehrarbeitszeit geteilt wird, ohne dass das den Beteiligten unmittelbar bewusst wird. In der notwendigen Arbeitszeit wird vom Arbeitenden der Gegenwert für den Wert der Arbeitskraft geschaffen und in der verbleibenden Mehrarbeitszeit der Mehrwert, der von den Kapitalisten aufgrund ihres Eigentums an den Unternehmen unentgeltlich angeeignet werden kann. Dieser Aneignungsprozess wird verschleiert, weil der an den Arbeitenden gezahlte Arbeitslohn scheinbar die Arbeit entlohnt und nicht die Arbeitskraft, Schon der Begriff das Arbeitslohns führt in die Irre, denn es wird nicht die Arbeit entlohnt, sondern der schon vorher vollzogene Verkauf der Arbeitskraft. Wenn der Arbeitende zu arbeiten beginnt, gehört ihm die Arbeitskraft gar nicht mehr. Diese Verschleierung des Aneignungsprozesses in der Produktion zieht sich durch die gesamte Struktur der Gesellschaft und wird auf verschiedenen Ebenen im Bewusstsein der Beteiligten verankert. An der Oberfläche der Gesellschaft treten sich die Beteiligten als angeblich selbstbestimmte Warenbesitzer gegenüber. Jeder erzielt scheinbar ein Leistungseinkommen und ein Teil der Beteiligten in Wirtschaft und Politik erklärt ihre Privilegien durch ihren Status als Leistungsträger. Weil historisch, aufgrund der Tätigkeit von Gewerkschaften und Arbeiterparteien, ein gewisses Maß an Umverteilung durchgesetzt werden konnte, ist es gelungen, Freiheitsspielräume vieler Bürgerinnen und Bürger zu erweitern und an größeren Teilen der Wertschöpfung teilhaben zu lassen. Nur so ist es zu verstehen, dass trotz vielfältiger Krisen und einem enormen Auseinanderklaffen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, viele Bürgerinnen und Bürger immer noch diese Gesellschaft als eine Gesellschaft betrachten, in der sie ihre Wünsche und Interessen verwirklichen können und ihre Leistung honoriert wird. Das wir bestätigt, wenn man sich die repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Juli dieses Jahres anschaut. 56 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben eine gute Meinung vom deutschen Wirtschaftssystem, nur 15 Prozent sehen diese Ordnung kritisch. Aus Sicht der Mehrheit der Bevölkerung hat sich auch die sogenannte soziale Marktwirtschaft in der Corona-Krise bewährt. Diese Mentalitäten gilt es zu bedenken, wenn die Linkspartei Schritte der Veränderung der Gesellschaft mit der SPD und den Grünen ins Auge fasst. Hier liegt die eigentliche Herausforderung, die Menschen bei den Veränderungsschritten mitzunehmen, ohne das bisher Erreichte preiszugeben.
Da seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die kapitalistischen Hauptländer das Ende der Nachkriegsprosperität erlebten, wurde durch neoliberale Politik versucht, vor allem durch Umverteilung zu Gunsten des privaten Kapitals eine neue Prosperität zu erreichen und in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eine Marktöffnung vorzunehmen. Diese Marktöffnung führte zu erhöhter sozialer Unsicherheit. Beschäftigte wurden aufgefordert, in Zukunft mehr Selbstverantwortung zu übernehmen, weil soziale Sicherheiten aus der Prosperitätsphase ganz oder teilweise wegfielen. Alle Macht den Märkten wurde die Devise. Versprechen, die noch in der alten sozialen Marktwirtschaft gegeben worden waren, zum Beispiel, dass sich Leistung immer lohnen würde, wurden untergraben. Teile der unteren Mittelklassen und der Arbeiterklasse, die besonders betroffen waren, wurden empfänglich für rechtspopulistische Versprechen. Die Corona-Krise erzwang allerdings eine Abwendung von der Marktöffnungspolitik und führte zu einer massiven staatlichen Verschuldung zur Abwehr der Krisenfolgen. Es wird also nach der Corona-Krise darauf ankommen, nicht zur neoliberalen Politik zurückzukehren und die Schuldenlasten nicht bei den Schwächsten der Gesellschaft abzuladen.
Es entstehen damit Ansatzpunkte für eine progressive Politik von SPD, Grünen und der Linkspartei.
1.Linke Politik muss die soziale Sicherheit, eine neue Qualität der Erwerbsarbeit, bessere Wohnbedingungen, bessere Bildung, Umwelt, Gesundheit und Pflege auch nach der Corona-Krise einfordern.
2. Linke Politik muss für Wirtschaftsdemokratie eintreten.
3. Linke Politik muss, weil der Zusammenhang von Arbeit-Leistung-Einkommen und Eigentum für viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr gegeben ist, vor allem ein gemeinschaftliches Eigentum an den Arbeitsmitteln verwirklichen, allerdings differenziert nach Unternehmensform und Unternehmensgröße.
4. Linke Politik muss die Dominanz der Vermögenbesitzer, insbesondere von großen Vermögensverwaltern, zurückdrängen.
5. Linke Politik muss auf eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinarbeiten, die nicht mehr den privaten Profit zum Maßstab wirtschaftlichen Handelns erhebt. Dabei ist eine klare Abgrenzung von dem sogenannten realen Sozialismus vorzunehmen. Es muss gezeigt werden, dass Wirtschaftsdemokratie nichts mit der damaligen Planbürokratie und der Herrschaft einer Partei gemein hat. Es ist vielen Bürgerinnen und Bürgern noch sehr bewusst, dass das zu katastrophalen wirtschaftlichen Zuständen und massiven Einschränkungen individueller Freiheiten geführt hat. Die Alternative der Linken muss eine Demokratisierung aller gesellschaftlicher Bereiche sein, eine Verbindung von sozialistischer Marktwirtschaft mit einem demokratischen Sozialismus.
(1) Dieser Aufsatz basiert auf aktuellen Beiträgen von Sozialismus aktuell und Ergebnissen von politökonomischen Seminaren der Linkspartei Freiburg.