Mythos Geldpolitk

22. September 2021  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

ÜBER MYTHEN DER GELDPOLITIK UND POLITISCHE KONSEQUENZEN (1).
Im OXI-blog hat Michael Wendl vier Aufsätze vorgelegt, in denen er mit Mythen und Vorurteilen der offiziellen Geldpolitik aufräumen will. Er beginnt damit zu untersuchen, wie sich der Staat finanziert. Er stellt fest, dass es kaum einen Bereich in der Wirtschaftspolitik gebe, der so mit Staatsverschuldungsmythen umgeben sei. Michael Wendl führt das darauf zurück, dass die bürgerliche Ökonomie vom Gleichgewichtsdenken geprägt sei und eine große Inflationsangst existiere. Um Klarheit zu schaffen, beschreibt Wendl den Modus, wie Staatsanleihen auf den Markt gebracht werden. Das laufe per Auktionsverfahren über 36 Geschäftsbanken, die dann wiederum die erworbenen Staatsanleihen an andere Banken, Fonds, Versicherungen und Private weiterverkaufen. Danach würden die Staatsanleihen von den Zentralbanken den Banken und Finanzinstitutionen abgekauft und auf diese Weise die Staatsverschuldung finanziert. Dieser an sich umständliche Weg sei allerdings den Zentralbanken rechtlich vorgeschrieben, da sie keine direkte Staatsfinanzierung betreiben dürften. Bürgerliche ÖkonomInnen und einige MedienvertreterInnen kritisieren dieses Verfahren, weil sie davon ausgehen, dass die Grundlage der Kreditgewährung die gesellschaftlichen Ersparnisse sein müssten und erst auf der Basis der folgenden Investitionen und Gewinnerzielung der Unternehmen Kredite der Banken vergeben werden dürften .Michael Wendl wendet ein, dass die Kritik nur richtig sei, wenn die Banken Intermediäre seien, das heißt, wenn sie Kredite nur ausreichen könnten, wenn vorher bei ihnen Einlagen gebildet worden seien. Banken seien aber in der Lage Kreditschöpfung zu betreiben, sie könnten quasi aus dem Nichts, wie der Ökonom Schumpeter mal formulierte, neues Geld schaffen.
An dieser Stelle soll das Problem der Geldschöpfung der Zentralbank und die der Geschäftsbanken aus marxistischer Sicht einer näheren Betrachtung unterzogen werden (2).
Grundsätzlich gilt aus marxistischer Sicht, dass die Warenzirkulation und der Kaptalumschlag (G-W-G`) die Basis der Geldzirkulation darstellen, was von Keynesianern unter Rückgriff auf Schumpeter bestritten wird. Dadurch, dass Keynesianer das Bankensystem als das Prius des Wirtschaftslebens darstellen, werden die Kausalbeziehungen aus Wertschöpfung in der Produktion und das daraus abgeleitete Bank- und Kreditsystem auf den Kopf gestellt. Michael Wendl u.a. setzen nicht die Mehrwertproduktion und ihre Gesetzmäßigkeiten an die erste Stelle, sondern den Finanzsektor als angeblichen Wertschöpfungsfaktor und berufen sich dabei auch auf die Bundesbank. In ihrem Monatsbericht vom April 2017 wird zwar gesagt, dass die Kreditvergabe der Banken nicht von ihren Einlagen oder Zentralbankguthaben abhänge, gemeint ist allerdings, dass es letztlich auf ihr Kosten-Ertrags-Kalkül, auf Regulierungsvorschriften und die Kreditnachfrage des Marktes ankomme. Das ist aber ein Gegenargument gegen die angebliche Geldschöpfung aus dem Nichts.
Es ist klar zwischen dem Geld/Kreditschöpfung des Bankensystems und der Zentralbankgeldschöpfung zu unterscheiden. Eine unbeschränkte Geldschöpfung der Banken hatte auch Keynes an extreme Modellvoraussetzungen geknüpft. Zu diesen Modellvoraussetzungen gehören ein geschlossenes Banksystem ohne Kontakt zum Ausland, ferner existiert kein Bargeld mehr und die Banken bewegen sich im Gleichschritt vorwärts. „Somit bestimmt die Gesamtmenge der vorhandenen Reserven das Tempo, in dem sich das Banksystem als Ganzes bewegt…Nehmen wir an, die Zentralbank sei die Stelle, der das Notenausgaberecht zusteht, dann werden die gesamten Reservemittel der Mitgliedsbanken unter der Kontrolle der Zentralbank stehen…In diesem Fall ist die Zentralbank der Dirigent des Orchesters und gibt den Takt an“(3). Die Frage ist also, ob die Zentralbank völlig autonom handeln kann? Dazu Stephan Krüger aus marxistischer Sicht: „Die Geschäftsbanken hängen an der Leine der Zentralbank (sowie der Kreditnachfrage der Nichtbanken), aber auch die Zentralbank ist nur Dirigent unter Bedingungen, die die Märkte setzen…“ (4). Die Zentralbank wird tätig abhängig von der Zahlungsbilanz des Landes, vom Wechselkursgeschehen und der Entwicklung der Marktzinssätze.
Michael Wendl ist zuzustimmen, wenn er es als großen Fehler bezeichnet, dass die deutsche Bundesregierung die Schuldenbremse in die Verfassung schreiben ließ und auch der EU aufgezwungen hat. Das habe die Europäische Zentralbank gezwungen, zu einer expansiven Geldpolitik überzugehen. Er stellt fest, dass wir uns „seit der Mitte der 1980er Jahre…in einer Phase der Finanzialisierung der Gesamtwirtschaft (befinden)“(5). Der Handel mit Wertpapieren bestimme zunehmend die wirtschaftlichen Aktivitäten. Investitionen in die reale Wirtschaft würden gebremst und die in den Finanzsektor gesteigert. Von marxistischer Seite wurde diese Entwicklung schon sehr früh als Übergang in die strukturelle Überakkumulation bezeichnet. Das bedeutet, dass seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts es nicht mehr gelingt, den Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate durch ein Wachstum der gesellschaftlichen Profitmasse zu kompensieren. Schon vor den 70er Jahren wurde das Wachstum der Wertschöpfung tendenziell geringer. Das war noch kein echtes Problem, solange durch steigende Kapitaleinsätze die Profitmasse noch weiter wuchs. Als aber das industrielle Kapital sich nicht mehr in vollem Umfang rentierlich verwerten ließ, drängte das Geldkapital zunehmend auf die Finanzmärkte. Hinzu kamen Gelder vom Staat, Banken und Privathaushalten, die Verschuldung von Staatshaushalten, Privaten und auch Unternehmen und eine Spekulation an den Börsen und Immobilienmärkten waren die Folge.
Eine Entwicklung der genannten Probleme aus der strukturellen Überakkumulation ist Michael Wendl nicht möglich, er setzt wie die „Modern Monetary Theory“(MMT) am Finanzsektor als Prius an. Aus marxistischer Sicht sind gegenüber diesem Ansatz folgende Kritikpunkte vorzubringen (6):
1.Ein Fundamentalfehler der MMT liegt bei ihrer Fassung der Geldeigenschaften. Ihre VertreterInnen fassen das Geld nicht als ein im Austauschprozess der Waren entstehendes Äquivalent des Werts, also nicht als notwendiges Resultat, das aus dem System der gesellschaftlichen Arbeit abzuleiten ist. Sie fassen das Geld als ein vom Staat geschaffenes und von der Zentralbank gesteuertes Transaktionsmedium, quasi durch einen Buchungssatz aus dem Nichts.
2. Da der Staat bzw. die Zentralbank das Geld selbst produzieren, folgt aus ihrer Sicht die Unmöglichkeit einer Staatspleite. Im Gegenteil, die Staatsverschuldung könne immer ohne Probleme grenzenlos weitergeführt werden.
3. Bei der MMT fehlt der komplette Rückbezug auf die Bedingungen der privaten Kapitalverwertung. Außerdem fehlt die Unterscheidung zwischen einem langfristig beschleunigten Wachstum im Kapitalismus und ihre durch die Gesetze der Kapitalverwertung hervorgerufene Ablösung durch die strukturelle Überakkumulation.
4. Die MMT blendet die Einbettung einer Volkswirtschaft in die internationale Konkurrenz aus. Die Schuldenkrisen in verschiedenen Ländern zeigen deutlich die Grenzen staatlicher Geldschöpfung und Kreditexpansion.
5. Anstatt ungehindert am Rad öffentlicher Verschuldung zu drehen, kommt es auf eine abgewogenen expansive Fiskal- und Geldpolitik und eine aktive öffentliche Strukturpolitik in einer sozialistischen Marktwirtschaft und einem demokratischen Sozialismus an. Diesen Weg kann die MMT nicht aufzeigen.
6. Zuzustimmen ist allerdings der Forderung nach Streichung der Schuldenbremse, der Einführung von Finanztransaktionssteuern und der Stärkung des umlagefinanzierten Sozialsystems. Das müssen allerdings Schritte auf dem Weg in Richtung einer grundlegenden Strukturveränderung des Kapitalismus sein, ein Weg der sowohl von Wendl als auch von der MMT nicht aufgezeigt wird.
(1) Siehe Michael Wendl Im OXI-Blog: Mythen der Geldpolitik in den Ausgaben vom 16/8/21, 18/8/21, 23/8/21 und 25/8/21.
(2) Siehe Stephan Krüger: Das Problem der Marxisten mit dem Geld und begriffslose Anleihen der Keynesianer bei Schumpeter, Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr.104 12/2015.
(3) J. M. Keynes, Vom Gelde, Berlin 1931, S.23.
(4) Stephan Krüger a.a.O.
(5) Michael Wendl a.a.O.
(6) Krüger/Müller: Das Geld im 21.Jahrhundert, Köln 2020, S.145-150.