Die Hamas, Israel und der Nahost-Konflikt (1)

22. Oktober 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE HAMAS, ISRAEL UND DER NAHOSTKONFLIKT (1)

 

Die Hamas hat durch ihren Großangriff auf Israel eine Vielzahl von Toten und Verletzten und Zerstörungen verursacht. Außerdem befindet sich eine größere Anzahl von Zivilisten als Geiseln in der Hand der Hamas. Die Medien in der Bundesrepublik berichten täglich über den terroristischen Überfall auf Israel, was inzwischen massiv vom israelischen Militär mit dem Angriff auf den Gazastreifen beantwortet wird. Israels Premierminister Netanjahu hat eine „Regierung der nationalen Einheit“ gebildet und es ist vorgesehen, durch Bombardierung des Gazastreifens und eine Bodenoffensive die Hamas endgültig zu beseitigen. An die Zivilbevölkerung im Gazastreifen erging die Aufforderung, sich in den Süden des Gazastreifens zurückzuziehen, um dem Bombardement zu entgehen. Inzwischen entstand ein unsägliches Elend in der Zivilbevölkerung und ein täglicher Kampf ums Überleben.

Die Berichterstattung über die Geschehnisse beschränkt sich in den meisten Medien auf Kriegsberichterstattung und trägt vielfach nicht zur Erklärung der historischen Entwicklung des Nahost-Konfliktes bei und richtet sich auch nicht auf die grundlegenden Probleme der Region, die bis heute ungelöst sind.

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist der Kern des Nahost-Konfliktes. Seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 geht es um Land, die Sicherheit von Grenzen und die Staatlichkeit von Israel und Palästina. In der Folge entstand eine Vielzahl von Konflikten, u.a. der Sechstagekrieg 1967 und der Jom-Kippur-Krieg 1973, nachdem 1964 die Palästinensische Befreiungsfront (PLO) gegründet und auch von der UN als Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt wurde. Die stärkste Fraktion der Organisation ist die Fatah, die inzwischen eine Zweistaaten-Lösung zwischen Israel und Palästina anstrebt. Die schwächere Fraktion ist die 1987 gegründete Hamas, die weiterhin die Zerstörung Israels und einen nur palästinensischen Staat in der Region errichten will. Die Palästinenser sind in der Region zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland verteilt, getrennt durch den Staat Israel. Hamas hat seit 2007 die Macht im Gazastreifen übernommen, während im Westjordanland Mahmud Abbas, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, die Vorherrschaft innehat. Die palästinensische Gebiete Gazastreifen und Westjordanland haben eine unterschiedliche ökonomisch-soziale Entwicklung aufzuweisen. Im Westjordanland existieren im Vergleich zum Gazastreifen erheblich bessere Lebensverhältnisse. Das ist zum Beispiel ablesbar an Kennzahlen wie das BSP/pro Kopf, die Armutsquote und die Arbeitslosenquote. Der Gazastreifen ist in einer schwierigeren Lage u.a. deshalb, weil nur 0,8% der Bewohner Arbeit in Israel finden, während es im Westjordanland 22,5% sind. Das grundlegende Problem im Gazastreifen besteht darin, dass die Hamas mehr an der Zerstörung Israels interessiert ist anstatt an einer Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung dort.

Die Hauptkonfliktpunkte, die im Nahost-Konflikt bisher ungelöst blieben, und ohne deren Lösung kein Frieden entstehen wird, sind folgende:

1.Das Gebiet eines palästinensischen Staates und seine Grenzen zu Israel sind bis heute ungeklärt. Die UN verabschiedete 1947 einen Teilungsplan, der von den Arabern aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt wurde, wenn man einen Blick auf die Landkarte wirft. Inzwischen sind ein Großteil der Gebiete, die ursprünglich für einen Palästinenserstaat vorgesehen waren, von Israel im Rahmen der Palästinakriege angeeignet worden. Im Oslo-Abkommen von 1993 erkannte die PLO das Existenzrecht Israels an, die Fraktion der Hamas und der Islamische Dschihad fordern allerdings bis heute die Beseitigung Israels.

2.Ein großes Problem ist weiterhin das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge, die bei der Staatsgründung Israels ihre Heimat und ihr Eigentum verloren. Sie fordern das Rückkehrrecht für alle Palästinenser. Israel verweigert das und beruft sich auf das israelische Rückkehrgesetz. Die Palästinenser, die in Flüchtlingslagern und im Gazastreifen leben, leiden unter einer hohen Perspektivlosigkeit und sind deswegen besonders anfällig für politisch extreme Positionen und besitzen eine hohe Gewaltbereitschaft. Das gilt insbesondere für palästinensische junge Männer.

3.Ein weiterer Streitpunkt ist das Fortbestehen der seit 1967 in den israelisch besetzten Gebieten errichteten jüdischen Siedlungen, die international als völkerrechtswidrig angesehen werden.  Im Jahre 1995 wurde ein Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen abgeschlossen, in dem das Westjordanland in drei Zonen aufgeteilt wurde, in denen die Autonomiebehörde und das israelische Militär jeweils andere Befugnisse haben. In einer dieser Zonen errichteten Siedler nach der Besatzung zahlreiche Siedlungen, Israel kontrolliert hier die gesamte Infrastruktur.

4.Im gesamten Nahen und Mittleren Osten entsteht ein Konfliktpotential wegen des Zugangs zu Süßwasser.  Der grundsätzliche Konflikt, die Jordan-Wasserfrage, ist eigentlich durch einen Kompromissvorschlag der UN bereits 1953 gelöst worden. Das Abkommen wurde allerdings von der Arabischen Liga nie öffentlich ratifiziert, weil darin eine Anerkennung Israels gesehen wurde.

5.Jerusalem wird von beiden Seiten als ihre Hauptstadt angesehen, wurde jedoch inzwischen von Israel in Besitz genommen. Jerusalem ist eine heilige Stadt für Juden, Moslems und Christen. Jede dieser Religionsgemeinschaften versucht durch eine religiöse Argumentation, sei auf Basis der Bibel oder des Koran, Jerusalem als „ihre“ Stadt und ihren religiösen Mittelpunkt abzuleiten.

 

Entsprechend schwierig ist es die Frage zu lösen, welche staatliche Organisation zu einem friedlichen Zusammenleben Israels und Palästinas führen kann.  Die ideale Lösung wäre, wenn aus dem jetzigen Gebiet Israels, des Westjordanlandes und des Gazastreifens ein einheitlicher, demokratischer und säkularer Staat gebildet werden könnte. In dem Staat müssten Juden und Araber dieselbe Staatsbürgerschaft mit denselben Rechten und Pflichten sein. Das könnte auch ein Staat mit föderaler Struktur sein. Diese Lösung ist nach Lage der Dinge eine Illusion, die nach den vielen Konflikten seit der Gründung des Staates Israel kaum zu verwirklichen sein wird.                                                   Eine Zweistaatenlösung sieht vor, dass zwei Staaten Israel und Palästina entstehen. Diese Staaten müssten jeder für sich lebens- und friedensfähig sein. Der UN-Teilungsplan von 1947 hätte das aus meiner Sicht nicht ermöglicht. Die Grenzen beider Staaten müssten durch die Beteiligten und die UN in Verhandlungen so festgelegt werden, dass ein friedliches Nebeneinander der Staaten möglich würde.

Insgesamt gab es inzwischen viele Versuche den Konflikt im Nahen Osten zu lösen. Daran waren neben den direkten Betroffenen auch die USA, Russland, die EU und die UNO beteiligt. Das war nicht immer hilfreich, weil der Konflikt dadurch auch ins Räderwerk der Hegemonialpolitik der Großmächte geriet. Wichtig wäre die Hauptkonflikte Schritt für Schritt unter Mithilfe der UNO anzugehen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Nahostkonflikt weiter auf kaum absehbare Zeit weiter bestehen bleiben wird und es ist zu hoffen, dass er zumindest eingedämmt werden kann.

(1)Der Aufsatz hat als Grundlage den sehr ausführliche Aufsatz zum Nahostkonflikt in Wikipedia und den Aufsatz zu dem Hintergrund des Überfalls der Hamas auf Israel in Sozialismus aktuell vom 10.10.23