Eine moderne Linkspartei im Finanzkapitalismus (1)

11. Juli 2014  Theoretische Beiträge

von Dr.Peter Behnen

 

Durch die Gründung der Partei „Die Linke“ wurden die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik nachhaltig verändert. Diese Veränderung wurde ermöglicht durch eine Protestbewegung gegen die sogenannte Agenda 2010. Die damals herrschende Koalition aus SPD und den Grünen hatte versucht, durch eine Senkung der „Lohnnebenkosten“ die angeblich zu geringe Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu steigern. In einer breiten Protestbewegung gegen die Politik des Sozialabbaus hatten sich verschiedene linke Strömungen neu formiert. Es entstand eine Gegenbewegung gegen die Einschnitte bei der Rentenversicherung, der Arbeitslosenuterstützung und im Gesundheitssystem. Vergessen werden darf außerdem nicht, dass nicht nur die Regulierungen des Arbeitsmarktes durchlöchert wurden sondern auch massiv Steuerentlastungen zu Gunsten von Bessergestellten stattfanden, unter anderen die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53% auf 42%. Die Konsequenz dieser Politik war zwar, dass die Zahl der Beschäftigten deutlich erhöht wurde, allerdings um den Preis der Ausbreitung von prekärer Beschäftigung, des Anwachsens des Niedriglohnsektors sowie einer weiteren Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse.

Von der Protestbewegung zur Aufhebung von Blockaden.
Die Protestbewegung gegen die Politik der Agenda 2010 führte dazu, dass verschiedene Strömungen des linken Spektrums sich zusammenfanden. Die Bewegung umfasste linke Gewerkschaftler, linke Sozialdemokraten, alternative Gruppierungen und vor allem die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit( WASG) und die PDS. Die WASG und PDS gingen im Weiteren zusammen und es wurde trotz verschiedener politischer Strömungen innerhalb der beiden Organisationen 2007 die Partei „Die Linke“ gegründet. Vorher war es bereits gelungen, bei der Bundestagswahl 2005 politische Blockaden zu überwinden und gemeinsam als Linkspartei/PDS zur viertstärksten Kraft im Bundestag zu werden. Dieses Wahlbündnis muss als großer Erfolg angesehen werden, weil es gelang, eine notorische Schwäche kapitalismuskritischer Organisationen zu überwinden. Die besteht häufig darin, dass „ bereits bei der Analyse der schlechten Realität des Kapitalismus so viele Unterschiede zutage treten, die ein praktisches Zusammengehen zur gemeinsamen Veränderung kaum mehr möglich scheinen lassen.“ (2) Es war und ist keiner politischen Strömung im linken Spektrum abzusprechen, dass sie die Dominanz des Kapitalismus überwinden will. Es gibt jedoch weiterhin unterschiedliche Auffassungen darüber, wo kurz-mittel- und langfristig die Alternativen zur augenblicklichen Steuerung der Wirtschaft und Gesellschaft durch Märkte und Kapital sind. Umso höher ist es einzuschätzen, dass es 2005 und danach gelungen ist, den pluralistischen Charakter des Wahlbündnisses anzuerkennen und in einer neuen Qualität zusammenzuarbeiten und auf Abgrenzungsrituale zu verzichten.
„ Zu den wirklichen Fortschritten der Linken gehörte ferner die Öffnung zu anderen Akteuren und Strukturen der Zivilgesellschaft“. (3) Damit ist gemeint, dass die neue Linke neben den vielen sozial Ausgegrenzten, unter prekären Bedingungen Lebenden auch den Protestbewegungen aus Bildung und Kommunikation eine Stimme in der Öffentlichkeit und Parlament verleiht. Um diesen Prozess weitertreiben zu können, ist es allerdings eine wichtige Voraussetzung, sich über die Grundzüge des heutigen Kapitalismus besser zu verständigen.

Die Krise des Finanzkapitalismus und das Scheitern des Neoliberalismus.
Im Gegensatz zu bürgerlichen Parteien ist es für die Linke wichtig, die wirtschaftliche Entwicklung in die Grundzüge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung einzuordnen. Auf dieser Basis können dann nicht mehr historische Zufälligkeiten, gesellschaftliche Auswüchse oder persönliche Gier für die Krisen verantwortlich gemacht werden. Wir haben es heute mit einem Kapitalismus zu tun, der durch Finanzmärkte getrieben wird. Auf dieser Grundlage wurde eine kundenzentrierte Massenproduktion entwickelt mit einer auftragsorientierten Beschäftigung. Durch die flexible Produktion wurde die bis dahin erkämpfte soziale Sicherheit nach und nach zerstört. Darüber hinaus führte die Orientierung am „ Shareholder Value “ zu einer Ausweitung ungeschützter (prekärer) Arbeit und einer Begünstigung leistungsloser Kapital- und Vermögenseinkommen. Es kam und kommt zu einer starken Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse.
Hier beginnt die Auseinandersetzung der Linkspartei mit der neoliberalen Gesellschaftspolitik. Während Neoliberale die Überwindung der Gesellschaftskrise durch Lohnzurückhaltung, Lockerung des Kündigungsschutzes und Sozialabbau erreichen wollen, wird in dem Projekt des modernen Linkssozialismus diese Politik als undemokratisch, unsozial und kontraproduktiv abgelehnt. Stattdessen wird als Alternative ein „neuer Gesellschaftsvertrag“ gefordert, der eine deutliche Veränderung der Verteilungsverhältnisse erbringt und zu einer Wirtschaftsdemokratie und sozial gerechten Gesellschaft führt. Bei dem Versuch, die Lohnabhängigen und marginalisierten Bevölkerungsteile von diesem Projekt zu überzeugen, wird die Linke allerdings mit folgenden Krisenerfahrungen konfrontiert: (4)

1. Viele Lohnabhängige haben aufgrund ihrer betrieblichen Erfahrungen Zukunftsängste und Ohnmachtsgefühle. Viele Strukturen des heutigen Kapitalismus werden personalisierend interpretiert.
2. Gesellschaftliche Machtverhältnisse werden häufig als ungerecht empfunden. Es entsteht ein soziales Klima, in dem soziale Konflikte in ethnische und kulturelle Konflikte umgedeutet werden und dadurch die Basis für Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit geschaffen wird.
3. Es entwickelt sich die Vorstellung, dass der „kleine Mann“ keine politische Vertretung mehr habe und Politik auf seinem Rücken ausgetragen werde.

Es ist in den letzten Jahren vielen Bürgerinnen und Bürgern klar geworden, dass die herrschende Politik des Neoliberalismus keinen Weg aus der Krise bietet. Trotzdem sieht sich die herrschende Politik nicht daran gehindert, die Radikalisierung ihrer Therapie zu propagieren und auch durchzusetzen. Nicht die Überakkumulation von Kapital und die Einkommens- und Vermögenskonzentration bei Wenigen sondern die angeblich überzogenen Ansprüche von Lohnabhängigen und subalternen Schichten werden zur Krisenursache erklärt. Die Politik sozialer Spaltung wird fortgeführt, zum Teil mit der Unterhöhlung demokratischer Strukturen. Die Folge ist, trotz einer expansiven Geldpolitik der Notenbanken, eine auf ganz Europa ausgedehnte Stagnation. „ Europa steckt in einer Stagnationsfalle, wie wir sie seit Jahren in Japan sehen: marginales Wirtschaftswachstum, tiefe Zinsen, ständig steigende Schulden und die wachsende Furcht vor…dem Bankrott.“ (5)

Linke Alternativen.
Die Grundfrage ist, wie „ Die Linke“ ihre systemkritische Sicht auf die Krise des Kapitalismus in einen größeren politischen Einfluss ummünzen kann? Bisher ist sie nur unzureichend mit ihrer sozial-ökologischen und friedenspolitischen Alternative durchgedrungen. Dazu ist es notwendig, dass die Parteiführung, Abgeordneten und die vielen Mitstreiter vor Ort bestimmte Herausforderungen aufgreifen und nachvollziehbare Antworten entwickeln.
Um welche Herausforderungen geht es zum Beispiel?

1. Es müssen Alternativen zum europäischen Fiskalpakt aufgezeigt werden. Augenblicklich wird die Sparpolitik durch eine große Koalition von Konservativen und Sozialdemokratie weitergeführt. Unter dem Druck der europäischen Rechten wird eine weitere massive Verschärfung der sozialen Spaltung billigend in Kauf genommen. Es ist deswegen Aufgabe der Linken, ein breites Bündnis gesellschaftlicher Kräfte für einen Politikwechsel zu erreichen. Hier muss es darum gehen, ein Europa mit einer demokratischen Wirtschaftsordnung, einer stärkeren Binnenmarktorientierung und grundlegend veränderten Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu entwickeln. Bürgerinnen und Bürger werden sich nur dann mit Europa identifizieren, wenn sie an diesem Prozess politisch beteiligt werden und ihr Protest ernst genommen wird.

2. Die Linke muss darauf dringen, die europäische Währungsunion, die sozial tief gespalten ist, in Richtung einer Ausgleichsunion weiterzuentwickeln. Das beinhaltet die Forderung nach einer gemeinsamen Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Es muss für die einzelnen Nationalstaaten und für Europa insgesamt ein Ausbruch aus der ökonomischen Abwärtsspirale erreicht werden. Das geht nur durch einen längeren Umgestaltungsprozess, der den realen Sektor (Industrie, Handel und Dienstleistungen) gegenüber dem Finanzsektor besserstellt und vor allem auch Spekulationen im Finanzsektor immer stärker eingrenzt.

3. Die Linke muss Alternativen zum finanzgetriebenen Kapitalismus entwickeln. Das kann nicht nur bedeuten, Banken und andere Finanzinstitute zu verstaatlichen. Es geht auch darum, eine Vielzahl von Krediten und Forderungen abzuschreiben. Bisher wurden viele Finanzinstitute, die eigentlich insolvent sind, durch die expansive Notenbankpolitik über Wasser gehalten. Eine Abschreibung von faulen Krediten und Geldanlagen, die nicht zu Lasten von Schlechtergestellten gehen darf, ist eine Aufgabe der Regierungen. Das muss die Linke immer wieder thematisieren, ebenso wie die Forderung nach einer umfassenden Regulierung des Finanzsektors und seiner Geschäfte.

4. Ein Kernproblem der ökonomischen Stagnation ist die unzureichende gesellschaftliche Nachfrage. Als Alternative zur Sparpolitik muss eine Förderung öffentlicher Investitionen und des gesellschaftlichen Konsums gefordert werden. Damit zu verbinden sind die Erhöhung von Steuern für höhere Einkommen und Vermögen mit dem Ziel der Verbesserung sozialer Sicherheit, von Bildung und Gesundheit sowie öffentlicher Infrastruktur. Es müssen also Kapitaleinkünfte und Vermögen sowie andere hohe Einkünfte massiver besteuert werden, auch gegen die Macht und den Widerstand der Finanzoligarchie. Die Linke fordert deswegen zu Recht eine grundlegende Änderung der Einkommens- und Vermögensverteilung.

5. Um einen Politikwechsel in der Gegenwart und Zukunft glaubwürdig vertreten zu können, muss eine moderne Linkspartei die Fehler des gescheiterten Sozialismusversuches offen ansprechen und die Konstruktionsfehler des Staatssozialismus verdeutlichen. Nur so kann „eine seriöse und verantwortliche Diskussion um einen Sozialismus des 21.Jahrhunderts (geführt werden).“ (6)

Wirtschaftsdemokratie als Ziel.
Um diesen und vielen anderen Herausforderungen gerecht zu werden, muss innerhalb der Partei „Die Linke“ die politisch-theoretische Debatte intensiviert und verstetigt werden. Die aktuelle Krise erfordert eine Diskussion über die gegenseitige Verschränkung der verschiedenen Herausforderungen. Die großen Entwicklungsunterschiede in der realen Ökonomie Europas sind einzuebnen durch eine alternative arbeitnehmerorientierte Politik der Produktion und des Arbeitsmarktes. Damit zusammen hängt auch die Lösung der europaweiten Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse. Das Scheitern des Finanzmarktkapitalismus erfordert eine alternative Steuerpolitik, sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatpersonen. Das wiederum ist zu verknüpfen mit der Stärkung der Investitionen und des Konsums. Wirtschaftsdemokratie als Wirtschaftsordnung ist ein komplexes Programm, das von demokratischer Beteiligung in den Betrieben bis zur gesamtwirtschaftlichen Steuerung reicht.

„Wenn es gelingt, eine Verständigung über die zentralen Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung und die Notwendigkeit der Ausarbeitung konkreter Alternativen ins Zentrum der innerparteilichen Debatte zu rücken, wäre das ein weiterer Gewinn auf dem Weg der Stabilisierung der neuen linken Formation.“ (7) Damit würde das Ziel weiterverfolgt, das mit den Initiativen der Wahlalternative vor zehn Jahren auf den Weg gebracht wurde.

(1) Diesen Ausführungen liegt der Text von A. Fischer/ K. Zimmermann, Strategie einer Mosaik-Linken, Hamburg 2014 zugrunde.
(2) a. a. O. S.16
(3) a. a. O. S. 17
(4) Siehe R. Detje u a. Krise ohne Konflikt? Hamburg 2011.
(5) A. Fischer / K. Zimmermann a. a. O. S. 20/21
(6) a. a. O. S. 23
(7) a. a. O. S.26/27