Freiheit statt Feudalismus?

09. Juni 2016  Theoretische Beiträge

von Dr.Peter Behnen

Zusammenfassung eines Beitrages aus der Zeitschrift „Sozialismus.“ (1)

Die Zeitschrift „ Sozialismus“ zeichnet sich durch wichtige Beiträge zur sozialistischen Politik und damit auch zur Politik der Partei „Die Linke“ aus. Stephan Krüger und Christoph Lieber (im Folgenden K/L genannt) setzten sich mit der linken Strategiediskussion auseinander und nehmen sich dabei Sahra Wagenknechts neues Buch „Reichtum ohne Gier“ vor. (2) Das ist insoweit von Bedeutung, als Sahra Wagenknecht nicht nur eine der Fraktionsvorsitzenden der Partei „Die Linke“ im Bundestag ist und Einfluss auf die Meinungsbildung der Partei hat, sondern auch häufig in Medien präsent ist. Ihre Stellungsnahmen zu verschiedenen Politikthemen finden auch bei Vertretern der etablierten Politik Gehör. Originalton Peter Gauweiler (CSU): „ Ich habe diese Frau viele Jahre im Deutschen Bundestag erlebt und weiß, dass sie-bei aller Linkheit- mit Haltung und geradem Rücken etwas retten will, was uns allen wichtig ist: Marktwirtschaft und Demokratie.“ (3) Max Otte, seines Zeichens Vermögensverwalter, hofft von Sahra Wagenknecht über die Wurzeln der sozialen Marktwirtschaft aufgeklärt zu werden und Vorschläge zu bekommen, wie eine solche Wirtschaftsordnung besser gestaltet werden kann. Die Frage für die Linke ist allerdings, ob Sahra Wagenknecht mit ihrem neusten Buch ein besseres Verständnis des Kapitalismus erreicht und einen Beitrag zu einer linken Strategiediskussion leistet.

Stephan Krüger und Christoph Lieber (K/L) heben zwei Befunde hervor:

 

1. Die Finanzkrise 2007/2008 und ihre Folgen wurden nicht zur Stunde der Linken.

2. Bürgerliche Kreise attestieren Sahra Wagenknecht, dass sie mit ihrer Kapitalismuskritik teilweise recht hat.

 

Zum ersten Befund ist laut K/L zu sagen, dass die Finanzkrise deswegen nicht zur Stunde der Linken geworden ist, weil die herrschenden Eliten kurzzeitig linke Krisenkonzepte übernommen haben und die Linke dadurch ausgebremst wurde ( staatliche Kreditpolitik, staatliche Nachfragepolitik). Auch aus der heutigen Flüchtlingskrise konnte die Linke keine Dynamik entfalten, sondern dieser Teil der Krise wurde zur Triebkraft für den Rechtspopulismus. Was die Kapitalismuskritik angeht, den zweiten Befund also, so stellen K/L fest, dass Krisenanalysen aus dem linkskeynesianischen und zum Teil auch marxistischen Lager bei Teilen des bürgerlichen Lagers Resonanz fanden. Beispielhaft nennen sie Thomas Pikettys „Kapitalismus im 21.Jahrhundert“, wobei bei einigen Linken diese Veröffentlichung als zu wenig marxistisch abgelehnt wurde. „ Dabei lassen sich gerade Pikettys Untersuchungsergebnisse zur ungleichen Entwicklung von Einkommen und Vermögen…mit der Diskussion um die Erosion der gesellschaftlichen Mitte verbinden und so die Brücke…zu einer sozialstrukturell fundierten Strategie gegen soziale Ungleichheit und Verunsicherung schlagen…(4)

In diese politische und theoretische Konstellation fällt die neue Veröffentlichung von Sahra Wagenknecht. Wagenknecht fragt gleich zu Anfang, ob wir so leben wollen wie wir leben. Sie gibt gleich selbst die Antwort, indem sie vorschlägt, die Märkte vom Kapitalismus zu befreien und den sogenannten „Wirtschaftsfeudalismus“ zu beenden. Das sei eine Deformierung des Kapitalismus. Zur Untermauerung ihrer These geht Sahra Wagenknecht in die Wirtschaftsgeschichte. Schon im Frühkapitalismus hätten sich die Märkte in monopolistische und freie Märkte aufgespalten, auf denen Industriebarone einerseits und innovative Eigentümer andererseits geherrscht hätten. Reich seien dabei nur die Monopolisten geworden. Heute beherrschten nicht die innovativen Eigentümer sondern die Monopolisten die Märkte, die der Wirtschaft, ähnlich wie Feudalherren, ihren Tribut auferlegten. Diese Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus teilen K/L nicht. Sie gehen davon aus, dass das Verhältnis von Markt und Kapitalismus viel komplexer und dynamischer ist. Sie schlagen deswegen eine alternative Deutung der Geschichte des Kapitalismus vor, die bereits bei Marx und auch Polanyi vorläge. Marx sieht die Existenzbedingung des Kapitals nicht mit der Waren- und Geldzirkulation gegeben, die gab es als untergeordnetes Moment der Gesellschaften schon in früheren Produktionsweisen, also auch im Feudalismus. Von Kapitalismus könne erst dann die Rede sein, wenn die Eigentümer der Produktionsmittel die „freien“ Arbeiter auf dem Markt vorfinden und das Verhältnis zwischen ihnen in der Produktion ein besonderes gesellschaftliches Gewicht erhält. Es entstünde eine neue Epoche des Produktionsprozesses, der Kapitalismus, in dem schon früh die Macht des Kapitals von Gewerkschaften, Gesetzen und Staat immer wieder eingeschränkt worden sei. Marx und auch Polanyi gehen nach K/L von einem beeinflussbaren Wechselverhältnis von Markt, Kapital und Politik aus. K/L kritisieren deswegen bei Sahra Wagenknecht zu recht, dass sie eine lineare Deformation von freier Konkurrenz und Marktwirtschaft zum monopolistischen Kapitalismus festzustellen glaubt. Das liest sich für K/L nicht nur wie eine Wiederbelebung der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus, die die meisten Linken inzwischen abgehakt haben, sondern Sahra Wagenknecht habe als Maßstab ihrer Kritik den polypolistischen Markt mit vielen kleinen Anbietern und Nachfragern gewählt, der nur noch in schlechten Lehrbüchern vorkomme. K/L weisen darauf hin, dass das nicht der Maßstab der Kritik in modernen kapitalistischen Gesellschaften sein könne, in denen sich in der Regel oligopolistische Strukturen auf der Angebots- und Nachfrageseite befänden, die Gebrauchswerte sich dynamisch weiterentwickelten und durch Produktionspreise im Marxschen Sinne Surplusprofite bei den Anbietern wegkonkurriert würden. Mit K/L muss gesagt werden, „ dass die Regulierung der Allokationsprozesse auf den Warenmärkten durch beständige Ausgleichung der unterschiedlichen Einzel- und Branchenprofitraten zustande kommt…“ (5) Das alles vollzieht sich laut K/L innerhalb eines Zeitraumes eines Konjunkturzyklus und auch darüber hinaus. Das schlösse über- und unter durchschnittliche Profitraten ein, die auf längere Sicht ausgeglichen würden. (6) Für die Bundesrepublik zeige sich, dass gerade in dem Bereich, in dem Monopolprofitraten vermutet würden, in einzelnen Jahren aber auch langfristig geringere Renditen als im rechnerischen Durchschnitt realisiert würden.

 

Der Blick in die deutsche Wirtschaft zeige, so K/L, ganz andere Verhältnisse als die von Sahra Wagenknecht behaupteten. Die inadäquate Analyse bei ihr zeige sich weiter, wenn man ihren Kapitalbegriff betrachte. Sie betrachte Kapital nicht als soziales Produktionsverhältnis, das durch die Aneignung von Mehrwert durch die Eigentümer der Produktionsmittel gekennzeichnet sei. K/L kritisieren, dass Wagenknecht einen dinglichen Kapitalbegriff habe. Sie fasse Kapital als „exklusives Gut“, das sie vornehmlich für die gesellschaftliche Mitte und kleine Gewerbetreibende öffnen will. Mit dieser Position kommt sie den Vorstellungen der Ordoliberalen entgegen. (7) Auch Wagenknechts Auffassung des heutigen Geld- und Finanzsystems kann K/L nicht überzeugen. Sie folgen zwar Wagenknechts Kritik am Geschäftsmodell vieler Banken und Finanzdienstleister und stimmen ihr auch zu, dass Banken wieder zu einer dienenden Funktion gegenüber der produktiven Wertschöpfung zurückfinden müssten. Sahra Wagenknecht sehe allerdings nicht, dass die Schwemme an anlagesuchendem Kapital, hervorgerufen durch die Überakkumulation von Kapital seit den 70er Jahren, sowie auch die Niedrigzinspolitik der EZB ebenfalls Banken massiv getroffen habe. Die Finanzmarktkrise 2007/2008 habe vielen Banken eine negative Profitrate beschert, ein einmaliger Vorfall in der Nachkriegszeit. Unter der Politik der EZB litten sowohl Sparer als auch Banken und Versicherungsunternehmen. Hier vermissen K/L eine realistische Einschätzung durch Wagenknecht, wiederum Folge einer unzureichenden empirischen Analyse durch sie. Das Problem des Mangels der Analyse setze sich fort bei der Durchleuchtung des modernen Geldsystems und ihrer Ablehnung der Europäischen Währungsunion.   Sie meint, durch die Kreditschöpfungsmöglichkeiten könnten Finanzinstitute grenzenlos ihre Investmentgeschäfte ausweiten. K/L sind dagegen der Meinung, dass sie die Kreditfunktion der Banken überzieht und die Investitionsentwickung der Wirtschaft von der vorgängigen Geldakkumulation trennt. Die These, Investitionen könnten ohne Sparen vorgenommen werden, sei nur richtig für konjunkturelle Aufschwungsphasen. Wenn das anders wäre, gäbe es Schwierigkeiten bei der Begründung zyklischer Krisen und langfristiger Strukturkrisen. Das hätte Sahra Wagenknecht bei Marx aber auch bei Keynes nachlesen können.

Schließlich melden K/L Kritik an Wagenknechts Ablehnung des Euro an und ihren Rückzug auf das Europäische Währungssystem mit seinen nationalen Währungen. „ Hierzu ist anzumerken, dass der Rückzug auf nationale Reproduktionsprozesse statt einer Orientierung auf die Herstellung eines europäischen Gesamtreproduktionsprozesses…(und) statt des Aus- und Aufbaus europäischer Steuerungsinstitutionen…kein vorwärtsreibendes linkes Konzept darstellt.“ (8)

 

Sahra Wagenknecht will die Grundrisse einer neuen Wirtschaftsordnung skizzieren. Dabei ist K/L unklar, wofür Wagenknecht plädiert. Will sie eine Stärkung der gesellschaftlichen Mitte durch bessere Zugangsmöglichkeiten zu Kapital und der Möglichkeit der Gründung innovativer Unternehmen? Das würde auch Anhängern aus dem neoliberalen Lager entgegenkommen. Oder geht es um eine veränderte Form des Wirtschaftsprozesses, dann müsste mehr über die Zukunft der lebendigen Arbeit gesprochen werden. Auffallend ist laut K/L, dass Wagenknecht kaum über die abgehängte Mitte, die modernen Facharbeiter und prekär Beschäftigten bei Dienstleistungsunternehmen spricht. Positiv heben K/L allerdings hervor, dass Wagenknecht eindeutig für die marktwirtschaftliche Allokation der gesellschaftlichen Ressourcen Partei nimmt, ohne jedoch diese Wirtschaftsordnung als sozialistische Marktwirtschaft oder Marktsozialismus zu kennzeichnen. Die Parteinahme für Marktprozesse ist in der Linken nicht selbstverständlich, trotz der katastrophalen Erfahrung mit einer umfassenden zentralen Planung im Staatssozialismus. Im Mittelpunkt der neuen Wirtschaftsordnung sieht Sahra Wagenknecht das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln. K/L stimmen dieser Sichtweise zu ebenso wie ihrer Forderung, dass es eine Pluralität von Eigentumsformen geben müsse. Deswegen schlägt Wagenknecht vier Rechtsformen vor, die die Eigentumsform der Kapitalgesellschaft überwinden sollen. K/L sind der Auffassung, dass es dieser Teil des Buches verdient, innerparteilich diskutiert zu werden. Hier könnten Brücken geschlagen werden zwischen der aktuellen Tagespolitik und einer weiterführenden transformatorischen Politik. Es geht dabei also um die Diskussion über die Verbindung von kurzfristigen und längerfristigen Umgestaltungsmaßnahmen.

Doch auch hier bleiben die Vorschläge von Sahra Wagenknecht laut K/L dünn. „ Alles, was sie an Übergangsforderungen präsentiert, ist ein Konzept des Herauskaufens der aktuellen Shareholder durch Aufrechnung der ursprünglichen Kapitaleinlage und seitdem bezogenen Ausschüttungen,“(9) Zu zahlen wäre als nur noch die Differenz zwischen beiden Größen. K/L sehen Wagenknecht hier als Opfer ihrer Verengung der alternativen Wirtschaftsordnung auf die Eigentumsverhältnisse. Denn selbst wenn eine alternative Eigentumsform durchgesetzt werde, könne die Marktallokation sich nicht selbst überlassen bleiben. Benötigt werde die Konzeption einer makroökonomisch ausgerichteten Steuerungs- und Strukturpolitik, die auf verschiedenen Ebenen in die Unternehmensentwicklung eingreifen müsse.(10) Damit zusammen hänge eine weitgehende Mitwirkung der Belegschaften und ihrer Repräsentanten im operativen Geschäft, ein Problem, das bei Wagenknecht weitgehend ausgespart bleibe. K/L machen damit deutlich, dass eine wirtschaftsdemokratische Gestaltung der Unternehmen sich nicht automatisch durch den Wechsel der Eigentumsform ergibt.

 

K/L ziehen zum Schluss folgendes Resümee. Sahra Wagenknechts Vision einer neuen sozialen Marktwirtschaft gewinne nicht die Qualität einer sozialistischen Marktwirtschaft. Das verwundert K/L nicht, weil ihr Gesellschaftsentwurf ohne Bezugnahme auf die Träger der Veränderung dargeboten werde, das heißt, die Produzenten und Belegschaften kommen bei ihr nur am Rande vor. Weil sie sprachlos sei gegenüber den Diskussionen im gewerkschaftlichen Bereich und gegenüber den Vorschlägen in der politischen Linken allgemein werfen K/L ihr mit Recht Autismus in der linken Strategiediskussion vor.

 

1) Siehe Stephan Krüger/Christoph Lieber: Freiheit statt Feudalismus? Sozialismus 6/2016 S.33- S.40

2) Siehe Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier, Frankfurt am Main 2016.

3) Peter Gauweiler: Süddeutsche Zeitung vom 29.3.2016

4) Krüger/Lieber a.a.O. S. 34

5) a.a.O. S. 36

6) Siehe Stephan Krüger: Entwicklung des deutschen Kapitalismus 1950- 2013, Hamburg 2015.

7) Siehe Michael Wendl Sozialismus 5/2016 S. 43- S. 46

8) Krüger/Lieber a.a.O. S. 38

9) a.a.O. S. 39

10) Siehe Stephan Krüger: Wirtschaftspolitik und Sozialismus, Hamburg 2016, S. 471