Oskar Lafontaine und die linke Sammungsbewegung

01. Januar 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Oskar Lafontaine hat in einem Interview zum Jahresbeginn 2018 zentrale Aufgabenfelder der Linken umrissen (1). Er knüpft dabei an der aktuellen Parteienlandschaft an. Er stellt fest, dass die Rechte, also auch die AFD, immer dann stark geworden sei, wenn gegen das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit verstoßen wurde und sich größere Bevölkerungsteile durch die etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlten. Selbst ehemalige Arbeiterparteien hätten sich dem Neoliberalismus verschrieben und große Ungleichheiten bei der Einkommens- und Vermögensverteilung zugelassen. Das gelte auch und gerade für die SPD. Sie sei in erster Linie verantwortlich für den Niedriglohnsektor, den zu geringen Mindestlohn, die Teilprivatisierung der Altersvorsorge und die Bedrohung durch die millionenfache Altersarmut. Außerdem habe sie zusammen mit der CDU/CSU in der Regierung Merkel zugelassen, dass die Politik der guten Nachbarschaft in Europa aufgegeben wurde und es viel Kritik an der dominanten Rolle der Bundesrepublik in Europa gebe. Oskar Lafontaine hält es allerdings für richtig, dass Martin Schulz im letzten Wahlkampf auf das Thema soziale Gerechtigkeit gesetzt habe angesichts der zunehmenden sozialen Ungleichheit. Eine wirkliche Erneuerung der SPD sei aber nur vorstellbar, wenn führende Politiker und Politikerinnen der SPD sich von neoliberalem Denken befreiten. Es sei bezeichnend, dass der Irrweg der Privatisierung des Rentensystems weitergegangen werde, indem das „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ verabschiedet worden sei.

Welche politische Alternative wird von Oskar Lafontaine vorgeschlagen? Er formuliert folgenden Vorschlag. „Diejenigen, die über die Parteigrenzen hinaus wieder mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland wollen, müssten eine neue linke Sammlungsbewegung gründen. Diese Bewegung sollte nicht nur die klassischen Parteien, sondern auch Gewerkschafter, Sozialverbände, Wissenschaftler, Kulturschaffende und andere umfassen. Dass es eine Basis für eine solche aus der Gesellschaft entwickelnde Bewegung gibt, zeigt der anfängliche Hype um Martin Schulz. Leider ist die SPD dieser Erwartungshaltung im Bundestagswahlkampf nicht gerecht geworden.“ (2) Oskar Lafontaine plädiert mit seinem Eintreten für soziale Gerechtigkeit auch für ein anderes Herangehen an die Flüchtlingsproblematik. „Ich höre immer wieder: Lange Jahre habt ihr uns erzählt, es ist kein Geld da für unsere Anliegen, für den sozialen Wohnungsbau, für eine bessere Rente, für eine bessere Arbeitslosenversicherung. Und jetzt auf einmal sind viele Milliarden verfügbar…Alle Parteien haben diesen Menschen keine zufriedenstellende Antwort gegeben… Meine Überzeugung ist: Man muss dort helfen, wo die Not am größten ist. Aktuell wenden wir für die Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge in einem Industriestaat pro Kopf das 135fache dessen auf, was wir pro Flüchtling in den Lagern und Hungergebieten bereitstellen. Ich verstehe nicht, warum man in einer Art National-Humanismus den allergrößten Teil der Hilfe auf die Menschen konzentriert, die es geschafft haben, nach Deutschland zu kommen, während man den Millionen in den Lagern und Hungergebieten nur wenig hilft.“ (3)

Oskar Lafontaine ist zuzustimmen, wenn er eine linke Sammlungsbewegung für soziale Gerechtigkeit einfordert. Ob das eine Art linke Volkspartei sein muss, wie er im Spiegel-online formuliert, sei dahingestellt. Realistischer scheint es zu sein, dass es darum geht, ein linkes Bündnis mit einem nach vorne gerichteten Minimalkonsens zu erreichen. Dieses Bündnis muss sich auf ökonomisch-soziale Sofortmaßnahmen verständigen, die für die Mehrheit der Bevölkerung fühlbare Verbesserungen erbringen und zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung zu Gunsten fortschrittlicher Kräfte führen. Für die Linke sollte dabei wichtig sein im Auge zu behalten, dass wir es inzwischen mit einer Systemkrise des Kapitalismus zu tun haben (4). Wir haben ein marodes Finanz- und Banksystem, das auf Dauer nicht durch öffentliche Gelder oder staatliche und Zentralbankgarantien saniert werden kann. Hier wird eine Vergesellschaftung des Finanzsektors und organisierte Verteilung der Wertverluste vonnöten sein. Ferner ist eine Reform des Finanzwesens nicht machbar, wenn es keine Nivellierung der großen Unterschiede in der Einkommens- und Vermögensverteilung gibt. Das bedeutet, dass Schritte in Richtung eines neuen Wirtschafts- und Finanzsystems, das heißt einer sozialistischen Marktwirtschaft, zu gehen sind. Finanzstabilität, Steuergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit müssen klaren Vorrang vor dem freien Kapital-Güter und Dienstleistungsverkehr haben. Im Rahmen einer Bündnispolitik muss alles unterlassen werden, was den Weg in diese Richtung verbauen würde. Um einen linken Minimalkonsens zu erreichen, bedarf es intensiver Diskurse über konzeptionelle Alternativen zwischen progressiven Kräften der SPD, den Grünen und der Linkspartei und auch mit außerparlamentarischen Kräften. Für den Fall, dass es auf längere Sicht zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung kommen soll, ist ein glaubwürdiges Programm der gesellschaftlichen Veränderung durch ein linkes Parteienbündnis vorzulegen. Nur wenn es gelingt, rasche Anfangserfolge in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu erreichen, kann ein dauerhafter Umschwung in der öffentlichen Meinung vonstatten gehen. Es muss dann der noch viel schwierigere Schritt erfolgen, die weiterführenden Elemente eines evolutionären Übergangs in einen demokratischen Sozialismus mehrheitsfähig zu machen. Diesen Weg bzw. diese Schrittfolge bei den Bündnispartnern und in der gesamten Bevölkerung sichtbar zu machen bleibt eine Daueraufgabe der Linkspartei. Es genügt also nicht, sich auf einzelne Sofortmaßnahmen, so wichtig sie auch sind, zu konzentrieren, sondern es muss immer auch die grundlegende Zielrichtung linker Politik dargestellt werden.

1) Siehe zum Folgenden: Neue Osnabrücker Zeitung (https://www.noz.de/deutschland-welt und weitere Links.)
2) a.a.O. S. 3
3) a.a.O. S.4
4) Siehe hierzu: Stephan Krüger, Wirtschaftspolitik und Sozialismus, Hamburg 2017, S.517 ff.