Anatomie und Zukunft des Kapitalismus

19. Mai 2019  Allgemein

„DIE ANATOMIE UND ZUKUNFT DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT“

ZUSAMENFASSUNG EINES TEXTES VON BISCHOFF, KRÜGER UND LIEBER. VSA-VERLAG 2018

EINLEITUNG

In dem Text geht es um die Wertschöpfung und Mystifizierung der Klassenverhältnisse im Kapitalismus. Die Basis der Betrachtung ist das Hauptwerk von Karl Marx „Das Kapital“ bzw. „Die Kritik der politischen Ökonomie“. Es erschien vor 150 Jahren und der Jahrestag der Erstveröffentlichung wurde für viele Medien zum Anlass genommen, wieder grundsätzlich über den Kapitalismus nachzudenken. Insgesamt überwog die kritische Würdigung, obwohl viele Autorinnen und Autoren seine Thesen bzw. Sichtweise als überholt betrachten. Im Zentrum der Marxschen Analyse steht die permanente Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus, die als Produktivkräfte des Kapitals erscheinen. Diese Gesellschaft bewirkt einerseits den gesellschaftlichen Fortschritt durch Produktivkräfte und damit die Entwicklung von Bedürfnissen und freier Zeit, andererseits wird dieser Fortschritt einseitig verteilt. Die Herausforderung im entwickelten Kapitalismus besteht also darin, den aufgetürmten Reichtum und die frei verfügbare Zeit für die besitzende Minderheit aufzuheben und für die Bevölkerungsmehrheit zu erschließen. Jeremy Corbyn fasste das unter folgender Losung zusammen: „ For the many not for the few.”

Es entsteht also die Frage, ob die „Kritik der politischen Ökonomie“ von Marx noch eine Richtschnur bzw. Leitlinie der Betrachtung der heutigen Industrie mit der Digitalisierung, umfassenden Vernetzung, hohem Robotereinsatz etc. sein kann? Da die Industrieentwicklung heute eine neue Betriebsweise des digitalen Kapitalismus hervorbringt, entsteht gleichzeitig das Problem, einen breiteren Konsens über die Interpretation des Kapitalismus im Sinne der Marxschen Theorie zu erreichen. Jahrzehnte nach Erscheinen des 1.Bandes des „Kapital“ ging es vor allem um die Interpretation des unmittelbaren Produktionsprozesses. Friedrich Engels hatte aber aus den hinterlassenen Manuskripten von Marx den 2.Band des „Kapital“, den Zirkulationsprozess des Kapitals, zusammengestellt. Erst dann wurde erkannt, dass die Zirkulation in den Begriff des Kapitals gehört und die Zirkulation des Kapitals und seine Kreisläufe sowohl Bedingung als auch Resultat des Produktionsprozesses sind. Erst im 3.Band des „Kapital“, auch von Engels herausgegeben, kommt Marx auf die Gestaltungen des Kapitals zu sprechen, die aus dem Bewegungsprozess des Kapitals als Ganzes betrachtet hervorwachsen und an der Oberfläche der Gesellschaft, der Konkurrenz, zu finden sind.

Es ist also heute notwendig, da wir am Rande einer neuen digitalisierten, vernetzten gesellschaftlichen Betriebsweise des Kapitalismus stehen, eine neue ausführliche Interpretation der „Kritik der politischen Ökonomie“ vorzunehmen.  Das heißt, dass der Wertbegriff der Ausgangspunkt für die Nachzeichnung der Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft ist, also des gesamten industriellen und kommerziellen Lebens der Individuen. Darüber hinaus aber auch eine Nachzeichnung zum bürgerlichen Staat und zum Weltmarkt. Die Autoren Bischoff, Krüger und Lieber gehen also vom Wertbegriff als Schlüsselkategorie aus, stellen ihre Sichtweise der Kapitalinterpretation dar und entwickeln vor diesem Hintergrund die Digitalisierung der gesellschaftlichen Betriebsweise, das Moment der Entfremdung und Mystifikation dieser Gesellschaft sowie das Problem der Überwindung dieser Produktionsweise.

KAPITEL 1

NACH 150 JAHREN- MARX UND DIE KAPITALISTISCHE GESELLSCHAFTSFORMATION.

Die Marxsche Analyse der ökonomischen Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft erfährt heute eine erstaunliche Aufmerksamkeit. Das gilt zum Beispiel für Lina Nienhaus von der „Zeit“ und für den NZZ-Redakteur  Rene Scheu, die beide Marx ein Lob für seine Analyse aussprechen, im Gegensatz zum ehemaligen NZZ-Redakteur Roger Köppel, für den die freundlich-kritische Sicht auf Marx aus bürgerlicher Sicht nicht nachvollziehbar ist. Er plädiert für eine kompromisslose Abgrenzung vom „marxistischen Zeitgeist.“ Ein Blick auf den Rechtspopulismus in vielen kapitalistischen Ländern offenbart allerdings, dass der Zeitgeist augenblicklich in eine ganz andere Richtung läuft. Jürgen Neffe, Verfasser einer aktuellen Marx-Biografie, bringt die aktuelle Marx-Begeisterung auf den Punkt. Marx sei als Philosoph von überragender Bedeutung gewesen, aber auch viele Phänomene von heute hätte er als Bestätigung seiner Analyse gesehen. Dazu zählten die soziale Spaltung, die Perversität des Finanzsystems, das nur ansatzweise durch die reale Wertschöpfung gedeckt sei und die Bedrohung durch die Automatisierung. Es sei die Grundsatzkritik am Kapitalismus, die heute wieder diskutiert werde.

Doch was ist unter einer Grundsatzkritik am Kapitalismus zu verstehen?

Darauf hat Marx selbst eine Antwort gegeben. Er wollte eine Kritik der ökonomischen Kategorien oder das System der bürgerlichen Ökonomie kritisch dargestellt. Das Ganze wollte er in sechs Bücher aufgliedern: 1.Vom Kapital, 2.Vom Grundeigentum, 3.Von der Lohnarbeit, 4.Vom Staat, 5. Vom internationalen Handel, 6.Vom Weltmarkt. Das „Kapital“ sollte 3 Bücher umfassen. Der Produktionsprozess des Kapitals, der erste Band des „Kapitals“, kam 1867 auf den Markt. Das Buch wurde allerdings erst durch die Internationale Arbeiterassoziation und die Pariser Kommune 1871 einem größeren Kreis bekannt. Trotzdem blieben Marx und sein Werk, selbst als er 1883 starb, weit davon entfernt eine internationale Bekanntheit zu erreichen. Das änderte sich erst später. Grundprobleme waren zuerst Schwierigkeiten bei der Rezeption des „Kapital“, theoretisch-politische Differenzen und die Unabgeschlossenheit seines Werkes im Jahre 1883. Erst Friedrich Engels gab danach den 2.und 3.Band des “Kapital“ auf Basis der nachgelassenen Manuskripte heraus und selbst den 1.Band wollte Marx vor seinem Tod noch überarbeiten. Erst vor kurzem hat Thomas Kuczynski eine Überarbeitung vorgenommen, die 2017 herausgegeben wurde. Heute arbeitet eine internationale Forschergruppe an einer neuen kritischen Ausgabe der Schriften von Marx und Engels (Marx-Engels-Gesamtausgabe, abgekürzt MEGA).

Die Geschichte der Rezeption der „Kritik der politischen Ökonomie“ ist von Verkürzungen geprägt, vor allem durch die These, dass der 1.Band des “Kapital“ ausreichend sei für die Politik der Arbeiterklasse. Andererseits entstand ein Unbehagen über die theoretische Unabgeschlossenheit des Werkes, aber auch durch die These, zum Beispiel von Rosa Luxemburg, wichtige politische Entwicklungen wie der Imperialismus und die erweiterte Akkumulation des Kapitals seien nur politisch zu erklären. Zusammengefasst sieht Luxemburgs Argumentation folgendermaßen aus:

1.Die Marxsche Theorie sei unzureichend, weil im 2.Band des „Kapital“ nur die Lohnarbeit und das Kapital vorkämen.

2.Die Grenzen der Akkumulation des Kapitals ließen sich nur durch ein nichtkapitalisches Milieu überwinden. Deswegen wäre der Imperialismus notwendig für das Überleben des Kapitalismus.

Aus heutiger Sicht ist an dieser Argumentation zu kritisieren, dass Luxemburg die in Band 2 und Band 3 entwickelten ökonomischen Formbestimmungen ignoriert, vor allem das sogenannte Zwangsgesetz der Konkurrenz, das Kredit – und Bankwesen und die Verteilungsverhältnisse und auf diese Weise dazu beiträgt, das System der Kritik der politischen Ökonomie erheblich zu verkürzen. Da befindet sich Rosa Luxemburg allerdings in Übereinstimmung mit Hilferding, Bucharin, Lenin, Bauer und Grossmann. Es wird also die These vertreten, dass die erweiterte Reproduktion des Gesamtkapitals, die erweiterte Akkumulation, nur möglich sei durch den Austausch von kapitalistischen und nichtkapitalistischen Teilen der Volks- und Weltwirtschaft. Diese Sichtweise wird nicht mehr getragen von einer werttheoretisch begründeten Akkumulation, sondern von der empirischen Hypothese, dass nur durch eine Durchkapitalisierung der weniger entwickelten Zonen des Kapitalismus der Zusammenbruch des Kapitalismus verhindert werde.

Die verkürzte Sichtweise von Rosa Luxemburg und anderer Autoren hat etwas mit ihrer verkürzten Sichtweise des Wertgesetzes zu tun. Wie gesagt, es wird ein Großteil der Formbestimmungen des Werts in der Zirkulation und im Gesamtprozess des Kapitals ausgeblendet. Die Marxsche Theorie ermöglicht eine weitgehende Vermittlung der inneren Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus mit oberflächlichen Strukturen der Gesellschaft. Die Konkurrenz als Teil der Oberfläche wird in ihrer Vielschichtigkeit und ihren Rückwirkungen entwickelt. Marx entwickelt Basisstrukturen der Konkurrenz, das sogenannte Grundgesetz der Konkurrenz, und die darauf aufbauenden Formbestimmungen und verdrehten Erscheinungsformen, die die zugrundeliegende innere Struktur der Gesellschaft nicht mehr offenbaren. Die Konkurrenz führt zu Ausgleichsprozessen und hebt die systembedingten Abweichungen ganz oder teilweise auf. Die oberflächlichen Prozesse stehen im Widerspruch zum werttheoretischen Kern und bilden dann auch Anschauungen heraus wie zum Beispiel die Daseinsform der freien Individualität. Über die angesprochenen Ausgleichsprozesse, insbesondere der Profitraten, vollzieht sich die gesellschaftliche Verteilung der Waren und der Arbeit. Es vollzieht sich in der Konkurrenz eine radikale Entwicklung der Produktivkräfte mit einerseits persönlichen Freiheiten andererseits aber eine völlige Unterordnung unter die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse. Die „Kritik der politischen Ökonomie“ ist also nicht nur eine Theorie der Ausbeutung, sondern eine umfassende Theorie der sozialen Reproduktion und Selbstregulation. Innerhalb der Theorie existieren systematische Anknüpfungspunkte zur Analyse der Alltagsstrukturen und der politischen Herrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft.

Zusammenfassend werden von Bischoff/Krüger/Lieber folgende Thesen aufgeführt, die sie dann näher zu belegen haben:

1.Der Begriff des Wertes ist der abstrakteste Ausdruck des Kapitals bzw. der kapitalistischen Produktion. Der Begriff des Wertes bzw. die besondere Form der gesellschaftlichen Arbeit durch Arbeitszeit setzt eine Produktionsweise voraus, in der das einzelne Produkt Teil der gesellschaftlichen Warenproduktion ist.

2.Das Kapital als sich verwertender Wert umschließt nicht nur Klassenverhältnisse, sondern eine Bewegung, einen Kreislaufprozess durch verschiedene Formen, die Zirkulation und den Gesamtprozess des Kapitals.

3.Eine Nation, die auf dem Wert beruht, umfasst nicht nur nationale Bedürfnisse, sondern geht darüber hinaus. Bleibt nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise bei der gesellschaftlichen Produktion die Wertbestimmung vorherrschend, wird die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die Produktgruppen wichtiger denn je. Die Ökonomie der Zeit bleibt wesentlich und die Zeit ist zweckmäßig einzuteilen, das bleibt das erste ökonomische Gesetz auf der Grundlage der gesellschaftlichen Produktion.

4.Die kapitalistische Produktionsweise ist eine historische und wird in eine andere Gesellschaftsform übergehen. Dabei muss das „Kapital“ die Richtschnur des Denkens und Handelns sein. Dabei gilt es natürlich der Entwicklung des Kapitalismus Rechnung zu tragen und seine Veränderungen in den Fokus zu nehmen.

Marx hat als Endzweck des „Kapital“ definiert, die ökonomischen Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft zu ergründen. Im Gegensatz zur bürgerlichen Ökonomie, die das Handeln der Subjekte in den Mittelpunkt stellt, geht es in der Marxschen Theorie um die Erfassung des spezifischen Charakters der gesellschaftlichen Arbeit und ihrer Verteilung im Gsamtsystem. In diesen materiellen Lebensverhältnissen wurzeln dann die Rechtsverhältnisse wie Staatsformen. Der gesellschaftliche Charakter der Arbeit wird allerdings nicht von den Individuen beherrscht, sondern er erscheint ihnen gegenüber als etwas Fremdes, ihr wechselseitiger Zusammenhang als eine Sache. Marx arbeitet sich daran ab, den Zusammenhang von Mehrwertproduktion, Konkurrenz und den Gesamtprozess des Kapitals darzustellen. Dabei hat er zuerst das Problem, den Ausgangspunkt der Darstellung zu finden und in den einfachen und entwickelten Formen des Werts die Strukturzusammenhänge des Gesamtsystems zu erfassen. Die einfachste Struktur ist die Warenform bzw. ihre Wertform und deswegen muss die Darstellung auch hier beginnen. Dabei geht es nicht darum, einer Abfolge von Kategorien nachzuspüren, sondern es geht darum, das Verhältnis der inneren Natur des Kapitals und seiner Oberfläche in seiner Kompliziertheit darzustellen. Marx kommt in seinem Forschungsprozess zu der Schlussfolgerung, dass die Produktion, Distribution, der Austausch und die Konsumtion Teile eines organischen Ganzen sind, bei denen Wechselwirkung existiert. Die Schwierigkeit besteht darin, dass dem wirklichen Aneignungsprozess des Mehrwertes ein oberflächliches Aneignungsverhältnis in der Zirkulation vorausgesetzt ist.  Die Aneignung scheint auf eigener Arbeit zu beruhen, wodurch der Aneignungsprozess von Mehrwert in der Produktion verschleiert wird. Marx kommt zu der Erkenntnis, dass die Konkurrenz der Anfangs- und Endpunkt der Betrachtung sein muss. Die Formbestimmungen des Werts bis zur Oberfläche der Gesellschaft darzustellen bedeutet, eine systematische Darstellung vom Kern, den Grundtendenzen bis hin zur Oberfläche und den Bewusstseinsformen des Kapitalismus vorzunehmen. An der Oberfläche erscheinen der Lohn, der Profit und die Grundrente als Quellen des Werts anstatt aus dem Wert als Grundlage abgeleitet zu werden. Das Angebot und die Nachfrage in der Konkurrenz sind dem bürgerlichen Ökonomen die Grundkategorien, aus denen er die Einkommen und ihre Höhe ableitet. Im Gegensatz dazu galt es für Marx den komplizierten Zusammenhang von Mehrwertproduktion (Bd.1), die Reproduktion des Kapitalverhältnisses (Bd.2) und den Formen der Oberfläche in der Konkurrenz (Bd.3) zu entschlüsseln. Nach der einfachen Zirkulation, die das Arbeitsverhältnis einleitet, zeigt Marx, dass die Kapitalakkumulation davon abhängt, aus dem Arbeiter bzw. der Arbeiterin mehr Wert herauszuholen als sie selbst für die Reproduktion benötigen. Die Kapitalisten haben die Zeit der Arbeit zu kontrollieren und sind durch die Konkurrenz gezwungen, den Arbeitstag zu verlängern und / oder die Arbeitsintensität an ihre Grenzen zu treiben. Das Fabriksystem ist revolutionär in dem Sinne, dass es die Intensität der Arbeitsverausgabung und die Konkurrenz von Arbeiter und Maschine antreibt und damit zu Widersprüchen der kapitalistischen Form führt. Es wälzt die alte Gesellschaft um und entwickelt Bildungselemente einer neuen.

An der Oberfläche der Gesellschaft, bei der Bestimmung der gesellschaftlichen Wertschöpfung, wird in der bürgerlichen Ökonomie von den drei Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital ausgegangen. Marx Ziel war es, diesen Schein aufzulösen. Er arbeitete heraus, dass Unternehmergewinn, Zins und Grundrente Formen des Mehrwerts und damit der Mehrarbeit des Arbeiters bzw. der Arbeiterin sind. Diese Produktionsfaktorentheorie entspricht den Interessen der herrschenden Klassen, indem sie die Verteilung der Einkommen als naturgegeben darstellt. Der entscheidende Punkt für die Arbeiterklasse ist jedoch, die Kontrolle über die Verteilung und die Produktion zurückzugewinnen. Das ist aber deswegen schwierig, weil der Großteil der Bürger bzw. Lohnabhängigen in der Scheinwelt befangen ist. Diese Bewusstseins- formen sind aufzulösen, wenn man andere Verteilungsverhältnisse, andere Strukturen sozialer Sicherheit und eine andere öffentliche Ausgabenpolitik entwickeln will. Diese Bewusstseinsentwicklung muss die Arbeitszeiten, Produktivitäten und die Einkommens- und Vermögensverteilung im Fokus haben. Das wird nur schrittweise geschehen. Die Vorstellung bei einigen Vertretern der Arbeiterbewegung, eine schnelle Abschaffung von Ware-Geld und Kapitalformen sei notwendig war schon immer absurd und hat zu katastrophalen Ergebnissen geführt (Realer Sozialismus). Die Grundlage einer nachkapitalistischen Gesellschaftsform wird ein weitgehend genossenschaftlicher Gemeinbesitz an den Produktionsmitteln sein sowie ein entwickeltes System gesellschaftlicher Steuerung. Nicht Kommandogewalt, gar einer Partei, ist entscheidend, sondern der Einsatz von Kredit, Steuern, staatlicher Nachfrage und von programmierten Investitionen. Die neue nachkapitalistische Produktionsweise hat ihre Ansatzpunkte in der alten, zum Beispiel im Kreditwesen oder Aktienwesen.

Das Geldkapital und das Kreditsystem unterzieht Marx einer besonderen Betrachtung, weil gerade hier wichtige Ansatzpunkte für den Übergang in eine neue Wirtschaftsordnung gegeben sind. Der 2. Band des „Kapital“ zeigt schon, dass die Reproduktion des Kapitals die Bewegung des Geldkapitals, des Kredit- und Bankwesens einschließt. Das Geldkapital, dass dem Produktionsprozess entstammt und der Kapitalist noch nicht in seinem eigenen Geschäft verwenden kann, konzentriert sich dann im Bank- und Kreditwesen. Die Akkumulation des Geldkapitals kann sich von der materiellen Gestalt des Geldes lösen und durch jeden Titel ersetzt werden. Diese Wertpapiere werden als fiktives Kapital bezeichnet. Die von Marx hervorgehobene Unterscheidung zwischen zinstragendem Kapital in Geldform und seinen Anlageformen ist strukturbestimmend für den gesamten Finanzsektor. Das fiktive Kapital setzt den Zinsfuß voraus, da sich der Preis des Wertpapiers aus der Kapitalisierung der Zinserträge ergibt. Es handelt sich um Vermögenspapiere und sie sind reine Finanzmarktkreationen. Die zugrundeliegende Liquidität der Finanzmarktakteure bildet die gesellschaftliche Spekulationskasse. 

Von besonderer Bedeutung ist heute die Entwicklung der Produktivkräfte, die Marx vornehmlich auf die Betrachtung der relativen Mehrwertproduktion stützt. Dabei ist natürlich die Möglichkeit der Verquickung mit politisch-religiösen Herrschaftsstrukturen inbegriffen. Diese Debatte wird im Rahmen der Debatte um den Crony- Kapitalismus geführt. Damit sind Wirtschaften gemeint, in denen die Wertschöpfung durch Verbindungen mit Machtgruppen modifiziert wird. Das geschieht mithilfe von staatlichen Interventionen oder Macht- oder Monopolkonstellationen. Neben der politischen Einflussnahme sieht Marx die beständige Revolutionierung der Produktivkräfte der Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise selbst begründet. Marx stellt in diesem Zusammenhang drei Aspekte der relativen Mehrwertproduktion heraus:

1.Das Kapital als sich verwertender Wert treibt die relative Mehrwertproduktion und damit die Ausweitung der Mehrarbeit und der Entfaltung der Produktivkräfte voran. Die beschleunigten Fortschritte der Zivilisation bewirken auch die Entwicklung der Wissenschaften, Technologie, Verbesserung der Kommunikations- und Transportmittel und das alles im Zusammenhang mit der Entwicklung des Weltmarktes.

2.Die Entwicklung der Produktivität der Arbeit befestigt das Herrschaftsverhältnis des Kapitals und stellt sich als Produktivkraft des Kapitals dar. Das Gesellschaftliche ihrer eigenen Arbeit erscheint den Lohnabhängigen als fremd und sogar als feindlich ihnen gegenüber. Diese Mystifikation wird jetzt viel weiter entwickelt als bei der absoluten Mehrwertproduktion.

3.Marx arbeitet die historische Bedeutung des Kapitalismus und damit der Entwicklung der Produktivkräfte durch die Entwicklung des Kapitalbegriffs heraus.

In den Zusammenhang der Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit ist auch die Kategorie des Fixkapitals einzuordnen. Damit ist zunächst nur eine Formbestimmung gemeint, die mit den Kreislaufformen entwickelt wird. Darüber hinaus aber ist sie ein Indikator für den Entwicklungsgrad der Zivilisation. Gerade die aktuelle Tendenz der Vernetzung zeigt den hohen Entwicklungsgrad des fixen Kapitals. Marx geht dabei nicht davon aus, dass nun das Ende der Aneignung fremder Arbeitszeit gekommen sei, sondern er konstatiert einen Widerspruch. Einerseits wird die Arbeitszeit zur Schaffung des Reichtums auf ein Minimum reduziert, andererseits wird aber die Arbeitszeit als einzige Quelle des Reichtums gesetzt. Einerseits also die Hervorbringung aller Quellen der Wissenschaft, andererseits aber eingebunden in die kapitalistischen Grenzen. Das sind nach Marx die materiellen Bedingungen, um sich vom Kapitalismus zu verabschieden. Das heißt, die kapitalistische Produktionsweise bricht aus Marxens Sicht nicht einfach zusammen, sondern die materiellen und geistigen Bedingungen der Überwindung des Kapitalismus sind Bestandteile der Entwicklung der Produktivkräfte und sind mit schneidenden Krisen verbunden. Es entsteht ein „enormes Bewusstsein“ und allein dadurch kommt es zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise.

KAPITEL 2

INDUSTRIELLE BETRIEBSWEISEN DES GESELLSCHAFTLICHEN PRODUKTIONSPROZESSES

Die große Industrie unterscheidet sich von seinen Vorläufern, dass der Produktionsprozess ohne Rücksicht auf die menschliche Hand die moderne Technologie zum entscheidenden Bestandteil der Produktion herausbildet. Er behandelt zudem die vorhandene Form des Prozesses nie als definitiv, dafür sorgt das Kapital mit seinem Drang nach gesteigerter Verwertung. Die industrielle Produktionsweise ist insoweit revolutionär im Vergleich zu vorkapitalistischen Produktionsweisen, die im Wesentlichen konservativ sind. Ein Großteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit wird auf einfache Arbeit reduziert, das ist wichtig für die Wirkung des Wertgesetzes, das heißt, für die Herstellung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die verschiedenen Produktionszweige. Neben der einfachen Durchschnittsarbeit entwickelt sich ein Bereich komplizierter Arbeiten, die sich durch überdurchschnittliche Qualifikationen auszeichnen. In der Regel sind es die einfachen Arbeiten, die stärker der Maschinerie und Automatisierung ausgesetzt sind. Je entwickelter allerdings die Technologie ist, desto mehr unterliegen auch kompliziertere Tätigkeiten der Automatisierung. Das Verhältnis der beiden Arbeitsarten wird dann neu bestimmt. Die beständige Revolutionierung der Produktivkräfte führt zu erhöhten politischen Interventionen, beginnend in Großbritannien mit der Fabrikgesetzgebung. Diese Einheit von Struktur des Produktionsprozesses und den Veränderungen im Überbau (Staat, Recht, Bewusstsein) wird von Marx mit der Kategorie der „gesellschaftlichen Betriebsweise“ erfasst. Sie beinhaltet einen ganzen Gesellschaftsmechanismus, aber die Grundlage bildet immer eine bestimmte organisierte und technische Form des Produktionsprozesses.

Die große Industrie als erste Betriebsweise erhebt sich gegenüber der Manufakturperiode, differenziert die betriebliche und gesellschaftliche Arbeitsteilung, und erfordert neue Transport- und Kommunikationsmittel. Die ökonomische Umwälzung ist mit der Fabrikgesetzgebung, der Festlegung des 10-Stunden-Tages, mit Auswirkungen auf Bildungseinrichtungen und weiterentwickelten Familienstrukturen verbunden. Sie greift auf den Weltmarkt über und ermöglicht eine Periodisierung des Kapitalismus. Diese Periodisierung ist das Gegenstück zu einer Theorie der langen Wellen (Kondratieffzyklus) und zu der Stadientheorie des Kapitalismus (Konkurrenzkapitalismus, Monopolkapitalismus, staatsmonopolistischer Kapitalismus). Die Große Industrie entwickelte sich im 19.Jahrhundert. Die Manufakturen wurden niederkonkurriert, die industrielle Produktion ermöglichte außerordentliche Profite mit einer beschleunigten Akkumulation. Dieser Prozess hielt in Großbritannien bis zur 2.Hälfte des 19.Jahrhunderts an, ein Prozess der zeitversetzt auch in den USA und dem Deutschen Reich ablief. Es ergab sich nach einer Sturm- und Drangperiode schon früh eine Tendenz zum Fall der durchschnittlichen Profitrate. Das britische Kapital dominierte zuerst den Weltmarkt und war das Zentrum der Finanzwelt der damaligen Zeit. Dazu gehörte auch die Durchsetzung des internationalen Goldstandards mit dem Weltgeld Gold, das allerdings schon im 19.Jahrhundert teilweise durch nationale und internationale Wechsel ersetzt wurde.

Mit und nach dem 1.Weltkrieg hatte Großbritannien seine industrielle Vorherrschaft verloren. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich in den USA mit dem Fordismus die zweite industrielle Betriebsweise, sie wurde auch Taylorismus genannt. Es kam zur Fließbandproduktion, also zu einer systematische Neustrukturierung der innerbetrieblichen Arbeitsteilung. Die Arbeit wurde großteils auf monotone und repetitive Funktionen reduziert mit dem Oberziel der Senkung der Kosten der industriellen Massenproduktion. Die charakteristische Unternehmensform sind tief vertikal gegliederte Mischkonzerne und hierarchische Aufbauorganisationen. Unter diesen Bedingungen wurden Gewerkschaften und arbeitnehmerorientierte Parteien zu wichtigen Akteuren in der Zivilgesellschaft und dem Staat. Der Sozialstaat und die Sozialversicherungen wurden wichtig für die Existenzsicherung von Lohnabhängigen aber auch als Konsumenten. Die Märkte wurden inzwischen von Verkäufermärkten zu Käufermärkten. Die entsprechenden Kapitale müssten nun durch Werbung und Marketing versuchen Konkurrenzvorteile zu erlangen. Die Arbeiterklasse differenzierte sich durch die Zunahme von unproduktiven Lohnarbeitern des Kapitals. Während im produktiven Bereich, also in der Mehrwertproduktion, die technischen Angestellten gegenüber den gewerblichen Arbeitern relativ im Umfang zunahmen, wuchsen gleichzeitig die kommerziellen Angestellten im administriven Bereich des Unternehmen (Rechnungswesen, Einkauf und Verkauf, Werbung und Marketing).

Historisch wurde die neue Betriebsweise des Fordismus in den USA entwickelt und verbreitet. Begleitet wurde die Entwicklung durch den „New Deal“ der 30er Jahre, einer Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft und Entwicklung der USA zur internationalen Gläubigernation. Sie errang die Vorherrschaft im Bretton- Woods-System von 1944, der Dollar wurde zum Weltgeld mit Golddeckung. Die 1950er und 1960er Jahre wurden durch die USA geprägt, die Periode wurde auch das „goldene Zeitalter des Kapitalismus“ genannt. International war das auch das Zeitalter Dekolonialisierung, aber auch das des „Kalten Krieges“ zwischen Ost und West. Die Dekolonialisierung kann weniger als Ausdruck der Humanität gewertet werden, sondern gilt auch als Zeit des billigen Rohstoffbezuges und der Erweiterung der Absatzmärkte der kapitalistischen Hauptländer. Auf dem Weltmarkt dominierten die USA bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Erosion ihrer Stellung begann in den 60er Jahren, vor allem wegen der Konkurrenz der Bundesrepublik und Japans. Bei der Kapitalakkumulation des Fordismus machte sich nun in den USA, aber auch in anderen kapitalistischen Hauptländern, der Fall der durchschnittlichen Profitrate geltend. Das Ende der Nachkriegsprosperität wurde deutlich sichtbar mit der Weltwirtschaftskrise 1974/75. Das zeigte sich auch an der Preisinflation an den Warenmärkten, der Spekulation an den Euro-Dollar-Märkten und am Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems. Das wurde frühzeitig von marxistischer Seite als chronische Überakkumulation interpretiert, das heißt, der Fall der durchschnittlichen Profitrate konnte nicht mehr durch eine Steigerung der Profitmasse kompensiert werden.

Der Übergang in die chronische Überakkumulation vollzog sich 1974/75, wurde allerdings von der bürgerlichen Ökonomie und Politik nur als zyklische Krise wahrgenommen mit einer Steigerung des Ölpreises. Es wurde deswegen auch von einer Ölpreiskrise gesprochen und mit einer antizyklisch angelegten Antwort reagiert. Der Erfolg dieser Politik war gering, Konjunkturprogramme heizten noch einmal die Inflation mit an, das geflügelte Wort der bürgerlichen Ökonomie lautete Stagflation. Die offizielle Politik nahm einen neoliberalen Kurs ein und die Zentralbanken schalteten auf eine restriktive Politik um.

Innerhalb des Produktionsprozesses wurde auf verschiedene Weise versucht, die Verwertungsprobleme des Kapitals anzugehen. Durch Lean- Produktion, Abbau von Hierarchieebenen, Null-Fehler-Produktion, kleine Serien für spezielle Kundenwünsche und Outsourcing bestimmter Bereiche soll das Ziel erreicht werden. Gleichwohl zeigte sich, dass diese Elemente nicht ausreichen, um eine neue postfordistische Betriebsweise mit beschleunigter Akkumulation hervorzurufen. Dafür sorgte vor allem die Begrenzung durch die Unterkonsumtion aus Masseneinkommen. Die durch Marktkräfte eingeleitete und neoliberale Wirtschaftspolitik verstärkten Veränderungen verringerten die Produktivität der Arbeitskräfte und führten zum Rückfall in die absolute Mehrwertproduktion (Lohndrückerei und längere Arbeitszeiten). Einer neuen beschleunigten Akkumulation des reproduktiven Kapitals steht auch die verselbständigte Geldakkumulation entgegen. Viele Länder mussten Umschuldungsaktionen vornehmen und auch in den kapitalistischen Metropolen wurde die reproduktive Akkumulation durch Finanzmärkte gesteuert. Dafür sorgten Finanzinvestoren (Hedge-Fonds, Private-Equity-Fonds, Immoblienfonds etc.), die in das operative Geschäft von Aktiengesellschaften eingriffen und dort vor allem die Shareholder-Value-Orientierung durchsetzten. Unternehmen wurden auf Kernkompetenzen zugeschnitten. Es kam zur Steigerung von Kurswerten beim fiktiven Kapital (Wertpapiere) und zur massiven Bereicherung von Vermögensbesitzern auch am Immobilienmarkt. Die Wertpapierspekulation an den Börsen, Immobilienblasen und eine wirtschaftliche Scheinblüte führten zur Finanzmarktkrise 2007/2008. Der Boom, der vor allem kreditgestützt war, konnte keine nachhaltige reproduktive Kapitalakkumulation hervorrufen, insbesondere wegen der Beschränkung der Massennachfrage. Auch eine ultralockere Geldpolitik der Zentralbanken brachte nur kurzzeitige Entlastungen von angeschlagenen Banken aber keine beschleunigte Akkumulation des produktiven Sektors. International ist keine neue Weltordnung in Reichweite. Im Gegenteil, Handels- und Finanzkriege sind nicht auszuschließen gerade wegen der aktuellen Politik der USA. Das Fazit ist: Es fehlen im Augenblick die Voraussetzungen für eine nachfordistische Betriebsweise. Ob die Digitalisierung die Verwertungsprobleme des Kapitalismus lösen kann ist näher zu betrachten

KAPITEL 3:

DER DIGITALISIERTE KAPITALISMUS ALS NUKLEUS EINER NEUEN BETRIEBSWEISE?

Wir haben seit einiger Zeit eine Veränderung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und es wird die Produktivkraftentwicklung auf eine neue Stufe gehoben. Es geht um die Bildung von Netzwerken, auch Plattformökonomie genannt. Wir bekommen das im Privatleben durch Dienstleistungen im Werbebereich oder auch die Vermittlung von Miet- und Handelsgeschäften mit, ebenso wie bei der Durchführung privater Bankgeschäfte. Ein anderes Beispiel ist die Telemedizin, wo anstatt eines persönlichen Arztbesuches eine Beratung per Internet (Skype) erfolgt. Die Entwicklungsperspektive, die mit der Verallgemeinerung der Plattformökonomie einhergeht, erklärt, neben finanzkapitalistischen Spekulationen, die teilweise extrem hohen Marktwerte von Internet- bzw. Plattformunternehmen. Diese Plattformökonomie durchläuft mehrere Stufen. In der ersten Stufe ging es um Netzwerke und Partnerschaften zwischen Unternehmen, gemeinsame Entwicklungsprojekte zwischen selbstständigen Einzelkapitalen. Die Plattformen waren die verbindenden Adern der Produktion und Zirkulation von Einzelkapitalen sowie der massenhaften Ansprache von Konsumenten. Die vielen Einzelkapitale führten die Entwicklung dieser Infrastruktur selbst als profitables Geschäft durch. Der Datenverwertung durch Werbung werden in der zweiten Stufe die netzwerkbasierten Dienstleistungen als Bezahlangebot folgen. Damit dürfte klar sein, dass die Marktallokation nicht untergraben wird, selbst wenn Netzwerkbetreiber zu Beginn Gratisangebote machen. Das heißt auch nicht, dass hier eine quasi immaterielle Produktionsweise entsteht. Es wird missachtet, dass die Plattformökonomie an ihrer Basis hochentwickelte materielle Infrastrukturen wie Rechner/Server, Übertragungsnetze und Endgeräte beinhaltet, die erhebliche Mengen gesellschaftlicher Arbeit verkörpern, diese Infrastruktur wird zu einem Träger der Produktivkräfte. Die aus der Mikroelektronik und Internet entspringenden Produktivkräfte haben insoweit eine neue Qualität, als die Vernetzung selbstständiger Marktakteure die bisher bestehenden Grenzen der marktwirtschaftlichen Ressourcenallokation überwindet, national und international. Früher war das nur im fordistischen Mischkonzern mit hoher Fertigungstiefe möglich, was verschiedene Probleme hervorrief, zum Beispiel die Kostenzurechnung erschwerte, zu Fehlentscheidungen bei der Fortführung einer Produktlinie führte und eine Ausuferung bei der Hierarchisierung der Organisation hervorrief. Diese Defizite der unternehmensinternen Kostenoptimierung werden heute durch Marktpolitik umgangen, das heißt, durch Aufspaltung von Betrieben bzw. Betriebsteilen und danach ihre Verselbstständigung (Profit-Center). Sie sind entscheidungsautonom und Marktprozessen unterworfen. „ Make or buy“ ist die Devise, das heißt, nach dem Outsourcing wir die Fremdleistung bei neuen Anbietern neu eingekauft. Fixe Kosten werden in variable Kosten verwandelt. Es ergeben sich Produktivitätseffekte durch Spezialisierung. Schon Marx wies darauf hin, dass im Innern des Unternehmens planmäßig gearbeitet wird während außerhalb einer regellosen Willkür herrsche, die im Barometer der   Warenpreise wahrnehmbar sei. Heute wird die Marktallokation genutzt, die an sich naturwüchsig abläuft, für die Reduzierung von Verlusten an Arbeitszeit, die nicht im Preis vergütet wird. Dadurch werden die Akteure zur Verringerung ihrer nicht im Marktpreis vergüteten Arbeitszeit angespornt. Das schließt trotzdem nicht aus, dass durch Krisen massenhafte Entwertungsprozesse von Kapital und Arbeit vollzogen werden.

Es muss klar sein, dass zwischen Problemen aus den neuen Produktivkräften und ihrer Anwendung zu unterscheiden ist. Die informationelle Vernetzung ist insoweit der Nukleus eines neuen Rationalisierungsparadigmas, erfolgt aber immer über den Primat der Marktallokation. Es kommt weiter zu Deformationen trotz neuer Rationalisierungsparadigma. Einerseits dadurch, dass die großen Unternehmen den Vorlieferanten die Preise diktieren und andererseits wegen der Konkurrenz verschiedener Internetplattformen, bei der eine oder wenige Plattformen ihre Marktmacht ausnutzen. Dadurch werden Entwicklungspotentiale ausgehöhlt.  Trotz all dieser Probleme können Kapitalbindungen reduziert, gemeinschaftliche Netzwerke und vorhandene Produktionsmittel besser genutzt und Kosten gesenkt werden. Daraus folgt, dass auch die nationale durchschnittliche Profitrate steigen kann, wenn eine erhebliche Kostenreduktion gelingt. Die Automatisierung erhält einen besonderen Anstoß, die Steuerung von Einkauf, Lagerhaltung, Fertigung und Absatz werden weitergetrieben. Auch komplizierte Tätigkeiten im Finanzsektor werden automatisierbar.

Allerdings gilt bei alledem, die Grenzen der Digitalisierung im Blick zu halten. Jeder noch so ausgeklügelte Algorithmus kann nicht die Spezifik menschlicher Arbeit ersetzen, denn sie besteht nicht nur aus der bewussten Wahrnehmung der Außenwelt, sondern auch aus der ideellen Antizipation ihrer Ergebnisse. (kreative und wissenschaftliche Entwicklungsarbeit). Es kommt hinzu das Arbeit immer gesellschaftlich bestimmt ist. Mit dem Ausweis dieser Eigenschaften wird auch der Bezug zur Werttheorie hergestellt und die Gültigkeit der Wertbestimmung durch gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, insbesondere durch die Unterscheidung von einfacher und komplizierter Arbeit. Hier ist das Vehikel um die Wertschöpfung zu steigern. Selbst bei einer totalen Automatisierung der Produktion und einem kompletten Wegfall einfacher Arbeiten wäre die wissenschaftliche Arbeit als nationale Gesamtarbeit einzuordnen in die vielen Nationalarbeiten auf dem Weltmarkt, Sie wäre Arbeit, die erhebliche Surplusprofite hervorriefe im internationalen Maßstab. Das ist aber noch Zukunftsmusik, aus heutiger Sicht rufen vernetzte Arbeitsprozesse verschiedene Folgen hervor:

1.Die Cloud- und Clickworker können an verschiedenen Orten der Welt tätig werden.

2.Es vollzieht sich eine Fragmentierung der Belegschaft

3.Arbeitsplätze im Büro können individuell verlegt werden (Home-Office)

4.Es entstehen erhöhte individuelle Spielräume was den Ort und die Einteilung der Arbeit angeht mit der Gefahr der Sebstausbeutung

Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit einer erweiterten Mitbestimmung der Beschäftigten, die durch Beteiligung am Produktivkapital abzusichern ist. Damit kommt man allerdings zu den ökonomisch entscheidenden Fragen der kapitalistischen Produktionsweise. Wie jede Steigerung der Produktivkräfte wirkt auch die Netzwerkökonomie als Einsparung der lebendigen Arbeit und auch als eine gesamtwirtschaftliche Einsparung von fixem Kapital. Im Gesamtergebnis wird die allgemeine Mehrwertrate gesteigert, vermindert den Vorschuss an konstantem Kapital. Das sind Gegenkräfte gegen den Fall der nationalen Durchschnittsprofitrate. Es hat sich allerdings anhand der Entwicklung der verschiedenen nationalen Profitraten gezeigt, dass Umverteilung zu Gunsten der Profite, vermehrte absoluten Mehrwertproduktion und eine Verlangsamung der Produktivitätssteigerung nur zu einer Stabilisierung der Profitrate auf niedrigem Niveau geführt hat.

Eine konsumgestützt Nachfragebelebung durch die Geldpolitik der Zentralbanken und Aufblähung des fiktiven Kapitals würde auf Dauer zu einer Kernschmelze im Kredit- und Bankensystem führen und zur Diskreditierung der Repräsentativgeldwährungen. Insoweit ist die Weltwirtschaft an einem historischen Knotenpunkt. Neue Produktivkräfte sind vorhanden, die kapitalistische Produktionsweise hemmt jedoch sowohl ökonomisch durch niedrigere Profitraten als auch gesellschaftlich (arbeitspolitisch, politisch, sozial- und klassenstrukturell) eine höhere Betriebsweise. Es kommt hinzu, dass weltpolitisch weder die USA, noch China und die EU in der Lage sind, eine Hegemoniestellung zu stellen und eine internationale Akkumulation in Gang zu bringen. Die Anforderungen, die an ein neues internationales Akkumulationsregime zu stellen sind, hat Keynes bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts formuliert:

1.Es muss eine Clearing-Union geben und eine Steuerung der internationalen Handelsströme erfolgen.

2.Es ist eine internationale Währung zu schaffen, die nicht eine nationale Währung sein kann.

3.Es muss eine Weltzentralbank geschaffen und auch eine Ausgestaltung der Internationalen Handelsagentur (WTO) mit Interventionsmöglichkeiten bei Leistungsbilanzunterschieden.

Für die EU bedeutet das, nationalistische Rückschritte zu überwinden und eine europäische Volkswirtschaft zu entwickeln. Das bedeutet auch, Abhängigkeiten von US-amerikanischen und chinesischen Netzwerken zu vermindern und eigene europäische Internetkonzerne aufzubauen. Die Weiterentwicklung der Produktivkräfte wird nur durch das Zurückdrängen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse möglich sein, ebenso wie die Profitrate als Steuerungselement. Entscheidend wird eine makroökonomische Strukturpolitik, erweiterte Mitbestimmungen der Beschäftigten und eine Wirtschaftsdemokratie in den Unternehmen sein. Es muss die Einsicht Platz greifen, dass sich die Trennung der lebendigen Arbeit von den Produktionsmitteln überlebt hat.

KAPITEL 4:

DIE LOHNARBEIT ZWISCHEN „ÖKONOMISCHER ALLTAGSRELIGION“ UND „ENORMEM BEWUSSTSEIN“, ZWISCHEN KAPITALISTISCHEM PRIVATEIGENTUM UND NEUEN WIRTSCHAFTSDEMOKRATISCHEN ASSOZIATIONSFORMEN.

Eine ausdifferenzierte Infrastruktur und ein qualifizierter Gesamtarbeitskörper sind zentral für moderne kapitalistische Gesellschaften und die subjektiv-objektiven Voraussetzungen für nachkapitalistische Produktionsverhältnisse. Es ist notwendig die Chancen systemkritischer Bewusstseinsveränderungen und die emanzipatorische Handlungsfähigkeit einzuschätzen. Dazu ist die „ökonomische Alltagsreligion“ näher darzustellen.

Für die privaten Haushalte bleibt die Lohnarbeit das strukturierende Moment ihres Lebensalltags. Auf Basis der Erwerbstätigkeit sammeln sich eine Vielzahl von sozial-kulturellen Tätigkeiten bei den Individuen an. Es gilt nun zu verstehen auf Basis der Marxschen Theorie, warum die gesellschaftlichen Individuen keinen Anstoß an den Mystifikationen von Ware, Geld und Kapital nehmen, im Gegenteil ihr Leben als Realisation ihrer Individualität begreifen. Deswegen ist hier durch die Mystifikationen hindurchzugehen und ist festzustellen, dass an der Oberfläche der Gesellschaft der Wert als Resultat des Zusammenwirkens der Revenuetitelbesitzer erscheint. In der bürgerlichen Ökonomie heißt das „Produktionsfaktorentheorie.“ Dieses Resultat geht dann wieder als Voraussetzung in die neue Runde der Reproduktion ein. Es ergibt sich das Terrain eines freien und konkurrenzbestimmten Agierens bürgerlicher Eigentümersubjekte. Mit dieser Oberflächenstruktur wird nach Marx der Brückenschlag zum Alltagsbewußtsein hergestellt. Die Transformation des bürgerlichen Bewusstseins erhält eine potenzierte Wertorientierung in Politik, Recht und Alltagsmoral. Das Alltagsbewusstsein ist allerdings dem Handeln vorausgesetzt und unterliegt historischen Veränderungen. In dem Maße, in dem wie ein gewisses Maß an Umverteilung an Lohn, Vermögen und freier Zeit durchgesetzt werden konnte, ergibt sich eine Verfeinerung der kulturellen Sphäre und der Überbauten. Es verschiebt sich das Klassenbewusstsein und verstärkt die Individualisierung.

Es gilt aber die Widersprüche des Wandels zu beleuchten, die der Neoliberalismus und der Finanzmarktkapitalismus hervorgebracht haben. Es vollzieht sich ein Marktöffnungsprozess in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen und damit eine Ökonomie der Unsicherheit. Es wird für die Arbeitskräfte ein widersprüchlicher Prozess freigesetzt, einerseits die Vorstellung freier Selbstbestimmung und damit zusammenhängend das Bewusstsein, selbst für seine Ware Arbeitskraft verantwortlich zu sein. Andererseits entpuppt sich der „Arbeitskraftunternehmer“ als dankbares Objekt neuer Über-bzw. Unterordnungsstrategien (Empowerment). Jeder ist für sich selbst verantwortlich und nicht Teil einer Klassenpolitik. Im Fordismus fand dieses Über- und Unterordnungsverhältnis noch eine soziale Ausgestaltung. Diese Strukturen werden im gegenwärtigen Finanzkapitalismus durch den weitgehenden Abbau sozialer Sicherheit zerstört. Alle Macht den Märkten gilt nun als Devise als Gegenstrategie gegen soziale Unsicherheit. Die Devise wird von der politischen Klasse ausgenutzt und noch verschärft. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es trotz Versuchen eine neue Betriebsweise aufzubauen, in Form von Lean-Production, Gruppenarbeit, Enthierarchisierung und Digitalisierung, nicht zu einer zukunftsweisenden Betriebsweise. Dagegen wurden eine neoliberale Globalisierung und Finanzialisierung hegemoniefähig, Investitionen und Nachfrageverhältnisse wurden blockiert und das Gesellschaftsbewusstsein stark beeinflusst. Versprechen der sozialen Marktwirtschaft waren nicht mehr einlösbar:

1.Das Leistungs- und Glücksversprechen wurden untergraben. Die Leistungsgerechtigkeit war mit dem Casino-Kapitalismus nicht mehr vereinbar, was besonders die Mittelschichten tangierte.

2.Die Aufstiegsversprechen wurden untergraben.

3.Die Beschäftigten erfahren Kontrollverluste über ihre Arbeit.

4.Es entstand eine Wut gegen das Establishment und rechtspopulistische Ressentiments. Propaganda gegen „unproduktive und parasitäre“ Transferempfänger

Diese Entwicklung bietet allerdings Ansatzpunkte linker Politik:

1.Die Wiedergewinnung sozialer Sicherheit ist umfassend anzugehen. Neben der Erwerbsarbeit geht es um die Qualität von Wohnen, Bildung, Mobilität und Pflege. In der Produktion geht es um die Verwirklichung wirtschaftsdemokratischer Verhältnisse.

2.Die Beschäftigen und die Akteure allgemein können die größere Verantwortung in der Lohnarbeit befördern, indem sie die Trennung von den Bedingungen ihrer Arbeit aufheben.

Die Frage ist, ob sich das formationstheoretisch begründen lässt?

Die Spezifizierung der kapitalistischen Produktionsweise besteht darin, dass das erste Mal in der Geschichte die ungehemmte Entwicklung der Produktivkräfte die Voraussetzung der Gesellschaft darstellt. Das ist das Produktionsgesetz des Kapitals, das heißt, die Schaffung der größtmöglichen Surplusarbeit ohne Rücksicht auf die Schranken des Marktes. Es wird disponible Zeit geschaffen, an der auch Lohnabhängige in gewissem Maße partizipieren. Aber die Bedingungen, unter denen diese Resultate erzielt werden, drängen nach alles Seiten zur Auflösung kapitalistischer Eigentumsgesetze und der entsprechenden Eigentumsvorstellungen. Die Proklamierung der Vorstellung im Kapitalismus „Eigentum entsteht durch Arbeit“ wird immer schwieriger. Der Zugang, Aneignung und Weiterentwicklung der Produktivkräftekönnen sich auf Dauer nicht auf Basis fremdbestimmter Eigentumsverhältnisse entstehen. Deshalb kann und muss eine gesellschaftliche Aneignung des Eigentums vollzogen werden.

Eigentum ist eine zentrale Kategorie in der Analyse, Selbstbeschreibung und Legitimation bürgerlicher Gesellschaften. Das gilt nicht nur für die Produktionsverhältnisse, sondern auch viele andere Lebensbereiche, Recht, Familie, Kunst usw. Der Aufstieg des Neoliberalismus seit Ende der 70er Jahre hat konsequent das Eigentum ins Zentrum der Betrachtung gestellt (Ownership-Society). Spätestens seit der Finanzkrise 2007 gerät diese Vorstellung in einen Legitimationsnotstand.

In der Marxschen Theorie erweist sich die bürgerlich-kapitalistische Eigentumsform als historische Durchgangsform. Sie schafft die Bedingungen für eine höhere Eigentumsform und eine Pluralität von Eigentumsformen bedingt durch die Kreditverhältnisse. Der Kapitalismus gerät in eine Legitimationskrise, weil der Zusammenhang von Arbeit-Leistung-Einkommen-Aneignung und Eigentum immer wieder aus den Fugen gerät. Deswegen kommt es, selbst bei Linken, häufig zum Rückgriff auf Ludwig Erhard mit der Forderung „Wohlstand für alle.“ Im Gegensatz dazu geht Marx so weit, im Kredit und Aktiengesellschaften Ansatzpunkte zu sehen, um weitergehende Veränderungen der kapitalistischen Produktionsweise einzuleiten. Es entwickeln sich Punkte der Rückverwandlung des Kapitals in das Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Eigentum vereinzelter Produzenten, sondern als Eigentum assoziierter Produzenten. Eigentum bleibt allerdings zentral im Bewusstsein des Alltags. Die Herausforderung besteht nun darin, das emanzipatorisch zu verändern. Auf diesen Knotenpunkt in der kapitalistischen Betriebsweise muss sich die Transformationskonzeption einer alternativen Wirtschaftspolitik beziehen: ökologischer Umbau, ressourcensparende Produktqualität, Gruppenarbeit und die Enthierarchisierung sind nur durch die Emanzipation der assoziierten Arbeit auf betrieblicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene zu haben. Es hat die Stunde des kapitalistischen Eigentums geschlagen. Sie stellt sich dar als Konflikt zwischen nach Wirtschaftsdemokratie strebenden Belegschaften und durch die Dominanz der Vermögensbesitzer verriegelten Unternehmenssteuerung und des Kampfes gegen eine Ökonomie der Unsicherheit. Das heißt allerdings nicht, zurück zum Fordismus sondern den Kampf gegen den Finanzkapitalismus und für Wirtschaftsdemokratie  in Betrieb und Gesellschaft. n n});