Rettung des Kapitalismus aus dem Nichts?

26. September 2019  Allgemein

DIE MODERN MONETARY THEORY (MMT) -RETTUNG DES KAPITALISMUS AUS DEM NICHTS?

Michael Paetz und Dirk Ehnts, zwei führende Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) in der Bundesrepublik, gehen davon aus, dass diese Theorie eine realistische Beschreibung des heutigen Geldsystems liefert „statt einer artifiziellen Darstellung, wie sie in akademischen Kreisen oft üblich ist.“ (1) Im Gegensatz dazu beschreibe die MMT ein Wirtschaftssystem, das auf Geld und Kredit basiere und ziehe daraus konsequente Schlüsse. Schon an dieser Stelle ist aus Sicht der Marxschen Theorie zu bemängeln, dass das ökonomische System von einer entwickelten Ebene des Geld- und Kreditsystems und nicht von seiner ökonomischen Grundlage aus angegangen wird. Der Grundgedanke der MMT ist, dass das Geld ein Geschöpf der staatlichen Rechtsordnung darstelle. Die ökonomische Grundlage des Geldes aus Sicht der Marxschen Theorie ist allerdings der Warenaustausch. Wenn eine solche Herangehensweise an das Geld unterlassen wird, landet man sehr schnell beim Geld- und Kreditsystem als Grundlage der Wertschöpfung. Marx zeigt dagegen auf, das Wert und Geld in der kapitalistischen Gesellschaft ausdrücken, in welcher Weise in dieser Gesellschaft Arbeit verausgabt wird. Geld entsteht nach Marx dadurch, dass im Rahmen des Warenaustausches unbewusst eine Ware ausgeschlossen wird, in der alle anderen Waren ihren Wert darstellen können (allgemeines Äquivalent). Durch staatliche Festlegung wird erst später die gesellschaftliche Gültigkeit des allgemeinen Äquivalents sanktioniert. Waren sind als Gebrauchswerte und Werte Produkte des doppelten Charakters gesellschaftlicher Arbeit. Als konkret-nützliche Arbeit bringt sie einen Gebrauchswert hervor, z.B. Konsumtionsmittel oder Produktionsmittel. Gleichzeitig ist sie Teil der gesamtgesellschaftlichen Arbeit, die im Wert ihren Ausdruck findet. Der Wert allerdings ist eine gesellschaftliche Eigenschaft und als solcher nicht direkt an der Ware erkennbar, sondern muss   in einer anderen Ware mit Selbstwert ihren Ausdruck finden. Das war in der Geschichte vorwiegend die Ware Gold. In jeder Gesellschaft muss die gesellschaftliche Arbeit auf die gesellschaftlichen Bereiche und Bedürfnisse verteilt werden und in der warenproduzierenden kapitalistischen Gesellschaft ist es der Austausch von Waren mit ihren Werten, der diese Aufgabe zu erfüllen hat. Kritiker dieser Sichtweise meinen, die Marxsche Sichtweise sei heute obsolet geworden, da das Geld- und Kreditsystem eine erhebliche Regulation erfahren habe. Deswegen ist es Aufgabe von Marxisten heute, die Vermittlungsglieder von der Geldware mit Selbstwert, zum Beispiel Gold, zum goldinkonvertiblen Repräsentativgeld und zum Buchgeld bei der Zentralbank und bei den Banken heute aufzuzeigen (2).

Die MMT hält sich jedoch nicht damit auf, dieser Vermittlung nachzugehen, sondern beginnt gleich mit dem modernen zweistufigen Geldsystem aus Zentralbank und Banken. Banken schaffen dabei Giralgeld (Sichteinlagen) und die Zentralbanken führen die Konten mit den Reserven der Banken. „Beide entstehen per Buchungssatz aus dem Nichts.“(3) Das bedeutet für die Anhänger der MMT, dass die Regierung und die Zentralbank „ daher an der Spitze der Geldhierarchie stehen (P.B.) und sind die Schöpfer des Geldes…Der deutsche Ökonom Georg-Friedrich Knapp erkannte bereits 1905, dass Geld nichts weiters als ein Geschöpf der Rechtsordnung ist, welches dem Zweck der Steuerzahlung dient.“ (4) Es seien also nicht die Steuern, die die Ausgaben des Staates finanzierten, sondern die Ausgaben des Staates finanzierten die Steuerzahlung, indem sie erst die nötigen Einkommen schüfen. Die Regierung habe die Macht dazu, indem sie die Zahlungsmittel einfach durch die Zentralbank herstellen lasse. Diese „Lösung“ der Probleme des Kapitalismus und des Staates ist allerdings nur möglich, wenn der Vermittlung von der Geldware mit Selbstwert bis zum heutigen Geld- und Finanzsystem nicht nachgegangen wird und bestimmte Kausalbeziehungen auf den Kopf gestellt werden. Es wird von der MMT bestritten bzw. gar nicht betrachtet, dass die Warenzirkulation und der Kapitalumschlag die bestimmenden Größen der Geldzirkulation sind. Sofern überhaupt zur Produktion zurückgegangen wird, ist es „konsequent, wenn Produktion nur noch als stofflicher Vorgang zur Herstellung von Gebrauchswerten aufgefasst wird; diese Gebrauchswerte erhalten ihren Preis erst aufgrund von Konstellationen innerhalb der Finanzsphäre…“(5) Das Finanzsystem erhält seine Mittel durch Geldschöpfung, das heißt die Zentralbank, die Banken und der Staat schaffen sich die Mittel selbst, die die Unternehmen am Laufen halten und die Grundlage für eine massive  Ausweitung der staatlichen Ausgaben bilden. Im Kapitalismus können damit alle Probleme gelöst werden, es gibt auch keine Probleme der Akkumulation des Kapitals, die nicht durch Geldschöpfung zu bereinigen wären. Diese Sichtweise entspricht der Auffassung des Ökonomen Joseph Schumpeter, der die Geldschöpfung aus dem Nichts zur Grundlage der kapitalistischen Entwicklung erklärte. Auf dieser Basis, die die MMT teilt, kann dann davon ausgegangen werden, dass für eine fortschrittliche Politik keine Finanzierungsprobleme, sondern nur noch Kapazitätsprobleme der Volkswirtschaft bestehen. Entscheidend sei vor allem, dass die Finanzpolitik eine Wende vollziehe und sich vor allem auf Staatsausgaben im Green New Deal konzentriere. „Probleme werden nur dann auftreten, wenn die Ökonomie hierdurch ihre Kapazitätsgrenze erreicht, obwohl eine weitere Ausweitung der Ausgaben notwendig ist.“ (6) Stephanie Kelton, die Beraterin von Bernie Sanders und Vertreterin der MMT, kann dann formulieren: „Die Idee einer Kampagne muss sein, Lösungen für die größten Herausforderungen der amerikanischen Wirtschaft anzubieten…Bernie Sanders will nicht die kleinen Dinge flicken. Er versteht, wie schlimm die Ungleichheit im Land ist. Dazu kommen Armut, Klima und Studienschulden.“(7) Als weitere Probleme benennt Kelton die Probleme der Krankenversicherung, Kinderbetreuung und anderer Sozialleistungen und vor allem den vollständigen Abbau der Arbeitslosigkeit, die durch Staatsausgaben zu finanzieren seien. Da es nach der MMT grundsätzlich keine Finanzierungsprobleme gebe, bedürfe es nur eines radikalen Wandels in der Finanzpolitik.

Aus marxistischer Sicht ist es natürlich notwendig, dass in all diesen Bereichen ein Wandel vonstattengehen muss. Die Grenzen werden allerdings durch die kapitalistische Produktionsweise und ihre Gesetzmäßigkeiten gesetzt. Die MMT ist ein klassisches Beispiel für begriffslose Anleihen bei Knapp bzw. Schumpeter ohne auf die Akkumulationsgesetze des Kapitals einzugehen. Es ist deshalb dringend notwendig, die Vermittlung von Geld, kapitalistischer Produktion, Zirkulation und Gesamtprozess, vor allem auch die chronische Überakkumulation seit den 70er Jahren in den Fokus zu nehmen. Auf dieser Basis gilt es dann, tiefgehende Eingriffe in unsere Wirtschaftsordnung vorzunehmen.

Hervorragende Arbeiten zu dieser Aufgabe hat inzwischen u.a. Stephan Krüger vorgelegt (8). Er geht davon aus, dass die Anleihen bei Schumpeter dazu führen, dass ökonomische Kausalbeziehungen auf den Kopf gestellt werden, was auch für die MMT gilt. Stephan Krüger differenziert und sieht einen Unterschied zwischen der Geldschöpfung der Banken und der der Zentralbank. Es sei falsch beides gleichzusetzen. Die Geldschöpfung der Banken hängt ab von der Bargeldquote, dem Depositenumfang und vor allem der Zentralbankpolitik. Die Zentralbank ist in ihrer Politik nicht unabhängig, sondern wird durch Märkte regiert. Krüger unterscheidet zwischen der Zirkulation von Wertzeichen, bei der die Devisenbilanz und die Marktzinssätze bestimmend sind und der Zirkulation des Kreditgeldes. Die Steuerung der Geldmenge versucht die Zentralbank durch ihre Kreditpolitik. Hier muss auf die Geldbestimmungen bei Marx verwiesen werden. Zentralbanknoten sind von ihrer Genesis her Kreditgeld. Sie haben heute als goldinkonvertible Noten Merkmale eines Wertzeichens, das die Zirkulation nicht mehr verlässt im Gegensatz zum eigentlichen Kreditgeld, das einem Refluxgesetz gehorcht. Es ist also zu unterscheiden zwischen Wertzeichenzirkulation, die durch Erstausstattung., Währungsreserven und Devisenbilanz variiert wird und der Kreditgeldzirkulation, die von der Offenmarktpolitik der Zentralbank abhängt. Die zentrale Währungsbehörde versucht durch Offenmarktpolitik die Geldmenge zu steuern. Die Geldmenge wird also nicht autonom durch die Zentralbank bestimmt, sondern durch die Marktverhältnisse, das heißt, durch die Akkumulation des produktiven Kapitals, Geldkapitals und fiktiven Kapitals (Wertpapiere). Die Zentralbank wirkt durch ihre Kreditpolitik auf die Geschäftsbanken ein und diese wiederum sind abhängig vom Publikum (Depositen) und der Kreditnachfrage von Privaten, Unternehmen und des Staates. Historisch erfolgt die Entwicklung des Repräsentativgeldes auf Basis der Goldware, die dann durch Noten und Buchgeld ersetzt wird. Die Wertzeichen dominieren dann weiter die Kreditgeldzirkulation. Das Zentralbankgeld insgesamt dominiert schließlich die Bankdepositen.

Die Waren treten preisbestimmt in die Zirkulation ein, die Preise richten sich nach den Kosten und einem Profitaufschlag und erhalten erst später durch die gesellschaftliche Nachfrage ihre Bestätigung oder eben auch nicht. Schumpeter geht im Rahmen des Konjunkturzyklus von einem Kredit-Investitions-Einkommens-Mechanismus aus. Dieser Mechanismus ist auch bekannt von Keynes als kumulativer Expansionsprozess (Witwenkrug). Stephan Krüger ist der Auffassung, dass sich dieser Expansionsprozess nur verwirklicht, wenn sich die Akkumulation des Kapitals in einer Aufschwungsphase befindet. Der Mechanismus von Schumpeter kommt zum Ende, wenn die zyklische Krise hereinbricht. Dann macht sich wieder die Abhängigkeit der Investitionen von den Profiten und dem Konsum geltend. Neben der kurzfristigen Entwicklung des Kapitals ist die langfristige Entwicklung durch die Verschiebung der zugrundeliegenden Wertentwicklung zu erklären. Die Zentralbank bzw. der Staat scheinen jede Krise durch Geldschöpfung lösen zu können. Dem widerspricht allerdings, dass im Prosperitätszyklus der 50er und 60er Jahre die Geldschöpfung in inflationäre Prozesse umschlägt, wenn die Kapazitätsgrenzen erreicht sind. Im Überakkumulationszyklus ab den 70er Jahren stößt die Geldpolitik auf verwertungsbedingte Grenzen der Kreditnachfrage der Unternehmen und der Einkommensgrenzen der Haushalte. Stephan Krüger meint deswegen, es wäre besser, wenn eine staatliche Stützung der Investitionen oder eine ganz- oder teilweise Übernahme der Investitionen vollzogen würde. Hier trifft sich die Position Stephan Krügers mit der der MMT. Das würde allerdings schon an die Grenze der kapitalistischen Produktionsweise insbesondere des Finanzkapitalismus herangehen.

 Die Zentralbanken versuchen augenblicklich mit der Niedrigzinspolitik und einem massiven Ankauf von Wertpapieren das Finanzsystem zu stabilisieren (quantitative Easing). Es soll Zeit gekauft werden, damit Banken toxische Portfolios wertberichtigen können. Außerdem sollen auf diese Weise produktive Investitionen erhöht werden. Das Problem dieser Zentralbankpolitik ist allerdings, dass diese Politik durch die Austeritätspolitik der Eurostaaten, vor allem der Bundesrepublik, konterkariert wird. In der Konsequenz fließen massiv Gelder auf die Vermögensmärkte (Wertpapiere und Immobilien). Die Geldpolitik steckt somit in einem Dilemma: Entweder Ausstieg aus der Politik des quantitative Easing um die Blase bzw. befürchtete Blase an den Vermögensmärkten zu verhindern bei gleichzeitiger Verschärfung deflationärer Tendenzen an den Warenmärkten oder Fortsetzung der lockeren Geldpolitik, mit der Gefahr neuer Vermögensblasen und des Zusammenbruchs der Finanzmärkte. Ein solcher Zusammenbruch kann zur Demontage der Repräsentationswährungen, insbesondere des US-Dollar, führen und zu einer Rückbindung des Währungssystems an das Gold. Keynes hatte das bereits als Rückfall in die Barbarei bezeichnet. Will man aus diesem Dilemma herauskommen, ist eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise, der Aufbau einer Weltzentralbank und eine Demokratisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen angesagt. Diese Perspektive wird von der MMT nicht aufgezeigt, weil das Finanzsystem und die aktuelle Wirtschaftsordnung aus ihrer Sicht durch Geldschöpfung erhalten werden kann, gewissermaßen eine Rettung aus dem Nichts. Es zeigt sich, wie eine weitergehende gesellschaftliche Perspektive durch einen Mangel in der Auffassung des Geld- und Kreditsystems und des Kapitalismus insgesamt aus dem Gesichtskreis verloren gehen kann.

(1) Siehe: Sozialismus Heft 9/2019 S.5

(2) Siehe: Stephan Krüger Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr.104 S.87-99

(3) Siehe: Sozialismus Heft 9/2019 S.5

(4) Siehe: a.a.O. S.6

(5) Siehe: Stephan Krüger a.a.O.S.89

(6) Siehe: M.Paetz und Dirk Ehnts Sozialismus 9/2019 S.10

(7) Siehe: Sozialismus Heft 9/2019 S.4

(8) Im Folgenden wird die Argumentation Stephan Krügers in Marxistische Erneuerung Nr104 S.87-99 zugrunde gelegt.