Inflation und Corona

16. September 2020  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

                              MIT EINEM „WUMMS“ IN DIE INFLATION?

Die Bundesregierung hat in der Corona-Krise mit 1,2 Billionen Euro das größte Hilfsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik aufgelegt. Nachdem die Bundesregierung zuerst das Ziel verfolgte, Arbeitsplätze zu erhalten, den Fortbestand von Unternehmen zu sichern und krasse soziale Notlagen zu vermeiden, sollte es dann darum gehen, die bundesdeutsche Wirtschaft wieder auf einen Wachstumskurs zu bringen. Der Bundesfinanzminister Scholz wollte mit einem „Wumms“ die Krise überwinden. Das aufgelegte Programm zielte sowohl auf Nachfrage- und Konsumimpulse als auch gezielte Förderung von Zukunftsinvestitionen. „Offen ist in zentralen Punkten, ob die beabsichtigten Wirkungen erreicht werden können. Offen ist ebenfalls, wie der Bundesfinanzminister einräumt, die Gegenfinanzierung.“ (1) Klar war von Anfang an, dass die Schuldenbremse nicht eingehalten werden konnte, also ein Nachtragshaushalt nötig werden würde. Bemerkenswert war, wie schnell sich etablierte PolitikerInnen von ihren Dogmen, zum Beispiel dem Dogma der schwarzen Null, verabschiedeten. Finanzminister Scholz kalkuliert für 2020 mit einer Rekordsumme von 218,5 Mrd. Euro an zusätzlichen Schulden. „Strittig ist diese Politik, weil befürchtet wird, dass daraus langfristig das Potenzial für höhere Inflationsraten ansteigt.“ (2) Hier handelt es sich normalerweise um ein Standardargument der Neoklassik oder des Ordoliberalismus, doch auch bei einigen Marxisten wird eine Inflationsentwicklung befürchtet.

Conrad Schuhler schreibt in einem Aufsatz für das Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung ( ISW) im Juli 2020: „ Zwar ist die allgemeine Inflation von Gütern und Diensten im Korridor von 1% bis 2% (und tiefer)  verlaufen, doch sind die Preise der Vermögensgüter beträchtlich gestiegen. Im letzten Jahrzehnt brachte es die Gesamtwirtschaft auf ein Wachstum nahe bei Null -langfristig Stagnation- doch schafften die Vermögenswerte ein Vielfaches davon.“ (3) Schuhler plädiert demgegenüber für eine Politik, die die kaufkräftige Nachfrage der Konsumenten stärkt. Abzulehnen sei die im Corona-Hilfsprogramm vorgenommene Senkung der Mehrwertsteuer. Sie sei unwirksam, auch weil letztlich die Unternehmen entschieden, wer in den Genuss der Steuersenkung komme. Schuhler stellt für das Hilfsprogramm von 130 Mrd. Euro ein Missverhältnis „von zugeschossener Geldmenge (gesunkener Steuer) und zusätzlichem Produkt (fest P.B.) – die klassische Inflationsursache.“ (4) Sein Fazit lautet: „Enorme Erhöhung der Geldausgaben; erster Nutznießer sind die Unternehmen; der Ausbau an Gütern und Diensten ist relativ bescheiden, die Inflationsgefahr damit hoch.“ (5) Schuhler wendet sich vor allem gegen die Art der Finanzierung des Hilfsprogramms der Bundesregierung, er zweifelt vor allem an der Äquivalenz von Geldmenge und dem Output an Gütern und Diensten. Statt der Geldschöpfung durch Staatskredite plädiert er für die Transformation der Wirtschaft durch Besteuerung hoher Vermögen und einen Lastenausgleich zu Gunsten der BürgerInnen mit geringem oder fehlendem Vermögen. In der letzten Instanz müsse es darum gehen, den Kapitalismus abzulösen.

Michael Wendl formuliert in einem Aufsatz beim ISW eine Kritik an der Sichtweise Conrad Schuhlers. Es geht ihm um die Frage: Inflation oder Deflation? „Die Vorstellung, auf der diese Inflationsangst basiert, ist einfach. Sowohl die expansive Geldpolitik der Zentralbanken wie die groß dimensionierten Ausgabenprogramme der Regierung fluten die Märkte mit zusätzlichem Geld. Damit übersteige die zahlungsfähige Nachfrage das Angebot an Gütern und Dienstleistungen und führe dadurch zu enormen Preissteigerungen.“ (6) Nach Wendl stützt sich Schuhlers Spekulation auf die sogenannte Quantitätstheorie des Geldes. Das bedeutet, die steigende Geldmenge führe aus dieser Sicht zu steigenden Preisen und nicht zu steigenden Mengen. Geld werde als neutral eingeschätzt und habe keine Auswirkung auf den realen Sektor. Auch die Geldschöpfung durch die Zentralbanken führe nur zum Anstieg des Preisniveaus. Wendl sieht das allerdings grundsätzlich anders. „Die Annahmen, dass es zwangsläufig zu einer Inflation, manche sprechen sogar von einer Hyperinflation, kommen muss, sind durch eine nicht zutreffende Sicht auf die Verfahren der Kredit- und Geldschöpfung durch das zweistufige Bankensystem gekennzeichnet.“ (7) Wendl ist der Auffassung, die Banken seien auf Einlagen der Sparer nicht angewiesen, weil sie sich durch Kreditvergabe die Einlagen selbst schafften. Über die Konten bei der Zentralbank wickelten die Geschäftsbanken ihre gesamten Transaktionen ab. Eine Inflation könne nur entstehen, wenn die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen das Angebot übersteige und die Produktion nicht elastisch reagiere. „Geld entsteht daher endogen durch die Nachfrage nach Krediten. Nur wenn mehr Kredite nachgefragt werden, erhöht sich die Geldmenge. Dann wird mehr investiert und konsumiert. Damit erhöht sich aber auch das Produktionspotential.“ (8)

Wendl kommt zu folgendem Schluss: „Insofern gehen von der aktuellen zusätzlichen Staatsverschuldung keine inflationären Impulse aus.“ (9)

Dass auch traditionelle marxistische Analysen eine expansive Geldpolitik mit der Gefahr einer Inflation verknüpfen, sieht Michael Wendl in der Vernachlässigung der Rolle von Geld und Kredit durch die meisten Marxisten. Wendl schließt sich in der Frage der Geldschöpfung von Banken dem bürgerlichen Ökonomen Joseph Schumpeter an, bei dem die Geldschöpfung quasi aus dem Nichts erfolgt, das heißt, durch Staat und Banken. Insoweit ist Wendl bei der modernen Geldtheorie (MMT) gelandet.

Dieser theoretischen Position widerspricht Stephan Krüger. Ob Wendl ihn dem traditionellen Marxismus zuordnet, muss dahin gestellt bleiben. Stephan Krüger zeigt, dass gerade von marxistischer Seite eine aktuelle und nachvollziehbare Ableitung des kapitalistischen Geld- und Kreditsystems erfolgen muss und bewerkstelligt werden kann (10).                                                                                            Krüger beginnt seine Nachzeichnung der Evolution des kapitalistischen Geld- und Kreditsystems mit der Warenzirkulation und der Geldware mit Selbstwert als Grundlage. Die Geldware Gold bildet dabei den Ausgangspunkt. Inzwischen habe bis heute eine fortschreitende Idealisierung der Geldware Gold im nationalen und internationalen Rahmen stattgefunden. Es sei allerdings daran festzuhalten, was Marx im „Kapital“ (Bd.3) formuliert habe. Es dürfe „nie vergessen werden, dass das Geld- in der Form der edlen Metalle-die Unterlage bleibt, wovon das Kreditwesen von der Natur der Sache nach nie loskommen kann.“ (11) Krüger will auf dieser Basis die zeitgenössischen Formen des Geldes und Kredits erschließen.

Er stellt die nach wie vor gültigen Beziehungen und Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise folgendermaßen dar:

1.Die Waren treten preisbestimmt in die Zirkulation ein. Das heißt auch, dass der Wert der Waren nachfrageinduzierte Veränderungen erhält.

2. Der Umfang der zirkulierenden Waren bestimmt die Geldzirkulation. Die Quantitätstheorie des Geldes richtig dargestellt beinhaltet einen rückwirkenden monetären Einfluss des Geldsystems auf die Warenpreise. Die Verkehrsgleichung des Geldes ist zu modifizieren. Das heißt, die gesamtwirtschaftliche Preissumme bestimmt die Geldmenge. Soweit die Geldmenge in der Form von Wertzeichen zirkuliert, besteht eine monetär induzierte Rückwirkung auf die Preise. (12)

3. Die Kapitalakkumulation erhält ihre Dynamik aus der Mehrwertproduktion und ihren Gesetzmäßigkeiten und nicht aus der Verwertung des Geldkapitals. Es besteht allerdings eine Wechselwirkung ungleicher Kräfte.

4. Der Finanzsektor ist ein abgeleiteter Sektor gegenüber der reproduktiven Basis des industriellen und kommerziellen Kapitals.

5. Die langfristigen Verselbständigungstendenzen des Finanzsektors werden bestimmt durch den immanenten Widerspruch der kapitalistischen Mehrwertproduktion (Rate und Masse des Mehrwerts). Die beschleunigte Kaptalakkumulation wird abgelöst durch die strukturelle Überakkumulation.

6. Der aktuelle Finanzmarktkapitalismus ist die bisher weitestgehende Verselbständigung. Es wird versucht, die Wertschöpfung durch Verschuldung zu stabilisieren.

Die auf die forcierte Geldschöpfung angelegte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) schlägt im Prosperitätszyklus nach dem 2.Weltkrieg in inflationäre Prozesse um, wenn die Kapazitätsgrenzen der Unternehmen erreicht sind. Im Überakkumulationszyklus seit der Mitte der 70er Jahre kommt es zu verwertungsbedingten Grenzen der Kreditnachfrage der Unternehmen und zu Einkommensgrenzen der Haushalte. Daraus folgt eine Umleitung der Kapitalströme auf die Finanzmärkte und die Bildung von Vermögenspreisblasen. Diese Entwicklung ist nicht zu beenden, wenn die Verwertungsblockaden der strukturellen Überakkumulation nicht aufgelöst werden. Die Entwicklung des Kapitalismus stößt an seine Systemgrenze.

Die Frage ist, wie sich die Geldpolitik der Flutung der Finanzmärkte durch den Ankauf von Wertpapieren (Staatspapieren) durch die Zentralbanken (Quantitative Easing) langfristig auswirkt. Es entsteht unter Überakkumulationsbedingungen das Problem, dass weniger reproduktive Mengeneffekte als vielmehr Preiseffekte im Vermögenssektor mit negativen Rückwirkungen auf den reproduktiven Sektor erzeugt werden. Die expansive Geldpolitik wurde vor der Corona-Zeit konterkariert durch die Austeritätspolitik und Schuldenbremsen der Eurostaaten. Nun aber wird nach Corona auf lange Sicht die Verschuldungspolitik nicht endlos weitergeführt werden können, insbesondere dann, wenn die Verwertungsblockaden die Wertschöpfung hemmen. Die Zentralbanken stecken in einem Dilemma:

„verlangsamte produktive Kapitalakkumulation mit latenter Deflationsgefahr an den Warenmärkten und zugleich eine Inflation der Wertpapierkurse mit Gefahr des Platzens der Vermögenspreisblasen.“ (13)

Die Zentralbanken können durch das Aussteigen aus dem quantitative Easing die Deflation an den Warenmärkten verstärken oder bei Fortsetzung der lockeren Geldpolitik einen Krach an den Finanzmärkten riskieren. Stephan Krüger sieht die Gefahr eines Umschlages des Kapitalismus in die Barbarei, insbesondere bei entsprechenden weltpolitischen Konstellationen. Die wirkliche Lösung der Probleme könne nur darin bestehen, die Bedeutung der Profitrate zu relativieren, den Kapitalcharakter des zinstragenden Kapitals zu überwinden und Schritt für Schritt eine sozialistische Marktwirtschaft zu schaffen.

Conrad Schuhler kommt zwar auch zu der Schlussfolgerung, dass der Kapitalismus zu beenden sei, aber von einer theoretisch einwandfreien und logisch nachvollziehbaren Darlegung der heutigen Probleme kann bei ihm nicht die Rede sein. Nur dadurch ist sein Festhalten an der naiven Quantitätstheorie des Geldes und seine Inflationsbeschwörung zu erklären. Es ist Michael Wendl zwar zuzustimmen, dass die Heranziehung der naiven Quantitätstheorie des Geldes nicht weiterführt, aber auch er findet keinen Weg, die Quantitätstheorie des Geldes so zu modifizieren, dass sie einen Beitrag zur Erklärung der Geldmengenentwicklung und Preisentwicklung leisten kann. Wendl unterlässt es, den Weg über die Zirkulation von Waren und der Idealisierung der Geldware mit Selbstwert nachzuvollziehen und beginnt gleich mit der entwickelten Ebene des Kreditsystems. Für ihn entsteht Geld endogen durch Kredite, die zur Steigerung des Konsums und der Produktion führen mit dem Ergebnis, dass durch die zusätzliche Staatsverschuldung kein Inflationsrisiko ableitbar sei. Er landet dabei bei der modernen Geldtheorie (MMT), die in der Linken zunehmend Anklang findet. Auch sie weist einen Fundamentalfehler bei der Bestimmung des Geldes auf, es fehlt ein Rückbezug auf die Bedingungen der Kapitalverwertung und es fehlt die Unterscheidung von beschleunigter Kapitalakkumulation und struktureller Überakkumulation. Hinzu kommt die Ausblendung der Einbettung einer Volkswirtschaft in die internationale Konkurrenz.

Insgesamt gesehen kann weder bei Schuhler noch bei Wendl von einer Darstellung und Erklärung der Probleme des zeitgenössischen Kapitalismus gesprochen werden, die die Linke vor weiteren ökonomischen und politischen Irrwegen bewahren würde.

(1) Sozialismus aktuell vom 4.6.20

(2) Sozialismus aktuell vom 24.8.20

(3) Conrad Schuhler: Das Problem der schuldenfinanzierten Konjunktur:  die Umwandlung des Finanz-in Realkapital; ISW vom 6.7.20

(4) Conrad Schuhler a.a.O.

(5) Conrad Schuhler a.a.O.

(6) Michael Wendl, Inflation oder Deflation? ISW vom 6.7.20

(7) Michael Wendl a.a.O.

(8) Michael Wendl a.a.O.

(9) Michael Wendl a.a.O.

10) Der folgende Teil des Aufsatzes fasst ein Referat von Stephan Krüger zusammen: Marx/Engels Stiftung Stuttgart vom 23.11.19                                       Titel: Evolution des kapitalistischen Geld und Währungssystems-von den allgemeinen Bestimmungen des Geldes zu den entwickelten Formen von Geld, Kredit und fiktivem Kapital.

11) MEW 25 S.620

12) Siehe auch: Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr.104 S.87-99

13) Stephan Krüger a.a.O