Linke Reformpolitik und gesellschaftliche Strukturveränderungen.

26. November 2017  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Die gescheiterten Sondierungsgespräche von CDU/CSU, der FDP und den Grünen haben deutlich werden lassen, dass die etablierten Parteien immer größere Schwierigkeiten haben, eine gemeinsame Linie für eine Regierungspolitik zu finden. Was vor allem fehlt, ist ein nachvollziehbares Konzept der sozialen Veränderung, das zu einer wirklichen Verbesserung der Lebenssituation der großen Masse der Bevölkerung führt. Es ist deshalb die Aufgabe der Linken, ein solches Konzept zu erarbeiten, bei dem zusammen mit reformorientierten Bündnispartnern im Rahmen einer zukünftigen Regierungsarbeit Schritt für Schritt eine Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände erreicht wird. Sollte es gelingen, für eine Verabschiedung von der Austeritätspolitik eine politische Hegemonie zu erhalten, wird es darauf ankommen, möglichst schnell sichtbare Erfolge zu erzielen, wenn die hegemoniale Position auf Dauer gehalten werden soll. Die noch schwierigere Aufgabe wird sein, die Wahlbevölkerung und eventuelle Bündnispartner davon zu überzeugen, dass langfristig eine Strukturveränderung der Gesellschaft hin zu einem demokratischen Sozialismus und einem Marktsozialismus notwendig ist, um weitere wirtschaftliche, soziale und politische Verbesserungen zu erzielen. Ein linkes Konzept muss deshalb darstellen, wie eine kurz- und mittelfristige Reformagenda zur langfristigen Strukturveränderungen führen muss und wie diese Schritte miteinander zu verknüpfen sind. (1)

1. Der erste Schritt einer Reformagenda besteht darin, die marktbestimmte Verteilungsungerechtigkeit von Einkommen und Vermögen anzugehen. Eine Einkommensumverteilung zu Gunsten unterer Einkommensklassen wird die konsumtive Endnachfrage steigern und die Konjunkturentwicklung stabilisieren. Diese Erfolge sind kurzfristig wirksam und erfahrbar. Die Verteilung zwischen Arbeitslöhnen und Profit/Vermögenseinkünften wird in der Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr als unantastbar angesehen, ebenso wie die politische Verteilung durch staatliche Steuerpolitik und staatliche Transfers. Es sind der Druck auf die Löhne, die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die atypischen Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs, Midijobs, unfreiwillige Teilzeitarbeit) entschlossen zu bekämpfen. Die Untergrabung von Mitbestimmungsregelungen ist anzugehen. Es sind folgende Gegenmaßnahmen durchzusetzen: die Begrenzung der Leiharbeit und die gleiche Bezahlung wie für die Stammbelegschaft, das Verbot von Werkverträgen, Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und die Erhöhung des Mindestlohnes. Auf der anderen Seite gilt es, die Vorstands- und Managergehälter, vor allem bei Kapitalgesellschaften, zu deckeln ebenso wie die erfolgsabhängigen Bonuszahlungen.

2. Die Erschließung neuer Techniken (Produktivkräfte) und die Digitalisierung der Arbeitswelt und des Privatlebens sind augenblicklich Schwerpunktthemen der Politik. Während im letzten Jahrhundert die bis ins Letzte getriebene innerbetriebliche Arbeitsteilung und der Aufbau von Mischkonzernen mit hoher Fertigungstiefe das Ziel war, geht es heute um eine Entflechtung von Unternehmen und um die Konzentration auf Kernkompetenzen Das wird ergänzt durch neue Lieferbeziehungen (Just in time), die Dezentralisierung von Entscheidungen und den Abbau betrieblicher Hierarchien (Gruppenarbeit). Es geht letztlich darum, die einzelbetriebliche Vergeudung von Arbeitszeit zu vermeiden. Allerdings läuft im Finanzkapitalismus ein widersprüchlicher Prozess ab, einerseits besteht die Hoffnung bei Arbeitnehmern, eine Humanisierung der Arbeitswelt zu erreichen, andererseits besteht aber auch die Befürchtung des Wegfalls von industriellen Arbeitsplätzen und einfachen Dienstleistungen und der Verdichtung von Arbeitszeiten. Es zeigt sich, dass der Finanzkapitalismus die kurzfristige Profitmaximierung, Kostensenkungsstrategien (Cost-cutting) und den Abbau von Arbeitsplätzen zum Ziel hat. Zudem blockiert die staatliche Politik die Humanisierung der Arbeitswelt durch ihre Austeritätspolitik. Eine fortschrittliche Technikentwicklung stößt somit an die Grenze privater Kapitalverwertung.
Es wäre nun eine Aufgabe linker Politik, neue Bildungskonzepte vorzulegen, auf die Qualifikation der Arbeitskräfte zu setzen und auf dem Weg zu einem demokratischen Sozialismus die Technikentwicklung mit der Humanisierung der Arbeitswelt zu verbinden. Auf diese Weise kann die politische Hegemonie bei unterschiedlichen sozialen Klassen erreicht und erweitert werden.

3. Das Ziel der Linken ist eine ist eine wirtschaftsdemokratische Organisation von Unternehmen. Der Weg in dieser Richtung zu gehen wird augenblicklich erschwert, weil durch die Konzentration von Unternehmen auf Kernkompetenzen eine Aufspaltung in kleinere Einheiten stattfindet. Es kommt zur Aushebelung von Mitbestbestimmungsregelungen, zum Beispiel bei der Montanmitbestimmung und der unterparitätischen Mitbestimmung bei großen Kapitalgesellschaften. Das hat auch negative Auswirkungen auf die Tarifverträge und die Bildung von Betriebsräten. Die Linke sollte somit nicht für die Rückkehr zu alten Regelungen kämpfen, sondern die neuen Regulierungen müssen darüber hinausgehen und den heutigen Perspektiven entsprechen. Es sind die Demokratiegrenzen der sozialen Marktwirtschaft zu überwinden, auch im Hinblick auf die Erschließung neuer Produktivkräfte. Folgende Maßnahmen sind angesagt:
– Die Informations- und Beratungsrechte in den Wirtschaftsausschüssen sind zu erweitern.
– Die Belegschaftszahlen beim allgemeinen Mitbestimmungsgesetz sind zu senken.
– Es sind Arbeitsdirektoren bei Kapitalgesellschaften mit mehr als 1000 MitarbeiterInnen von den Beschäftigten zu wählen und beim Vorstand anzusiedeln.
– Es sind Beteiligungen am Produktivkapital für die Beschäftigten durchzusetzen und eventuell Beteiligungsfonds einzurichten.

4. Zur kurz- und mittelfristigen Reformagenda der Linken muss die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen gehören. Die neoliberale Politik der bisherigen Bundesregierung versuchte das durch die Politik der „ Schwarzen Null“ zu erreichen. Das Ziel wurde erreicht durch ein überraschend höheres Steueraufkommen, eine restriktive Ausgabenpolitik und ein geringes Zinsniveau. Diese Politik hinterließ allerdings national und international verheerende Probleme. Das ist ablesbar an gravierenden Mängeln der öffentlichen Infrastruktur, der zum Teil katastrophalen sozialen Lage verschiedener Bevölkerungsgruppen, einen europaweiten Abbau sozialer Standards und als Folge das Entstehen eines ausgeprägten Rechtspopulismus und Nationalismus.
Die Linke muss demgegenüber eine alternative Finanzpolitik ansteuern. Zu einer Steuerreform sollte eine lineare Steuerprogression mit einer Reichen-steuer gehören. Eine Vielzahl von Steuervergünstigungen ist abzubauen, sofern sie Besser- und Hochverdiener begünstigen, u. a. auch das sogenannte Ehegattensplitting. Die Absetzbarkeit von Betriebskosten gilt es einzuschränken, die Steuerfreiheit bei Unternehmensveräußerungen abzubauen und die Vermögenssteuer und Finanztransaktionssteuer einzuführen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass alleine dadurch zusätzliche Einnahmen von etwa 85 Mrd. Euro erreicht werden. Welche Zusatzeinnahmen ein konsequenter Kampf gegen Steuerhinterziehungen erbringt muss hier noch offen bleiben. Über allem steht die Zielsetzung, die Umverteilung von unten nach oben zu beenden, den jämmerlichen Zustand der öffentlichen Infrastruktur anzugehen sowie die monetären und realen Transfers für untere und mittlere Einkommensbezieher zu steigern. Eine derartige Steuer- und Investitionspolitik muss als Einstieg in eine öffentliche Strukturpolitik gesehen werden, die die Grundlage für eine moderne Sozialismuskonzeption darstellt.

5. Die öffentlichen Investitionen sind seit dem Beginn des letzten Jahrzehnts in einem beispiellosen Niedergang. Die öffentliche Infrastruktur befindet sich in einem schlimmen Zustand, das ist zum Beispiel ablesbar an dem Zustand von Schulen und Brücken. Hierbei handelt es sich um das Ergebnis der jahrelangen Austeritätspolitik und der sogenannten Schuldenbremse. Die Konsequenz, die die Linke daraus zieht, besteht darin, dass ein massives öffentliches Investitionsprogramm und Ausgabenprogramm aufzulegen ist. Es sollte in einem Zeitraum von 5 Jahren 100 Mrd. Euro für Bildung, Verkehr, Pflege, Kinderbetreuung, energetische Sanierung, Kommunen und den Arbeitsmarkt ausgegeben werden. Daneben sollte eine europaweite Energiewende betrieben bzw. finanziell unterstützt werden. Da es inzwischen immer stärker zu einer Blockade privater Investitionen kommt und damit die Systemgrenze erreicht wird, sind eine gesamtwirtschaftliche Strukturpolitik, neben der Fiskalpolitik und Geldpolitik, zu einem Politik-Mix zu vereinen. Es ist eine schrittweise Transformation des Kapitalismus in eine sozialistische Marktwirtschaft anzusteuern.

6. Neben den schon angesprochenen staatlichen Geldtransfers und realen Transfers, zum Beispiel für Kinderbetreuung, geht es darum, zu einem grundlegenden Umbau des Sozialstaates zu kommen. Der Sozialstaat muss aus seiner Lückenbüßerfunktion heraus kommen. Bisher gilt das Subsidiaritätsprinzip, das heißt, der Staat springt nur ein, wenn private Unterstützung nicht ausreicht. Es sollte in Zukunft nicht mehr die möglichst große Einsparung sozialer Leistungen das Grundprinzip sein, sondern eine wirkliche soziale Absicherung der Bevölkerung vermittelt über Staat und Steuern. Darin ist auch eingeschlossen, der auf längere Sicht Aufbau einer Bürgersozialversicherung. Das betrifft die gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Krankenversicherung und Pflegeversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung. Eine Bürgersozialversicherung soll für alle Gesellschaftsmitglieder soziale Sicherheit im Alter, bei Krankheit, bei Pflegebedarf, bei Berufsunfällen, bei Arbeitslosigkeit und in persönlichen Notlagen bringen. Die Bürgersozialversicherung hat bei einem Maximum an Leistung und Minimum an Verwaltungsaufwand den gesamten Sozialhaushalt der Gesellschaft zu regeln.

7. Die Wohnungsfrage ist inzwischen in der Bundesrepublik als eines der wichtigsten Probleme der Bevölkerung anzusehen. Im Jahre 2009 wurden mit 160 Tsd. Neubauten nicht einmal 50% des notwendigen Neubauvolumens gedeckt. Ein besonderer Wohnraummangel herrscht in Großstädten und Universitätsstädten. Die Folge sind explodierende Mieten, die durch die sogenannte Mietpreisbremse nicht aufgefangen werden konnten. Besonders der Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau und die Privatisierung dieses Bereiches haben zu dem eklatanten Mangel geführt. Die Linke muss deswegen drastische Eingriffe vornehmen und die Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbestandes stoppen sowie durch staatliche Programme den sozialen Wohnungsbau und gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften massiv fördern. Andernfalls werden sich die Bauspekulation und der Mietwucher weiter verschärfen. Kurzfristig sind Maßnahmen gegen die Preistreiberei angesagt, also ein direkter Eingriff in die marktbestimmte Mietpreisbildung.

8. In der Bundesrepublik herrscht inzwischen ein akuter Fachkräftemangel. Das lässt sich nur auf lange Sicht ändern. Die zwischenzeitlich geäußerte Hoffnung, dass die massive Zuwanderung von Menschen quasi von selbst das demografische und bildungspolitische Problem löst, ist unrealistisch. Bevor überhaupt von dieser Seite eine Lösung erfolgen kann, ist zuerst eine soziale Integration der Menschen zu schaffen, durch das Erlernen der Sprache, die Vermittlung von Kenntnissen über die neue Heimat, und vor allem auch bei jungen Menschen eine Schul-Berufs- und Universitätsausbildung. Dass sich in den letzten Jahren Parallelgesellschaften gebildet haben lag einerseits an unzureichenden staatlichen Dienstleistungen andererseits aber auch an Ausgrenzungen vieler Menschen aus Gründen der Konkurrenzangst. Die Linke hat deswegen Eckpunkte zur Lösung des Problems zu benennen, zum Beispiel Maßnahmen zur Erweiterung des Wohnraumbereichs und zum Angebot an Bildungs- und Ausbildungsplätzen. Diese Maßnahmen sind in ein Gesamtpaket öffentlicher Investitionen bzw. einer neuen Strukturpolitik einzuordnen. Damit könnte auch der Verdrängungskonkurrenz zwischen Einheimischen und Zugewanderten bzw. Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt Schritt für Schritt der Boden entzogen und erfolgreich der Rechtspopulismus bekämpft werden.

Damit schließt sich der Kreis. Die dargestellten Punkte einer kurzfristigen und mittelfristigen linken Reformagenda, die um Einiges zu ergänzen wären, haben verdeutlicht, dass wir inzwischen an den Grenzen privater Kapitalverwertung angelangt sind und weitere ökonomische, soziale und politische Fortschritte nur durch grundlegende strukturelle Veränderungen zu haben sein werden. An dieser Stelle beginnt die Aufgabe der Linken, genau den Weg und die Perspektive der strukturellen Veränderung darzustellen. Wenn allerdings die Überwindung des Kapitalismus als Perspektive angesprochen wird, stößt man sehr schnell auf Abneigung, die eng mit der Geschichte des realen Sozialismus verbunden ist.(2) Der Marxismus und die Forderung nach einer sozialistischen Strukturveränderung sind weiterhin nur am Rande der Gesellschaft vorzufinden. Der Linken ist es bisher nicht gelungen, Eckpunkte für eine moderne und glaubwürdige sozialistische Politik zu entwickeln. Es besteht zum Beispiel Uneinigkeit darüber, welches Verhältnis der Plan und der Markt im Sozialismus haben sollen, inwieweit die extreme Ungleichheit der Einkommen im Kapitalismus für eine sozialistische Strategie nutzbar zu machen ist, welche Bedürfnisentwicklung im Sozialismus stattfinden soll und welche Position die Linke zur EU und zum Euro einnimmt. Festzustellen ist jedenfalls, dass die Finanzkrise 2007/2008 zu einem Gesichtsverlust der herrschenden Eliten geführt hat, das Vertrauen in ihre Problemlösungskompetenz massiv gesunken ist und der Rechtspopulismus, der einfache „Lösungen“ anbietet, enormen Zulauf bekommt. Jedenfalls ist die augenblickliche Lage keine Stunde der Linken.

Welche Konsequenzen sollte die Linke ziehen, wenn über die kurz- und mittelfristige Reformpolitik hinaus eine langfristige Perspektive aufgezeigt werden soll?

Es geht vor allem darum, die Fehler des Staatssozialismus deutlich zu benennen und die Eckpunkte eines modernen Sozialismus darzustellen. Es bestand das Missverständnis in der kommunistischen Weltbewegung, eine marktwirtschaftliche Steuerung der Ökonomie und der Sozialismus seien unvereinbar und es gehe im Sozialismus in erster Linie um einen möglichst umfassenden Volkswirtschaftsplan zur Abschaffung der Ware-Geld-Beziehungen. Hier lag und liegt eine eklatante Fehlinterpretation der Marxschen Theorie vor, die sich in der kommunistischen Weltbewegung hartnäckig hielt und heute noch von einem Teil der Linken vertreten wird. Es wurden sogenannte „sozialistische Errungenschaften“ gefeiert und damit waren extrem niedrige Konsumgüterpreise, sehr niedrige Mieten und ebenso niedrige Verkehrs- und Kulturtarife gemeint. Die Folge war allerdings, dass die Staatshaushalte wegen der Subventionierung der Güter sehr stark belastet wurden, die Qualität der Güter häufig minderwertig war und die BürgerInnen, sofern sie über ausländische Valuta verfügten, in die Intershops getrieben wurden. Es entstand eine latente und auch häufig offene Unzufriedenheit, auch angesichts der Konsumgüter im Kapitalismus und bei vielen Menschen der Drang, das Land zu verlassen. Das Planungssystem war gründlich diskreditiert und die Parteiführungen reagierten mit Beschränkungen der persönlichen Freiheiten, ins besondere auch der Reisefreiheit. Das alles geschah ganz unabhängig von der Propaganda des Kalten Krieges, die vom Westen massiv betrieben wurde.
Wir müssen heute die Konsequenz ziehen und auch propagieren, dass im demokratischen Sozialismus nicht einer Planungsbehörde die Entscheidungen über das Was, Wie und für Wen der Produktion überlassen wird und damit auch die Bestimmung über die gesellschaftlichen Bedürfnisse. Das liefe auf eine Bevormundung der BürgerInnen hinaus. Es bleibt nur der Weg einer dezentralen Verteilung von Angebot und Nachfrage über Märkte. Andernfalls, das hat der reale Sozialismus gezeigt. wird die Bevölkerung quantitativ und qualitativ von bestimmten Bedürfnissen und damit Konsumgütern ausgeschlossen. Das gilt ebenso für Produktionsgüter, wobei hier eine stärkere gesellschaftliche Steuerung von großer Bedeutung ist. Nur unter unentwickelten gesellschaftlichen Verhältnisse und in historischen Ausnahmesituationen, zum Beispiel in Kriegen und Bürgerkriegen, kann eine zentrale Planung notwendig und erfolgreich sein. Bei einer fortschreitenden Differenzierung der Produktionsstruktur, Branchenstruktur und Konsumstruktur wird eine zentrale Planung zunehmend ineffektiv. Es entstehen ökonomische Probleme, die durch nicht offizielle Märkte geschlossen werden. Es entstehen graue und schwarze Märkte, verbunden mit persönlicher Bereicherung und häufig Korruption. Diese Probleme sind nur dadurch zu lösen, wenn die Marktsteuerung das Primat erhält und darauf aufbauend die Steuerung und Korrektur der Märkte stattfindet. Das kann kurz als sozialistische Marktwirtschaft bezeichnet werden.

Die Kritik einiger Linker, dass sei ein Rückfall in kapitalistische Verhältnisse ist absurd. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch im Kapitalismus der Markt der einleitende bzw. abschließende Akt der Produktion ist. Es kommt somit auf die Produktionsverhältnisse an. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse sind durch die Mehrwertproduktion des Lohnarbeiters gekennzeichnet. Er ist von den Produktionsmitteln getrennt, die sich im Eigentum des Kapitalisten befinden. Die Produktionsmittel werden zu Kapital und der Kapitalist eignet sich den Mehrwert an, reinvestiert einen Teil des Mehrwerts um dann die Akkumulation des Kapitals auf höherer Stufenleiter weiterzuführen. Die Ergebnisse sind die Anhäufung des Kapitals auf der einen Seite und der Zwang, die Arbeitskraft an den Kapitalisten zu verkaufen, auf der anderen Seite. Sozialistische Produktionsverhältnisse gehen in eine diametral andere Richtung. Hier geht es darum, die Mitbestimmung und Entscheidungsmöglichkeiten der Lohnabhängigen schrittweise zu erweitern und das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das Direktionsrecht des Kapitalisten und die Mehrwertproduktion zurückzudrängen. Es wird schrittweise eine wirtschaftsdemokratische Struktur der Unternehmen verwirklicht. Das hat auch Einfluss auf das Bewusstsein der Lohnabhängigen. Im Kapitalismus ist das Bewusstsein von Freiheit und persönlicher Leistung dominant, insbesondere deswegen, weil durch den Arbeitslohn der Schein entsteht, die Arbeit bezahlt zu bekommen. Das Herrschaftsverhältnis im Produktionsprozess und die Aneignung des Mehrwertes durch den Kapitalisten werden verschleiert. Es wird nicht gesehen, dass nur die Arbeitskraft und nicht die Arbeit bezahlt wird. Je krisenhafter sich allerdings der Kapitalismus entwickelt, desto stärker kann das Bewusstsein von Unterdrückung in der Produktion zum Tragen kom-
men. Gewinnt das Bewusstsein die Oberhand, dass die erkämpften Schutzrechte für die Lohnabhängigen nicht ausreichen, werden neue Formen der Überwindung des Kapitalismus gesucht, zum Beispiel durch die Verwirklichung von genossenschaftlichem Eigentum, Belegschaftseigentum, Branchenfonds und auch staatlichem Eigentum. Illusorisches Bewusstsein wird dann angegangen durch die Veränderung der Organisations- und Eigentumsformen und die Verwirklichung von wirtschaftsdemokratischen Verhältnissen. Eine sozialistische Marktwirtschaft steht somit auf drei Säulen, die wirtschaftsdemokratische Verfassung der Unternehmen, das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und eine wirksame Steuerung der Märkte. Dabei erhält die Strukturpolitik einen besonderen Stellenwert, sie ist für die politische Steuerung der Investitionen zuständig, im Gegensatz zur Strukturpolitik im Kapitalismus, wo sie sie nur am Rande zur Bewältigung von meistens regionalen Krisen eingesetzt wird ( z.B. Krise des Bergbaus im Ruhrgebiet). In der sozialistischen Marktwirtschaft übernimmt sie die Führerschaft bei der gesellschaftlichen Investitionsentwicklung und ist noch der Finanzpolitik und Geldpolitik übergeordnet. Sie bedient sich dabei im Wesentlichen dreier Instrumente, den öffentlichen Beteiligungsgesellschaften, öffentlichen Managementagenturen und Kreditinstituten mit Sonderaufgaben.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die kurz- und mittelfristige linke Reformpolitik mit Bündnispartnern durchzusetzen ist und Mehrheiten in der Bevölkerung für diesen Weg zu gewinnen sind. Das muss gegen den zu erwartenden Widerstand der bürgerlichen Kräfte und verschiedener Medien auf demokratische Weise gelingen. Die noch schwierigere Aufgabe besteht darin, weitere Elemente einer sozialistischen Umgestaltungspolitik mehrheitsfähig zu machen und zu halten. Die Verteidigung der linken Hegemonie bleibt somit eine Daueraufgabe. Das wird nur dann möglich sein, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass nur eine sozialistische Marktwirtschaft und ein demokratischer Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus eine höhere Produktivität und Effektivität, die Überwindung der Krisenentwicklung und mehr Mitgestaltung und soziale Gerechtigkeit ermöglichen.

(1) Siehe hierzu umfassend: Stephan Krüger, Soziale Ungleichheit, VSA- Verlag Hamburg 2017, S. 529-555.
(2) a.a.O. S. 508-528.


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