Erhaltungssatzung Südstadt – „… keine hinreichenden Anhaltspunkte …“

22. Mai 2019  Allgemein, Anträge, Berichte, Position

Einfach krass ist die Antwort der Stadt auf den gemeinsamen Antrag von KULT, GRÜNEN, FDP und LINKEN: Sie sieht Anhaltspunkte, aber „noch keine hinreichenden“; sie will das Thema erst nach „Änderungen in der Bevölkerungsstruktur“ wieder aufgreifen. Die Südstadt ist eine bewundernswerte, alltäglich gelebte Integrationsleistung. Das, und damit verbundener Respekt und Wertschätzung, ist ganz offensichtlich noch nicht bei der Stadtverwaltung angekommen. Im Folgenden die Antwort der Stadt auf den Antrag, der am 14. Mai vom Gemeinderat zur weiteren Beratung in die Fachausschüsse verwiesen wurde (d.e.):

Kurzfassung
Derzeit liegen der Verwaltung noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen erheblichen Gentrifizierungsdruck für die Karlsruher Südstadt vor.
Die Verwaltung wird die Daten für die Südstadt weiterhin beobachten und gegebenenfalls das Thema wieder aufgreifen, sobald Änderungen in der Bevölkerungsstruktur erkennbar sind.
Bezogen auf die Südstadt werden entsprechende Entwicklungen beobachtet und mit den Akteuren vor Ort Gespräche aufgenommen.

Allgemein gilt: Als „soziale Erhaltungssatzung“ oder auch „Milieuschutzsatzung“ wird ein spezieller Typ einer Erhaltungssatzung bezeichnet. Eine Gemeinde kann gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) in einem Bebauungsplan oder durch eine sonstige Satzung Gebiete bezeichnen, in denen zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (§ 172 Abs. 4 BauGB) der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen. Nach § 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll. Auf diese Weise kann für die in einem intakten Gebiet wohnenden Menschen der Bestand der Umgebung gesichert und so die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Stadtteil vor unerwünschten Veränderungen geschützt werden.

Als städtebauliches Instrument dient eine soziale Erhaltungssatzung dazu, die Durchmischung des betroffenen Stadtteils zu erhalten und Verdrängungsprozesse abzumildern. Zu diesem Zweck kann beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen auf der Genehmigungsebene der Ausstattungsstandard von Wohnungen begrenzt oder das gesetzliche Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB ausgeübt werden.

Darüber hinaus hat das Land Baden-Württemberg mit der sogenannten Umwandlungsverordnung vom 5. November 2013 von der Ermächtigung in § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB Gebrauch gemacht, für Grundstücke in Gebieten mit einer sozialen Erhaltungssatzung zu bestimmen, dass die Begründung von Wohnungseigentum oder Teileigentum nach § 1 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) an Gebäuden, die ganz oder teilweise Wohnzwecken zu dienen bestimmt sind, ebenfalls einem Genehmigungs-vorbehalt unterfällt.

Für die Südstadt liegen derzeit keine umfassenden Daten zu sogenannten „Luxussanierungen“ oder Zahlen zur Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen vor. Eine Aufstellung des Bauordnungsamtes zu Anträgen auf Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) zeigt für die Südstadt, dass im Zeitraum von 2014 bis 2018 statistisch durchschnittlich 5,6 solcher Anträge pro Jahr genehmigt wurden. Dabei liegen keine Angaben darüber vor, ob Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden, sondern nur dass Grundeigentum in Wohneigentum aufgeteilt wurde. Auch wenn dies und die genaue Anzahl der Wohneinheiten nicht bekannt sind, liegen die Daten sehr wahrscheinlich deutlich unter den Werten, bei denen in anderen Städten über eine Erhaltungssatzung nachgedacht wird.

Hinweise auf mögliche Gentrifizierungsprozesse können durch die Analyse von Bevölkerungs- und Sozialdaten gewonnen werden. Eine überdurchschnittlich rückläufige Entwicklung von Ar-beitslosenzahlen, Personen im SGB II-Bezug, Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit oder mit Migrationshintergrund und des Anteils der über 65-Jährigen können als Indizien für einen großen Veränderungsdruck gewertet werden. Da der Stadtteil Südstadt sehr heterogen ist, ist es sinnvoll diese Indikatoren auf der räumlich kleineren Ebene der Stadtviertel zu betrach-ten. Relevant sind hier der nördliche und der südliche Teil der Südstadt. Der nördliche Teil ist das Gebiet zwischen Ettlinger Straße, Kriegsstraße, Morgenstraße und Luisenstraße. Der südliche Teil ist das Gebiet zwischen Ettlinger Straße, Luisenstraße, Stuttgarter Straße und Fautenbruchstraße.

Zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der Südstadt gibt es leichte Strukturunter-schiede. Die 6.919 Bewohnerinnen und Bewohner des nördlichen Teils sind tendenziell jünger und haben noch häufiger als im südlichen Teil einen Migrationshintergrund. Der Seniorenanteil ist unterdurchschnittlich (Karlsruhe insgesamt 18,6 %) und sank zwischen 2014 und 2018 leicht auf zuletzt 9,0 % ab. Nur 0,7 % der Menschen dort waren bereits hochbetagt (85 Jahre oder älter). Der Ausländeranteil entwickelte sich leicht rückläufig, zählt aber mit aktuell 31,3 % (2018) zu den höchsten im Stadtgebiet (2018: 19,1 %). Insgesamt hatten 2018 rund 41,3 % aller Bewohnerinnen und Bewohner im Nordteil der Südstadt einen Migrationshintergrund.

Sozialstrukturell zeichnet das Quartier mit einem Rückgang der Arbeitslosen innerhalb der dort wohnhaften Bevölkerung sowie der Betroffenheit von SGB II-Bezug die gesamtstädtischen Entwicklungen nach. Trotzdem lagen zuletzt 2018 die Quote der beim Arbeitsamt registrierten Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Betroffenheit der Bewohnerschaft von SGB II-Leistungen insbesondere auch unter den alleinerziehenden Haushalten überdurchschnittlich hoch und mitunter sogar höher als im angrenzenden südlichen Viertel.

Die Strukturveränderungen im südlichen Teil der Südstadt folgten zwischen 2014 und 2018 ebenfalls dem gesamtstädtischen Trend, verliefen allerdings mitunter stärker akzentuiert. So stieg die dort wohnende Bevölkerung (2018: 8.762 Personen) deutlich stärker an (+11,0 %) als im nördlichen Viertel (+2,3 %) oder in Karlsruhe insgesamt (+2,0 %), wobei die Zahl der Senio-rinnen und Senioren stabil blieb und 2018 sogar mehr hochbetagte Menschen im Alter von 85 oder mehr Jahren in dem Quartier lebten als noch 2014 (+6,7 %). Auch die Zahl der ausländischen Quartiersbevölkerung (+11,0 %) sowie der deutschen Bewohnerinnen und Bewohner mit Migrationshintergrund (+6,2 %) hat deutlich zugenommen. Der Ausländeranteil liegt seit Jahren unverändert bei 28,8 % und damit weit über dem gesamtstädtischen Niveau.

Ähnlich wie auf Gesamtstadtebene sanken die Zahl der Arbeitslosen sowie der SGB II-Beziehenden in der Stadtviertelbevölkerung angesichts der positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt spürbar. Dennoch liegt der Prozentsatz der von Arbeitslosigkeit betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner im südlichen Teil der Südstadt höher als auf Gesamtstadtebene. Auch der Prozentsatz der auf SGB II-Leistungen angewiesenen Südstädter liegt im südlichen Teil überdurchschnittlich hoch, vor allem unter den Alleinerziehenden, von denen 40 % SGB II-Leistungen beziehen.

Insgesamt lassen die Entwicklungen der letzten Jahre weder im nördlichen noch im südlichen Teil der Südstadt Anzeichen für einen möglichen Gentrifizierungsprozess erkennen. Die Erstellung einer Erhaltungssatzung ist aus Sicht der Verwaltung zum aktuellen Zeitpunkt nicht notwendig.

Die Verwaltung schlägt daher folgendes Vorgehen vor:
Die Verwaltung wird andere Städte nach ihren Erfahrungen mit der sozialen Erhaltungssatzung befragen.
Die Verwaltung wird ein Gespräch mit der Bürgergesellschaft Südstadt führen: Wie stellt sich die Situation aus Sicht der Bürgergesellschaft derzeit dar?
Die Verwaltung wird die Daten für die Südstadt weiterhin beobachten und gegebenenfalls das Thema wieder aufgreifen, sobald Änderungen in der Bevölkerungsstruktur erkennbar sind.

Stadt Karlsruhe
Der Oberbürgermeister, 14.05.2019



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