Haushaltsrede zum Doppelhaushalt 2017/18

28. September 2016  Allgemein, Rede

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Empore,
sehr geehrte Damen und Herren aus der Verwaltung und den Ortschaftsräten

Vor einigen Wochen forderte der DGB eine massive Kursänderung an. Millionen heute noch junger Menschen würden sonst von sozialem Abstieg und Altersarmut betroffen sein – aufgrund des sinkenden Rentenniveaus. Der DGB hat Recht.

Aber der soziale Abstieg hat heutzutage viele Gesichter.
 
Wer länger arbeitslos ist oder in der Leiharbeit feststeckt, fällt sicher in Armut – und er weiß, dass erst recht seine Rente zu keinem würdigen Leben mehr reichen wird. Selbst wer durchgängig arbeitet, mit seinem Gehalt aber nicht weit über den Mindestlohn hinauskommt, wird in der Altersarmut landen.
 
Eine längere Krankheit kann heute schnell zum Anfang des sozialen Abstiegs werden, auch wenn man einigermaßen gut verdient. Die Hartz-IV-Falle ist immer gegenwärtig. Die Zahl der Kinder in armen Haushalten wächst unaufhaltsam.
 
Die herrschende Politik hält dazu Sonntagsreden oder vergießt ein paar Krokodiltränen. Ansonsten nimmt sie es hin. Denn das sind gewollte Ergebnisse.
 
Es sind die Ergebnisse von über 10 Jahren Agenda 2010-Politik, die mit systematischer Schikane und Entwürdigung eine ganze Schicht in sozialen Abstieg und Armut gedrückt hat. Die Angst, dass es einem genauso ergehen könnte, hat sich bis weit in die Mittelschichten hineingefressen.

Das erleichtert die Lohndrückerei und die vielen Formen prekärer Arbeit, ausbeuterischer Arbeit, Leiharbeit, Werkverträge, Scheinselbstständigkeit usw. Wir haben heute 5 Mio. Vollzeitarbeitsplätze weniger als früher.
 
Gerade in Deutschland ist der Bildungserfolg von Kindern nicht von der eigenen Begabung, sondern vom sozialen Status und von den ökonomischen Verhältnissen der Familie abhängig.
 
Das ist ein Schritt zurück in die Ständegesellschaft.
 
Soziale Spaltung und Demokratiedefizite überwinden
 
Bankenrettung, soziale Ungerechtigkeit, mangelnde Mitgestaltung und Ignoranz haben dazu geführt, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in unseren Staat und unsere Demokratie verloren haben. Sie fühlen sich zu Recht abgehängt, man hat sie zu Bürgerinnen und Bürgern zweiter Klasse degradiert.
 
Es besteht kein Interesse mehr an ihrer Teilhabe, oder daran, dass sie wieder aus dem Armutsloch herausfinden.
 
Das erzeugt Passivität, Resignation, auch Wut und Hass, und die Suche nach Sündenböcken und nach einfachen Lösungen. Diese unerträgliche Situation macht es rechtsnationalen Organisationen und Parteien wie der AfD leicht diese Wut zu nutzen und zu bündeln.
 
Den Vormarsch rechtnationaler Parteien können wir nur stoppen, wenn wir die soziale Spaltung in der Europäischen Union überwinden und Demokratiedefizite aufheben. Gerade die Verhandlungen um TTP und CETA haben gezeigt, dass wir zur Durchsetzung von Transparenz und Demokratie in der EU noch viel zu tun haben.
 
Herr Oberbürgermeister,
 
Sie haben in Ihrer Haushaltsrede von schwierigen Haushaltsjahren gesprochen. Das sieht DIE LINKE im Karlsruher Gemeinderat auch so. Wir kritisieren ebenfalls, dass der Bund immer mehr Aufgaben auf die Kommunen verlagert, ohne finanziellen Ausgleich.

Wir meinen aber auch: diese Stadt hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu viele Lieblings- und Leuchtturmprojekte gegönnt – und sie hat sich an ihnen verhoben – und auch an deren Folgekosten.

Kombilösung
 
Die Spitze der Leuchtturmprojekte ist die sogenannte Kombilösung, deren davonlaufende Kosten noch gar nicht eingepreist sind. Im Infoflyer City 2015 „Informationen zum Bürgerentscheid am 22. September 2002“, dem Bürgerentscheid zur Kombilösung, wurde vom Rathaus der städtische Eigenanteil mit 79,5 Mio. EURO angegeben. Heute sind wir bei 367,1 Mio., Tendenz steigend.
 
Was soll man da anderes sagen als: „Kräftig verhoben“.
 
Wie wird die Stadt die fast 300 Mio. zusätzlicher Kosten aufbringen?
 
Die Zeche werden die Karlsruher Bürgerinnen und Bürger und die Nutzerinnen des ÖPNV zu zahlen haben. Das ist jetzt schon absehbar.
 
Kultur- und sozialpolitischer Rückschritt

Herr Oberbürgermeister,
so wie diese Haushalts-Konsolidierung bisher gelaufen ist, hatten Sie in Ihrer Haushaltsrede durchaus Recht, als Sie sagten: „Das wird auch wehtun.“ Die Frage ist: wem tut das weh?
 
An diesem Haushaltsentwurf können wir gut erkennen: Er tut vielen deshalb weh – weil sie von vielen Spar-Maßnahmen direkt und hart betroffen sind, weil sie über vergleichsweise weniger Einkommen und Ressourcen verfügen, als Andere, die überhaupt nicht betroffen sind. Das gilt vor allem für den kulturellen und den sozialen Bereich.
 
Aber damit nicht genug: Das sogenannte Maßnahmenpaket 1 trifft viele Bürgerinnen und Bürger, die schon in der Armut festhängen. Deshalb ist das für uns ein ungerechter Haushaltsentwurf, der zur sozialen Spaltung der Gesellschaft beiträgt.
 
Soziale Spaltung gefährdet auf Dauer die Demokratie.
 
Dieser Haushaltsentwurf ist kultur- und sozialpolitisch ein Rückschritt – nicht aus einer finanziellen Notwendigkeit heraus, sondern weil die Stadt und die überwältigende Mehrheit dieses Gemeinderates das politisch so will.
 
Ein paar Beispiele dazu:
 
– Die Kürzungen bei den Wohlfahrtsverbänden führen zur Verknappung oder Einstellung wichtiger, notwendiger Angebote, auf die viele Menschen angewiesen waren und bleiben. Die Arbeit und die Angebote von AWO, Caritas, Diakonie, dem Paritätischen usw. – das sind doch keine Luxusangebote, die man beliebig hoch und runterfahren kann.
 
Diese Kürzungspolitik bei den Wohlfahrtsverbänden ist ein gravierender, spürbarer sozialpolitischer Rückschlag für diese Stadt.
 
– Für die Kürzung bei den Freifahrten für behinderte Bürgerinnen und Bürgern fehlen einem fast die Worte. Es geht hier um Fahrten zu Ärzten, Behörden usw. Aber auch um Fahrten zu Freizeit- und Kulturveranstaltungen, Treffen mit Freunden usw.
 
Hier Fahrten zu streichen, bedeutet für die Betroffenen eine unmittelbare Einschränkung von Mobilität und Teilhabe. Diese Sparmaßnahme ist dieser Stadt und ihren Ansprüchen schlicht unwürdig.
 
– Das Personal der Wäscherei im Städtischen Klinikum hat nachweislich jahrelang gute Arbeit geleistet und sich damit wichtige Arbeitsplätze gesichert. Aber sowas zählt heute nicht mehr.
 
Woanders wird diese Arbeit zu Billigtarifen gemacht, also lagert man sie dorthin aus. Damit pflegt man noch die Lohndrückerei.
 
– Die Kürzungen beim Karlsruher Pass und beim Kinderpass sind in einer Zeit zunehmender Armut, auch und gerade bei Kindern, für uns ein Skandal.
 
Die Mehrheit des Gemeinderates verstößt damit gegen die eigenen Leitlinien gegen Armut.

Der vollwertige Kunde

Noch ein paar Worte zum Karlsruher Pass und Kinderpass: Die eingesparte Summe liegt schätzungsweise bei knapp unter 100.000 EURO. Das ist vom Gesamthaushalt her schlicht irrelevant. Aber die Menschen trifft es unmittelbar.
 
Dass der Eintritt in Zoo und Stadtgarten nun nicht mehr kostenfrei ist, sondern großenteils hälftig selbst aufgebracht werden muss, wurde von der Stadt und auch hier in diesem Hause so begründet: „Damit macht man die Inhaber von Karlsruher Pass und Kinderpass zu vollwertigen Kunden der Stadt.“
 
Das ist geradezu infam.
 
– Ein weiteres Beispiel:
 
Als man vor Jahren in den Karlsruher Pass vergünstigte Volkshochschulkurse aufnahm, wurde dieses Angebot sehr stark angenommen.
 
Die Reaktion seitens der Stadt und des Gemeinderates war nun nicht etwa: Wir begrüßen diese Nachfrage nach Bildungsangeboten seitens der Nutzerinnen und Nutzer des Karlsruher Passes und stellen mehr Geld zur Verfügung.
 
Nein, man war über die Kosten erschrocken und hat erst einmal verfügt, dass pro Person nur noch ein Kurs pro Jahr belegt werden darf. Lernen Sie mal in der VHS eine Sprache mit einem Kurs pro Jahr!
 
Nach Protesten hat man das jetzt zurückgenommen, aber dafür die VHS-Kurse für die Karlsruher Pass- Inhaber wieder teurer gemacht.
 
Ganz besonders perfide ist, dass man Personen, die aus andern Ländern hier her gekommen sind, sagt, besucht Kurse und lernt die deutsche Sprache, damit ihr euch gut integrieren könnt, sonst gibt es Konsequenzen. CDU und SPD nennen das Fördern und Fordern.
 
Jetzt haben diese Menschen im Rahmen des Karlsruher Passes die Sprachförderung angenommen. Es haben mehr Personen Kurse besucht als die Stadt erwartet hat.
 
Was machen Sie daraus? Sie kürzen die Förderung. Weil der Zuschuss der Stadt für Deutschkurse im Rahmen des Karlsruher Passes höher ist als der des Bundesamtes für Migration, und deshalb viele dieses Angebot genutzt haben, sprechen einige von Missbrauch.
 
NEIN, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir Bürgerinnen und Bürgern mit kleinem Einkommen ein soziales Angebot machen, dann machen wir es, damit sie es nutzen.

 
Und es ist vollkommen legitim, dass sie das bessere Angebot annehmen. Außerdem zeigen sie damit, dass sie rechnen und Haushalten können. Das können in diesem Haus nicht alle, wenn es um Prestigeprojekte geht.
 
Bezahlbare Wohnungen
 
Die gerade veröffentlichte Postbank Studie „Wohnatlas 2016 – Leben in der Stadt“ ergab für Karlsruhe, dass bis 2030 16900 neue Wohnungen gebraucht werden. Zudem soll es in den kommenden Jahren eine Zunahme der Miet- und Immobilienpreise über knapp 40 Prozent geben.
 

Die Wohlfahrtsverbände in Karlsruhe gehen von einem aktuellen Fehlbedarf von 10.000 mietpreisgebundenen Wohnungen aus. Diese Dimension teilen wir.
 
Wenn dem nicht massiv entgegengesteuert wird, werden in ein paar Jahren sehr viele Menschen in unserer Stadt keine Wohnungen mehr finden, deren Miete sie sich leisten können.
 
Auch das trägt zur sozialen Spaltung bei.

Deshalb werden wir erneut den Antrag stellen, dass die Stadt Karlsruhe die finanziellen, rechtlichen und baulichen Voraussetzungen dafür schafft, dass jährlich mindestens 500 neue mietpreisgebundene Wohnungen in Karlsruhe entstehen können, bis der Bedarf gedeckt ist.
 
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
 

400 Millionen Defizit im Haushalt. Und aus heutiger Sicht weitere knapp 400 Millionen Eigenanteil der Stadt an den Kosten des Baus der Kombilösung, und darüber hinaus die Folgekosten der Kombilösung, werden den Haushalt auf Jahrzehnte stark belasten.
 

Millionen für den Profifußball
 
In diesem Kontext ist es uns unverständlich, dass die Stadt und die Mehrheit des Gemeinderates den zukünftigen Haushalt um weitere 150 Millionen € belasten wollen um ein Stadion für den kommerziellen Fußball zu bauen.
 

Der KSC schuldet der Stadt nach eigener Aussage 2,4 Millionen €, da er die Pacht in den vergangenen Jahren nicht aufbringen konnte.
 
Wie soll er bei einem Neubau eine weit höhere Pacht bezahlen?
 
Auf der Mitgliederversammlung des KSC am vergangenen Sonntag antwortete der KSC Präsident Ingo Wellenreuther auf die Frage nach der säumigen Pacht und den Schulden an die Stadt.
 
Das sei ein „Running Gag“. So auf dem Nachrichtenportal ka-news zu lesen. „Wir haben momentan keine Verpflichtungen, die wir gegenüber der Stadt Karlsruhe nicht erfüllen“, sagt der Präsident.
 
Man müsse zwischen säumiger Mieter und Mietverzichten unterscheiden. Letzteres sei in der Vergangenheit mit der Stadt Karlsruhe vereinbart worden.

 
Das heißt, der KSC muss seine Schulden erst dann zurückbezahlen, wenn er Gewinne macht.
 
Hier gibt Wellenreuther, so ka-news, Entwarnung: „Wir sind jedoch noch dabei, unser negatives Eigenkapital abzuarbeiten.“ Daher gibt es keine nicht gezahlten Mieten.
 
Eine erneute Nachfrage aus dem Publikum zielte auf den Fall ab, sollten diese Verzichte in Höhe von 2,4 Millionen Euro zusätzlich zu den angesetzten 2,2 Millionen Euro jährlichen Pachtzahlungen ab 2019 fällig werden.
 
– „Ist berücksichtigt im Businessplan“, so Wellenreuther. Dennoch gibt er zu, dass der Business-Plan „brutal ehrgeizig“ angesetzt ist.
 
Wellenreuther beruhigte die Mitgliederversammlung des KSC in dem er die Stadt, den Gemeinderat und die Steuerzahler verhöhnt.
 

KSC Präsident Ingo Wellenreuther war mehr als ein Jahrzehnt Stadtrat. Als OB-Kandidat versprach er bezahlbaren Wohnraum, Kitas und gute Schulen. Heute setzt er die Stadt und unter Druck um Millionen für den Profifußball herauszuschlagen. Das ist schäbig.
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
ein demokratisch gewählter Gemeinderat ist nicht erpressbar. Er handelt ausschließlich zum Wohle der Stadt und deren Bürgerinnen Bürger. Noch ist es Zeit Abstand zu nehmen von einem Projekt, das nicht zur aktuellen Haushaltssituation passt.
 
Die Demokratie stärken
 
Noch ist es Zeit eine Politik zu ändern, wie sie mit diesem ersten Spar-Paket eingeleitet wurde.
 
Eine Einsparpolitik, die diejenigen am stärksten belastet, die die geringsten Einkommen haben. Und die diejenigen schont, denen es bereits sehr auskömmlich geht. Wir wollen eine Politik in dieser Stadt, die alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem Einkommen und ihrem sozialen Status mitnimmt – Und so die Demokratie stärkt.
 
Abschließend bedanken wir uns bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kämmerei und in den anderen Ämtern für die viele Vorarbeit für diesen Haushalt und für die sehr gute Zusammenarbeit, wenn wir Fragen und Probleme zu klären hatten.
 
***

Haushaltsrede DIE LINKE.
Doppelhaushalt 2017/2018
Niko Fostiropoulos, Stadtrat
Eingebracht am 27.09.2016
 
Es gilt das gesprochene Wort.


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