Allgemein

Corona-Krise und Sozialismus

20. Oktober 2020  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

DIE CORONA-KRISE UND EINE MODERNE SOZIALISMUSKONZEPTION (1).

Für die Partei „Die Linke“ ist die Diskussion einer modernen Sozialismuskonzeption von großer Bedeutung. In der innerparteilichen Diskussion aber auch in der Diskussion außerhalb der Partei, zum Beispiel in Wahlkampfveranstaltungen und an Informationsabenden, muss deutlich werden, dass die Partei einerseits zusammen mit Bündnispartnern für verbesserte Lebensbedingungen der BürgerInnen kämpft, dass sie aber auch andererseits einen Konsens der Linken zu erreichen versucht, der zu einer langfristigen Verwirklichung einen modernen Sozialismuskonzeption führt. Eine solche Konzeption kann auf der Basis der Theorien von Marx und Keynes entwickelt werden. Anzuknüpfen ist an den Problemen, die die Finanzkrise 2008, die Eurokrise und zuletzt die Corona-Krise hinterlassen haben. Die aktuellen Krisensituationen müssen als vorläufige Endpunkte einer seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts sich zuspitzende Überakkumulation von Kapital in den kapitalistischen Metropolen und damit zusammenhängend, einer verfehlten neoliberalen Politik auf internationaler und europäischer Ebene begriffen werden. Die Partei „Die Linke“ sollte sich zusammen mit Bündnispartnern in der SPD, den Grünen, den Gewerkschaften und verschiedenen alternativen Gruppierungen für einen linken Minimalkonsens stark machen (2) und auf die Notwendigkeit einer auf Dauer nichtkapitalistischen Perspektive hinweisen. Nur so wird ein weiterer gesellschaftlicher Fortschritt möglich sein.

Erstens geht es um den Kampf gegen den wirtschaftlichen Einbruch und die sozialen Folgen der Corona-Pandemie, insbesondere der Verschärfung der Ungleichheit in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen. Die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung ist konsequent anzugehen. Geeignete Maßnahmen sind u.a. die Anhebung von Tariflöhnen, gesetzlichen Mindestlöhnen, die Ausweitung der Mitbestimmung der Beschäftigten in Unternehmen, sowie der Aufbau europäischer Gewerkschaften mit einer europäischen Tarifpolitik.

Zweitens geht es um die Neuorganisation des Banken- und Finanzsystems. Dieser Sektor hat die Aufgabe, den Unternehmen, staatlichen Stellen und Privaten ausreichend Kredite zur Verfügung zu stellen. Völlig überflüssig ist in diesem Zusammenhang die Kreierung spekulativer Finanzprodukte. Es kommt im Gegenteil darauf an, vor allem den Sparkassen- und Genossenschaftssektor zu stärken, bestimmte Geschäfte ganz zu verbieten (z.B.

Offshore-Geschäfte) und eine strikte europäische Bankenaufsicht zu schaffen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist mit erweiterten Instrumenten bei ihrer Kreditvergabe und beim Einsatz von Kapitalverkehrskontrollen und Devisenmarktinterventionen auszustatten.

Drittens müssen die öffentlichen Haushalte auf eine solide Einnahmebasis gestellt und eine exzessive Staatsverschuldung verhindert werden. Dabei kann ein europäischer Mindeststeuersatz für Unternehmen, eine stärkere und direkte Besteuerung von Gut- und Spitzenverdienern, eine wirksame Besteuerung von Finanztransaktionen sowie eine Koordinierung und Zentralisierung der europäischen Finanzpolitik weiterhelfen. Außerdem müssen steuerpolitische Maßnahmen zur Korrektur von Leistungsbilanzungleichgewichten in Europa eingesetzt sowie ein EU-Finanzausgleich ausgebaut werden.  

Viertens gilt es über Europa hinaus Leistungsbilanzungleichgewichte durch eine koordinierte Geld- und Finanzpolitik, Kapitalverkehrskontrollen und Devisenmarktinterventionen zu verhindern. Eine grundlegende Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist dabei ein wichtiger Ansatzpunkt.

Die vier angeführten Punkte zu verwirklichen, was im Rahmen eines linken Konsenses schwer genug sein wird, würde die schlimmsten Auswirkungen der Finanzkrise, Eurokrise und Coronakrise beseitigen. Es wäre nun Aufgabe der Linken, weitertreibende Momente dieser Übergangsforderungen zu benennen. Es kann dabei angeknüpft werden an Vorschlägen von Keynes, der schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts eine „ziemlich umfassende Sozialisierung der Investitionen“ forderte ohne allerdings die kapitalistische Produktionsweise in Frage stellen zu wollen. Demgegenüber kann auf Basis der Marxschen Theorie gezeigt werden, dass durch den tendenziellen Fall der durchschnittlichen Profitrate und den Fall der Profitmasse (strukturelle Überakkumulation) auf Dauer eine Blockade des Wirtschaftswachstums  entsteht, die nur durch die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise beseitigt werden kann. Ein öffentliche Rahmenplanung der die Volkswirtschaft bestimmenden Investitionen und ein gesellschaftlicher Zugriff auf das Eigentum an den Produktionsmitteln bleiben dabei von zentraler Bedeutung. Für entwickelte Volkswirtschaften wird ein Marktsozialismus als moderne Sozialismuskonzeption zu diskutieren sein.

Eckpunkte eines modernen Sozialismuskonzeptes.

Bereits Keynes schwebte für die lange Frist eine Gesellschaft vor, in der aufgrund der Entwicklung der Technik (Bestand des fixen Kapitals) die Knappheit von Gütern im Verhältnis zur gesellschaftlichen Nachfrage überwunden werden könne. Marx hatte schon im 19.Jahrhundert vorausgesehen, dass durch die Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit  der Kapitalismus an die Schwelle zu einer möglichen Gesellschaft des Überflusses kommen kann, allerdings eine solche Gesellschaft nur unter der Voraussetzung zu erreichen ist, dass die kapitalistische Gesellschaft überwunden und eine neue höhere Form der gesellschaftlichen Produktion etabliert wird. Für Marx war die Reichlichkeit des fixen Kapitals (Maschinen, Gebäude, Rohstoffe) immer eine wesentliche Voraussetzung für den Übergang in eine neue Produktionsweise. Es entsteht allerdings dann die Frage, in welchem Verhältnis die Reichlichkeit oder die Knappheit von Waren zu den Bedürfnissen der Gesellschaftsmitglieder steht. Ökonomen, die in der Tradition von Keynes stehen, haben darauf hingewiesen, dass eine weitgehende Sättigung von Bedürfnissen schon in dieser Gesellschaft möglich sei. Dem widerspricht jedoch, dass der Finanzkapitalismus der letzten Jahrzehnte wegen der Zunahme der Einkommens- und Vermögensungleichheit sich wieder weitgehend von einer Überflussgesellschaft entfernt hat, ganz abgesehen von den aktuellen Krise, ökologischen und sozialen Defiziten und von den gravierenden Problemen der 3. und 4.Welt.                                                                 Hier setzt eine moderne Sozialismuskonzeption als demokratische Antwort auf die aktuellen Probleme ein. Es muss zugegeben werden, dass eine marktvermittelte Allokation von gesellschaftlichen Ressourcen solange unverzichtbar ist, solange die gewünschten Waren nicht im Überfluss vorhanden und frei verfügbar sind und auch eine zentrale Rationierung von Gütern abgelehnt wird.  Das System des Staatssozialismus hat gezeigt, dass eine umfassende zentrale Planung des Wirtschaftslebens nicht die Antwort auf die Krise des Kapitalismus sein kann. Eine zentrale Lenkung der gesellschaftlichen Ressourcen durch eine staatliche Planungsbehörde erwies sich als immer weniger funktional für die Produktivitätssteigerung und das Wirtschaftswachstum. Das zeigte sich u. a. darin, dass viele verstaatlichte Betriebe Planungsdefizite durch informelle Marktbeziehungen ausgleichen mussten. Es entwickelte sich eine Schattenwirtschaft, das heißt, dass sich viele Betriebe illegal von anderen Industrie- Bau und Transportbetrieben benötigte Rohstoffe, Halb- und Fertigwaren besorgten. Dass damit auch persönliche Bereicherungen, Vetternwirtschaft und Korruption verbunden waren, lag in der Natur der Sache. Es setzte sich in vielen staatssozialistischen Länder, wenn auch zu spät, die Erkenntnis durch, dass die zentrale Ressourcenzuteilung und die staatlich festgelegten Preise immer weniger auf verursachungsgerechter Kostenzuordnung aufgebaut waren und der gesellschaftliche Bedarf nicht optimal befriedigt werden konnte. Die Beschaffenheit der Güter entsprach in vielen Fällen nicht den Bedürfnissen der Bürger.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Erfahrungen für eine moderne Sozialismuskonzeption?

1.  Eine sozialistische Ökonomie für eine entwickelte Volkswirtschaft wird den Ware-Geld-Beziehungen, das heißt Angebot und Nachfrage an Märkten, eine wichtige Funktion einräumen.

2. Unternehmen werden nicht vorwiegend von einer staatlichen Planungsbehörde gesteuert werden müssen, sondern dezentrale Entscheidungen auf Unternehmensebene werden für weite Bereiche der Volkswirtschaft das bestimmende Prinzip sein.

3. Entscheidend für den systemspezifischen Charakter einer Wirtschaftsordnung sind die Produktionsverhältnisse, das heißt das Verhältnis der Produzenten zu den Produktionsmitteln und nicht, ob die Güter als Waren zirkulieren. Marx hatte vielfach darauf hingewiesen, dass die Warenzirkulation in verschiedenen Produktionsweisen vorzufinden ist, sogar unter antiken Verhältnissen. Wenn die kapitalistische Produktionsweise abzuschaffen ist, dann bedeutet das, dass die Produktionsmittel nicht mehr als privates Eigentum dazu dienen, von den Arbeitenden Mehrarbeit bzw. Mehrwert anzueignen, sondern die Verwirklichungsbedingungen der Arbeit der Produzenten darstellen. Damit wird gleichzeitig der Warencharakter der Arbeitskraft in Frage gestellt, das heißt, die Funktion des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln zurückgedrängt und die Arbeitskräfte selbst über das Was, Wie und Für Wen ihrer Arbeit entscheiden. Es entsteht ein verändertes Verhalten der Gesellschaft insgesamt und der einzelnen Unternehmen zu den Produzenten. Eine solche Gesellschaft verweist auf die führende Rolle des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln und dem Grund und Boden. Das muss nicht unbedingt staatliches Eigentum sein, sondern kann auch halbstaatliches oder vor allem modernisiertes genossenschaftliches Eigentum sein. Auch der Fortbestand des privaten Eigentums an Produktionsmitteln ist in bestimmten Bereichen der Gesellschaft vorstellbar, insbesondere bei kleinen nichtkapitalistischen Warenproduzenten und Warenkaufleuten (Kleines Handwerk und Kleinhandel). Das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln harmoniert also mit verschiedenen gesellschaftlich-gemeinschaftlichen Eigentumsformen.

Die Schlussfolgerung für ein modernes Sozialismuskonzept lautet also:

Die drei Elemente, – Eigentum an den Produktionsmitteln, Entscheidungsgewalt über die Unternehmensausrichtung und die gesellschaftliche Steuerung wichtiger volkswirtschaftlicher Größen (Wachstum, Beschäftigung, Preise etc.) – sind so zusammenzusetzen, dass die Dominanz der nicht-kapitalistischen Produktionsverhältnisse gewährleistet bleibt. Das schließt ein, dass es einen Mix aus verschiedenen Eigentumsformen mit der Dominanz vergesellschafteter Unternehmen in den Schlüsselsektoren geben sollte. Zu den Schlüsselsektoren gehören wichtige Investitions- und Konsumgüterunternehmen, Unternehmen der gesellschaftlichen Infrastruktur (Energie, Verkehr, Gesundheit) und das Bank- und Kreditwesen. Im verbleibenden privaten Sektor wird die Mitbeteiligung der Belegschaften eine wichtige Rolle spielen, insbesondere was die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse angeht.

Marktsozialismus und Modernisierung.

Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich gezeigt, dass der Finanzkapitalismus die Technikentwicklung für drastische kurzfristige Kostensenkungen und Rentabilitätssteigerungen auf Kosten der Beschäftigten und zu Gunsten der Aktionäre und institutionellen Investoren, zum Beispiel Investmentfonds wie Black Rock, genutzt hat. Das hat zur Folge gehabt, dass etliche Fortschritte bei der Lohnentwicklung, Arbeitszeitentwicklung und Sozialstaatsgestaltung der vorangegangenen Epoche zurückgenommen wurden. Ein modernes Sozialismuskonzept wird an den am weitesten entwickelten Formen der Technik und der sozialen Gestaltung des Kapitalismus anknüpfen und ihre Weiterentwicklung für die Zwecke der Beschäftigten und Sozialleistungsempfänger nutzbar machen. Es geht dabei um eine neue Betriebsweise, bei der die Modernisierung der Technik für eine bewusste Steuerung der Investitionen eingesetzt wird. Der produktive wertschöpfende Bereich der Volkswirtschaft wird von Vermögensansprüchen der Aktionäre und institutionellen Investoren weitgehend befreit werden müssen. Der Finanzsektor wird seines spekulativen und teilweise parasitären Charakters entkleidet und zu einer „dienenden Rolle“ im Steuerungsprozess der Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums eingesetzt. Europa bzw. die EU muss auf eine weitgehende politische Vereinheitlichung und regionale Strukturpolitik hin orientiert werden. Auch die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung muss mit entsprechendem sozialem Ausgleich in den Blick genommen werden. Für eine sozialistische Wirtschaftspolitik bedeutet das, auf Europa bezogen, die Strukturpolitik das Herzstück einer bewussten Gestaltung europäischer Wirtschaftsstrukturen darstellt.

Die neue Qualität gegenüber der bisherigen Politik besteht darin, dass offensiv steuernde Eingriffe vorgenommen und vor allem regionale Entwicklungsaufgaben angegangen werden. Die Strukturpolitik wird sozial verträglich sein und ein ökonomischer und sozialer Ausgleich zwischen den beteiligten Ländern der EU verwirklicht werden. Diese Politik muss national und europaweit mit neuen volkswirtschaftlichen Steuerungsinstitutionen durchgeführt werden. Vorstellbar sind Agenturen in öffentlicher Rechtsform, die nach politischen Vorgaben und unter Aufsicht von politischen Aufsichtsorganen wirtschaftspolitische Maßnahmen entweder selbst ergreifen oder überwachen und der Finanzhoheit von Parlamenten unterliegen. Die öffentliche Strukturpolitik der sozialistischen Marktwirtschaft erfolgt damit sowohl durch den öffentlichen Wirtschaftssektor selbst als auch durch mit ihm abgestimmte Steuerungsagenturen, die als verlängerter Arm der parlamentarisch beschlossenen Wirtschaftspolitik dienen.

Für den überkommenen Sozialstaat bedeutet Modernisierung unter marktsozialistischen Vorzeichen die Rücknahme seiner klassenspezifischen Merkmale. Die erste Forderung zur Relativierung des bürgerlichen Sozialstaats könnte die allgemeine Bürgerversicherung bei Krankheit, Unfall, Pflegebedarf und Alter sein.  Ferner sollten öffentliche Dienstleistungen Dienstleistungen auf Kostenbasis ohne Profitbestandteile sein. Sofern öffentliche Dienstleistungen sich nicht selbst tragen können sind sie aus Steuermitteln zu finanzieren.

Die Ausgestaltung des Steuersystems sollte nach dem Prinzip der Stärkung der direkten gegenüber indirekter Besteuerung erfolgen. Das bedeutet, eine progressive Besteuerung auf höhere Einkommen und Vermögen vorzunehmen. Sofern eine Einkommensspreizung weiterhin erfolgt, so sollte sie gesellschaftlich transparent und allgemein akzeptiert sein. Die Leitlinie muss in der sozialistischen Marktwirtschaft sein, eine Abstufung von Einkommen nach der Leistung zu ermöglichen und leistungslose Einkommen, zum Beispiel von Aktionären, ganz zu unterbinden.

Die Gestaltung des Arbeitslebens in der sozialistischen Marktwirtschaft hat anzuknüpfen an den entwickelten Formen im Kapitalismus. Sie hat die überkommenen Regulierungen zu modernisieren und auszubauen. Wie bereits dargestellt, entkleidet diese Politik die Produktionsmittel ihres Kapitalcharakters und trägt dazu bei, der Arbeitskraft nach und nach den Charakter einer auf dem Markt frei verfügbaren Ware zu nehmen. Das bedeutet unter anderen, dass die Beschäftigten und ihre Vertreter entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenspolitik erhalten und zusammen mit außerbetrieblichen gesellschaftlichen Gruppen, zum Beispiel kommunalen Vertretern,  die Entwicklung des Unternehmens bestimmen. Genossenschaftliche Strukturen in modernisierter Form können deutlich machen, dass die Beschäftigten nicht in erster Linie kurzfristig denkende Interessenvertreter sind sondern vor allem auch mittel- und langfristige Perspektiven, die Teil der gesellschaftlichen Strukturpolitik sind, im Auge haben.

Kommunistische Perspektiven?

Auch die in groben Zügen vorgeschlagene sozialistische Marktwirtschaft ist von einer Gesellschaft des Überflusses, in der die Güter frei verfügbar sind und eine marktvermittelte Ressourcenverteilung entbehrlich ist, noch weitentfernt. Die Güter werden weiter als Waren verkauft und die Nachfrage ist weiterhin zahlungsfähige Nachfrage. Es gilt das Marxsche Prinzip: „Jeder nach seinen Fähigkeiten jeder nach seiner Leistung.“ Dieses Prinzip ist nach Marx charakteristisch für die unentwickelte Phase des Kommunismus, die auch als Sozialismus bezeichnet wird. Originalton Marx: „ Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt.“ (3) Diese Gesellschaft weist weiter eine marktvermittelte Verteilung von Waren auf. Der Staatssozialismus, so wie er sich bis zu seinem Niedergang darstellte, versuchte demgegenüber eine Verteilung durch zentrale Planungsbehörden. Was dabei heraus kam, war eine Verteilung des Mangels mit persönlicher Bereicherung, Vetternwirtschaft und Korruption und mitnichten eine höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft, die eine Überflussgesellschaft darstellen sollte. In einer Überflussgesellschaft sollte tendenziell der gesamte notwendige Konsum mit freien Gütern, das heißt ohne Warenform und Preise, bewerkstelligt werden können. Ob ein solcher Gesellschaftszustand erreichbar und mit dem Begriff „Kommunismus“ zu etikettieren ist, war auch für Marx zweifelhaft. Noch einmal Marx: „Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach sich die Wirklichkeit zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“ (4) Eine solche Formulierung steht in direktem Gegensatz zu einer Vielzahl von Verlautbarungen kommunistischer Parteien im Staatssozialismus. Eine Überflussgesellschaft im Sinne von Marx, in der eine Verteilung nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen möglich ist, ist allerdings weiter eine Gesellschaft, in der Arbeit eine gesellschaftliche Notwendigkeit darstellt. Arbeit bleibt ein Mittel zur Nutzbarmachung von gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen, auch wenn sie möglicherweise zunehmend wissenschaftliche Arbeit und Kontrollarbeit eines automatischen Produktionsprozesses darstellt. Sie ist eine hoch produktive Arbeit, die unter allen werkfähigen Mitgliedern der Gesellschaft verteilt wird und die einen sinkenden Anteil an der Lebenszeit der Menschen einnehmen wird. Auf der anderen Seite sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Überfluss bzw. die Überwindung von Knappheit nicht nur eine Frage der Produktivität der Arbeit, sondern auch eine Frage der Bedürfnisentwicklung der Individuen ist. Es kommt darauf an, dass das Bedürfnissystem auf eine rationale und demokratische Weise entwickelt wird und, im Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft, nicht mehr den Zwängen der privaten Kapitalverwertung unterworfen ist.

Das bedeutet auch einen Kampf gegen Entwicklungen zu führen, die letztlich auf die private Kapitalverwertung zurückgehen, also ökonomische, soziale und Umweltkrisen. Für die Zeit nach der Corona-Krise muss massiv gegen alle Versuche vorgegangen werden, zur alten neoliberalen Politik zurückzukehren. Die Demokratische Linke hat dem eine überzeugende und glaubwürdige Alternative zu dieser Politik entgegenzuhalten.

  • Siehe hierzu: Stephan Krüger, Keynes und Marx, Hamburg 2012,

  S. 347ff und Stephan Krüger, Wirtschaftspolitik und Sozialismus, Ham- burg 2015 sowie verschiedene Aufsätze in Sozialismus aktuell.

(2) Siehe: Dullien, Herr, Kellermann, Der gute Kapitalismus und was sich   dafür ändern müsste, Bielefeld 2009.

(3) Siehe Marx-Engels-Werke, Band 19, S. 20(4) Siehe Marx

Das politische System der USA in der Krise

17. Oktober 2020  Allgemein

 DR.PETER BEHNEN

  DIE LINKE FREIBURG

                   DAS POLITISCHE SYSTEM DER USA IN DER KRISE (1).

Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA im Jahre 2016 führte zu einer Erschütterung des politischen Systems der USA und legte zugleich seine inhärente Schwäche offen. Trump wurde gewählt zu einer Zeit, als die USA ihre ökonomische und politische Hegemonie teilweise verloren hatten und gegenüber der EU und vor allem China ins Hintertreffen zu kommen drohten. Insoweit war es kein Wunder, dass Trump seinen Wahlkampf 2016 mit nationalistischen Parolen, wie zum Beispiel „Make America great again“, betrieb. Diese Wahlkampfstrategie ist jedoch inzwischen an der gesellschaftlichen Realität gescheitert und lässt sich nicht für den laufenden Wahlkampf 2020 ohne Probleme wiederbeleben.

Von einer blühenden Wirtschaft konnte schon vor der Corona-Pandemie in den USA nicht die Rede sein. Nach der Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) dürfte die USA-Wirtschaft im Jahre 2020 um 4,3% schrumpfen, die Arbeitslosenrate liegt mit 7,9% auf dem höchsten Stand im Vorfeld einer Präsidentenwahl seit 1948. Infolge der Corona-Pandemie gingen über 22 Millionen Arbeitsplätze verloren. Wegen des erneut hohen Infektionsgeschehens geraten immer mehr Unternehmen in Schwierigkeiten. Die Zentralbank (FED) geht davon aus, dass die Arbeitslosenquote in Wirklichkeit bei 10-11% liegt. Trump versucht nun, weil er selbst, seine Frau und ein Teil seines Stabes an Corona erkrankte, die Erkrankung für den Wahlkampf zu nutzen. Er gibt sich als Sieger über den Virus, ein Zynismus angesichts von etwa 200000 Toten und etwa 8 Millionen Infizierten Amerikanern und Amerikanerinnen.

Die Corona-Krise hat allerdings auch das politische System der USA erschüttert und seine Schwächen öffentlich gemacht. Das zeigt sich zum Beispiel beim Kampf um die Besetzung einer Richterstelle am Obersten Gericht. Der Besetzung kommt eine enorme politische Bedeutung zu. Die neun Richter, die auf Lebenszeit ernannt werden, entscheiden häufig bei besonders strittigen politischen Fragen. Bis zum Tod von Ruth Bader Ginsburg, die liberale Werte vertrat, standen sich 5 konservative und 4 eher progressive RichterInnen gegenüber. Es kam in den letzten Jahren häufiger vor, dass bei dieser Konstellation sich die progressiven RichterInnen nicht gegen die konservativen durchsetzen konnten. Das lag u.a. an der Beratungs -und Diskussionskultur des Obersten Gerichts. Im Falle einer strittigen Frage mussten sich alle Richter bzw. Richterinnen nacheinander äußern und dann sofort ihre Stimme abgeben. Eine argumentative Auseinandersetzung war damit nicht möglich, ein Abbau von Differenzen eher unwahrscheinlich.                                                        Die Richter bzw. Richterinnen am Obersten Bundesgericht   werden vom Präsidenten vorgeschlagen und dann vom amerikanischen Senat bestätigt. Es reicht eine einfache Mehrheit in dem 100-köpfigen Gremium, das heißt, die Republikaner können mit ihrer Mehrheit von 53 Stimmen die konservative Juristin Amy Coney Barret in das Amt befördern. Mit ihr könnten die Konservativen im Obersten Gericht ihre Mehrheit ausbauen, insbesondere dann, wenn die Bestätigung des Senats noch vor der Präsidentschaftswahl erfolgen würde. Eine Stärkung der Konservativen im Obersten Gericht würde die amerikanische Gesellschaft noch weiter nach rechts verschieben. Das betrifft beispielsweise die Frage des Abtreibungsrechts, des Waffenrechts oder auch die Gesundheitsreform Obamas. Auch Trumps Ankündigung, bei seiner Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2020 könne es sich nur um Manipulationen handeln, könnte zur Klärung des Wahlausganges vor dem Obersten Gericht landen.

Dadurch wird deutlich, welches politische Gewicht der Senat besitzt. Jeder Bundesstaat darf unabhängig von seiner Bevölkerungszahl zwei Personen in den Senat entsenden, die dann für 6 Jahre gewählt sind. Das führt zu einem Übergewicht bevölkerungsarmer Staaten im Senat, die dadurch auch ein Übergewicht bei der Gesetzgebung, der Kontrolle des Präsidenten, der Ratifizierung internationaler Verträge und auch beim Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten erhalten. Bis 2040 ist damit zu rechnen, wenn verschiedene Prognosen stimmen, dass 70% der AmerikanerInnen in 15 der 50 Bundesstaaten leben werden. Das würde dazu führen, dass 30% der AmerikanerInnen 7o der 100 Mitglieder des Senats bestimmten und im Senat nicht mehr die Vielfalt der USA repräsentiert würde.

Die Wahl des Präsidenten würde ebenfalls tangiert. Der Präsident wird nicht direkt durch das Volk gewählt, sondern durch ein Wahlleutegremium. Es genügt einem Präsidentschaftskandidaten eine einfache Mehrheit in einem Bundesstaat, um alle Wahlleute des Staates zu erhalten. Alle Stimmen des oder der unterlegenen Kandidaten fallen dann weg (The winner takes all).   Auch hier erhalten die bevölkerungsarmen Staaten, die in der Regel landwirtschaftlich geprägt sind, ein besonderes Gewicht, weil sie in der Regel eine überproportionale Anzahl von Wahlleuten besitzen. Das spielt den Republikanern in die Hände, die traditionell in diesen Staaten stark sind.  Auf diese Weise ist es möglich, dass ein Kandidat bzw. Kandidatin die Präsidentschaft erringen kann, die nicht die Mehrheit der WählerInnen in den USA erhalten hat. Das ist zuletzt bei der Wahl von Donald Trump gegen Hillary Clinton passiert. Es bekommen dann auch die Staaten ein besonderes Gewicht, bei denen weder Republikaner noch Demokraten eine strukturelle Mehrheit haben (Swinging States). Die Verzerrung des Wählervotums wird verstärkt durch den Trend vieler WählerInnen, in die urbanen Zentren an der Ostküste- und Westküste des Landes zu ziehen. Der Trend hat viel mit dem Ziel vieler WählerInnen zu tun, in den Dienstleistungszentren zu leben. Strukturelle Veränderungen des Wirtschaftslebens, die dem Trend zugrunde liegen, führen auch dazu, dass zunehmend Jobs Hochschulabschlüsse erfordern, und die soziale Perspektive anderer Jobs unzureichend bleibt. Die Kapitalverwertung spielt sich heute weniger im ländlichen Raum, sondern mehr in den urbanen Zentren ab. Das hat zur Folge, dass ein Kandidat oder Kandidatin für die Präsidentschaft auch dann noch gewinnen kann, wenn er prozentual weit hinter dem Gegenkandidaten, der die urbanen Zentren beherrscht, zurückliegt.

Insgesamt ist das Wahlsystem der USA sowohl in Bezug auf den Senat als auch auf die Präsidentenwahl fragwürdig, weil keine Legitimation durch eine Bevölkerungsmehrheit erfolgt. Notwendig wäre eine grundlegende Reform des Wahlsystems, was allerdings sowohl eine zweidrittel Mehrheit im Senat als auch Repräsentantenhaus erforderte und zudem noch eine Zustimmung von Dreiviertel aller Bundesstaaten. Das ist nach Lage der Dinge auf absehbare Zeit nicht machbar. Die USA stehen somit vor der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie und vor der Gefahr der Zuspitzung der Krise des politischen Systems. Donald Trump versprach seinen WählerInnen ihnen die Macht gegen die politischen Eliten zurückzugeben. Er meint dabei aber nicht das ganze Volk, sondern eigentlich nur die weiße, christlich-konservativ und zum Teil fundamentalistisch geprägte Mittelschicht, die über keinen Hochschulabschluss verfügt. Dieser Teil der Bevölkerung befürchtet einen sozialen Abstieg und ist offen für eine rechtspopulistische Ideologie. Trump schürt deswegen Bedrohungs- und Opfergefühle in der US-Gesellschaft und proklamiert eine Law-and-Order-Politik. Außenpolitisch schürt er insbesondere Bedrohungsgefühle gegenüber China und macht China für die Corona-Pandemie verantwortlich (China-Virus). Innenpolitisch kann das in der US-Verfassung verankerte Recht auf privaten Waffenbesitz dazu führen, dass die private Militarisierung weitergeht und ein gefährliche Gewaltpolitik in die Wege leitet. Das Wahl-und Repräsentationssystem der

USA könnte nicht nur zu einer politischen Blockade führen, sondern vor dem Hintergrund des umfassenden Waffenbesitzes zu gewaltsam ausgetragenen Konflikten und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Notwendig wäre heute eine vertiefte Diskussion über marktradikale Politik, die zu massiven Ungleichheiten führt, über die Überwindung des Rassismus in den USA und über die Gefahr des Verlustes der Demokratie mit fatalen nationalen und internationalen Folgen.

(1)Siehe zu diesem Aufsatz: Friedrich Steinfeld, Gefährliche Gemengelage im US-Wahlkampf, Sozialismus aktuell vom 10.10.2020.

Was ist los auf dem Arbeitsmarkt?

06. Oktober 2020  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

                          WAS IST LOS AUF DEM ARBEITSMARKT? (1)

Durch die Corona-Krise kam es auch in der Bundesrepublik zu einer tiefen Rezession. Für 2020 wird mit einem Minus in der gesamtwirtschaftlichen Leistung von 5% gerechnet. Doch es gibt einen Silberstreifen am Horizont. Die Konjunkturforscher der Hans-Böckler-Stiftung rechnen für Ende 2021 damit, dass das Vorkrisenniveau wieder erreicht wird. Für 2021 rechnen sie mit einem Wirtschaftswachstum von 4,9%. Das führen sie auf die nach ihrer Ansicht entschlossene Krisenpolitik der Bundesregierung zurück, insbesondere auf die Stützung der Konjunktur durch das Kurzarbeitergeld. Positiv hervorgehoben wird ebenfalls die Krisenbekämpfung der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU. Der europäische Recovery-Plan in Höhe von 750 MRD Euro habe zur Stabilisierung beigetragen. Risiken sehen die Konjunkturforscher der Hans-Böckler-Stiftung in einer neuen größeren Infektionswelle, der Politik der USA nach den amerikanischen Wahlen und in dem Brexit. Beunruhigend sei außerdem die Frage, ob es den exportorientierten Wirtschaftszweigen (z.B. der Autoindustrie) gelingt, aus der Rezession herauszufinden?

Das gesamte Szenario hat natürlich starke Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. So lag die Zahl der registrierten Arbeitslosen im September bei 2,8 Millionen. Im Vergleich zum September 2019 ist das ein Anstieg von 613000 Arbeitslosen oder 27%. Trotzdem ist davon auszugehen, dass vermutlich der Tiefpunkt am Arbeitsmarkt durchschritten ist. Die Zahl der ArbeitnehmerInnen in Kurzarbeit betrug im Juli 4,2 Millionen, das sind dreimal so viel wie in der Finanzkrise 2008/2009. Auf die ausgefallene Arbeitszeit berechnet bedeutet das 1,6 Millionen weitere Arbeitslose. Das wird zur Folge haben, dass zuerst das Arbeitspensum der KurzarbeiterInnen wieder hochgefahren wird, bevor Unternehmen neue Arbeitskräfte einstellen.

Bei der Betrachtung der verschiedenen Branchen ergibt sich ein differenziertes Bild. Die saisonbereinigte Beschäftigung gegenüber dem Vormonat August ist überwiegend gestiegen. Zuwächse gab es vor allem im Gastgewerbe, Gesundheitswesen sowie im Pflege- und Sozialbereich, Rückgänge allerdings im verarbeitenden Gewerbe (Metall- und Elektrobereich) und in der Arbeitnehmerüberlassung (2). Nimmt man jedoch den Vorjahresvergleich ist die Beschäftigung im Gesundheitswesen am stärksten gewachsen, wenn auch mit kleinerem Wachstum seit der Corona-Krise. Die Beschäftigungsrückgänge gegenüber dem Vorjahr konzentrieren sich auf die Arbeitnehmerüberlassung, Metall- und Elektroindustrie und beim Gastgewerbe. Prekär Beschäftigte sind durch die Corona-Krise besonders betroffen. Bis Ende Juni sind im Gastgewerbe 325000 Minijobs weggebrochen, es folgt der Dienstleistungsbereich mit einem Einbruch von 96116 Minijobs, dann der Handel und das verarbeitende Gewerbe mit einem Einbruch von 73641 und 70181 Minijobs. In der Summe ging jeder achte Minijob verloren.

Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Wirtschaftskrise die soziale Ungleichheit, die schon vorher massiv war, verschärft. Die Kurzarbeit und die Schließung von Geschäften führten zu einer starken negativen Lohnentwicklung. Die Nominallöhne sind mit einem Minus von 4% noch deutlicher gefallen als im Verlaufe der Finanzkrise 2008/2009, bedingt vor allem durch die Verkürzung der Arbeitszeit. Am stärksten betroffen waren die unteren Lohngruppen. Für ungelernte und angelernte ArbeitnehmerInnen reduzierten sich die Nominallöhne um 7,4 bzw. 8,9%. Nach der Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung hat bereits über ein Viertel der Erwerbstätigen Einkommen verloren. Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen haben dabei häufiger an Einkommen eingebüßt, erhalten bei Kurzarbeit seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und haben häufiger Angst, ihren Arbeitsplatz ganz zu verlieren. Bessere Perspektiven haben in der Regel Beschäftigte in Unternehmen mit Tarifvertrag und Mitbestimmung.

Die Frage ist, wie die Entwicklung in den nächsten Monaten weitergeht?

Schon jetzt ist klar, dass die Unsicherheit und die Zukunftsängste zunehmen werden und sich der Nährboden für rechtspopulistische Bewegungen erweitern kann. Wie sich die gesellschaftliche Wertschöpfung weiterentwickeln wird, ist ziemlich unklar. Eine nationale Erholung des Wirtschaftsgeschehens unabhängig von der Entwicklung des europäischen Binnenmarktes und des Weltmarktes ist nicht zu erwarten. Falls nach der Jahreswende wieder eine starke Welle von Insolvenzen zu verzeichnen wäre, würde die Zahl der Arbeitslosen weiter in die Höhe schießen und deutlich werden, dass die Wirtschaftskrise nicht überstanden ist.

(1)Grundlage des Aufsatzes: Bischoff, Müller in: Sozialismus aktuell vom   2.10.20

(2) Von Arbeitnehmerüberlassung wird gesprochen, wenn ein selbstständiges Unternehmen (Verleiher) einen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin  (Leiharbeitnehmer) an ein anders Unternehmen ausleiht, wobei der Verleiher alle Rechte und Pflichten des Arbeitgebers zu übernehmen hat.  Während die FDP und die CDU/CSU die Leiharbeit befürworten, lehnt die Linkspartei die Leiharbeit ab, wegen der Vielzahl von Missbräuchen. Die SPD und die Grünen halten daran fest, wollen aber eine gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitsbedingungen von Stammbelegschaften und Leiharbeiterschaft durchsetzen.

Inflation und Corona

16. September 2020  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

                              MIT EINEM „WUMMS“ IN DIE INFLATION?

Die Bundesregierung hat in der Corona-Krise mit 1,2 Billionen Euro das größte Hilfsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik aufgelegt. Nachdem die Bundesregierung zuerst das Ziel verfolgte, Arbeitsplätze zu erhalten, den Fortbestand von Unternehmen zu sichern und krasse soziale Notlagen zu vermeiden, sollte es dann darum gehen, die bundesdeutsche Wirtschaft wieder auf einen Wachstumskurs zu bringen. Der Bundesfinanzminister Scholz wollte mit einem „Wumms“ die Krise überwinden. Das aufgelegte Programm zielte sowohl auf Nachfrage- und Konsumimpulse als auch gezielte Förderung von Zukunftsinvestitionen. „Offen ist in zentralen Punkten, ob die beabsichtigten Wirkungen erreicht werden können. Offen ist ebenfalls, wie der Bundesfinanzminister einräumt, die Gegenfinanzierung.“ (1) Klar war von Anfang an, dass die Schuldenbremse nicht eingehalten werden konnte, also ein Nachtragshaushalt nötig werden würde. Bemerkenswert war, wie schnell sich etablierte PolitikerInnen von ihren Dogmen, zum Beispiel dem Dogma der schwarzen Null, verabschiedeten. Finanzminister Scholz kalkuliert für 2020 mit einer Rekordsumme von 218,5 Mrd. Euro an zusätzlichen Schulden. „Strittig ist diese Politik, weil befürchtet wird, dass daraus langfristig das Potenzial für höhere Inflationsraten ansteigt.“ (2) Hier handelt es sich normalerweise um ein Standardargument der Neoklassik oder des Ordoliberalismus, doch auch bei einigen Marxisten wird eine Inflationsentwicklung befürchtet.

Conrad Schuhler schreibt in einem Aufsatz für das Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung ( ISW) im Juli 2020: „ Zwar ist die allgemeine Inflation von Gütern und Diensten im Korridor von 1% bis 2% (und tiefer)  verlaufen, doch sind die Preise der Vermögensgüter beträchtlich gestiegen. Im letzten Jahrzehnt brachte es die Gesamtwirtschaft auf ein Wachstum nahe bei Null -langfristig Stagnation- doch schafften die Vermögenswerte ein Vielfaches davon.“ (3) Schuhler plädiert demgegenüber für eine Politik, die die kaufkräftige Nachfrage der Konsumenten stärkt. Abzulehnen sei die im Corona-Hilfsprogramm vorgenommene Senkung der Mehrwertsteuer. Sie sei unwirksam, auch weil letztlich die Unternehmen entschieden, wer in den Genuss der Steuersenkung komme. Schuhler stellt für das Hilfsprogramm von 130 Mrd. Euro ein Missverhältnis „von zugeschossener Geldmenge (gesunkener Steuer) und zusätzlichem Produkt (fest P.B.) – die klassische Inflationsursache.“ (4) Sein Fazit lautet: „Enorme Erhöhung der Geldausgaben; erster Nutznießer sind die Unternehmen; der Ausbau an Gütern und Diensten ist relativ bescheiden, die Inflationsgefahr damit hoch.“ (5) Schuhler wendet sich vor allem gegen die Art der Finanzierung des Hilfsprogramms der Bundesregierung, er zweifelt vor allem an der Äquivalenz von Geldmenge und dem Output an Gütern und Diensten. Statt der Geldschöpfung durch Staatskredite plädiert er für die Transformation der Wirtschaft durch Besteuerung hoher Vermögen und einen Lastenausgleich zu Gunsten der BürgerInnen mit geringem oder fehlendem Vermögen. In der letzten Instanz müsse es darum gehen, den Kapitalismus abzulösen.

Michael Wendl formuliert in einem Aufsatz beim ISW eine Kritik an der Sichtweise Conrad Schuhlers. Es geht ihm um die Frage: Inflation oder Deflation? „Die Vorstellung, auf der diese Inflationsangst basiert, ist einfach. Sowohl die expansive Geldpolitik der Zentralbanken wie die groß dimensionierten Ausgabenprogramme der Regierung fluten die Märkte mit zusätzlichem Geld. Damit übersteige die zahlungsfähige Nachfrage das Angebot an Gütern und Dienstleistungen und führe dadurch zu enormen Preissteigerungen.“ (6) Nach Wendl stützt sich Schuhlers Spekulation auf die sogenannte Quantitätstheorie des Geldes. Das bedeutet, die steigende Geldmenge führe aus dieser Sicht zu steigenden Preisen und nicht zu steigenden Mengen. Geld werde als neutral eingeschätzt und habe keine Auswirkung auf den realen Sektor. Auch die Geldschöpfung durch die Zentralbanken führe nur zum Anstieg des Preisniveaus. Wendl sieht das allerdings grundsätzlich anders. „Die Annahmen, dass es zwangsläufig zu einer Inflation, manche sprechen sogar von einer Hyperinflation, kommen muss, sind durch eine nicht zutreffende Sicht auf die Verfahren der Kredit- und Geldschöpfung durch das zweistufige Bankensystem gekennzeichnet.“ (7) Wendl ist der Auffassung, die Banken seien auf Einlagen der Sparer nicht angewiesen, weil sie sich durch Kreditvergabe die Einlagen selbst schafften. Über die Konten bei der Zentralbank wickelten die Geschäftsbanken ihre gesamten Transaktionen ab. Eine Inflation könne nur entstehen, wenn die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen das Angebot übersteige und die Produktion nicht elastisch reagiere. „Geld entsteht daher endogen durch die Nachfrage nach Krediten. Nur wenn mehr Kredite nachgefragt werden, erhöht sich die Geldmenge. Dann wird mehr investiert und konsumiert. Damit erhöht sich aber auch das Produktionspotential.“ (8)

Wendl kommt zu folgendem Schluss: „Insofern gehen von der aktuellen zusätzlichen Staatsverschuldung keine inflationären Impulse aus.“ (9)

Dass auch traditionelle marxistische Analysen eine expansive Geldpolitik mit der Gefahr einer Inflation verknüpfen, sieht Michael Wendl in der Vernachlässigung der Rolle von Geld und Kredit durch die meisten Marxisten. Wendl schließt sich in der Frage der Geldschöpfung von Banken dem bürgerlichen Ökonomen Joseph Schumpeter an, bei dem die Geldschöpfung quasi aus dem Nichts erfolgt, das heißt, durch Staat und Banken. Insoweit ist Wendl bei der modernen Geldtheorie (MMT) gelandet.

Dieser theoretischen Position widerspricht Stephan Krüger. Ob Wendl ihn dem traditionellen Marxismus zuordnet, muss dahin gestellt bleiben. Stephan Krüger zeigt, dass gerade von marxistischer Seite eine aktuelle und nachvollziehbare Ableitung des kapitalistischen Geld- und Kreditsystems erfolgen muss und bewerkstelligt werden kann (10).                                                                                            Krüger beginnt seine Nachzeichnung der Evolution des kapitalistischen Geld- und Kreditsystems mit der Warenzirkulation und der Geldware mit Selbstwert als Grundlage. Die Geldware Gold bildet dabei den Ausgangspunkt. Inzwischen habe bis heute eine fortschreitende Idealisierung der Geldware Gold im nationalen und internationalen Rahmen stattgefunden. Es sei allerdings daran festzuhalten, was Marx im „Kapital“ (Bd.3) formuliert habe. Es dürfe „nie vergessen werden, dass das Geld- in der Form der edlen Metalle-die Unterlage bleibt, wovon das Kreditwesen von der Natur der Sache nach nie loskommen kann.“ (11) Krüger will auf dieser Basis die zeitgenössischen Formen des Geldes und Kredits erschließen.

Er stellt die nach wie vor gültigen Beziehungen und Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise folgendermaßen dar:

1.Die Waren treten preisbestimmt in die Zirkulation ein. Das heißt auch, dass der Wert der Waren nachfrageinduzierte Veränderungen erhält.

2. Der Umfang der zirkulierenden Waren bestimmt die Geldzirkulation. Die Quantitätstheorie des Geldes richtig dargestellt beinhaltet einen rückwirkenden monetären Einfluss des Geldsystems auf die Warenpreise. Die Verkehrsgleichung des Geldes ist zu modifizieren. Das heißt, die gesamtwirtschaftliche Preissumme bestimmt die Geldmenge. Soweit die Geldmenge in der Form von Wertzeichen zirkuliert, besteht eine monetär induzierte Rückwirkung auf die Preise. (12)

3. Die Kapitalakkumulation erhält ihre Dynamik aus der Mehrwertproduktion und ihren Gesetzmäßigkeiten und nicht aus der Verwertung des Geldkapitals. Es besteht allerdings eine Wechselwirkung ungleicher Kräfte.

4. Der Finanzsektor ist ein abgeleiteter Sektor gegenüber der reproduktiven Basis des industriellen und kommerziellen Kapitals.

5. Die langfristigen Verselbständigungstendenzen des Finanzsektors werden bestimmt durch den immanenten Widerspruch der kapitalistischen Mehrwertproduktion (Rate und Masse des Mehrwerts). Die beschleunigte Kaptalakkumulation wird abgelöst durch die strukturelle Überakkumulation.

6. Der aktuelle Finanzmarktkapitalismus ist die bisher weitestgehende Verselbständigung. Es wird versucht, die Wertschöpfung durch Verschuldung zu stabilisieren.

Die auf die forcierte Geldschöpfung angelegte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) schlägt im Prosperitätszyklus nach dem 2.Weltkrieg in inflationäre Prozesse um, wenn die Kapazitätsgrenzen der Unternehmen erreicht sind. Im Überakkumulationszyklus seit der Mitte der 70er Jahre kommt es zu verwertungsbedingten Grenzen der Kreditnachfrage der Unternehmen und zu Einkommensgrenzen der Haushalte. Daraus folgt eine Umleitung der Kapitalströme auf die Finanzmärkte und die Bildung von Vermögenspreisblasen. Diese Entwicklung ist nicht zu beenden, wenn die Verwertungsblockaden der strukturellen Überakkumulation nicht aufgelöst werden. Die Entwicklung des Kapitalismus stößt an seine Systemgrenze.

Die Frage ist, wie sich die Geldpolitik der Flutung der Finanzmärkte durch den Ankauf von Wertpapieren (Staatspapieren) durch die Zentralbanken (Quantitative Easing) langfristig auswirkt. Es entsteht unter Überakkumulationsbedingungen das Problem, dass weniger reproduktive Mengeneffekte als vielmehr Preiseffekte im Vermögenssektor mit negativen Rückwirkungen auf den reproduktiven Sektor erzeugt werden. Die expansive Geldpolitik wurde vor der Corona-Zeit konterkariert durch die Austeritätspolitik und Schuldenbremsen der Eurostaaten. Nun aber wird nach Corona auf lange Sicht die Verschuldungspolitik nicht endlos weitergeführt werden können, insbesondere dann, wenn die Verwertungsblockaden die Wertschöpfung hemmen. Die Zentralbanken stecken in einem Dilemma:

„verlangsamte produktive Kapitalakkumulation mit latenter Deflationsgefahr an den Warenmärkten und zugleich eine Inflation der Wertpapierkurse mit Gefahr des Platzens der Vermögenspreisblasen.“ (13)

Die Zentralbanken können durch das Aussteigen aus dem quantitative Easing die Deflation an den Warenmärkten verstärken oder bei Fortsetzung der lockeren Geldpolitik einen Krach an den Finanzmärkten riskieren. Stephan Krüger sieht die Gefahr eines Umschlages des Kapitalismus in die Barbarei, insbesondere bei entsprechenden weltpolitischen Konstellationen. Die wirkliche Lösung der Probleme könne nur darin bestehen, die Bedeutung der Profitrate zu relativieren, den Kapitalcharakter des zinstragenden Kapitals zu überwinden und Schritt für Schritt eine sozialistische Marktwirtschaft zu schaffen.

Conrad Schuhler kommt zwar auch zu der Schlussfolgerung, dass der Kapitalismus zu beenden sei, aber von einer theoretisch einwandfreien und logisch nachvollziehbaren Darlegung der heutigen Probleme kann bei ihm nicht die Rede sein. Nur dadurch ist sein Festhalten an der naiven Quantitätstheorie des Geldes und seine Inflationsbeschwörung zu erklären. Es ist Michael Wendl zwar zuzustimmen, dass die Heranziehung der naiven Quantitätstheorie des Geldes nicht weiterführt, aber auch er findet keinen Weg, die Quantitätstheorie des Geldes so zu modifizieren, dass sie einen Beitrag zur Erklärung der Geldmengenentwicklung und Preisentwicklung leisten kann. Wendl unterlässt es, den Weg über die Zirkulation von Waren und der Idealisierung der Geldware mit Selbstwert nachzuvollziehen und beginnt gleich mit der entwickelten Ebene des Kreditsystems. Für ihn entsteht Geld endogen durch Kredite, die zur Steigerung des Konsums und der Produktion führen mit dem Ergebnis, dass durch die zusätzliche Staatsverschuldung kein Inflationsrisiko ableitbar sei. Er landet dabei bei der modernen Geldtheorie (MMT), die in der Linken zunehmend Anklang findet. Auch sie weist einen Fundamentalfehler bei der Bestimmung des Geldes auf, es fehlt ein Rückbezug auf die Bedingungen der Kapitalverwertung und es fehlt die Unterscheidung von beschleunigter Kapitalakkumulation und struktureller Überakkumulation. Hinzu kommt die Ausblendung der Einbettung einer Volkswirtschaft in die internationale Konkurrenz.

Insgesamt gesehen kann weder bei Schuhler noch bei Wendl von einer Darstellung und Erklärung der Probleme des zeitgenössischen Kapitalismus gesprochen werden, die die Linke vor weiteren ökonomischen und politischen Irrwegen bewahren würde.

(1) Sozialismus aktuell vom 4.6.20

(2) Sozialismus aktuell vom 24.8.20

(3) Conrad Schuhler: Das Problem der schuldenfinanzierten Konjunktur:  die Umwandlung des Finanz-in Realkapital; ISW vom 6.7.20

(4) Conrad Schuhler a.a.O.

(5) Conrad Schuhler a.a.O.

(6) Michael Wendl, Inflation oder Deflation? ISW vom 6.7.20

(7) Michael Wendl a.a.O.

(8) Michael Wendl a.a.O.

(9) Michael Wendl a.a.O.

10) Der folgende Teil des Aufsatzes fasst ein Referat von Stephan Krüger zusammen: Marx/Engels Stiftung Stuttgart vom 23.11.19                                       Titel: Evolution des kapitalistischen Geld und Währungssystems-von den allgemeinen Bestimmungen des Geldes zu den entwickelten Formen von Geld, Kredit und fiktivem Kapital.

11) MEW 25 S.620

12) Siehe auch: Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr.104 S.87-99

13) Stephan Krüger a.a.O                                                                                                                                                                                                                                                                 

Bedingungsloses Grundeinkommen

20. August 2020  Allgemein

DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN- EINE ECHTE ALTERNATIVE FÜR CORONA-ZEITEN?

Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen zieht sich schon über ein Jahrzehnt hin, eine Diskussion die von BefürworterInnen und GegnerInnen zum Teil erbittert ausgetragen wurde. Die jüngste Diskussion wurde nun von dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin angestoßen. Es stellt fest, dass „die derzeitige Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen…selten auf fundiertem Wissen (beruht).“ (1) Aus diesem Grunde will eine Studie des DIW neue empirische Maßstäbe setzen und zusammen mit dem Verein „Mein Grundeinkommen“ eine Langzeitstudie Deutschland zur Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens erarbeiten. Es will die theoretische Debatte in die soziale Wirklichkeit überführen und herausfinden, „wie ein bedingungsloses Grundeinkommen Menschen und Gesellschaft verändert.“ (2)  Es sind 1500 ProbandInnen der Langzeitstudie vorgesehen, von denen 120 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Personen 3 Jahre lang monatlich bedingungslos 1200 Euro erhalten.

Es ist sehr wichtig, die empirischen Daten über das Verhalten der ProbandInnen zu bekommen, das kann allerdings die abgelaufene theoretische Debatte nicht vergessen lassen.  Deswegen gilt es, noch einmal wichtige Argumente der Debatte zusammenzufassen.

Je mehr sich in der Bundesrepublik die Massenarbeitslosigkeit verfestigt und die Corona-Krise das ökonomische Leben beeinträchtigt, desto lauter wird auch die Forderung nach grundsätzlich neuen Lösungen für die sozialen Probleme erhoben.  Insoweit ist es kein Zufall, wenn die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle Bürger wieder verstärkt in die Diskussion kommt. Jeder Bürger bzw. Bürgerin soll das Anrecht erhalten, ohne jegliche Bedürfnisprüfung ein bestimmtes Grundeinkommen zu bekommen.  Wenn ein Grundeinkommen von 1000 Euro pro Mont bei 83 Millionen BürgerInnen gezahlt würde, würde das etwa eine Billion Euro pro Jahr kosten, bei gesamten Staatsausgaben von knapp 1,5 Billionen Euro pro Jahr. Das hat das Statistische Bundesamt ermittelt. Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens finden sich sowohl bei Neoliberalen als auch bei Linken. Der ehemalige Nobelpreisträger Milton Friedman machte sich schon vor Jahren für eine Art bedingungslosen Grundeinkommens stark. Das gilt ebenso für einige Mitglieder der Linkspartei, zum Beispiel für Katja Kipping und Bodo Ramelow.

Als Vertreter des Unternehmerlagers und Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens in der Bundesrepublik kann beispielsweise Götz Werner, der Gründer der Drogeriekette DM, genommen werden. Werner argumentiert, wir erlebten „produktivitätsbedingt eine Entkopplung von Arbeit und Einkommen: für Arbeit wird immer weniger Einkommen erreichbar, immer mehr Einkommen (Zinsen, Dividenden) wird hingegen ohne Arbeit erzielt…“ (3). Würden aber StaatsbürgerInnen ein Grundeinkommen erhalten, sei ihre Existenz nicht mehr gefährdet. „Wir würden ein Volk von Freiberuflern mit der sozialen Absicherung des Grundeinkommens“ (4). Das Grundeinkommen mache es möglich, die Arbeitskosten zu senken, ohne die Einkommen der Menschen zu reduzieren. Das begünstige dann auch die die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen im Ausland. Das Grundeinkommen sei auch eine Absicherung gegen Arbeitslosigkeit und sichere den Konsum und damit die Binnenkonjunktur. Zudem gelte: „Ohne ein Recht auf Einkommen sind die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte wie die Würde des Menschen gegenstandslos, weil praktisch nicht realisierbar“ (5).

Die Frage ist allerdings, ob es den neoliberalen Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens nur um Menschenwürde, sondern ob es nicht auch um ihre handfesten ökonomischen Interessen geht. Götz Werner sieht zwar richtig, dass leistungslose Einkommen (Zinsen, Dividenden) ein immer größeres Gewicht erlangen, jedoch würde durch ein bedingungsloses Grundeinkommen nichts am grundlegenden Problem der Hegemonie der Finanzmärkte geändert werden. Im Gegenteil, es geriete ganz aus der politischen Schusslinie. Ein Volk von Freiberuflern kann vielleicht Götz Werner als erstrebenswertes Ziel ansehen, aber nicht ArbeitnehmerInnen und ihre Gewerkschaften, die noch weiter in die Defensive gedrängt würden. Arbeitskosten zu senken ist ein Traum für Arbeitgeber und Unternehmen, insbesondere für die, die mit ausländischen Konkurrenten zu kämpfen haben. Das würde die Situation von wirtschaftlich schwächeren Ländern am Weltmarkt noch weiter untergraben, selbst wenn es gelänge, die Binnenkonjunktur bei uns anzukurbeln.

Die Diskussion bei Teilen der Linken grenzt sich natürlich strikt von der neoliberalen Sichtweise ab. Katja Kipping schreibt dazu: „Seit vielen Jahren begeistere ich mich für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens…Es soll die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.“ (6) Es sei höchste Zeit, eine politische Debatte darüber in der Linkspartei zu führen. Deswegen solle dem Parteitag nach den Bundestagswahlen 2021 vorgeschlagen werden, einen Mitgliederentscheid zur Frage des bedingungslosen Grundeinkommens in die Wege zu leiten. „Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, wie schnell jede und jeder unverschuldet ins Bodenlose stürzen kann.“ (7) Das stellt dann auch die Linke vor das Problem, wie die Finanzierung der staatlichen Ausgaben bzw. des bedingungslosen Grundeinkommens aussehen sollte. Vorschläge gehen über die Einkommenssteuer, die Verwendung des Sozialbudgets, die Einführung einer Konsumsteuer, die Einführung einer negativen Einkommenssteuer oder die Einführung ganz neuer Steuerarten. (8) In einem Aufsatz der Zeitschrift Sozialismus kommen deswegen Ruth Becker und Eveline Linke zu dem Resümee: „ Wäre es da nicht ökonomisch, ökologisch und im Sinne des den heutigen Menschen Möglichen effizienter, das viele Geld, das hier in die Hand genommen wird, so anzulegen, dass die Basis für gewünschte Ausgaben erhalten bleibt, damit genug für alle dableibt. Statt allen (für die 20% , die es brauchen) ein kleines Geld hinzuschmeißen und zu hoffen, dass einige schon was Gescheites daraus machen, es lieber in all das zu investieren, was bei den etwas kritischeren BGE-Befürwortern so nebenbei läuft.“ (9) Gemeint sind gut bezahlte Arbeitsplätze im privaten und öffentlichen Sektor, direkte Investitionen in staatliche Dienstleistungen und in die Infrastruktur, zum Beispiel im den ÖPNV.

Ein Teil der Linken sieht allerdings im bedingungslosen Grundeinkommen eine Chance, dem Kapitalismus zu entkommen. Der Mensch sei dann der Notwendigkeit enthoben, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Man könne im Sinne von Marx vom „Reich der Notwendigkeit“ ins „Reich der Freiheit“ entfliehen. Die Vorstellung beinhaltet jedoch eine völlig verdrehte Interpretation der Marxschen Theorie. Marx wies immer darauf hin, dass die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit rationell unter allen Gesellschaftsmitgliedern verteilt werden müsse. Was manche Linke hier anbieten, ist eine illusorische und zugleich unsolidarische Vorstellung von der Freiheit des Individuums. Die Alternative zur neoliberalen und teilweise auch linken Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen bleibt weiter die Forderung einer bedarfsorientierten Grundsicherung entlang von Einkommen und Vermögen.  Das gilt auch für Corona-Zeiten. Bürgerinnen und Bürger, die ins Bodenlose zu fallen drohen, sollten den Anspruch auf eine gute ausgestattete Grundsicherung haben, ohne den Zwang, eine unzumutbare Arbeit annehmen zu müssen und ohne die Ausschnüffelung von sogenannten Bedarfsgemeinschaften. Die Diskussion in der Linken sollte sich schnell von der Forderung nach einen bedingungslosen Grundeinkommen für alle verabschieden und verstärkt auf eine gut ausgestattete bedarfsorientierte Grundsicherung, ein umfassendes sozial-ökologisches Programm und auf mittlere und längere Sicht ein schrittweise Abkehr vom finanzgetriebenen Kapitalismus orientieren.

(1)https;// www.diw.de und weiter Links

(2) a.a.O.

(3) Götz Werner, Bildung und Wissenschaft, Mai 2007 S.39

(4) a.a.O.  S.39

(5) a.a.O. S.39

(6) www.katja.kipping.de und weitere Links

(7) a.a.O.

(8) Becker/Linke Sozialismus Heft 3/ 2018 S.60-62

(9) a.a.O. S.65

Die moderne Geldtheorie vom Kopf auf die Füße gestellt

31. Juli 2020  Allgemein

DIE MODERN MONETARY THEORY (MMT) VOM KOPF AUF DIE FÜSSE GESTELLT.

Kritikern der Modern Monetary Theory (MMT) wird zuweilen vorgeworfen, die Theorie nicht korrekt darzustellen. Es ist deswegen notwendig, die Darstellung führender Vertreter der MMT als Grundlage der Kritik heranzuziehen, für die Bundesrepublik sind das Michael Paetz, Dirk Ehnts und Paul Steinhardt (1). Paetz und Ehnts behaupten, die Theorie basiere „auf einer realistischen Beschreibung des heutigen Geldsystems statt einer artifiziellen Darstellung, wie sie in akademischen Kreisen oft üblich ist“ (2).  Sie beanspruche, „Zusammenhänge einer kapitalistischen Geldwirtschaft korrekt zu beschreiben und zu erklären“ (3). Steinhardt, Paetz und Ehnts gehen von einem entwickelten Geldsystem der bürgerlichen Gesellschaft aus. Die Reserven bei der Zentralbank und die Sichteinlagen der Bankkunden entstünden per Buchungssatz aus dem Nichts. An dieser Stelle bereits kommt das Geld als Fundamentalkategorie ins Spiel und muss damit begonnen werden, die MMT vom Kopf auf die Füße zu stellen. Für die Vertreter der MMT ist das Geld nichts weiter als eine Schöpfung der Regierung und der Zentralbank. Sie behandeln das Problem auf einer Ebene, die tiefere Grundlagen der Geldbestimmung und bestimmte historische Weichenstellungen nicht mehr erkennen lässt. Eine systematische Entwicklung des Geldes muss Geld als ein „naturwüchsig im gesellschaftlichen Austauschprozess entstehendes Äquivalent des Wertes der auf dem Markt befindlichen Waren verstanden (werden)“ (4). Geld ist also als ein notwendiges Resultat einer auf Arbeitsteilung privater Warenproduzenten beruhendem System gesellschaftlicher Arbeit anzusehen und verkörpert den Wert gesellschaftlicher Arbeit. Es ist auf den doppelten Charakter gesellschaftlicher Arbeit zurückzuführen, als konkret-nützliche Arbeit materialisiert sie sich in Konsumtionsmitteln oder Produktionsmitteln, als allgemein gesellschaftliche Arbeit ist sie Teil der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und findet sie ihren Ausdruck im Wert der Waren. Da der Wert eine gesellschaftliche Eigenschaft ist findet er seinen Ausdruck im Geld, ursprünglich als Goldware oder Silberware und im Laufe der Zeit ausschließlich in Gold. Es folgte erst dann eine gesellschaftliche Befestigung des Goldverkehrs über den Staat.

Es gehört nun zu den Aufgaben von Marxisten heute die genaue Vermittlung von der Geldware Gold über das Repräsentativgeld mit Golddeckung bis zum Repräsentativgeld ohne Golddeckung und zum Buchgeld bei Banken und Zentralbanken aufzuzeigen. Von dieser komplizierten Vermittlung haben weder Paetz noch Ehnts und Steinhardt eine Vorstellung. Sie schließen sich einfach der Geldbestimmung beim deutschen Ökonomen Georg-Friedrich Knapp (1842-1926) und beim österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter (1883-1950) an. Geld ist bei ihnen nichts anderes als ein Geschöpf der Rechtsordnung, das dem Ziel der Steuerzahlung dient, bei Schumpeter noch verallgemeinert auf das Bankengeld.                                                                                                     Auf dieser Basis geht die Verkehrung ökonomischer Zusammenhänge bei der MMT weiter. „Es sind also nicht die Steuern, welche die Ausgaben des Staates finanzieren, sondern die Ausgaben des Staates finanzieren die Steuerzahlung, indem sie das nötige Einkommen schaffen“ (5). Die historische Entwicklung, die zeigt, dass der Staat erst Einnahmen schaffen muss um Ausgaben zu tätigen, diese Einsicht gilt für die Vertreter der MMT nicht mehr. Der Ausweg der MMT sieht so aus: „Die Regierung kann diese Zahlungsmittel einfach herstellen und damit bezahlen. Zwischen zahlen und finanzieren besteht ein riesiger Unterschied…, sondern zeigt, dass der Schöpfer der Währung einfach (die Zahlung) so tätigen kann…“ (6) Daraus folgt die Unmöglichkeit einer Staatspleite. „Eine Zentralbank kann aber nicht zulassen, dass ihre Regierung Pleite geht, weil dies die Stabilität des Finanzsystems gefährden würde“(7). Falls die Zentralbank „ihre Regierung aber tatsächlich hängen lassen würde, könnte sie über eine Gesetzesänderung von der Regierung aber jederzeit unter ihre Kontrolle genommen werden“(8).

Unter dieser Bedingung, dass der Staat keinerlei Budgetbeschränkungen habe, könne er seine Ausgaben ausweiten, selbst wenn eine inflationäre Entwicklung die Folge sei. Die Finanzierung der expansiven Staatsausgaben sei kein Problem, denn die Zentralbank zusammen mit den Geschäftsbanken seien als autonome Schöpfer des Geldes in der Lage, einen ökonomischen Multiplikatorprozess auszulösen und die Geldschöpfung grenzenlos zu steigern. An dieser Stelle hat allerdings bereits J.M. Keynes in den 30er Jahren seine Bedenken angemeldet. Er hatte eine unbegrenzte Geldschöpfung nur unter extremen Modellvoraussetzungen für möglich gehalten. Es müssten ein geschlossenes Banksystem, keine Auslandsbeziehungen, nur unbare Zahlungsmöglichkeiten und keine Barreserven der Banken gegeben sein. Außerdem müssten sich die Banken im Gleichschritt bewegen. Es ist klar, dass diese Voraussetzungen in der Realität nicht gegeben sind. Gerade die Ausblendung der internationalen Konkurrenz durch Paetz und Lehnts muss auch Steinhardt als Mangel konstatieren. „Nicht zu widersprechen ist an dieser Stelle der Hinweis, dass mit der Fiskalpolitik Wechselkursveränderungen verbunden sein können, die möglicherweise als problematisch zu erachten ist“ (9). Denn jede Inflationierung einer nationalen Währung, die das Maß anderer Währungen auf den Devisenmärkten überschreitet, erbringt eine Steigerung der Preise importierter Waren, eventuell eine Verschlechterung der nationalen Zahlungsbilanz und destabilisierende Kapitalbewegungen. Die Vielzahl von Schuldenkrisen in verschiedenen Ländern sprechen hier eine deutliche Sprache. Beispielhaft genannt seien hier die Asienkrise 97/98, die Russlandkrise 98, die Brasilienkrise 99, die Türkeikrise 2000 und die Argentinienkrise 2001/2002. Das zeigt, dass weder Banken noch Zentralbanken autonom handeln können. Die Banken hängen an der Leine der Zentralbanken und diese wiederum werden in ihrer Politik durch das Wechselkursgeschehen, die Zahlungsbilanzen, massive Kapitalbewegungen und Marktzinssätze bestimmt.

Die Operation „vom Kopf auf die Füße stellen“ geht weiter, wenn näher der sogenannte Überakkumulationszyklus betrachtet wird, der etwa seit der Mitte der 70er Jahre begonnen hat. Eine expansive Ausgabenpolitik des Staates und die Geldpolitik der Zentralbanken stoßen nun auf strukturelle Schwierigkeiten der privaten Kapitalverwertung. Im Gegensatz zum prosperierenden Kapitalismus der 50er und 60er Jahre machen sich jetzt der Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate bei stagnierender bis sinkender Profitmasse des gesellschaftlichen Kapitals geltend. Zudem kommt es zu verwertungsbedingten Grenzen der Kreditnachfrage und zu Einkommensgrenzen der privaten Haushalte. Die Konsequenz ist, dass massiv Kapitale auf die Finanzmärkte umgeleitet werden mit der Hoffnung auf höhere Renditen und Spekulationsgewinne.

Bis zur Corona-Krise war für die etablierte Politik Sparpolitik angesagt, jetzt ist jedoch selbst für Dogmatiker der „schwarzen Null“ die staatliche Verschuldung Trumpf. Diese Politik kann allerdings nach der Corona-Krise nicht ad Infinitum weitergeführt werden, vor allem dann, wenn die systemimmanenten Verwertungsblockaden des privaten Kapitals weiter bestehen. Die Zentralbanken stecken in einem Dilemma: Betreiben sie einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik, um die Überhitzung der Finanzmärkte zu vermeiden, befördern sie wieder deflationäre Tendenzen an den Warenmärkten. Setzen sie aber die expansive Geldpolitik fort, riskieren sie eine Überhitzung der Finanzmärkte mit Spekulationen und eventuellen Zusammenbrüchen von Finanzmärkten. Ein vor dem Hintergrund des Handelskrieges zwischen den USA und China erfolgender Zusammenbruch internationaler Finanzmärkte könnte ein Abgleiten des Kapitalismus in barbarische Verhältnisse bedeuten.

Die Vertreter der MMT sehen das entspannter. Das können sie nur, weil nach den Fundamentalfehlern bei der Geldbestimmung bei ihnen der Rückbezug auf die Bedingungen der privaten Kapitalverwertung ganz fehlt. Die Überakkumulationskrise ist für sie kein Begriff, die Vertiefung und Verlängerung der Krisenzyklus und die Zunahme internationaler Instabilität ist bei ihnen nicht im Fokus. Ihre These einer unbegrenzten Geldschöpfung des Staates bzw. der Zentralbanken hat zur Folge, dass illusorische Vorstellungen über die Entwicklungsfähigkeit des heutigen Kapitalismus verbreitet werden.

Das Fazit der gesamten Operation MMT lautet: Sie ist eine Vulgärökonomie im Marxschen Sinne, weil sie letztlich an der Oberfläche der Gesellschaft verbleibt. Sie hält sich auf der Ebene der Märkte auf, einer Ebene, die laut Marx durch die Mystifikation der gesellschaftlichen Verhältnisse gekennzeichnet ist. Den Vorwurf, er und seine Mitstreiter betrieben Vulgärökonomie, weist Paul Steinhardt weit von sich (10). Er meint, das träfe auch nach Marx nur auf die Klassik und Neoklassik zu. An dieser Stelle wird deutlich, dass die verschiedenen Ebenen, die Marx analysiert, von ihm nicht auseinandergehalten werden. Marx hat stufenweise die Entwicklung des ökonomischen Bewusstseins und seine Verkehrung von der einfachen Warenzirkulation, zum Produktionsprozess und Zirkulationsprozess des Kapitals bis hin zum Gesamtprozess und der Oberfläche der ökonomischen Verhältnisse entwickelt. Am Ende steht das Bewusstsein, das in verdrehter Form die ökonomischen Zusammenhänge widerspiegelt, völlig unabhängig von Klassik, Neoklassik oder anderen Theorierichtungen.  Einige dieser Verkehrungen galt es für die MMT aufzuzeigen, unabhängig davon, dass manche Einzelforderungen der Vertreter der MMT auch von der Linken unterschrieben werden können.                

(1)Siehe Zeitschrift Sozialismus Heft 9/2019 und Makroskop vom 15.11.2019

(2) Sozialismus a.a.O. S. 5

(3) Steinhardt Makroskop a.a.O. S.3

(4) Zeitschrift Sozialismus Heft 11/2019 S.52  

(5) Sozialismus Heft 9/2019 S.6

(6) a.a.O. S.6

(7) a.a.O. S.6

(8) a.a.O. S.7                                                                                                                                (9) Makroskop a.a.O. S.4                                                                                            (10) a.a.O. S.5

Wert Geld und Kredit

13. Juli 2020  Allgemein

HISTORISCHE NACHZEICHUNG DES KAPITALISTISCHEN GELD-UND WÄHRUNGSSYSTEMS AUF BASIS DER MARXSCHEN THEORIE (1).

Die kapitalistische Produktionsweise unterliegt permanenten Veränderungen und damit auch das kapitalistische Geld- und Währungssystem. Inzwischen ist allgemein anerkannt, dass staatliche Regulierungen des Geld-Kredit und Bankwesens unabdingbar für das Funktionieren des Gesamtsystems sind. Inzwischen hat sich sogar die Vorstellung entwickelt, dass die Instrumente der staatlichen Fiskal- und Geldpolitik so weit entwickelt seien, dass die gesellschaftlichen Ressourcen weitgehend krisenfrei eingesetzt werden könnten, also ökonomische Krisen im Kapitalismus zu vermeiden seien. Die Modern Monetary Theory (MMT) beispielsweise geht davon aus, dass durch eine unbegrenzte Geldschöpfung des Finanzsektors (Zentralbank und Banken) eine störungsfreie Reproduktion des Wirtschaftslebens möglich sei. Dem muss aus Sicht der Marxschen Theorie vehement widersprochen und gezeigt werden, dass aufgrund einer fehlerhaften Geldbestimmung bis hin zu den zeitgenössischen Formen von Geld und Währung illusorische Vorstellungen über die Entwicklungsfähigkeit der kapitalistischen Produktionsweise Platz gegriffen haben. Es wäre somit die Aufgabe von Marxisten, die Entwicklung des kapitalistischen Geld- und Währungssystems nachzuzeichnen und die Grenzen der staatlichen Finanz- und Geldpolitik heute darzustellen. Dabei muss die Vermittlung von der Geldware Gold über das konvertible Repräsentationsgeld mit Golddeckung zum inkonvertiblen Zentralbankgeld und Buchgeld von Zentralbank und Banken aufgezeigt werden.

Die Fundamentalbestimmung des Geldes ist die des allgemeinen Äquivalents der Waren. Es bringt nach Marx den Wert der Waren zum Ausdruck. Dem liegt die doppelte Bestimmtheit der warenproduzierenden Arbeit zugrunde. Sie ist einerseits konkret-nützliche Arbeit, das heißt, sie muss einen Gebrauchswert (Konsumtionsmittel oder Produktionsmittel) schaffen, der auch am Markt anerkannt wird. Andererseits ist sie gleichzeitig Teil der gesellschaftlichen Arbeit, die sich erst im Austausch als gesellschaftlich notwendig oder eben nicht als solche erweist. Es handelt sich um Privatarbeiten voneinander unabhängigen Produzenten. Diese gesellschaftliche Arbeit findet im Wert der Waren ihren Ausdruck, der allerdings nur im Verhältnis zu anderen Waren als Tauschwert erscheint. Der Wert ist somit eine gesellschaftliche Eigenschaft der Ware, der in seiner entwickelten Form zur allgemeinen Wertform, also zum Geld, treibt. Diese Geldform entsteht dadurch, dass im historischen Verlauf eine bestimmte Ware mit Selbstwert als Äquivalentware ausgeschlossen wird und gesellschaftliche Gültigkeit gewinnt. Sie verwächst dabei mit edlen Metallen, wie Gold und Silber, und schließlich mit dem Gold als dem wertvolleren Metall.  Gold wird Geld, weil es, wie andere Waren auch, Teil der gesellschaftlichen Arbeit ist und einen eigenen Wert hat. Beide Eigenschaften folgen mit Notwendigkeit aus der Wertbestimmung der Ware.        Die Eigenschaft des Goldgeldes als allgemeines Äquivalent des Warenwertes ergibt sich sodann durch das Handeln der Warenbesitzer im Austauschprozess. Es ist allerdings ein Dilemma zu lösen. Es ist nicht gleichzeitig möglich, dass für alle Warenbesitzer der Austausch zum individuellen und gesellschaftlichen Prozess wird. Marx löste das Dilemma auf, indem er sagte, die Warenbesitzer hätten gehandelt bevor sie gedacht hätten. Das heißt, die Geldform entspringt aus unbewusst-bewusstem Handeln. Die Geldform entsteht einerseits historisch- naturwüchsig im Austauschprozess der Warenbesitzer und andererseits wiederholen sie den Prozess beständig auf bewusste Weise, indem sie mit dem fertigen Ergebnis täglich umgehen. Dieses unbewusst-bewusste Verhalten ist übrigens typisch für die Akteure im Kapitalismus, indem sie den Gesamtzusammenhang nicht durchschauen und sich gleichzeitig bewusst zu den Ergebnissen, zum Beispiel Krisen, verhalten.

Die erste fundamentale Geldfunktion besteht darin, dass es als Wertmaß fungiert, zuerst in Form des Goldgeldes. Sie verschafft den Waren ihren Preis, der Warenbesitzer nimmt die Preisbestimmung vor. Die ursprüngliche Ausdrucksform des Wertes im Preis war das Gold, das heißt, es konnte ursprünglich nur etwas als Wertmaß fungieren, was selbst auf wertbildende Arbeit zurückging und einen Selbstwert hatte. Nichts kann daher falscher sein, als wenn Geld nur noch als Recheneinheit definiert wird, Dass das Geld als Maßstab der Preise gesetzlich reguliert wurde hat dann der Vorstellung Vorschub geleistet, der Staat sei der Schöpfer des Geldes. Diese Vorstellung erfährt heute eine Renaissance in der Modern Monetary Theory (MMT), eine Vorstellung, die von Marx vehement kritisiert wurde. Geld wird von verschiedenen bürgerlichen Ökonomen zu einem bewusst geschaffenen Instrument zur Erleichterung des Wirtschaftsverkehrs erklärt. Es ist dann nur noch ein kleiner Schritt um zu erklären, dass der Staat einschließlich der Zentralbank mit seiner Fiskal- und Geldpolitik den Kapitalismus umfassend steuern könne.

Geld als Geldware Gold ist zwar eine fundamentale Bestimmung, es zeigte sich jedoch im historischen Verlauf, dass diese Geldware nach und nach durch verschiedene Repräsentativgeldformen ersetzt wurde. Es ist hier zwischen verschiedenen Geldformen zu unterscheiden. Die ökonomische Grundlage für die Ersetzung des Goldgeldes durch Münzen und Wertzeichen, ist die Tatsache, dass das Geld in der Zirkulation W-G-W nur ein „flüchtiges Element“ darstellt und deshalb auch als Zeichen ersetzt werden kann. Es kann aus der metallischen Zirkulation als gültiges Wertzeichen (Papiergeld) durch staatliche Ausgabe herauswachsen. Die quantitative Größe des Wertzeichens ist durch das nicht unterschreitbare Minimum des aktiv zirkulierenden Mediums gegeben. Der Wert eines jeden Papiergeldes ist durch seine Konvertibilität in Gold bestimmt. Damit ergibt sich als Gesetz der Papiergeldzirkulation, dass die Ausgabe auf die Quantität zu beschränken ist, worin das von ihm symbolisch dargestellte Gold wirklich zirkulieren müsste. Während beim Geld als Maß der Werte alles auf die Qualität des Geldmaterials ankommt, ist es beim Geld als Maßstab der Preise umgekehrt. Jetzt ist die Quantität der Wertzeichen entscheidend, weil damit die Höhe der Preise und damit die Kaufkraft des Geldes tangiert wird. Die Möglichkeit der Inkongruenz von Gold und Papiergeld kann zur allgemeinen Steigerung der Warenpreise führen. Das wiederum kann zu einer Hyperinflation führen, was historisch zum Beispiel im Rahmen einer Kriegsfinanzierung oder einer tiefen ökonomischen Krise vorgekommen ist bis in die heutige Zeit.

Während beim Wertzeichen die „flüchtige Existenz“ innerhalb der Warenmetamorphose W-G-W die Ersetzung des Geldes mit Selbstwert (Gold) möglich macht, ist es beim Kreditgeld als der anderen und vom Wertzeichen unterschiedenen Geldform die Bonität der ausgebenden Stelle. Die naturwüchsige Grundlage des Kreditgeldes ist der Handelswechsel. Durch Diskontierung wurden historisch zuerst Privatbanknoten in Umlauf gebracht, später spielten dann aber auch Noten der Zentralbank eine wichtige Rolle. Zunächst waren die Zentralbanknoten goldkonvertibles Repräsentativgeld, sie mussten also auf Anforderung in Gold umgetauscht werden. Zur Sicherung der Goldkonvertibilität der Banknoten bestanden anfangs spezifische Deckungsvorschriften für den Notenumlauf durch den Goldschatz der Privatbanken und die Währungsreserve der Zentralbank. Das galt in allen kapitalistischen Metropolen. Diese Deckungsvorschriften sorgten damals für mächtigen Diskussionsstoff insbesondere deshalb, weil davon die geldpolitischen Möglichkeiten der Zentralbank abhingen. Marx ging davon aus, dass die Geldzirkulation von ihrer Gesamtgröße als auch von ihrer Umlaufgeschwindigkeit her durch die Bedingungen der Warenproduktion und Kapitalakkumulation bestimmt wird. Banknoten waren sowohl Wertzeichen wegen ihrer Repräsentanz des Goldschatzes als zentraler Währungsreserve als auch Kreditgeld, dessen Menge in der Zirkulation die nationale Goldreserve weit überstieg. Gleichwohl ist ein von Deckungsvorschriften befreiter Banknotenumlauf noch nicht die Form, die der reproduktiven Wertschöpfung und Kapitalakkumulation entsprochen hätte. Erst der Verzicht auf eine gesetzlich fixierte Konvertibilitätsvorschrift der Banknoten und erst als ein inkonvertibles Repräsentativgeld sind sie dem Charakter der kapitalistischen Produktionsweise adäquat. Sie sind dann eine Symbiose aus Wertzeichen und Kreditgeld, bei der zwei unterschiedliche Zirkulationsgesetze zu unterscheiden sind. Erstens die Wertzeichenzirkulation, die die zentrale Währungsreserve zur Grundlage hat und die sich mit dem Zahlungsbilanzsaldo verändert. Zweitens die Kreditgeldzirkulation die durch kurzfristige Kreditgeschäfte von Zentralbank und Banken entsteht, bei der ein Rückfluss der ausgegebenen Noten mit Ablauf des Kredits stattfindet.

Eine weitere Evolution des Geldwesens sind neben der Kredit- und Anlagefunktion der Banken ihre zinsunabhängigen Dienstleistungen, ihre Verrechnungen über Buchgeld mit Überweisungen und Lastschriften. Ihre Denomination als Geld erhalten sie über das Zentralbankgeld, das sie in die Welt setzen. Zusammengefasst unterscheidet sich das das Geldsystem des 19.Jahrhunderts vom heutigen durch drei Punkte.                                                                                                     Erstens: An die Stelle von Goldmünzen, konvertiblen Banknoten, inkonvertiblem Zentralbankgeld (Wertzeichen) und Handelswechseln sind inkonvertible Zentralbanknoten als einheitliche Umlaufmittel getreten, ergänzt durch bedeutende Bankdepositen.                                                                                                  Zweitens: Es hat eine Integration der verschiedenen nationalen Zirkulationskanäle stattgefunden.                                                                                                            Drittens: Das Banksystem ist zweistufig. Die Zentralbank gibt Banknoten aus, verwaltet die Währungsreserven und ist die Clearingstelle im Zahlungsverkehr. Zentralbanken heute sind weniger weisungsabhängig. Banken fungieren entweder als Universalbanken oder als Spezialkreditbanken.

Die Evolution der Umlaufsmittel vollzog sich immer im Zusammenspiel von binnenwirtschaftlicher und internationaler Zirkulation. Zu Beginn des Kapitalismus gab es noch den Bimetallismus von Gold und Silber. Schließlich setzte sich Gold als allgemeines Äquivalent und Wertmaß national und international durch. Es vollzog sich Schritt für Schritt eine Idealisierung der Geldware Gold und eine weitgehende Immobilisierung der nationalen Goldreserven. Der Großteil der ökonomischen Transaktionen wurde international schon früher nicht mit Gold, sondern mit Handelswechseln durchgeführt. Die Wechselkurse zur Zeit des Goldstandards waren Spiegelbilder des Repräsentationsverhältnisses zum Gold als Weltgeld. Erst mit der inkonvertiblen Notenzirkulation lockerte sich das Verhältnis von Außenwert und innerem Wert der Währungen und es entstanden mehr Spielräume für die nationale Geldpolitik. Inkonvertibles Geld in der Binnenzirkulation und Konvertibilität der Währungen im internationalen entsprach den Merkmalen des Bretton-Woods-Systems. Nur der US-Dollar besaß eine feste Parität zum Gold. Zwischen den beteiligten Ländern bestanden feste Wechselkurse, die allerdings durch politischen Beschluss veränderbar waren. Seit Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts entstand die Spekulation gegen den Dollar und die Aufhebung der Einlösungspflicht des Dollars gegen Gold.

Damit wurde die weitläufige Beziehung des inkonvertiblen nationalen Geldes zur Geldware Gold noch einmal gelockert und der Übergang zu flexiblen Wechselkursen vollzogen. Es blieb nur noch die gegenseitige Devisenkonvertibilität der wichtigsten Währungen. Die Wertmaßfunktion des nationalen Geldes war vollends auf die Geldpolitik der nationalen Zentralbanken übergegangen und damit eine weitere Erhöhung des Spielraums der Nationalbanken (Lender of last resort). Doch das gilt jedoch nur für den kontinuierlichen Verlauf des Wirtschaftsprozesses. Im Zuge einer tiefen Wirtschaftskrise mit einer Zerstörung der Zentralbankfunktion des „Lender of last resort“ könnte die Goldkonvertibilität des de jure inkonvertiblen Geldes wieder eingefordert werden. Es ist dann bei einem krisenhaften Umschlag des Kredit-ins Monetarsystem von einer kaskadenartigen Steigerung auszugehen.                       1.Stufe: Entwertung der Kaufkraft der nationalen Repräsentativwährung mit einer galoppierenden Inflation und ein Ausweichen auf eine stabile Alternativwährung.                                                                                                                          2.Stufe: Bei Entwertung einer international bedeutenden Währung und Infragestellung der Funktion des „Lender of last resort“ entsteht die Notwendigkeit auf die hegemoniale Währung (z.B. US-Dollar) auszuweichen.          3.Stufe: Würde das nicht ausreichen und würde Geld mit Selbstwert gefragt, käme das einem katastrophaler Zusammenbruch des gesamten internationalen Geld- und Währungssystems gleich. Es würde keine Verschuldung mehr möglich sein und die Nationen drohten in die Barbarei zu versinken. Die Alternative zu der Krisenkaskade wäre national ein schrittweiser Übergang in eine alternative Wirtschaftsordnung (Marktsozialismus) und international ein nichtnationales Weltgeld, eine Weltzentralbank und ein Abbau der internationalen ökonomischen Ungleichgewichte.

Die Geldmenge besteht heute aus dem Zentralbankgeld und den Bankdepositen. Sie sind grundlegend durch den Umschlag des gesellschaftlichen Kapitals und den Kredit bestimmt. Die Bankdepositen sind an die Einlagen und die Kreditschöpfung der Banken gebunden. Hier setzt die sogenannte „Geldschöpfung aus dem Nichts“ von Joseph Schumpeter an und behauptet einen eigenständigen Einfluss der Geschäftsbanken auf die Geldmenge. Tatsächlich ist das Kreditschöpfungspotential der Banken auch jenseits der Vorgaben (Barreserve, Mindestreserve, Regulierungen) keine konstante Größe, sondern ist abhängig von den Phasen des industriellen Zyklus. In der Prosperität wirken kumulative Effekte und eine Umkehrung des Profit/Einkommens und Investitionszyklus. Es entwickelt sich ein Kredit/ Investitions- und Einkommensmechanismus. Der Monetarkeynesianismus macht sich diese Sichtweise als Normalfall zu eigen, weil er durch eine überzogene Bewertung des Finanzsektors und eine Missachtung der Wertschöpfung durch produktive Arbeit charakterisiert ist. In dem Multiplikatorprozess der Prosperitätsphase des Zyklus liegt jedoch die Gefahr, dass die Banken die vorsichtige Geschäftspolitik ignorieren und risikoreiche Finanzierungen vornehmen. Damit ist aber Schluss, wenn die Prosperität durch die Krise beendet wird und die Basisverhältnisse der Wertschöpfung durch produktive Arbeit sich kurzfristig im Zyklus aber auch auf lange Sicht wieder durchsetzen. Damit kann auf Schumpeter zurückgekommen werden, dessen Vorstellung simpel erscheint. Als Engpass der kapitalistischen Produktion wird der Geldkapitalvorschuss bestimmt. Der kann beseitigt werden mit der unbegrenzten Geldschöpfung des Banksystems. Die Geldschöpfung trifft auf innovative Unternehmer, die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise werden in einer langen Konjunkturwelle (Kondratieff-Zyklus) überwunden.                                                                                              Zur Kritik dieser Sichtweise aus marxistischer Sicht ist zwischen der Zentralbankgeldschöpfung und der Kreditschöpfung der Banken zu unterscheiden. Die Höhe der Reserven der Geschäftsbanken, die Zahlungsgewohnheiten der Kunden, die Barabhebungsquote und die Höhe der Depositen setzen die Grenze des Kreditangebots der Banken. Keynes beispielsweise hält eine unbegrenzte Geldschöpfung nur unter extremen Modellvoraussetzungen für denkbar. Es müssten ein geschlossenes Banksystem, keine Auslandsbeziehungen, kein Bargeld nur unbare Zahlungen, keine Barreserven gegeben sein und die Banken müssten sich im Gleichschritt bewegen. Keynes stellt jedoch fest, dass es keinen Zwang der Banken gebe, sich im Gleichschritt zu bewegen, das gelte auch für das Banksystem als Ganzes. Die Geldschöpfung der Banken ist somit nachgeordnet gegenüber der Zentralbankschöpfung, die Banken hängen an der Leine der Zentralbank und der Kreditnachfrage der Nichtbanken. Aber auch die Zentralbank hängt an der Leine der Schöpfung und Vernichtung der Wertzeichenzirkulation in Abhängigkeit von der Zahlungsbilanz, dem Wechselkurs und den Marktzinssätzen. Steuerungsmöglichkeiten der Zentralbank sind nur dann gegeben, wenn eine unerwünschte Wertzeichenzirkulation durch die Kreditpolitik sterilisiert werden muss.  Die autonome Kreditschöpfung erscheint nur vom Standpunkt des Bankkapitals als solche, die Dynamik der Kapitalakkumulation und die Wertschöpfung des reproduktiven Kapitals bleiben bei dieser Sichtweise außen vor. Eine zyklisch begrenzte Konstellation wird vom Monetärkeynesianismus verallgemeinert. Insgesamt muss die Sichtweise des Monetärkeynesianismus als oberflächlich kritisiert werden. Zusammenfassend können aus marxistischer Sicht noch einmal sechs Punkte festgehalten werden.                                                                                                                          1. Waren treten preisbestimmt in die Zirkulation ein. Das schließt ein, dass die Einjustierung des Werts der Waren durch die Nachfrage induzierte Veränderungen enthält.                                                                                                                   2. Der Umfang der zirkulierenden Waren an allen drei Märkten (Waren, Arbeits- und Finanzmarkt) bestimmt die Geldzirkulation. Das gilt für die Metallzirkulation, bei Berücksichtigung des Kredit- und Bankensektors und für die entwickelten Formen des Repräsentativgeldes.                                                                 3. Die primäre ökonomische Grunddynamik kommt von der Produktion des Mehrwerts und nicht von der Verwertung des Geldkapitals. Es bestehen allerdings Rückwirkungen.                                                                                                     4. Der Finanzsektor ist ein abgeleiteter Sektor gegenüber dem Sektor des industriellen und kommerziellen Kapitals. Diesem Abhängigkeitsverhältnis unterliegt der Unterschied von produktiver (mehrwertschaffender) und unproduktiver Arbeit.                                                                                                                               5. Es besteht eine Tendenz der Verselbstständigung des Finanzsektors als allgemeines Gesetz. Der Widerspruch der Mehrwertproduktion beherrscht die Dynamik der Kapitalakkumulation. Langfristig wird die die beschleunigte Akkumulation durch eine strukturelle Überakkumulation von Kapital abgelöst. 6. Der aktuelle Finanzmarktkapitalismus weist die bislang weitestgehende Verselbstständigung der Finanzsphäre auf.

Zum Schluss gilt es die Geldpolitik des quantitative Easing und die Modern Monetary Theory (MMT) als jüngste Variante der Geldpolitik noch einmal kritisch zu betrachten. Die EZB hat sich vor kurzem bereit erklärt, dem Bankensystem notfalls unbegrenzt Liquidität bereitzustellen. Das galt vor der Corona-Krise und noch mehr im Laufe der Krise und danach. Eine expansive Geldpolitik hat jedoch Grenzen, die häufig „vergessen“ werden. Im Prosperitätszyklus schlägt eine massive Geldschöpfung in einen inflationären Preisanstieg um, wenn die zyklischen Kapazitätsgrenzen erreicht und überschritten werden. Im Überakkumulationszyklus, den wir seit Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts haben, stößt diese Geldpolitik auf verwertungsbedingte Grenzen der Kreditnachfrage von Unternehmen und auf Einkommensgrenzen der Haushalte. Die Konsequenz ist, dass dann massiv Gelder auf die Finanzmärkte umgeleitet werden und Vermögenspreisblasen entstehen. Die eigentliche Herausforderung für die Zentralbanken ist jedoch, ob sie durch ihre Politik des „Quantitative Easing“ Bankenzusammenbrüche, Börsencrashs und Staatsfalliten vermeiden können. Die EZB ist fokussiert auf Käufe von Staatsschuldpapieren, Niedrigzinsen und die Erweiterung von beleihungsfähigenWertpapieren. Geldtheoretisch gesehen, wird durch diese ultralockere Geldpolitik faktisch unter dem Titel von Kreditgeld Zentralbankgeld als zusätzliches Wertzeichen geschaffen. Der langfristigen Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Zentralbankgeldmenge unterliegt unter Überakkumulationsbedingungen die Problematik, vor allem Preiseffekte für die verschiedenen Formen fiktiven Kapitals ( Wertpapiere) zu erzeugen  und damit rückwirkend Fehlentwicklungen zu provozieren. Bis zur Corona-Krise wurde diese EZB-Politik durch eine gleichzeitige Austeritätspolitik der öffentlichen Haushalte konterkariert. Das hat sich mit dem tiefen Einbruch der Corona-Krise geändert, die öffentliche Haushalte tragen nun richtigerweise zur massiven staatlichen Verschuldung bei. Trotzdem kann diese Politik nach der Krise nicht ad Infinitum weitergeführt werden, zumal wenn überakkumulative Verwertungsblockaden weiter bestehen. Der Zwang zum Schuldenabbau trifft früher oder später alle Wirtschaftsbereiche. Die Frage ist nur, ob dieser Abbau auf soziale Weise durchgeführt wird oder ob er wieder die Schwächsten der Gesellschaft trifft.                                                    Auch nach der Corona-Krise steckt die Geldpolitik der EZB in einem Dilemma. Betreibt sie den Ausstieg aus dem „quantitativen Easing“ um die Spekulation an den Finanzmärkten zu vermeiden, befördert sie deflationäre Tendenzen an den Warenmärkten. Setzt sie aber die ultralockere Geldpolitik fort, dann befördert sie die Inflation an den Vermögensmärkten und provoziert den Krach dieser Märkte. Ein vor dem Hintergrund des Handelskriegs zwischen den USA und China erfolgender Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte würde die Gefahr des Abgleitens des Kapitalismus in die Barbarei bedeuten. Eine wirkliche Emanzipation von den Problemen ist nur durch eine schrittweise Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise möglich.  Die Modern Monetary Theory (MMT) sieht das entspannter. Das kann sie nur, weil sie Geld nicht als naturwüchsig im Austauschprozess entstehendes Äquivalent des Werts sieht und damit auch nicht auf die Analyse der gesellschaftlichen Arbeit zurückgeht. Sie betrachtet Geld als ein durch den Staat geschaffenes und die Zentralbank beliebig gesteuertes Transaktionsmedium. Es entsteht nach dieser Auffassung per Buchungssatz „aus dem Nichts.“ Für die MMT ist das „fiat Money“ von jeglicher naturwüchsigen Wertmaßfunktion befreit und erhält seine Geldeigenschaft aus dem Vertrauen der Bevölkerung. Dahinter verbirgt sich ein klassischer Zirkelschluss. Weil der Staat einen Annahmezwang des Zentralbankgeldes gesetzlich vorschreibt, könne er Geld „aus dem Nichts“ schaffen und gewährleiste dadurch die Reichtumsproduktion und die Zahlung von Steuern. Er könne seine Ausgaben einfach tätigen ohne Rücksicht auf finanzielle Engpässe. Die MMT krankt somit neben den Fundamentalfehlern bei der Geldbestimmung auch an den Weiterungen, die sich daraus ergeben. Es fehlen komplett der Rückbezug auf die Bedingungen der Kapitalverwertung und die Unterscheidung der langfristig beschleunigten Akkumulation von ihrer Ablösung durch die strukturelle Überakkumulation. Sie kann nicht die Veränderung des Zyklusmusters, das Ausbleiben kumulativer Prozesse, die Vertiefung und Verlängerung der Abschwünge und den größeren Einfluss des Finanzsektors erklären. Hinzu kommt die Ausblendung der Einbettung der Volkswirtschaften in die internationale Konkurrenz.  Jede Inflationierung einer nationalen Währung, die das Maß anderer Währungen überschreitet, führt zu Wechselkursveränderungen, importierter Inflation und destabilisierenden Kapitalbewegungen, Die Schuldenkrise vieler Länder seit den 80er Jahren spricht da eine deutliche Sprache.                                                        

Fazit: Die MMT ist eine Vulgärökonomie im Marxschen Sinne, das heißt, sie treibt sich in oberflächlichen Erscheinungsformen herum. Sie ist für linke Politik nicht zielführend und desavouiert eine finanziell ausgewiesene nachhaltige Ausweitung öffentlicher Investitionen und sozialer Transfers. Als Alternative zu den Vorschlägen der MMT müsste eine öffentliche Strukturpolitik zusammen mit einer ausgewogenen Fiskal- und Geldpolitik betrieben werden. Es bedarf neuer Steuerungsinstrumente im Rahmen einer transformatorischen nicht-kapitalistischen Wirtschafts- Geld- und Sozialpolitik. Eine solche Politik muss von der demokratischen Linken auf Basis eines nachvollzieh-baren Programms dargestellt und glaubwürdig in der Öffentlichkeit vertreten werden, wenn auf absehbare Zeit die politischen Kräfteverhältnisse verändert  werden sollen.

(1)Der Aufsatz fasst wesentliche Punkte eines Referates von Stephan Krüger im Rahmen einer Tagung zur Arbeitswerttheorie am 23.11.19 an der Marx-Engels-Stiftung in Stuttgart zusammen. Es hatte den Titel: Evolution des kapitalistischen Geld- und Währungssystems-Von den allgemeinen Bestimmungen des Geldes zu den entwickelten Formen von Geld, Kredit und fiktivem Kapital.

Jens Weidmann und Corona

23. Juni 2020  Allgemein

              JENS WEIDMANN UND EINIGE FRAGEN ZUR CORONA-KRISE (1)

Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank, beantwortet in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) einige Fragen zur Corona-Krise und der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Er stellt richtig fest, dass wir den schärfsten Wirtschaftseinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt haben. Er glaubt jedoch, dass nun der Tiefpunkt der Krise erreicht sei. Dem ist nur dann zuzustimmen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass nicht eine neue Corona-Welle einen neuen Lockdown notwendig macht. Weidmann geht aber nicht davon aus, dass eine steile Aufwärtsentwicklung folgt, sondern eher eine allmähliche Erholung. Die Bundesregierung habe in der Corona-Zeit das Richtige getan, um Unternehmen und Beschäftigte zu schützen und habe durch ihre massive Verschuldungspolitik Konsumenten und Firmen Vertrauen in die Zukunft vermittelt. Bemerkenswert ist dabei, dass für Weidmann, ebenso wie für die Bundesregierung, erst eine schwere Wirtschaftskrise kommen muss, ehe das Dogma von der „schwarzen Null“ aufgegeben wird. Im Gegenteil, auf Nachfrage der FAZ befürwortet er auch richtigerweise ein weiteres kreditfinanziertes Konjunkturproramm, falls es im Herbst notwendig sein sollte.

Die Frage, ob die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer der Konjunktur helfe, wird von Weidmann positiv beantwortet. Er meint, die Senkung helfe insbesondere dann, wenn sie auch an die Kunden weitergegeben werde und die Kaufkraft der Verbraucher erhöhe. Hier hat es die Bundesregierung bei einem Appell an die Unternehmen belassen. Weidmann sieht allerdings nicht, dass die Sparquote der Verbraucher im Augenblick extrem hoch ist und die Wahrscheinlichkeit, dass sich daran in Corona-Zeiten etwas ändert, eher gering. Insoweit wäre es allemal besser, wenn der Staat eine direkte Stimulierung des Verbrauchs bevorzugte, zum Beispiel durch die Ausgabe von Konsumschecks.

Die FAZ weist darauf hin, dass durch die Nullzinspolitik der Staat zur Verschuldungspolitik eingeladen werde. Jens Weidmann hält diese Politik der EZB nur dann für angemessen, wenn der Staat nach der Krise zu einem „soliden Haushalt“ zurückkehre. Damit dürfte gemeint sein, dass es wieder zur Politik der „schwarzen Null“ kommen müsse und die Schulden nach und nach abzutragen seien. Wer allerdings dann die Schuldenlast zu tragen habe, wird von Weidmann nur ausweichend beantwortet. Er deutet zwar an, dass in der sozialen Marktwirtschaft die breiteren Schultern einen größeren Beitrag leisten sollten, er schränkt aber gleich ein, dass immer auch die Rückwirkungen des Steuersystems auf das Wirtschaftswachstum im Fokus bleiben müssten. Damit wird recht deutlich gesagt, dass die Unternehmensinvestitionen und die Investitionsneigung letztlich darüber zu entscheiden hätten, wem die Last der Schulden aufzuschultern sei.

Die FAZ treibt das Problem um, in Krisenzeiten könne der Staat stärker auf Beteiligungen an Unternehmen orientiert sein, gewissermaßen als Ersatz für Finanzspritzen oder Krediten. Das würde die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen angreifen. Weidmann befürchtet, dass diese Politik in Mode kommen könnte. Das sollte laut Weidmann nicht der Standard für „normale Zeiten“ sein. Wenn Weidmann unter „normalen Zeiten“ die letzten Jahrzehnte neoliberaler Politik meint, dann ist seine Position sicher nachvollziehbar. Aus Sicht der Position des demokratischen Sozialismus dagegen sind staatliche Beteiligungen ein wichtiger Beitrag zur Demokratisierung des Wirtschaftslebens ebenso wie eine weitgehende Regulierung des Bank- und Finanzsystems. Das ist natürlich eine politische Orientierung, die sich weit außerhalb des Gesichtskreises von Jens Weidmann befindet.

Die Frage nach einer möglichen inflationären Entwicklung, die durch die massive Geldschöpfung der EZB hervorgerufen werden könnte, beantwortet Weidmann in kurzfristiger Sichtweise. Er geht davon aus, dass im Augenblick in der Summe die preisdämpfenden Effekte überwiegen. Die Frage ist allerdings, ob auf die Dauer durch die Geldschöpfung ein Geldüberhang im Verhältnis zur gesellschaftlichen Nachfrage an den Warenmärkten entstehen kann. Sollte auf lange Sicht eine solche Situation entstehen, wäre eine inflationäre Entwicklung und im extremen Fall eine Erosion des Geldsystems nicht auszuschließen. Das wirft dann auch die Frage auf, wie lange die EZB in „normalen Zeiten“ die Flutung der Geldmärkte und die Niedrigzinspolitik weiterführen kann, wenn nicht auf der anderen Seite die Spekulation an den Börsen und den Immobilienmärkten überhandnehmen soll. Eine Blasenbildung sieht Weidmann eher als eine „problematische Übertreibung“ und weniger als strukturelles Problem des Kapitalismus. Deswegen findet er auch keine Antwort, die an die Veränderung der Struktur der Wirtschaftsordnung herangeht, im Gegensatz zum Beispiel zu J. M. Keynes, der schon in den 30er Jahren eine strenge Regulierung des Finanzwesens forderte. Weidmann verschiebt das Problem auf die Finanzpolitik, die eben solide zu sein hätte.

Insgesamt ist festzustellen, dass die Antworten von Jens Weidmann auf die Fragen der FAZ keine Antworten sind, die die Struktur des Kapitalismus in den Fokus nehmen, sondern nur die Probleme, die ein kurzfristige Reaktion der EZB erfordern. Eine grundsätzliche Problematisierung des Bank- und Finanzsystems und damit auch der Stellung der EZB im Rahmen einer demokratischen Umgestaltungspolitik wird von ihm nicht vorgenommen und ist von ihm auch nicht zu erwarten. Insoweit erinnert sein Interview mit der FAZ an das Ende des Literarischen Quartetts mit Marcel Reich-Ranicki: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehr betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

(1) Der Aufsatz bezieht sich auf das Interview der FAZ mit Jens Weidmann vom 21.6.20.

Nach Corona ist vor Corona?

19. Juni 2020  Allgemein

                                   NACH CORONA IST VOR CORONA? (1)

Innerhalb der demokratischen Linken stellt sich die Frage, ob der alte Spruch von Sepp Herberger „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ auch in abgewandelter Form auf die Zeit der Corona-Krise übertragbar ist? Die Corona-Pandemie als Krisenfaktor wird ganz unterschiedlich eingeordnet. Einerseits wird davon ausgegangen, dass nur durch einen exogenen Schock, wie zum Beispiel die Corona-Krise in Verbindung mit einer glaubwürdigen Alternative, der Kapitalismus zusammenbrechen wird. Andererseits steht dem eine endogene Krisenerklärung gegenüber, die sich auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie beruft. Diese Position geht davon aus, dass im Kapitalismus grundlegende ökonomische Gesetzmäßigkeiten am Werk sind, auf deren Basis aktuelle Lebensweisen erklärbar sind. Diese Lebensweisen entfalten erhebliche Rückwirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Es besteht eine Wirkungskette von „ Waldrodung und Landverbrauch durch Urbanisierung, Agrarwirtschaft und industrieller Massentierhaltung, aus der daraus resultierenden Reduktion der Artenvielfalt und der Vermehrung von vielfach medikamentenresistenten, aber auch gänzlich neuen Viren und Bakterien auf Lebendtiermärkten…“(2) Die Zirkulation von Waren und Arbeitskräften auf globalen Märkten kann dann entsprechende Krankheiten rasant pandemisch verbreiten. Der Unterschied zu vorbürgerlichen Gesellschaften besteht allerdings darin, dass es heute kein lang anhaltendes gesellschaftliches Gleichgewicht gibt, sondern durch die permanente Entwicklung der Produktivkräfte ein permanenter Raubbau an Mensch und Natur stattfindet. Parlamentarische Versuche der Eindämmung des Raubbaus werden häufig verschoben, worin sich die Schwäche der sozial-ökologischen Opposition zeigt. Das gilt sowohl für die gewerkschaftliche und sozialistisch-ökologische Seite. Ferner trifft die aktuelle Corona-Pandemie auf eine weltpolitische Konstellation, „in der der Platz eines Weltmarkthegemons mit zivilisatorischem Anspruch…vakant ist.“(3) Das heißt, es fehlt eine politische Kraft, die weltweit die Krisenbekämpfung koordiniert und öffentliche Güter bereitstellt. Sowohl die US-Regierung als auch die VR China behindern sich gegenseitig aus unterschiedlichen Motiven und damit auch die Arbeit der WHO bei der Untersuchung und Bekämpfung der Pandemie.

Es ist festzuhalten, dass die Corona-Krise keineswegs unvorhergesehen die Welt erschütterte. Dazu schon frühzeitig der bürgerliche Historiker Walter Scheidel: „Die Gefahr, die von potenziell katastrophalen neuartigen Epidemien ausgeht, (ist) keineswegs zu unterschätzen.“ (4) Im Unterschied zur Weltwirtschaftskrise 1929-32 und der Finanzmarktkrise 2008/09 brach die Corona-Krise in Bereichen aus, die oberhalb der ökonomischen Struktur des Kapitalismus anzusiedeln sind. Das heißt, wenn sie erfolgreich bekämpft werden soll, muss die Grundstruktur der Wirtschaftsordnung mit der Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion, Ernährungs- und pharmazeutischen Industrie verknüpft werden. Dieser Zusammenhang geht beispielsweise bei Robert Habeck von den Grünen ganz verloren, wenn er von einem „anthropologischen Schock“ spricht. Es ist zu befürchten, dass wenn von „neuer Normalität“ nach der Corona-Krise gesprochen wird, eine Rückkehr zu neoliberaler Politik gemeint ist. Das sieht auch Wolfgang Streeck, der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, ebenso. „Es wird oft behauptet, nach der Corona-Krise werde nichts mehr sein wie zuvor. Ich sehe eher die Kontinuität, etwa bei der Verschuldung, dem Wachstum der Geldmenge im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, der steigenden Bedeutung der Zentralbanken als Überregierungen und die zunehmende soziale Ungleichheit.“ (5)

Es ist also wiederum zu diskutieren, ob ein Rückfall in die alte Normalität oder ansatzweise Schritte in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation erfolgen werden? Zur Beantwortung der Frage ist eine Rückschau auf die Jahrzehnte vor der Corona-Krise hilfreich.

Bis zu Beginn der 80er Jahre herrschten überwiegend „Normalarbeitsverhältnisse“, die die Erfahrung und das Bewusstsein einer eher reibungslosen Kontinuität hervorriefen. Mit dem folgenden Neoliberalismus erfuhren die Beschäftigten einen Kontrollverlust über ihre Arbeitsbedingungen, eine Entwertung beruflichen Erfahrungswissens und die Zerstörung von Zeitstrukturen im Arbeitsleben. Es entstand ein Bewusstsein gesellschaftlicher Perspektivlosigkeit, das allerdings nicht zur Infragestellung des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital führte, sondern zu einem Bündel von Ressentiments, die rechtspopulistisch aufgeladen sind. Auf diese Mentalitäten traf der seuchenbedingte Lockdown. Für einen Augenblick schien neoliberales Gedankengut zugunsten emanzipativer Vorstellungen in verschiedenen Bereichen zu weichen. Für eine Rückkehr zur alten Normalität spricht allerdings die Tatsache, dass für eine Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder die Grundstruktur ihres Alltagsbewusstseins maßgebend bleibt. Dieses alltägliche Bewusstsein ist widersprüchlich. Einerseits wird die Vorstellung von Freiheit, Gleichheit und Leistung (Jeder ist seines Glückes Schmied) weitergetragen, andererseits aber werden das Abhängigkeitsverhältnis in der gesellschaftlichen Produktion und die weit auseinanderklaffenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenbar. Diese Situation hätte gerade von Gewerkschaftsseite dazu genutzt werden können, gemeinverständlich und ohne aufgesetzte antikapitalistische Attitüde, das Lohneinkommen als das sichtbar zu machen, was es in Wirklichkeit ist, nämlich als Gegenwert für den Verkauf der Arbeitskraft. „ Es hätte für kurze Zeit skandalisiert werden können, dass in den zurückliegenden neoliberalen Jahrzehnten die eigentlichen Produzenten…immer weniger an der jährlichen Neuwertschöpfung partizipierten- und das bei gleichzeitig über 6,5 Billionen privat aufgeschatztem Geldvermögen in Deutschland.“(6) Wenn das Wirtschaftsleben wieder in Gang kommt, verwandelt sich auch das Lohneinkommen für das Unternehmerlager wieder verstärkt in einen Kostenfaktor, den es zu senken gilt, ebenso wie die sogenannten „Lohnnebenkosten.“

Schon vor der Corona-Krise war der Kapitalismus in eine Legitimationskrise geraten, da der angebliche Zusammenhang von Arbeit-Leistung-Einkommen und Eigentum immer fragwürdiger und die bestehende Eigentumsordnung immer weniger akzeptiert wurde. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass auch die Sozialdemokratie in ihrer Mehrheit nur zu einem neuen Plädoyer für eine soziale Marktwirtschaft kommen wird und nicht zu einer grundlegenden Kritik des Kapitalismus. Emanzipatorische Kräfte werden nur dann die Öffnung des fortschrittlichen Zeitfensters nutzen können, „wenn sie gleich zu Beginn eine neue politische Mobilisierungssprache etablieren und darauf ihre weiteren politischen Deutungen und strategischen Interventionen aufbauen…“ (7) Wenn auch gesagt wird, dass nach der Corona-Krise alles anders werde, so hat jedoch die jüngere Kapitalismusgeschichte gezeigt, dass es nach Krisen und Kriegen nicht zu qualitativen sozialökonomischen Veränderungen kam. Qualitative Alltagsveränderungen gab es dagegen in den Zeiten der Prosperität, „in denen Wertewandel, neue soziale Verhaltens- und Sprechweisen, Mode und Geschlechterbeziehungen über einen längeren Zeitraum ausprobiert, inkorporiert und verallgemeinert werden konnten.“(8) Dazu braucht es eines öffentlichen Raums, in dem oppositionellen Verhalten sich gegenseitig stärken kann. In einer Zeit der sozialen Distanz ist das aber nur schwer möglich. Trotzdem werden in Zukunft Gewerkschaften ihr politisches Mandat zusammen mit der politischen Linken stärken müssen. Insoweit kann man nur hoffen, dass sich nach der Corona-Krise auf Dauer Schritt für Schritt eine „neue Normalität“ entwickelt. Dazu bedarf es auch eines nachvollziehbaren Programms der demokratischen Linken, das glaubwürdig vertreten wird und die politischen Kräfteverhältnisse verändert.

(1)Siehe zu diesem Aufsatz: Christoph Lieber, Krise und Normalität, Sozialismus Heft 6/20 S.45-51

(2) a.a.O. S.45

(3) a.a.O. S.46

(4) a.a.O. S.47

(5) a.a.O. S.48

(6) a.a.O. S.50

(7) a.a.O. S.51

(8) a.a.O. S.51

Die Konjunkturrakete?

06. Juni 2020  Allgemein

DAS KONJUNKTURPAKET DER GROSSEN KOALITION-EINE KONJUNKTURRAKETE?

Die Bundesregierung hatte bereits im März mit 1,2 Billionen Euro das bisher größte Hilfsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. Nun, knapp 3 Monate später, stellt der Koalitionsausschuss der Bundesregierung fest, dass es jetzt darauf ankomme, nicht nur Arbeitsplätze und Unternehmen zu erhalten und soziale Notlagen zu vermeiden, sondern die Wirtschaft auf einen Wachstumskurs zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich die Koalitionsregierung aus CDU/CSU und SPD auf ein 57-Punkte-Programm verständigt, das den Staat 130 Mrd. Euro kosten soll, getragen mit 120 Mrd. Euro durch den Bund.

Das Programm gilt es näher zu durchleuchten.

1.Das Programm zielt auf Konsumimpulse und auf die Förderung von Zukunftsinvestitionen. Als Kernpunkt wird die Senkung der Mehrwertsteuer von 19% auf 16% bzw. 7% auf 5% angesehen. Bei den Stromkosten sollen die Bürgerinnen und Bürger durch die Absenkung der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostromes entlastet werden. Außerdem einigten sich die Koalitionäre auf einen einmaligen Kinderbonus von 300 Euro pro Kind.

Insgesamt geht es darum, die Haushaltseinkommen zu steigern und dadurch den privaten Konsum zu beleben. Ob das gelingt ist allerdings fraglich, wenn gesehen wird, dass die Sparquote der Haushalte insgesamt am Ende des vergangenen Jahres 9,7% betrug, inzwischen aber auf knapp 20% angestiegen ist. Die mangelnde Konsumbereitschaft ist natürlich Ausdruck der Beschränkungen, die den Bürgerinnen und Bürgern aufgrund der Corona-Krise auferlegt wurden. Bei vielen Menschen fehlen das Vertrauen und aber auch die finanziellen Möglichkeiten und Sicherheit, die einen Konsumstart auslösen könnten. Es kommt hinzu, dass die Senkung der Mehrwertsteuer nur dann den Konsum beflügeln kann, wenn die Entlastung auch über niedrigere Preise tatsächlich weitergegeben wird. Die Bundesregierung belässt es bei Appellen an die Unternehmen, eine durchgreifende Steigerung der Konsumausgaben wäre wahrscheinlich durch direkte Maßnahmen des Staates, zum Beispiel durch Konsumschecks, erfolgreicher gewesen.

2. Ein weiterer Schwerpunkt des Programms liegt bei der Unterstützung der schwer getroffenen Kommunen. Ausfälle bei den Gewerbesteuereinnahmen sollen durch eine Gemeinschaftsaktion von Bund und Ländern ausgeglichen werden. Ferner sollen die Unterkunftskosten in der Grundsicherung durch den Bund übernommen werden. Fraglich ist jedoch, ob die Hilfe für die Kommunen nachhaltig ist, angesichts der Tatsache, dass die Kommunen Altschulden zu bedienen haben und die CDU/CSU sich weigerte, eine Streichung der Altschulden ganz oder teilweise vorzunehmen.

3. Die Koalitionsspitzen einigten sich auf eine zusätzliche Unterstützung der Branchen, die von der Corona-Krise besonders belastet sind. Es wurde ein Programm für sogenannte Überbrückungshilfen von maximal 25 Mrd. Euro für kleine und mittelständische Unternehmen aufgelegt. 50 Mrd. Euro sollen als „Zukunftspaket“ ausgegeben werden, mit einer sogenannten „Innovationsprämie“ für Elektroautos. Zur Unterstützung im Bereich Mobilität soll die KFZ-Steuer stärker an CO2-Emissionen ausgerichtet werden und die Elektroautos ganz von der KFZ-Steuer befreit werden. Ein Elektroauto mit einem Listenpreis von netto 40000 Euro soll nun mit 6000 Euro gefördert werden, Kaufprämien für Verbrenner werden nicht gewährt.

4.Der Bund beteiligt sich mit 1 Mrd. Euro pro Jahr zusätzlich am Eigenkapital der Deutschen Bahn. Im Bereich der Schifffahrt wird der LNG-Antrieb, das heißt die Verflüssigung von Erdgas als Kraftstoff, gefördert. Flugzeugflotten sollen gezielt gefördert werden, wenn die Flugzeuge 30% weniger CO2 emittieren.

Neben diesen Schwerpunkten des Programms, gibt es noch viele Einzelmaßnahmen, was den Koalitionären die Kritik eingebracht hat, nach dem Gießkannenprinzip vorzugehen. Offen bleibt, ob die beabsichtigte Wirkung des Programms erzielt wird und offen ist weiter die Finanzierung. Der erste Nachtragshaushalt sieht eine massive Neuverschuldung des Staates vor, ein weiterer Nachtragshaushalt wird nötig sein. Da keine soziale Steuerpolitik zu erwarten ist, wird auch hier eine weitere Neuverschuldung in den Fokus genommen. Wenn man nicht gerade zu blinden Vertretern der Modern Monetary Theory (MMT) gehört, wird man auf Dauer einen sukzessiven und sozialen Rückbau der Verschuldung erwarten müssen. Die Regierung selbst geht davon aus, dass in diesem Jahr die Wirtschaftsleistung um mindestens 6,3% einbrechen wird. Eine schnelle Erholung im nächsten Jahr muss als unwahrscheinlich angesehen werden, eine Konjunkturrakete ist nicht zu erwarten und auch nicht ein „Wumms“ aus der Krise, wie der Finanzminister Scholz meint. Das Problem in der Eurozone war bis zur Corona-Krise, dass zwar schon eine lockere Geldpolitik der EZB gefahren wurde (Quantitative Easing), aber diese durch die Sparpolitik der Eurostaaten und vor allem durch die Schuldenbremse der Bundesregierung konterkariert wurde. Die Konsequenz war, dass massiv Gelder auf die Vermögensmärkte (Börsen und Immobilien) flossen mit der Gefahr des Zusammenbruchs dieser Märkte. Die Regulierung der Finanzmärkte nach der Finanzkrise 2007/2009 blieb bescheiden und Banken konnten ihre spekulativen Geschäftsmodelle weiterführen. Die privaten und öffentlichen Haushalte wiesen schon damals eine hohe Verschuldung auf, eine soziale Steuerpolitik, eine höhere Belastung von Besserverdienern und Vermögenden, wäre notwendig gewesen. Durch die Corona-Krise hat sich die Situation insoweit geändert, als nun die Austeritätspolitik wegen des gewaltigen wirtschaftlichen Einbruchs vorerst auf Eis gelegt wurde und alle finanzpolitischen Dogmen quasi über Nacht über den Haufen geworfen wurden.

Die Frage ist nur, ob die etablierte Politik nach der Corona-Krise wieder in altes Fahrwasser zurückkehrt. Dann würde sie, wie vorher auch, in einem Dilemma stecken:

Entweder die EZB und die Zentralbanken allgemein steigen aus der lockeren Geldpolitik aus zur Bekämpfung einer Vermögensblase an den Finanzmärkten und es kommt zu einer neuen Etablierung der Austeritätspolitik mit der Gefahr weiterer ökonomischer Einbrüche, oder aber die EZB und weitere Zentralbanken setzen die lockere Geldpolitik fort bei massiver Neuverschuldung der Staaten und der Gefahr eines Zusammenbruchs der Finanzmärkte. Ein solcher Zusammenbruch kann zur Erosion des Geldsystems, der führenden Repräsentativwährungen und zur Rückbindung des Geldes an das Gold führen. Keynes nannte diese Situation einst den Rückfall in chaotische Goldzeiten. Wenn aber eine Emanzipation von all diesen Problemen erreicht werden soll, ist eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise, die an ihre Systemgrenze gestoßen ist, notwendig. Eine strenge Regulierung des Finanzsektors, eine Relativierung des privaten Profits im realen Sektor (Industrie und kapitalistische Dienstleistungen), eine internationale Einebnung der ökonomischen Ungleichgewichte in einer nichtkapitalistischen, wirtschaftsdemokratischen Wirtschaftsordnung muss das Ziel sein. Dazu bedarf es eines nachvollziehbaren Programms der demokratischen Linken, das auch mehrheitsfähig ist und glaubwürdig zu vertreten ist.