Allgemein

Über die Weltunordnung

05. Januar 2023  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

ÜBER DIE WELTUNORDNUNG.

Carlo Masala, seines Zeichens Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, hat einen Text über globale Krisen und das Versagen des Westens herausgegeben. Er beginnt mit der Feststellung, dass mit der Implosion der Sowjetunion 1989/90 der Beginn des Zeitalters des Friedens und der Stabilität erwartet wurde. Zu Beginn des 21.Jahrhunderts muss allerdings festgestellt werden, dass sich diese Erwartung in Luft aufgelöst hat. Masala vertritt die These, dass nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes der Westen versucht habe, international eine Weltordnung zu errichten, die seinen eigenen „Werten“ entspreche. Masala geht davon aus, dass diese Politik fehlgeschlagen sei und der Westen auch durch das Fiasko in Afghanistan (2001), im Irak (2003) oder Libyen (2011) nicht von seiner Linie abgewichen sei. Im Gegenteil, diese Politik habe mit dazu beigetragen, dass eine Welt der Unordnung entstanden sei. Masala wirft dem Westen vor, er habe sich von dem Wunsch leiten lassen, sein Modell der Weltordnung notfalls auch mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Masala rät heute zu einer realistischen Politik. Die bestehe darin, gesellschaftliche Unterschiede zu akzeptieren und kein Machtmonopol auszuüben. Er stellt fest, dass auch der Westen und vor allem die Großmächte nicht am Allgemeinwohl interessiert seien, sondern vor allem an ihren nationalen Interessen. Insoweit ist es ein frommer Wunsch, wenn Bundeskanzler Scholz die EU als Antipode des Imperialismus und von Autokratien ansieht. Dass dem nicht so ist, zeigen die illiberalen Demokratien in Polen und Ungarn, der Rechtsradikalismus in Frankreich, Schweden und Italien und auch die AFD in der Bundesrepublik. Auch die USA und Großbritannien sind weit davon entfernt, lupenreine Demokratien zu sein, das haben wir unter Donald Trump und dem Post-Brexit-Regime erlebt. Antipoden zu Autokratien sehen anders aus. Insoweit ist auch eine Politik gegen die Autokratie Russlands bzw. gegen den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine weder in der EU noch darüber hinaus einheitlich durchsetzbar. Carlo Masala ist in dieser Hinsicht zuzustimmen, obwohl er die Weltunordnung nur in oberflächlicher Weise analysiert. Das liegt daran, dass er die ökonomischen Ursachen der weltweiten Konflikte stark unterbelichtet.

Masala spricht vom „Westen“ wenn er vom Kapitalismus sprechen müsste. Dieser entwickelt sich auf Basis bestimmter Gesetzmäßigkeiten, die die Grundlage der politischen Entwicklung und damit auch der Weltunordnung darstellen. Der Kapitalismus verläuft krisenhaft und befindet sich seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in einer strukturellen Überakkumulation. Das bedeutet, dass der Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate nicht mehr durch eine Steigerung der gesellschaftlichen Profitmasse kompensiert wird. Die Folge ist die Entwicklung eines Kapitalismus, in dem Kapital massiv auf die Finanzmärkte umgeleitet wird mit einer stark spekulativen Tendenz. Viele Staaten werden in diese Entwicklung einbezogen, deutlich sichtbar an der Russlandkrise 1998, Brasilienkrise 1999, Türkeikrise 2000 und Argentinienkrise 2001. Den Höhepunkt bildete die Finanzkrise 2007, die als zweite große Krise des Kapitalismus gilt und als Höhepunkt der strukturellen Überakkumulation. Politische Instabilitäten und die sogenannte Weltunordnung sind die logische Folge. Eine Lösung der ökonomischen und politische Probleme wird auf Dauer nur möglich sein, wenn die neoliberale  Politik beendet und Schritt für Schritt die private Kapitalverwertung als Grundlage der Wirtschaftsordnung aufgehoben wird. Es muss auf Dauer der Aufbau einer nichtkapitalistischen Ordnung erfolgen. Dazu bedarf es allerdings eines fundamentalen Wandels in der nationalen und internationalen Politik und der politischen Kräfteverhältnisse zu Gunsten der großen Mehrheit der Bevölkerungen. Eine glaubwürdige und glaubwürdig vertretene wirtschaftsdemokratische und allgemein politisch-soziale Orientierung muss angestrebt werden. Dass das keine Utopie bleibt, daran hat die demokratische Linke kräftig zu arbeiten.

Das Jahr 2023, Ängste der Bevölkerung und Illusionen der SPD.

31. Dezember 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DAS JAHR 2023, DIE ÄNGSTE DER BEVÖLKERUNG UND DIE ILLUSIONEN DER SPD.

Bei einer Umfrage des Instituts Ipsos stellte sich heraus, dass nur 35% der Befragten dem kommenden Jahr mit Zuversicht entgegensehen. Der Zukunftsforscher Opaschowski weist darauf hin, dass inzwischen viele Menschen massive Existenzängste haben. Besonders die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich werde mit großer Sorge gesehen. Die ältere Generation, das heißt Menschen ab 55 Jahren und älter, sei mehrheitlich besorgt, während bei 14-24jährigen noch der Optimismus überwiege. Die Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen fand heraus, dass 70% der Frauen und 58% der Männer mit Befürchtungen in das Jahr 2023 gehen. Bei Geringverdienern seien es 75% und auch bei Besserverdienern immerhin 50%. Hoffnung und Halt gebe laut Opaschowski die Tätigkeit des Staates, insbesondere des Sozialstaats.

Die Frage ist allerdings, ob diese Hoffnung angesichts der heutigen politischen Verhältnisse berechtigt ist?

Auf diese Frage versucht der Generalsekretär der SPD Kevin Kühnert in der Badischen Zeitung vom 28.12.22 Antworten zu geben. Er ist der Auffassung, dass durch Entlastungspakete zwar schnell viel Geld an viele Menschen gegangen sei, er sieht aber auch, dass Unterstützung auch an Leute gegangen sei, die sie nicht gebraucht hätten. Das gelte sowohl für die 300-Euro-Pauschale, die Mehrwertsteuersenkung auf Gas als auch die Energiepreisbremse. Dem ist zuzustimmen, wenn Kühnert Besserverdienende und Spitzenverdiener meint. Kühnert schlägt aber für die Zukunft eine andere Herangehensweise an die ökonomisch-sozialen Probleme vor, er möchte mehr Verteilungsgerechtigkeit herstellen. Er hat dabei die Illusion, dass das in der Ampelkoalition mit der FDP machbar sei. Vorerst befinde sich aber die SPD noch in der Diskussionsphase, aber es kristallisiere sich heraus, dass es um eine Vermögensabgabe für sehr große Vermögen gehe, um Entlastungsgelder für wohlhabende Haushalte zurückzunehmen. Es gelte auch bei beim Regelsatz von 502 Euro Bürgergeld nachzusteuern, wenn es im kommenden Jahr nicht ausreiche. Entscheidend sei aber, Menschen dauerhaft in Arbeit zu bringen. Dem ist nicht zu widersprechen, ein Problem ist nur, wenn Kühnert meint, dass sei allein durch Aus- und Weiterbildung dauerhaft zu erreichen. Verteilungsgerechtigkeit und ein Ende der Arbeitslosigkeit wird nur möglich sein, wenn sich vor allem bei linken Kräften in der SPD und den Grünen die Bereitschaft entwickelt, Schritt für Schritt die kapitalistische Produktionsweise zu überwinden. Nur so wird Verteilungsgerechtigkeit und Arbeit für alle erreicht werden können. Der Kampf für Verteilungsgerechtigkeit und Arbeit wird sonst immer wieder durch den Drang des privaten Kapitals nach möglichst hoher Verwertung blockiert werden. Diese Einsicht gilt es in der SPD und auch den Grünen mehrheitsfähig zu machen. Vor allem aber geht es darum, diese Einsicht im Bewusstsein der Wahlbevölkerung zu verankern, was allerdings von der Ampelkoalition nicht zu erwarten ist. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass durch Waffenlieferungen an die Ukraine der Angriffskrieg Russlands beendet werden kann und auf diese Weise die Regierung Putin an den Verhandlungstisch gebracht werden kann. Solange jede Seite noch meint, den Krieg gewinnen zu können, ist eine diplomatische Lösung nicht in Sicht.

Der Kapitalismus der letzten Jahrzehnte

17. Dezember 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

                      DER KAPITALISMUS DER LETZTEN JAHRZEHNTE.

Die Corona-Pandemie und auch der Ukrainekrieg haben dazu geführt, dass ökonomische und sozialen Entwicklungen, zum Beispiel die Verteuerung der Lebenshaltung, die steigenden Energiekosten, die Arbeitslosigkeit und die verbreitete soziale Unsicherheit aus diesen Ereignissen erklärt wurden. Dabei gerät aus dem Blickfeld, dass es sich vielfach um langfristige Entwicklungstendenzen der letzten Jahrzehnte handelt, die nur durch die obigen Ereignisse verstärkt wurden. Deswegen ein Blick zurück.

In den meisten kapitalistischen Ländern war die Weltwirtschaftskrise 1974/75 das Ende einer langen Prosperität. Schon in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts deutete sich wirtschaftlich und politisch ein Umschwung an. Die Ära des Fordismus, die gekennzeichnet war durch eine entwickelte Arbeitsteilung innerbetrieblich, national und international und die Bildung großer Oligopole, war an ihre Grenzen gestoßen.  Die Fließbandproduktion in alt hergebrachter Form geriet in Widerspruch zur Veränderung an den Märkten. Diese hatten sich zu Käufermärkten entwickelt mit sehr differenzierten Kundenwünschen. Die Folge war, dass nachträgliche Qualitätskontrollen und Nachbesserungen im Produktionsprozess von Waren an der Tagesordnung waren. Das wiederum hatte zur Folge, dass bei einer weiter sinkenden gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate auch das Wachstum der gesellschaftlichen Profitmasse abnahm. Das Ergebnis war eine sogenannte strukturelle Überakkumulation des Kapitals. An sich bedeutet Überakkumulation von Kapital eine Überreichlichkeit von produktivem Kapital (Z.B. Maschinen) sowie von Warenkapital im Verhältnis zur privaten Kapitalverwertung. Diese Überakkumulation wird strukturell, das heißt chronisch, wenn die Überkapazitäten im Laufe eines normalen Konjunkturzyklus nicht mehr abgebaut werden können. Die Überakkumulation im produktiven Sektor führt dann zu einer beschleunigten Akkumulation von Geldkapital und seinen vielfältigen Anlageformen mit meist spekulativen Bewegungen, die rückwirkend die produktiven Anlagen blockieren. Das schließt die Überschuldung vieler Unternehmen, von Privathaushalten und Staatshaushalten ein.

Die dargestellte Entwicklung prägt die größten kapitalistischen Gesellschaften seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts mit weiter fallenden gesellschaftlichen Durchschnittsprofitraten (m/c+v) und verlangsamten Wachstum der Profitmasse. Es handelt sich um allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus. Da die Produktion des Mehrwertes (m) durch die Arbeitskräfte(v) geschieht und der Einsatz von Maschinen etc. (c) schneller als der der Arbeitskräfte wächst, kommt es zu dem Fall der Profitrate und am bestimmten Punkt auch zur Verlangsamung der Profitmasse. Diese Entwicklung am Ende der Nachkriegsprosperität in den 70er Jahren war ebenfalls das Ende des internationalen Währungssystems von Bretton-Woods.  Spekulative Geldbewegungen hatten sich zunehmend gegen den US-Dollar gerichtet und damit das Fixkurssystem mit dem Dollar als sein Zentrum zum Einsturz gebracht. Ebenso bedrohlich erschien schon damals die beschleunigte Inflation der Warenpreise. Sie beruhte auf zwei Ursachen. Es war einerseits eine binnenwirtschaftliche Ursache mit der Verschuldung von privaten und staatlichen Haushalten sowie einer permissiven Notenbankpolitik (freizügige Kreditgewährung) und andererseits eine außenwirtschaftliche Rohstoffpreisentwicklung (Öl) also importinduzierter Preissteigerung. Im Zusammenhang mit der ausbleibenden Dynamik im produktiven Sektor führte das zur gleichzeitigen Stagnation und Inflation (Stagflation).

Der Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate traf auf eine Erhöhung des Geldzinssatzes, also das klassische Dilemma der Kapitalverwertung. Es folgte ein Paradigmenwechsel der Wirtschaftspolitik, die Bekämpfung der Inflation erhielt absolute Priorität. Die Nachfragepolitik der führenden Regierungen wurde zurückgefahren und die restriktive Geldmengenpolitik der Zentralbanken wurde Trumpf. In den 80er Jahren wirkt der Druck auf die Löhne vorübergehend entlastend für die Profitentwicklung. Allerdings war der Druck nicht nachhaltig, das heißt, er führte nicht zu einer neuen beschleunigten Kapitalakkumulation im produktiven Sektor. Die konsumtive Massennachfrage wurde ausgehöhlt, es kam nicht zu einer Auflösung der chronischen Überakkumulation. Es kam hinzu, dass viele asiatische Staaten, ausgenommen nur die VR China und Taiwan, in die Überakkumulation einbezogen wurden. Der Asienkrise folgte die Russlandkrise 1998, die Brasilienkrise 1999, die Türkeikrise 2000 und die Argentinienkrise 2001.

Neu in den USA um die Jahrtausendwende war die durch die Geld- und Finanzpolitik versuchte Nachfragestimulierung durch die sogenannte „asset-based, wealthdriven  accumulation.“ Es ist der Versuch, mithilfe der Ausweitung der Kreditaufnahme der Privathaushalte und flankiert durch die Niedrigzinspolitik der US-Zentralbank und einer Aktienhausse dem reproduktiven Kapital einen Impuls zugeben. Dieser Versuch scheiterte wegen des negativen Effektes auf die Massennachfrage ebenso wie der nächste Versuch, der eine gewaltige Immobilienkrise hervorrief. Es entstand eine gigantische kreditinduzierte Immobilienblase und wurde beendet durch die Finanzmarktkrise 2007. Sie gilt als zweite große Krise des Kapitalismus und der Höhepunkt der strukturellen Überakkumulation. Dieser Krise folgte wieder eine permissive Notenbankpolitik bei gleichzeitigem Versuch, die Schulden von Privathaushalten und Unternehmen abzubauen. Eine wirtschaftliche Entwicklung mit stagnativem Grundton war das Ergebnis der  Zeit nach der Finanzkrise.

 Die Coronakrise zu Beginn des Jahres 2020 und auch die Ukraine-Krise ab 2022 und ihre wirtschaftlichen Folgen machen deutlich, dass eine Lösung der ökonomisch-sozialen Probleme auf Dauer nur möglich sein wird, wenn der Neoliberalismus überwunden und ein kontrollierter Abbau der Schulden im Rahmen des Abbaus der Wirtschaftsblockaden der Profitproduktion und des sukzessiven Aufbaus eine nicht-kapitalistischen Wirtschaftsordnung erfolgt. Dazu bedarf es allerdings eines fundamentalen Wandels in den politischen Kräfteverhältnissen zu Gunsten der Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Das wird eine sozial-ökologische Orientierung in Betrieben, Gesamtwirtschaft und Weltmarkt sein müssen. Erforderlich ist eine sozialistische Politik die glaubwürdig ist, glaubwürdig vertreten wird und durch die Masse der Bevölkerung getragen wird. Dass das keine Utopie bleibt, daran hat die Linke kraftvoll mitzuarbeiten.  

 

Die Schuldenbremse-die Religion der herrschenden Eliten

26. November 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE SCHULDENBREMSE- DIE RELIGION DER HERRSCHENDEN ELITEN (1)

Finanzminister Lindner hat es jüngst im Bundestag propagiert, die Schuldenbremse sei 2023 wieder zu verwirklichen.

Was ist damit gemeint?

Die Schuldenbremse geht zurück auf die Finanzkrise 2008 und die darauf folgende Umorientierung in der Finanzpolitik. Ab 2009 schrieb das Grundgesetz vor, dass die Haushalte vom Bund und den Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen seien. Es galt also die Vorgabe einer Nichtverschuldung von Bund und Ländern. Der alte Artikel 115 des Grundgesetzes, der vor 2009 galt, sah noch die Möglichkeit vor, dass der Staat sich im Rahmen der Finanzierung von staatlichen Investitionen verschulden durfte. Diese Regel wurde komplett abgeschafft, dem Bund wurde allerdings eine sogenannte „strukturelle Neuverschuldung“ bis maximal 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zugestanden. Nur für konjunkturelle Abschwünge, Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen sieht das Grundgesetz heute eine Abweichung von der Regel der Nichtverschuldung vor.

Durch die Corona-Krise schien es, dass es zum Ende des Prinzips der Schuldenbremse kommen könnte. Es kam zum Schuldenanstieg bei Bund und Ländern, der durch eine außergewöhnliche Notsituation begründet wurde. Es wurde parallel dazu ein verfassungsrechtlich vorgeschriebener Tilgungsplan vorgelegt und Tilgungslasten vorgesehen, die sich nicht durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen finanzieren ließen. Es war damit abzusehen, dass auch in Zukunft eine offene oder verdeckte Staatsverschuldung (durch Nachtragshaushalte und Sonderhaushalte) vonstatten gehen würde.  

Es bleibt die Frage, welche Ideologie hinter dem Dogma steht, dass die staatliche Verschuldung grundsätzlich nicht zu akzeptieren sei?

Die Abschaffung der alten Verschuldungsregel hatte zur Folge, dass öffentliche Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen vernachlässigt wurden. Die Finanzierung der deutschen Einheit und die Finanzkrise von 2008 hatten vorher schon zu einer beschleunigten staatlichen Verschuldung geführt. Der Kern des Wechsels zur restriktiven Finanzpolitik, der dann folgte, ist allerdings das neoklassische Dogma, nach dem sich die Marktkräfte von selbst regulieren und der Staat nicht zu intervenieren habe. Diese Sichtweise lässt sich nur dadurch erklären, dass gesellschaftliche Prozesse im Kapitalismus nur aus einer einzelwirtschaftlichen Perspektive und auf Basis oberflächlicher Bewusstseinsstrukturen abgeleitet werden. Neoklassisches Bewusstsein kennt keine gesamtwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus und entsprechend fallen dann auch die Empfehlungen an die staatliche Wirtschaftspolitik aus. Dem sind aus marxistischer Sicht folgende Punkte entgegenzuhalten:

1.Aufgrund des Falls der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate (m/c+v) und gleichzeitigen stagnierenden oder fallenden Wachstums des Gesamtkapitals entstand eine sogenannte strukturelle Überakkumulation. Das bedeutet, es entstanden Überkapazitäten im industriellen Bereich mit einer wirtschaftlichen Abschwächung dort und eine Umlenkung von Kapital auf die Finanzmärkte. Eine Überhitzung der Finanzmärkte mit privater und staatlicher Verschuldung war die Konsequenz. Es handelt sich also um gesamtgesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise (2)

  1. Die staatliche Verschuldung und eine entsprechende Notenbankpolitik (Quantitative Easing) waren der Versuch diese ökonomische Entwicklung in den Griff zu bekommen. Dem stand immer die Forderung der Vertreter des neoklassischen Dogmas entgegen, dass der Staat zu einer Reduktion seiner Ausgaben und seiner Verschuldung zurückfinden müsse. Durch die Corona-Krise und jüngst den Ukraine-Krieg mit seiner Anheizung der Energiekosten und der Kosten der Lebenshaltung konnte davon erst einmal keine Rede sein.
  2. Finanzminister Lindner repräsentiert mit seiner Forderung einer Neuauflage der Schuldenbremse die Teile der herrschenden Elite, die die kapitalistische Produktionsweise nicht antasten wollen und gleichzeitig durch eine verschärfte Sparpolitik, vorwiegend im sozialen Bereich, die Privilegien von Spitzenverdienern und Vermögenden schützen wollen. Andere Teile der herrschenden Eliten haben die Illusion, durch staatliche Verschuldung die Probleme dieser Wirtschaftsordnung auch auf lange Sicht lösen zu können. Schützenhilfe bieten bei diesem Vorhaben die Vertreter der Neuen Geldpolitik ( Modern Monetary Theory). Die Schuldenkrisen verschiedener Länder zeigen jedoch deutlich auf, wo die Grenzen staatlicher Geldschöpfung und Kreditexpansion liegen. (3)
  3. Eine Lösung der Probleme dieser Wirtschaftsordnung kann nur darin bestehen, schrittweise die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Jagd nach dem Mehrwert zu überwinden. Das wird nur durch Eingriffe des Staates möglich sein auf der Basis einer grundlegenden Änderung der Steuerpolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik etc. zu Gunsten der Masse der Bevölkerung. Ziel muss die Entwicklung einer sozialistischen Marktwirtschaft und sozialistischen Demokratie sein, durch die grundlegende Fehler des realen Sozialismus vermieden werden. Das bedeutet auch, Fehlentwicklungen beim Aufbau des „Sozialismus chinesischer Prägung“ und anderer aktueller Gesellschaften mit sozialistischem Anspruch klar zu benennen. Es bedarf einer Politik der linken Alternativen, die diese Alternativen glaubwürdig vertritt, große Teile der Bevölkerung überzeugt und Schritt für Schritt die politischen Kräfteverhältnisse zu Gunsten der Bevölkerungsmehrheit verschiebt.

(1) Der Text von R. Hickel u.a. „Gewinn ist nicht genug“, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2021, wurde bei der Betrachtung des Problems der Schuldenbremse mit herangezogen.

(2) Die Darstellung der Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise ist nachzulesen bei Stephan Krüger „Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation“ VSA-Verlag, Hamburg 2010.

(3) Zur Kritik der Modern Monetary Theory siehe auch Krüger/Müller „Das Geld im 21.Jahrhundert“ Papy Rossa Verlag, Köln 2020.

 

 

Der Ukraine-Krieg

05. November 2022  Allgemein

DIE LINKE FREIBURG

 

                  DER UKRAINE-KRIEG- ACHT MONATE UND KEIN ENDE!

Schon im Jahr 2014 gab es einen Appell von verschiedenen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Politik, in dem eine neue Entspannungspolitik eingefordert wurde. Das war immerhin acht Jahre vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahre 2022. Es wäre also Zeit gewesen, eine entschlossene Entspannungspolitik zu beginnen. Die Frage ist also, welche Möglichkeiten der Entspannungspolitik sowohl von der Nato als auch Russland nicht genutzt wurden. Das Problem in der Person Putins und seiner autoritär-aggressiven Persönlichkeitsstruktur zu suchen, was medial häufig gemacht wird, wird einer rationalen Untersuchung und Erklärung des Krieges nicht standhalten. Wir müssen uns somit an gesellschaftliche Strukturen und damit zusammenhängende politische Entwicklungen halten.

Die Aufgabe der Linkspartei wäre es darzustellen, welche Strukturen im Kapitalismus demokratischer oder autoritärer Prägung eine aggressive Politik nach Innen und nach Außen ermöglichen. Da das oberste Ziel des Kapitalismus darin besteht, privates Kapital möglichst gewinnbringend zu verwerten, gehört es seit jeher zum Strukturmerkmal des Kapitalismus, dass Hindernisse auf dem Weg zur optimalen Verwertung privaten Kapitals national durch Beschränkung von Arbeitnehmerrechten bis hin zur personalen Form der Klassenherrschaft (Faschismus) und international durch gewaltsame imperiale Politik beiseite geräumt werden. Eine ausserökonomische Gewalt ist in der Regel an der Tagesordnung, wenn der Kapitalismus von der prosperierenden Entwicklung in eine krisenhafte übergeht. Vor diesem Hintergrund muss auch die nationale und internationale Politik nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab 1990 gesehen werden.

Im Jahre 1990 bestand die Hoffnung, nach dem Ende des sogenannten Kalten Krieges zu einer neuen Friedenspolitik zu kommen. Der 2+4- Vertrag erbrachte mit Zustimmung der vier Alliierten (USA.SU, GB und FR) die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Nach Aussagen vieler Teilnehmer des Verhandlungsprozesses kam der Vertrag nur zustande, weil eine Nichterweiterung der Nato nach Osteuropa versprochen wurde. Auch das Budapester Memorandum von 1994 sowie die Nato-Russland-Grundakte von 1997 schienen noch im Geiste einer neuen Friedenspolitik ausgehandelt worden zu sein. Die Verhandlungen wurden allgemein so verstanden, dass sich die Nato bei der Stationierung von Truppen und Waffensystemen in Osteuropa zurückhalten wolle. Fakt war jedoch bald, dass die Nato 14 Staaten in Ost- und Südosteuropa in ihre Organisation aufnahm. Das ist so zu interpretieren, dass ohne außerökonomische Gewalt dem Verwertungsdrang privaten Kapitals politisch Rechnung getragen wurde.   Die USA als führende Kraft der Nato zeigten bereits damals, dass sie nicht an einer neuen europäischen Friedensordnung   unter Einschluss Russlands interessiert waren. Das Minsker Abkommen von 2015 macht dann deutlich, dass Russland als autoritäre Form des Kapitalismus bereits zu einer aggressiven Außenpolitik übergegangen war. Die prorussischen Teile des Donbass, die militärisch von Russland gestützt wurden, sollten durch Verhandlungen Russlands mit der Ukraine unter Beisein von Vertretern der Bundesrepublik und Frankreichs einen autonomen Status erhalten. Dieser Status wäre allerdings ein Status gewesen, der Russland die Kontrolle über den Donbass gegeben hätte. Das Abkommen wurde danach von der Ukraine blockiert und in der Folge entwickelte sich ein siebenjähriger Stellungskrieg mit vielen militärischen und zivilen Opfern. Im Jahre 2022 wurde das Abkommen von russischer Seite aufgekündigt, was den Beginn des Krieges von Russland gegen die Ukraine bedeutete.

Es bleibt die Frage, welche strukturellen Umbrüche im russischen Kapitalismus vonstatten gegangen sind, um zu der heutigen Politik zu kommen?

Der russische Angriff auf die Ukraine 2022 kam für viele Beobachter überraschend. Mit dem Amtsantritt W. Putins im Jahre 2000 war eine Trennlinie gezogen worden, die Zeit vorher wurde allgemein als Zeit des demokratischen Aufbaus Russlands betrachtet. Eine genaue Analyse der gesellschaftlichen Struktur Russlands nach 1990 ergibt allerdings ein anderes Bild. Zuerst sollte in der Ära Gorbatschows versucht werden, einen Umbau des Sozialismus im Sinne von Glasnost und Perestroika zu erreichen, also eine transparente demokratische Veränderung. Ökonomische Schwierigkeiten bei dem Umbau führten jedoch dazu, dass sich Wirtschaftsreformer durchsetzten, die einen radikalen Umbau hin zur kapitalistischen Marktwirtschaft anstrebten. Das bedeutete, sie befürworteten eine weitgehende Entstaatlichung der Wirtschaft, die Aufgabe von Preiskontrollen und eine Liberalisierung des Außenhandels. Unter Boris Jelzin erfolgte dann zwischen 1992-94 die Einführung des Kapitalismus in Russland mittels eines Schockverfahrens, das heißt, alle gesellschaftlichen Bereiche wurden ungeschützt den Märkten überlassen. Die Folge war, dass die russische Gesellschaft in eine soziale Katastrophe geführt wurde und eine Kapitalistenklasse entstand, bei der sich wenige Parteifunktionäre und Wirtschaftsführer (Oligarchen) der ehemaligen Sowjetunion bereicherten. Die ökonomische Basis der neuen Kapitalistenklasse bestand vor allem aus dem Export von Rohstoffen, zum Beispiel Erdöl, Erdgas, Aluminium und Energie. Das alles führte zu einer autoritären kapitalistischen Entwicklung, unter Führung von Boris Jelzin gegen den Willen des russischen Parlaments. Kapitalisten, Politiker und hohe Beamte waren dabei aufs Engste miteinander verbunden. Die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik und ihre Probleme führten schließlich zu einem Wendepunkt im Verhältnis von Staat und Wirtschaft und den Beginn des politischen Aufstiegs von W. Putin. Die autoritäre Form des Kapitalismus wurde weiter ausgebaut, der staatliche Unterdrückungsapparat verstärkt und oppositionelle Aktivitäten massiv bekämpft. Die logische Folge war die Militarisierung der Außenpolitik und die Angriffe auf die Ukraine als vorläufigen Höhepunkt. Konflikte im Innern Russlands werden nach außen getragen und es droht auf dieser Basis keine neue friedliche Koexistenz mit anderen kapitalistischen Staaten, sondern eine zunehmende imperiale Konkurrenz um Einflusszonen.

Der Krieg in der Ukraine, der jetzt schon acht Monate andauert, hat dazu geführt, dass der Westen gegenüber Russland Exportkontrollen erlassen hat, und es wird versucht, das Land von westlichen Technologien abzuschneiden. Energieembargos sollen Russland von wichtigen Einnahmequellen abtrennen. Als Gegenreaktion hat Russland die Lieferung von Erdgas eingeschränkt, was die Gas- und Elektrizitätspreise sowie die Inflationsrate im Westen auf ein Rekordniveau gebracht hat. Der Westen unterstützt die Ukraine mit enormen Militärressourcen und verhindert mithilfe des Finanzsystems den Zusammenbruch des Landes. Das augenblickliche Misstrauen zwischen den beteiligten kapitalistischen Staaten macht einen Frieden kaum möglich, der Westen und auch die Regierung der Ukraine gehen davon aus, dass nur militärische Stärke zu einer Lösung des Konfliktes führt. Da weder Russland noch die Ukraine mit den NATO- Staaten eine Niederlage akzeptieren, rückt der Frieden in weite Ferne. Zu vertrauensbildenden Maßnahmen müssten beide Seiten bereit sein, wenn der Krieg ein Ende haben soll. Dabei wird es auch darum gehen, ob die USA und Russland eine neue internationale Friedensordnung verwirklichen wollen. Das würde allerdings voraussetzen, dass die imperiale Konkurrenz um Einflusszonen beendet wird. Das wird in der Perspektive auch für das Verhältnis der kapitalistischen Staaten zur Volksrepublik China von Bedeutung sein.

 

Die Grünen,Frieden,Atomkraft und Kanzler

26. Oktober 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE GRÜNEN, DER FRIEDEN, DIE ATOMKRAFT UND DER KANZLER (1)

Im Oktober fand der Parteitag der Grünen im World Conference Center Bonn statt. Es war das erste Treffen seit der Corona Pandemie, das nicht mehr digital, sondern als Präsenzveranstaltung abgehalten wurde. Im Zentrum der Debatten standen der Krieg in der Ukraine sowie die Energiepolitik und damit zusammenhängend die Atompolitik. Die Partei geriet dabei in ein Dilemma. Die Grünen, als ursprüngliche Friedenspartei, sprachen sich dabei mehrheitlich für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Ein Versuch, zu Waffenstillstandsvereinbarungen in diesem Krieg zu kommen, stand nicht zur Diskussion. Ebenso gelang es auf dem Parteitag nicht, der Entscheidung, Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu tätigen, eine Absage zu erteilen.

Noch größer als in der Rüstungspolitik zeigte sich das Dilemma der Grünen in der Energiepolitik. Ursprünglich sollte am Ende des Jahres 2022 auch das Ende der Nutzung der Atomkraft gekommen sein. Die Partei stimmte nun für den Reservebetrieb der beiden süddeutschen Atomkraftwerke bis zum 15.4.23 und es sollten auch keine neuen Brennelemente mehr gekauft werden. Mit dem Beschluss des Parteitages war gleichzeitig ein Konflikt mit der FDP vorprogrammiert, die diese Position ablehnte. Sie plädierte für den Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Emsland und wollte zudem alle drei Kernkraftwerke bis 2024 laufen lassen.

Insgesamt zog die Partei der Grünen ein positives Fazit der Ampelkoalition und verwies dabei auch auf die Nachfolge des 9-Euro-Tickets, den höheren Mindestlohn und die geplante Änderung im Einwanderungsrecht. Es gab allerdings auch Kritik von Sarah Lee Heinrich, der Vorsitzenden der Grünen Jugend, die forderte, die Schuldenbremse auszusetzen und stärker an die BezieherInnen kleiner Einkommen zu denken. Sie setzte sich für ein Mengen-Grundkontingent pro Haushalt beim Gas und eine rückwirkende Kompensation der steigenden Preise vor dem 1.März 1923 ein. Aus linker Sicht ist weiter zu kritisieren, dass man auf dem Parteitag zu wenig an Zeitdiagnose und Zukunftsperspektive gearbeitet hat und die Zumutungen der Ampelkoalition ohne große Konflikte durchgewunken wurden.

Wesentliche Beschlüsse des Parteitages wurden allerdings kurz darauf durch ein Machtwort des Kanzlers untergraben. Er ordnete den Weiterbetrieb von drei deutschen Kernkraftwerken bis April 2023 an ohne dass neue Brennstäbe gekauft werden sollen. Finanzminister Lindner begrüßte die Entscheidung und auch Wirtschaftsminister Habeck stimmte dem Machtwort des Kanzlers zu. 

Das wirft die Frage auf, welchen Wert Parteitagsbeschlüsse der Grünen für die Regierungspolitik noch haben?

Das scheint auch der Grüne Jürgen Trittin zu meinen, wenn er bezweifelt, mit der FDP noch eine verlässliche Politik machen zu können und der Bruch der Koalitionsvereinbarungen auch noch vom Kanzler abgesegnet wird. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering sagte mal zur Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers bzw. der Bundeskanzlerin: „Wer das macht in einer Koalition der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“  Dem ist aus linker Sicht zuzustimmen, insbesondere deshalb, weil die Ampelkoalition weder in der Friedenspolitik noch in der Energiepolitik eine progressive Politik durchsetzen kann. Abgesehen davon fehlt die Einsicht in grundlegende Strukturzusammenhänge des Kapitalismus, die erst eine progressive Politik in der Wirtschafts-Beschäftigungspolitik und Sozialpolitik ermöglichen würde.

(1)Der Aufsatz basiert auf den Aufsätzen der Redaktion der Zeitschrift Sozialismus in Sozialismus aktuell vom 17.10.2022 und von Joachim Bischoff u.a. vom 19.10.22.

Um welche Werte geht es bei der Aussenpolitik?

08. Oktober 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

 

             UM WELCHE WERTE GEHT ES IN DER AUSSENPOLITIK? (1)

Die Diskussion um eine sogenannte „wertebasierte Außenpolitik“ wird auch in der Linken geführt. Beispielhaft sei die Diskussion in der Zeitschrift Sozialismus betrachtet. Es wird die Rede von Anna-Lena Baerbock an der New School in New York als Ausgangspunkt genommen. In ihrer „transatlantischen Grundsatzrede“ fordert sie, dass Deutschland heute mehr Verantwortung zur Neuordnung der Welt übernehmen müsse. Die eigene Wehrhaftigkeit müsse gestärkt werden, Regimegegner in Russland gelte es zu unterstützen, vor allem aber die Ukraine im Kampf gegen das Regime Putin. Die Autoren Detje und König stellen demgegenüber in der Zeitschrift Sozialismus fest, im Konzept der Außenministerin sei die Suche nach einem diplomatischen Weg zur Beendigung des Krieges in der Ukraine nicht vorgesehen. Das stehe im Widerspruch zur Auffassung der Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik, wobei sich Detje und König auf eine Befragung von Forsa für das Trendbarometer von RTL und NTV beziehen. Die Stimmungslage in der Bundesrepublik sei inzwischen so, dass der Westen Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges anstoßen und mit Putin sprechen solle.

Joachim Bischoff und Björn Radke von der Zeitschrift Sozialismus bezweifeln allerdings, ob eine wöchentliche Umfrage die Stimmungslage im Lande korrekt wiedergeben könne, da müsse man längere Zeiträume betrachten. Auch Bischoff und Radke sehen die sogenannte „wertebasierte Außenpolitik“ kritisch. Das Bekenntnis zu den USA und zu Freiheit und Demokratie müsse berücksichtigen, dass Freiheit und Demokratie in den USA keineswegs selbstverständlich seien angesichts des Anwachsens des Rechtspopulismus in und außerhalb der Republikanischen Partei. International gesehen sei die Akzeptanz von rechtsstaatlichen Normen nicht selbstverständlich, das gelte neben Russland und den postsowjetischen Staaten auch für die Türkei, die Golfstaaten und andere Partner der westlichen Gemeinschaft. Eine konfrontative Politik sei nicht das geeignete Mittel um Frieden zu schaffen, auch im Hinblick auf die Politik der USA gegenüber China. Wenn auch die Freiheit und Demokratie im westlichen Sinne in China sehr eingeschränkt seien, sei es ein großes Missverständnis, wenn die Außenministerin Baerbock glaube, wirtschaftliche Kooperation und politische Koexistenz führe automatisch zu einem Wandel in autokratischen Staaten. Bischoff und Radke meinen, es gehe „vielmehr darum, in Anerkennung von gravierenden Unterschieden im Gesellschaftstypus und gegebenen autokratischen Zügen in der Bearbeitung von gemeinsamen Interessen eine nicht-militärische Entwicklung zu praktizieren.“ (2) Sie sind ebenfalls der Meinung, dass die globale Veränderung, insbesondere die Klimakrise, ins Zentrum der Außenpolitik zu stellen sei. Das ermögliche, so auch Baerbock, allen Staaten friedlich zusammenzuarbeiten. Bischoff und Radke sehen jedoch, dass der weltweite Dreiklang von Klimakrise, Krieg und Energiekrise dazu führe, dass die entsprechenden Herausforderungen von der Ampelkoalition kaum zu bewältigen seien. So sei es kein Wunder, dass die Ampelkoalition ihre Mehrheit bereits verloren habe und die AFD davon profitieren könne. Es werden inzwischen Stimmen laut, dass man dem Beispiel der Schweden folgen müsse. Bischoff und Radke kritisieren deshalb zu Recht, dass dieser Aspekt von Detje und König in ihrer Kritik an der Außenpolitik der Bundesregierung ganz ausgespart werde. Die Schlussfolgerung von Bischoff und Radke lautet somit:

„Gelingt es der Ampel nicht, Maßnahmen zu ergreifen, die die existenzbedrohliche Situation-Gasknappheit, Energieschwierigkeiten, Versorgungsschwierigkeiten-…aber auch wachsende Armut bis hinein in die Mittelschicht sichtbar und überzeugend einzudämmen, wird die Kritik an der Ampel zunehmen.“ (3)

Die Linke stehe nun vor dem Problem, zu diesem Prozess zeitgemäße Positionen zu entwickeln. Es wäre jetzt notwendig jene Vorstellung zu stärken, die einen Ausstieg aus der „Eskalationsspirale über eine gemeinsame Strategie für einen energischen Ausbau der erneuerbaren Energie und der Transformation suchen will.“ (4)

(1)Der Aufsatz hat die Zeitschrift Sozialismus Heft 10/2022 S.58-60 zur Grundlage. Der Aufsatz in der Zeitschrift Sozialismus stammt von Bischoff/Radke mit dem Titel: „Wertebasierte Außenpolitik im 21.Jahrhundert.“

(2) a.a.O. S.59

(3) a.a.O. S.60

(4) a.a.O. S.60

 

Was ist ein Doppel-Wumms und welche Folgen hat er?

04. Oktober 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN

 DIE LINKE FREIBURG

WAS iST EIN „DOPPEL-WUMMS“ UND WELCHE FOLGEN HAT ER? (1)

 Der Bundeskanzler gebrauchte eine Bezeichnung, die an ein
Konjunkturpaket erinnert, das aus der Corona-Krise 2020 führen sollte. Damals
wollte er mit einem „Wumms“ aus der Krise herauskommen. Heute spricht
Bundeskanzler Scholz von einem „Doppel-Wumms“ und meint damit einen
Abwehrschirm von insgesamt 300 Mrd. Euro, um die Folgen der Energiekrise für
die BürgerInnen und Unternehmen abzumildern. Eingerechnet bei dieser Summe sind
alle bisher vorgelegten Entlastungspakete. Bemerkenswert ist, dass selbst Bundesfinanzminister
Lindner (FDP) dem Paket zustimmt, um auf den „Energiekrieg um Wohlstand und
Freiheit“ zu reagieren. Dahinter dürfte die Sorge stehen, dass eine weitere
Verschärfung der höchst ungleichen Verteilung der Vermögen, des Eigentums und
der Einkommen zu schweren sozialen Unruhen führen könnte. Eine weitere Politik
für Reiche und Besserverdienende im Sinne Lindners wäre dann in Frage gestellt.
Dass die Sorge Lindners nicht unberechtigt ist, das machen die Ergebnisse einer
großen Umfrage der Bundesregierung im Rahmen des Jahresberichts des
Ostbeauftragten der Bundesregierung Carsten Schneider (SPD) deutlich:

-Nur 39% der Ostdeutschen sind zufrieden mit der Demokratie,
die Westdeutschen nur noch zu 59%.

-PolitikerInnen haben das Wohl des Landes im Auge, das
meinen nur 32 % der Ostdeutschen und nur 42% der Westdeutschen.

-Mit der Politik der Bundesregierung sind nur 26% der
Ostdeutschen zufrieden, bundesweit sind es nur 35%.

– Sozialen Gerechtigkeit sehen nur 23% der Ostdeutschen
verwirklicht und 33% der Westdeutschen.

Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Distanz vieler
BürgerInnen zur politischen Klasse erheblich ist. Insoweit ist verständlich,
dass die offizielle Politik durch einen „Doppel-Wumms“ die Situation
entschärfen will. Folgende Maßnahmen sollen ergriffen werden:

1.Eine Gaspreisbremse, die privaten Verbrauchern und
Unternehmen einen temporären Schutz bieten soll.

2.Der Gasverbrauch soll reduziert werden, indem nur ein
Grundverbrauch subventioniert werden soll und für einen höheren Konsum
Marktpreise gelten sollen.

3.Für Unternehmen, die Gasimporteure sind, soll es eine
Auffanglösung geben, wodurch die heftig diskutierte Gasumlage entfällt.

4.Es soll eine Strompreisbremse geben, die durch sogenannte
Zufallsgewinne von Nicht-Gas-Kraftwerken zu finanzieren ist. Dadurch sollen
BürgerInnen und Unternehmen entlastet werden.

5.Unternehmen, die von der Gaspreisbremse und
Strompreisbremse nicht erfasst werden, sollen die Möglichkeit erhalten,
Eigenkapital- und Liquiditätshilfen zu bekommen

Die Frage ist allerdings, wie all die Maßnahmen zu
finanzieren sind?

Herangezogen werden soll der Wirtschaftsstabilitätsfonds
(WSF), der bereits zur Unterstützung von Unternehmen in der Corona-Krise
geschaffen wurde. Er wird mit einem Kreditvolumen von 200 Mrd. Euro
ausgestattet und die verfassungsmäßig festgelegte Schuldenbremse mithilfe einer
Ausnahmeklausel umgangen. Da Finanzminister Lindner aber weiterhin auf der
Schuldenbremse beharrt, unterscheidet er nun zwischen der Krisenbekämpfung
einerseits und der stabilitätsorientierten Haushaltspolitik andererseits. Der
Ausnahmezustand, das heißt die weitere Staatsverschuldung oberhalb der
verfassungsmäßigen Obergrenze, muss nach Lindner 2023 beendet werden.  Mit dieser Position Lindners ist schon jetzt
ein weiterer politischer Konflikt absehbar. Der wird aber auch kommen wegen der
noch nicht geklärten Einzelfragen, die mit dem Wirtschaftsstabilitätsfonds
verbunden sind. Erstens ist die Tilgung der gigantischen Neuverschuldung nicht
geregelt. Ferner ist weiter offen, wie die Gas- und Strompreisbremse genau
ausgestaltet werden soll, ebenso wie es gelingen soll, eine Ausweitung des
Energieangebotes zu erreichen. Unklar ist außerdem, wie ein beschleunigter
Ausbau der regenerativen Energie vonstattengehen soll. Über einen EU-weiten
Gaspreisdeckel, der von verschiedenen EU-Ländern gefordert wird, ist noch keine
Einigung erzielt worden, insbesondere deshalb, weil bei importiertem Gas es
Ausnahmen für die EU-Länder geben muss, die besonders von Erdgasimporten aus
Russland abhängig sind.

Insgesamt zeigt sich also, dass es nicht nur um eine
nationale und internationale Energiekrise geht, sondern auch um einen Kampf um
grundlegende Eingriffe und Korrekturen in die Wirtschafts-Sozial- und
politische Ordnung geht. Diesen Kampf gilt es von Seiten der Linken im
Interesse der Lohnabhängigen, EmpfängerInnen von sozialen Leistungen und
Menschen ohne jede soziale Absicherung und gegen dominierende Kapitalinteressen
mit ihrer neoliberalen Orientierung zu führen.

(1)Die Grundlage dieses Aufsatzes ist der Aufsatz von J.
Bischoff in Sozialismus Aktuell vom 30.9.22

Wie geht es weiter mit der Ampel und für wen?

06. September 2022  Allgemein

Dr. Peter Behnen
Die Linke Freiburg

FÜR WEN GEHT ES WEITER MIT DER AMPEL?
Die BürgerInnen sind beunruhigt. Wir erleben eine rasante Steigerung der Gas- und Strompreise, eine bedrohliche Gasumlage und massive Kaufkraftverluste besonders für GeringverdienerInnen und Menschen mit mittlerem Einkommen. Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine haben die Energiekosten, die an sich schon hoch waren, einen deutlichen Sprung nach oben gemacht.
Es gilt zuerst der Frage nachzugehen, wo die Ursache für die höheren Stromkosten liegt, welche Folgen das für den überwiegenden Teil der Bevölkerung hat und wie die etablierte Politik bisher reagiert hat. Es muss dann die grundsätzliche Orientierung, die vor allem die Linke geben sollte, dargestellt werden.
Wenn nach den Gründen für den hohen Strompreis gesucht wird muss festgestellt werden, dass hier gleich mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Die Produktion von Strom in Europa nimmt ab, weil die Dürre dazu führt, dass weniger Wasserkraft zur Stromproduktion zur Verfügung steht, Es kommt hinzu, dass Frankreich, das immer noch stark auf die Atomenergie setzt, etwa die Hälfte seiner Atomkraftwerke aus technischen Gründen nicht im Betrieb hat. Eine weitere Bedeutung erhält natürlich die Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa durch die Pipeline North-Stream 1. Zudem ist wichtig, dass bis 1998 der Strommarkt streng reguliert war. Danach wurde der Markt aufgrund neoliberaler Kräfte geöffnet, Strom wurde zu einer europäischen Ware, nachdem die Regierung Thatcher mit der Privatisierung des Stromsektors begann. Angebot und Nachfrage regulierten nun den Strommarkt, also je knapper die Ware Strom wird umso höher wird der Preis solange der Staat nicht regulierend eingreift. (1)
Festzuhalten ist somit, dass nicht erst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Energiepreise in die Höhe gegangen sind, aber der Angriff dafür gesorgt hat, dass die Preise durch die Decke gegangen sind. Erst jetzt sah sich die etablierte Politik genötigt, Entlastungspakete für die BürgerInnen zu schnüren. Es stiegen die Entfernungspauschalen, der Grundfreibetrag bei den Einkommen und der Arbeitnehmer-Pauschbetrag. Des Weiteren gab es den Heizkostenzuschuss für Wohngeld- und Bafög-BezieherInnen. Im Mai kam das Entlastungspaket für Energiekosten für alle ArbeitnehmerInnen und Selbstständige. Die letzten Monate waren durch den Streit um ein drittes Entlastungspaket geprägt, vor allem um eine Gasumlage und die Übergewinnsteuer. Hier zeigte sich, wie sehr eine fortschrittliche Finanzpolitik durch die FDP gebremst wird. Andererseits kam auch die FDP nicht umhin, angesichts der Belastung vieler BürgerInnen durch die Inflationsrate von inzwischen 7,9% im August und die hohen Energie- und Lebensmittelkosten, an einem Entlastungspaket mitzuarbeiten. Insoweit war die Hoffnung auf das 3. Entlastungspaket der Ampelkoalition sehr groß. Doch diese Hoffnung hat sich nur teilweise erfüllt. Das Paket sieht Hilfen in einem Gesamtumfang von 65 Milliarden Euro vor. Marcel Fratscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), kommentierte es folgendermaßen:
„Das dritte Entlastungspaket enthält gute Elemente, ist aber bei wichtigen Fragen unausgegoren, verteilt Gelder zu sehr nach dem Gießkannenprinzip und ignoriert den Klimaschutz.“(2) Fratscher sieht die Stärke des Programms in der Anpassung beim Wohngeld, Bürgergeld und Kindergeld. Eine weitere Stärke sieht er in der Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen durch Kredite, Kurzarbeitergeld, eine Strompreisbremse und eine Umsatzsteuersenkung bei Gaststätten. Allerdings bemängelt er einen fehlenden Plan bei der Begrenzung der Strompreise. Völlig unklar bleibt auch, ob und wie die Übergewinne abgeschöpft werden sollen. Eine notwendige sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft wird gar nicht angedeutet. Außerdem ist absehbar, dass im Sinne der FDP Besserverdienende den größten Teil der 65 Milliarden erhalten werden. Einmalzahlungen werden die Probleme bei RentnerInnen und Studierenden nicht ansatzweise lösen. Marcel Fratscher stellt zu diesem Zweck einen Vergleich vor: „Ein Paar mit 130.000 Euro Jahreseinkommen wird allein bei der sogenannten kalten Progression jährlich mit 958 Euro entlastet, RentnerInnen und Studierende mit lediglich 300 Euro bzw.200 Euro.“ (3) Da die Finanzierung der 65 Milliarden Euro Entlastung völlig unklar bleibt ist damit zu rechnen, dass das Paket durch eine weitere staatliche Verschuldung und verschiedene soziale Kürzungen finanziert werden wird. Ein Einstieg in eine grundlegende Korrektur der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die aus Sicht der Linken notwendig wäre, ist mit der Ampelkoalition jedenfalls nicht zu machen.
(1)Zur genauen Darstellung der Probleme am Strommarkt siehe Sozialismus aktuell vom 4.9.22.
(2) Statement des DIW vom 4.9.22 (3) a.a.O Statement des DIW vom 4.9.22

Die Hintergründe der russischen Aggressionspolitik

09. Juni 2022  Allgemein

DR.PETER BEHNEN
DIE LINKE FREIBURG

DIE HINTERGRÜNDE DER IMPERIALEN RUSSISCHEN POLITIK (1).
Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist nur zu verstehen, wenn einerseits die historischen Knotenpunkte, die zum Krieg führten, benannt werden und andererseits die autoritären Umbrüche in Russland nachverfolgt werden, die die Aggressionspolitik hervorgerufen haben. Diese autoritären Umbrüche wurden sehr deutlich durch Felix Jaitner in verschiedenen Veröffentlichungen dargestellt.
Die historischen Knotenpunkte sind die Punkte, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion und ihres Staatensystems entwickelt haben.
1.Der 2+4-Vertrag von 1990
Durch den Vertrag wurde die Einheit Deutschlands wieder hergestellt. Vertragspartner waren die vier Alliierten (USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien) und die beiden deutschen Staaten (BRD und DDR). Nach Aussagen verschiedener Konferenzteilnehmer kam der Vertrag nur deswegen zustande, weil keine Nato-Osterweiterung versprochen wurde. Lediglich die neue Bundesrepublik sollte als Ausnahme Nato-Mitglied werden dürfen.
2.Das Budapester Memorandum von 1994
Die vier Alliierten verpflichteten sich, gemeinsam gegenüber Kasachstan, Belarus und der Ukraine deren Souveränität zu achten als Gegenleistung für den Verzicht auf Atomwaffen. Alle drei Staaten waren durch die Auflösung der Sowjetunion zu Atomwaffen gekommen. Die Rechtsverbindlichkeit des Abkommens wurde allerdings von Beginn an in Frage gestellt.
3.Die Nato-Russland-Grundakte von 1997
Die Nato und Russland vereinbarten eine enge Kooperation bei der Abrüstung konventioneller und atomarer Waffen. Die Grundakte wurde allgemein so verstanden, dass sich die Nato bei der Stationierung von Truppen und Waffensystemen in Osteuropa zurückhalten wolle, ohne allerdings eine Garantie für die Nichtstationierung zu geben. Fakt war jedoch bald, dass die Nato 14 Staaten in Osteuropa und Südosteuropa in ihre Organisation aufnahm.

4.Das Minsker Abkommen von 2015
Es muss als Schlüssel zum Verständnis der russischen Aggression gegen die Ukraine angesehen werden. Es sollte zur Beendigung des Bürgerkriegs in der Ostukraine dienen, einen Waffenstillstand erbringen und zu Verhandlungen zwischen den prorussischen Teilen des Donbass und der ukrainischen Regierung führen. Es war geplant, auf massiven russischen Druck eine Autonomie der abtrünnigen Provinzen zu erreichen. Das Abkommen wurde von den Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik sowie den Präsidenten Ukraines und Russlands ausgehandelt. Das Abkommen wurde allerdings weder von ukrainischer Seite noch von der russischen Seite und den prorussischen Teilen des Donbass wirklich umgesetzt, im Gegenteil, die Blockade des Abkommens führte zu einem siebenjährigen Stellungskrieg im Donbass mit vielen Opfern. Im Jahre 2022 wurde das Abkommen von Wladimir Putin aufgekündigt, was den Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine bedeutete.
Es bleibt die Frage, welche autoritären Umbrüche in Russland stattgefunden hatten, die zur Aggressionspolitik der russischen Regierung führten? (2)
Der russische Angriff auf die Ukraine im Jahre 2022 kam für viele Beobachterinnen und Beobachter überraschend. In der westlichen Berichterstattung kamen schon lange vorher die Machtverhältnisse in Russland und ihre Widersprüche nicht mehr in den Blick, indem man sich auf die Figur Putins und seiner BeraterInnen fixierte. Mit dem Amtsantritt Putins im Jahre 2000 wurde häufig eine Trennlinie gezogen, während die Zeit vorher allgemein als Zeit des demokratischen Aufbruchs in Russland gesehen wurde. Dadurch wurde übersehen, dass die Machtverhältnisse in Russland schon sehr früh nach dem Untergang der Sowjetunion durch eine enge Verbindung von Staat und Oligarchen geprägt waren. Durch die neoliberalen „Reformer“ der Jelzin-Administration vollzog sich mittels einer Schocktherapie der Übergang in den Kapitalismus, das heißt, alle gesellschaftlichen Bereiche wurden ungeschützt den Marktgesetzen überlassen. Gegen dieses Vorgehen der Jelzin-Administration entstand Widerstand, der aber mit Gewalt bekämpft wurde. Im Jahre 1993 ließ Jelzin das Parlament beschießen und konnte danach eine autoritäre präsidentielle Verfassung durchsetzen. Damit war das Ende des Demokratisierungsprozesses im Lande eingeleitet. Eine Folge davon war 1994-1996 der Krieg gegen die abtrünnige Provinz Tschetschenien. Ab 1995 erfolgte gegen den Widerstand des Parlaments eine schnelle Privatisierung von staatlichen Unternehmen, vor allem von Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor. Einige Kapitalisten, sogenannte Oligarchen, erhielten besonderen Einfluss auf die Staatstätigkeit. Auf der anderen Seite verarmten wegen des Privatisierungsprozesses größere Teile der russischen Bevölkerung. Die Transformation der russischen Wirtschaft in eine kapitalistische durch die Schocktherapie erzeugte einen gewaltigen Niedergang, es erfolgte ein Prozess der Deindustrialisierung. Viele Unternehmen konnten sich nicht gegen die ausländische Konkurrenz behaupten, lediglich im Rohstoffsektor sowie im Eisen- Stahl- und Chemiesektor war eine internationale Konkurrenzfähigkeit gegeben. Das Ergebnis war die Konzentration der russischen Wirtschaft auf die Ressourcenextraktion für den Export an kapitalistische Hauptländer.
Seit der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten durch Wladimir Putin ab dem Jahre 2000 wurden die Machtverhältnisse in Russland neu geordnet. Felix Jaitner bezeichnet diese Ordnung als oligarchisch-etatistische Ordnung. Das bedeutet, dass von dem unregulierten neoliberalen Kapitalismus der 90er Jahre mit Jelzinscher Prägung Abstand genommen wurde und eine Stärkung staatlicher Organe erfolgte. Führende Kräfte der Oligarchie orientierten sich um mit dem Ziel der Modernisierung der Wirtschaft. Für politisch oppositionelle Personen und Gruppen kam eine noch stärkere Unterdrückung zustande, national-konservative und auf den Binnenmarkt orientierte Teile der Oligarchie erlangten die Oberhand. Ihr Ziel war eine Reindustrialisierung des Landes und eine Importsubstitutionspolitik, obwohl die Abhängigkeit vom Export von Rohstoffen erhalten blieb. Die Stellung Russlands als Rohstoffexporteur für die hegemonialen Staaten des Kapitalismus geriet somit in die Kritik und es entstand die Forderung, Russland solle sich stärker auf den postsowjetischen und asiatischen Raum ausrichten. Die Veränderung der oligarchisch-etatistischen Ordnung vollzieht sich nach Felix Jaitner etwa seit 2014, damit verbunden war auch, wie gesagt, eine autoritäre Verschärfung der innerrussischen Verhältnisse. Das alles schlug außenpolitisch in eine imperiale Politik Russlands um, das belegen die militärische Einverleibung der Krim sowie die russische Intervention in Georgien, Syrien, Kasachstan und die Ukraine. Die Neuausrichtung in der Innen- und Außenpolitik stärkte die Position Putins, der Stabilität in der ökonomischen Krise und die Rückkehr Russlands in die internationale Politik verkörperte. Mit seinem Amtsantritt wurde ein neues Verhältnis von Staat und Oligarchie geschaffen und gleichzeitig bestimmte gesellschaftliche Schichten, zum Beispiel Staatsangestellte, erfolgreich integriert. Die neue russische Bourgeoisie versuchte und versucht ihre Herrschaft abzusichern, vollzog eine enge Kooperation mit Putin und seinen Anhängern und ist auch ein wichtiger Grund für die aggressive Politik Russlands nach Außen.Putin stärkt dabei seine Rolle als Vermittler zwischen verschiedenen Fraktionen der Oligarchie und versucht Konflikte im Innern Russlands nach Außen zu tragen. Aus Sicht Felix Jaitners droht auf dieser Basis keine neue friedliche Koexistenz mit anderen Staaten, sondern eine zunehmende imperiale Konkurrenz um wirtschaftliche und politische Einflusssphären.
(1)Siehe vor allem folgende Texte Felix Jaitners:
Einführung des Kapitalismus in Russland, VSA-Verlag 2014
Zeitschrift Sozialismus Heft 6/22 S.10-14
Zeitschrift für Marxistische Erneuerung Z 130 S.28-35
(2) Der folgende Teil lehnt sich stark an Z 130 S.28-35 an.