Allgemein

Anatomie und Zukunft des Kapitalismus

19. Mai 2019  Allgemein

„DIE ANATOMIE UND ZUKUNFT DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT“

ZUSAMENFASSUNG EINES TEXTES VON BISCHOFF, KRÜGER UND LIEBER. VSA-VERLAG 2018

EINLEITUNG

In dem Text geht es um die Wertschöpfung und Mystifizierung der Klassenverhältnisse im Kapitalismus. Die Basis der Betrachtung ist das Hauptwerk von Karl Marx „Das Kapital“ bzw. „Die Kritik der politischen Ökonomie“. Es erschien vor 150 Jahren und der Jahrestag der Erstveröffentlichung wurde für viele Medien zum Anlass genommen, wieder grundsätzlich über den Kapitalismus nachzudenken. Insgesamt überwog die kritische Würdigung, obwohl viele Autorinnen und Autoren seine Thesen bzw. Sichtweise als überholt betrachten. Im Zentrum der Marxschen Analyse steht die permanente Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus, die als Produktivkräfte des Kapitals erscheinen. Diese Gesellschaft bewirkt einerseits den gesellschaftlichen Fortschritt durch Produktivkräfte und damit die Entwicklung von Bedürfnissen und freier Zeit, andererseits wird dieser Fortschritt einseitig verteilt. Die Herausforderung im entwickelten Kapitalismus besteht also darin, den aufgetürmten Reichtum und die frei verfügbare Zeit für die besitzende Minderheit aufzuheben und für die Bevölkerungsmehrheit zu erschließen. Jeremy Corbyn fasste das unter folgender Losung zusammen: „ For the many not for the few.”

Es entsteht also die Frage, ob die „Kritik der politischen Ökonomie“ von Marx noch eine Richtschnur bzw. Leitlinie der Betrachtung der heutigen Industrie mit der Digitalisierung, umfassenden Vernetzung, hohem Robotereinsatz etc. sein kann? Da die Industrieentwicklung heute eine neue Betriebsweise des digitalen Kapitalismus hervorbringt, entsteht gleichzeitig das Problem, einen breiteren Konsens über die Interpretation des Kapitalismus im Sinne der Marxschen Theorie zu erreichen. Jahrzehnte nach Erscheinen des 1.Bandes des „Kapital“ ging es vor allem um die Interpretation des unmittelbaren Produktionsprozesses. Friedrich Engels hatte aber aus den hinterlassenen Manuskripten von Marx den 2.Band des „Kapital“, den Zirkulationsprozess des Kapitals, zusammengestellt. Erst dann wurde erkannt, dass die Zirkulation in den Begriff des Kapitals gehört und die Zirkulation des Kapitals und seine Kreisläufe sowohl Bedingung als auch Resultat des Produktionsprozesses sind. Erst im 3.Band des „Kapital“, auch von Engels herausgegeben, kommt Marx auf die Gestaltungen des Kapitals zu sprechen, die aus dem Bewegungsprozess des Kapitals als Ganzes betrachtet hervorwachsen und an der Oberfläche der Gesellschaft, der Konkurrenz, zu finden sind.

Es ist also heute notwendig, da wir am Rande einer neuen digitalisierten, vernetzten gesellschaftlichen Betriebsweise des Kapitalismus stehen, eine neue ausführliche Interpretation der „Kritik der politischen Ökonomie“ vorzunehmen.  Das heißt, dass der Wertbegriff der Ausgangspunkt für die Nachzeichnung der Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft ist, also des gesamten industriellen und kommerziellen Lebens der Individuen. Darüber hinaus aber auch eine Nachzeichnung zum bürgerlichen Staat und zum Weltmarkt. Die Autoren Bischoff, Krüger und Lieber gehen also vom Wertbegriff als Schlüsselkategorie aus, stellen ihre Sichtweise der Kapitalinterpretation dar und entwickeln vor diesem Hintergrund die Digitalisierung der gesellschaftlichen Betriebsweise, das Moment der Entfremdung und Mystifikation dieser Gesellschaft sowie das Problem der Überwindung dieser Produktionsweise.

KAPITEL 1

NACH 150 JAHREN- MARX UND DIE KAPITALISTISCHE GESELLSCHAFTSFORMATION.

Die Marxsche Analyse der ökonomischen Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft erfährt heute eine erstaunliche Aufmerksamkeit. Das gilt zum Beispiel für Lina Nienhaus von der „Zeit“ und für den NZZ-Redakteur  Rene Scheu, die beide Marx ein Lob für seine Analyse aussprechen, im Gegensatz zum ehemaligen NZZ-Redakteur Roger Köppel, für den die freundlich-kritische Sicht auf Marx aus bürgerlicher Sicht nicht nachvollziehbar ist. Er plädiert für eine kompromisslose Abgrenzung vom „marxistischen Zeitgeist.“ Ein Blick auf den Rechtspopulismus in vielen kapitalistischen Ländern offenbart allerdings, dass der Zeitgeist augenblicklich in eine ganz andere Richtung läuft. Jürgen Neffe, Verfasser einer aktuellen Marx-Biografie, bringt die aktuelle Marx-Begeisterung auf den Punkt. Marx sei als Philosoph von überragender Bedeutung gewesen, aber auch viele Phänomene von heute hätte er als Bestätigung seiner Analyse gesehen. Dazu zählten die soziale Spaltung, die Perversität des Finanzsystems, das nur ansatzweise durch die reale Wertschöpfung gedeckt sei und die Bedrohung durch die Automatisierung. Es sei die Grundsatzkritik am Kapitalismus, die heute wieder diskutiert werde.

Doch was ist unter einer Grundsatzkritik am Kapitalismus zu verstehen?

Darauf hat Marx selbst eine Antwort gegeben. Er wollte eine Kritik der ökonomischen Kategorien oder das System der bürgerlichen Ökonomie kritisch dargestellt. Das Ganze wollte er in sechs Bücher aufgliedern: 1.Vom Kapital, 2.Vom Grundeigentum, 3.Von der Lohnarbeit, 4.Vom Staat, 5. Vom internationalen Handel, 6.Vom Weltmarkt. Das „Kapital“ sollte 3 Bücher umfassen. Der Produktionsprozess des Kapitals, der erste Band des „Kapitals“, kam 1867 auf den Markt. Das Buch wurde allerdings erst durch die Internationale Arbeiterassoziation und die Pariser Kommune 1871 einem größeren Kreis bekannt. Trotzdem blieben Marx und sein Werk, selbst als er 1883 starb, weit davon entfernt eine internationale Bekanntheit zu erreichen. Das änderte sich erst später. Grundprobleme waren zuerst Schwierigkeiten bei der Rezeption des „Kapital“, theoretisch-politische Differenzen und die Unabgeschlossenheit seines Werkes im Jahre 1883. Erst Friedrich Engels gab danach den 2.und 3.Band des “Kapital“ auf Basis der nachgelassenen Manuskripte heraus und selbst den 1.Band wollte Marx vor seinem Tod noch überarbeiten. Erst vor kurzem hat Thomas Kuczynski eine Überarbeitung vorgenommen, die 2017 herausgegeben wurde. Heute arbeitet eine internationale Forschergruppe an einer neuen kritischen Ausgabe der Schriften von Marx und Engels (Marx-Engels-Gesamtausgabe, abgekürzt MEGA).

Die Geschichte der Rezeption der „Kritik der politischen Ökonomie“ ist von Verkürzungen geprägt, vor allem durch die These, dass der 1.Band des “Kapital“ ausreichend sei für die Politik der Arbeiterklasse. Andererseits entstand ein Unbehagen über die theoretische Unabgeschlossenheit des Werkes, aber auch durch die These, zum Beispiel von Rosa Luxemburg, wichtige politische Entwicklungen wie der Imperialismus und die erweiterte Akkumulation des Kapitals seien nur politisch zu erklären. Zusammengefasst sieht Luxemburgs Argumentation folgendermaßen aus:

1.Die Marxsche Theorie sei unzureichend, weil im 2.Band des „Kapital“ nur die Lohnarbeit und das Kapital vorkämen.

2.Die Grenzen der Akkumulation des Kapitals ließen sich nur durch ein nichtkapitalisches Milieu überwinden. Deswegen wäre der Imperialismus notwendig für das Überleben des Kapitalismus.

Aus heutiger Sicht ist an dieser Argumentation zu kritisieren, dass Luxemburg die in Band 2 und Band 3 entwickelten ökonomischen Formbestimmungen ignoriert, vor allem das sogenannte Zwangsgesetz der Konkurrenz, das Kredit – und Bankwesen und die Verteilungsverhältnisse und auf diese Weise dazu beiträgt, das System der Kritik der politischen Ökonomie erheblich zu verkürzen. Da befindet sich Rosa Luxemburg allerdings in Übereinstimmung mit Hilferding, Bucharin, Lenin, Bauer und Grossmann. Es wird also die These vertreten, dass die erweiterte Reproduktion des Gesamtkapitals, die erweiterte Akkumulation, nur möglich sei durch den Austausch von kapitalistischen und nichtkapitalistischen Teilen der Volks- und Weltwirtschaft. Diese Sichtweise wird nicht mehr getragen von einer werttheoretisch begründeten Akkumulation, sondern von der empirischen Hypothese, dass nur durch eine Durchkapitalisierung der weniger entwickelten Zonen des Kapitalismus der Zusammenbruch des Kapitalismus verhindert werde.

Die verkürzte Sichtweise von Rosa Luxemburg und anderer Autoren hat etwas mit ihrer verkürzten Sichtweise des Wertgesetzes zu tun. Wie gesagt, es wird ein Großteil der Formbestimmungen des Werts in der Zirkulation und im Gesamtprozess des Kapitals ausgeblendet. Die Marxsche Theorie ermöglicht eine weitgehende Vermittlung der inneren Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus mit oberflächlichen Strukturen der Gesellschaft. Die Konkurrenz als Teil der Oberfläche wird in ihrer Vielschichtigkeit und ihren Rückwirkungen entwickelt. Marx entwickelt Basisstrukturen der Konkurrenz, das sogenannte Grundgesetz der Konkurrenz, und die darauf aufbauenden Formbestimmungen und verdrehten Erscheinungsformen, die die zugrundeliegende innere Struktur der Gesellschaft nicht mehr offenbaren. Die Konkurrenz führt zu Ausgleichsprozessen und hebt die systembedingten Abweichungen ganz oder teilweise auf. Die oberflächlichen Prozesse stehen im Widerspruch zum werttheoretischen Kern und bilden dann auch Anschauungen heraus wie zum Beispiel die Daseinsform der freien Individualität. Über die angesprochenen Ausgleichsprozesse, insbesondere der Profitraten, vollzieht sich die gesellschaftliche Verteilung der Waren und der Arbeit. Es vollzieht sich in der Konkurrenz eine radikale Entwicklung der Produktivkräfte mit einerseits persönlichen Freiheiten andererseits aber eine völlige Unterordnung unter die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse. Die „Kritik der politischen Ökonomie“ ist also nicht nur eine Theorie der Ausbeutung, sondern eine umfassende Theorie der sozialen Reproduktion und Selbstregulation. Innerhalb der Theorie existieren systematische Anknüpfungspunkte zur Analyse der Alltagsstrukturen und der politischen Herrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft.

Zusammenfassend werden von Bischoff/Krüger/Lieber folgende Thesen aufgeführt, die sie dann näher zu belegen haben:

1.Der Begriff des Wertes ist der abstrakteste Ausdruck des Kapitals bzw. der kapitalistischen Produktion. Der Begriff des Wertes bzw. die besondere Form der gesellschaftlichen Arbeit durch Arbeitszeit setzt eine Produktionsweise voraus, in der das einzelne Produkt Teil der gesellschaftlichen Warenproduktion ist.

2.Das Kapital als sich verwertender Wert umschließt nicht nur Klassenverhältnisse, sondern eine Bewegung, einen Kreislaufprozess durch verschiedene Formen, die Zirkulation und den Gesamtprozess des Kapitals.

3.Eine Nation, die auf dem Wert beruht, umfasst nicht nur nationale Bedürfnisse, sondern geht darüber hinaus. Bleibt nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise bei der gesellschaftlichen Produktion die Wertbestimmung vorherrschend, wird die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die Produktgruppen wichtiger denn je. Die Ökonomie der Zeit bleibt wesentlich und die Zeit ist zweckmäßig einzuteilen, das bleibt das erste ökonomische Gesetz auf der Grundlage der gesellschaftlichen Produktion.

4.Die kapitalistische Produktionsweise ist eine historische und wird in eine andere Gesellschaftsform übergehen. Dabei muss das „Kapital“ die Richtschnur des Denkens und Handelns sein. Dabei gilt es natürlich der Entwicklung des Kapitalismus Rechnung zu tragen und seine Veränderungen in den Fokus zu nehmen.

Marx hat als Endzweck des „Kapital“ definiert, die ökonomischen Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft zu ergründen. Im Gegensatz zur bürgerlichen Ökonomie, die das Handeln der Subjekte in den Mittelpunkt stellt, geht es in der Marxschen Theorie um die Erfassung des spezifischen Charakters der gesellschaftlichen Arbeit und ihrer Verteilung im Gsamtsystem. In diesen materiellen Lebensverhältnissen wurzeln dann die Rechtsverhältnisse wie Staatsformen. Der gesellschaftliche Charakter der Arbeit wird allerdings nicht von den Individuen beherrscht, sondern er erscheint ihnen gegenüber als etwas Fremdes, ihr wechselseitiger Zusammenhang als eine Sache. Marx arbeitet sich daran ab, den Zusammenhang von Mehrwertproduktion, Konkurrenz und den Gesamtprozess des Kapitals darzustellen. Dabei hat er zuerst das Problem, den Ausgangspunkt der Darstellung zu finden und in den einfachen und entwickelten Formen des Werts die Strukturzusammenhänge des Gesamtsystems zu erfassen. Die einfachste Struktur ist die Warenform bzw. ihre Wertform und deswegen muss die Darstellung auch hier beginnen. Dabei geht es nicht darum, einer Abfolge von Kategorien nachzuspüren, sondern es geht darum, das Verhältnis der inneren Natur des Kapitals und seiner Oberfläche in seiner Kompliziertheit darzustellen. Marx kommt in seinem Forschungsprozess zu der Schlussfolgerung, dass die Produktion, Distribution, der Austausch und die Konsumtion Teile eines organischen Ganzen sind, bei denen Wechselwirkung existiert. Die Schwierigkeit besteht darin, dass dem wirklichen Aneignungsprozess des Mehrwertes ein oberflächliches Aneignungsverhältnis in der Zirkulation vorausgesetzt ist.  Die Aneignung scheint auf eigener Arbeit zu beruhen, wodurch der Aneignungsprozess von Mehrwert in der Produktion verschleiert wird. Marx kommt zu der Erkenntnis, dass die Konkurrenz der Anfangs- und Endpunkt der Betrachtung sein muss. Die Formbestimmungen des Werts bis zur Oberfläche der Gesellschaft darzustellen bedeutet, eine systematische Darstellung vom Kern, den Grundtendenzen bis hin zur Oberfläche und den Bewusstseinsformen des Kapitalismus vorzunehmen. An der Oberfläche erscheinen der Lohn, der Profit und die Grundrente als Quellen des Werts anstatt aus dem Wert als Grundlage abgeleitet zu werden. Das Angebot und die Nachfrage in der Konkurrenz sind dem bürgerlichen Ökonomen die Grundkategorien, aus denen er die Einkommen und ihre Höhe ableitet. Im Gegensatz dazu galt es für Marx den komplizierten Zusammenhang von Mehrwertproduktion (Bd.1), die Reproduktion des Kapitalverhältnisses (Bd.2) und den Formen der Oberfläche in der Konkurrenz (Bd.3) zu entschlüsseln. Nach der einfachen Zirkulation, die das Arbeitsverhältnis einleitet, zeigt Marx, dass die Kapitalakkumulation davon abhängt, aus dem Arbeiter bzw. der Arbeiterin mehr Wert herauszuholen als sie selbst für die Reproduktion benötigen. Die Kapitalisten haben die Zeit der Arbeit zu kontrollieren und sind durch die Konkurrenz gezwungen, den Arbeitstag zu verlängern und / oder die Arbeitsintensität an ihre Grenzen zu treiben. Das Fabriksystem ist revolutionär in dem Sinne, dass es die Intensität der Arbeitsverausgabung und die Konkurrenz von Arbeiter und Maschine antreibt und damit zu Widersprüchen der kapitalistischen Form führt. Es wälzt die alte Gesellschaft um und entwickelt Bildungselemente einer neuen.

An der Oberfläche der Gesellschaft, bei der Bestimmung der gesellschaftlichen Wertschöpfung, wird in der bürgerlichen Ökonomie von den drei Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital ausgegangen. Marx Ziel war es, diesen Schein aufzulösen. Er arbeitete heraus, dass Unternehmergewinn, Zins und Grundrente Formen des Mehrwerts und damit der Mehrarbeit des Arbeiters bzw. der Arbeiterin sind. Diese Produktionsfaktorentheorie entspricht den Interessen der herrschenden Klassen, indem sie die Verteilung der Einkommen als naturgegeben darstellt. Der entscheidende Punkt für die Arbeiterklasse ist jedoch, die Kontrolle über die Verteilung und die Produktion zurückzugewinnen. Das ist aber deswegen schwierig, weil der Großteil der Bürger bzw. Lohnabhängigen in der Scheinwelt befangen ist. Diese Bewusstseins- formen sind aufzulösen, wenn man andere Verteilungsverhältnisse, andere Strukturen sozialer Sicherheit und eine andere öffentliche Ausgabenpolitik entwickeln will. Diese Bewusstseinsentwicklung muss die Arbeitszeiten, Produktivitäten und die Einkommens- und Vermögensverteilung im Fokus haben. Das wird nur schrittweise geschehen. Die Vorstellung bei einigen Vertretern der Arbeiterbewegung, eine schnelle Abschaffung von Ware-Geld und Kapitalformen sei notwendig war schon immer absurd und hat zu katastrophalen Ergebnissen geführt (Realer Sozialismus). Die Grundlage einer nachkapitalistischen Gesellschaftsform wird ein weitgehend genossenschaftlicher Gemeinbesitz an den Produktionsmitteln sein sowie ein entwickeltes System gesellschaftlicher Steuerung. Nicht Kommandogewalt, gar einer Partei, ist entscheidend, sondern der Einsatz von Kredit, Steuern, staatlicher Nachfrage und von programmierten Investitionen. Die neue nachkapitalistische Produktionsweise hat ihre Ansatzpunkte in der alten, zum Beispiel im Kreditwesen oder Aktienwesen.

Das Geldkapital und das Kreditsystem unterzieht Marx einer besonderen Betrachtung, weil gerade hier wichtige Ansatzpunkte für den Übergang in eine neue Wirtschaftsordnung gegeben sind. Der 2. Band des „Kapital“ zeigt schon, dass die Reproduktion des Kapitals die Bewegung des Geldkapitals, des Kredit- und Bankwesens einschließt. Das Geldkapital, dass dem Produktionsprozess entstammt und der Kapitalist noch nicht in seinem eigenen Geschäft verwenden kann, konzentriert sich dann im Bank- und Kreditwesen. Die Akkumulation des Geldkapitals kann sich von der materiellen Gestalt des Geldes lösen und durch jeden Titel ersetzt werden. Diese Wertpapiere werden als fiktives Kapital bezeichnet. Die von Marx hervorgehobene Unterscheidung zwischen zinstragendem Kapital in Geldform und seinen Anlageformen ist strukturbestimmend für den gesamten Finanzsektor. Das fiktive Kapital setzt den Zinsfuß voraus, da sich der Preis des Wertpapiers aus der Kapitalisierung der Zinserträge ergibt. Es handelt sich um Vermögenspapiere und sie sind reine Finanzmarktkreationen. Die zugrundeliegende Liquidität der Finanzmarktakteure bildet die gesellschaftliche Spekulationskasse. 

Von besonderer Bedeutung ist heute die Entwicklung der Produktivkräfte, die Marx vornehmlich auf die Betrachtung der relativen Mehrwertproduktion stützt. Dabei ist natürlich die Möglichkeit der Verquickung mit politisch-religiösen Herrschaftsstrukturen inbegriffen. Diese Debatte wird im Rahmen der Debatte um den Crony- Kapitalismus geführt. Damit sind Wirtschaften gemeint, in denen die Wertschöpfung durch Verbindungen mit Machtgruppen modifiziert wird. Das geschieht mithilfe von staatlichen Interventionen oder Macht- oder Monopolkonstellationen. Neben der politischen Einflussnahme sieht Marx die beständige Revolutionierung der Produktivkräfte der Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise selbst begründet. Marx stellt in diesem Zusammenhang drei Aspekte der relativen Mehrwertproduktion heraus:

1.Das Kapital als sich verwertender Wert treibt die relative Mehrwertproduktion und damit die Ausweitung der Mehrarbeit und der Entfaltung der Produktivkräfte voran. Die beschleunigten Fortschritte der Zivilisation bewirken auch die Entwicklung der Wissenschaften, Technologie, Verbesserung der Kommunikations- und Transportmittel und das alles im Zusammenhang mit der Entwicklung des Weltmarktes.

2.Die Entwicklung der Produktivität der Arbeit befestigt das Herrschaftsverhältnis des Kapitals und stellt sich als Produktivkraft des Kapitals dar. Das Gesellschaftliche ihrer eigenen Arbeit erscheint den Lohnabhängigen als fremd und sogar als feindlich ihnen gegenüber. Diese Mystifikation wird jetzt viel weiter entwickelt als bei der absoluten Mehrwertproduktion.

3.Marx arbeitet die historische Bedeutung des Kapitalismus und damit der Entwicklung der Produktivkräfte durch die Entwicklung des Kapitalbegriffs heraus.

In den Zusammenhang der Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit ist auch die Kategorie des Fixkapitals einzuordnen. Damit ist zunächst nur eine Formbestimmung gemeint, die mit den Kreislaufformen entwickelt wird. Darüber hinaus aber ist sie ein Indikator für den Entwicklungsgrad der Zivilisation. Gerade die aktuelle Tendenz der Vernetzung zeigt den hohen Entwicklungsgrad des fixen Kapitals. Marx geht dabei nicht davon aus, dass nun das Ende der Aneignung fremder Arbeitszeit gekommen sei, sondern er konstatiert einen Widerspruch. Einerseits wird die Arbeitszeit zur Schaffung des Reichtums auf ein Minimum reduziert, andererseits wird aber die Arbeitszeit als einzige Quelle des Reichtums gesetzt. Einerseits also die Hervorbringung aller Quellen der Wissenschaft, andererseits aber eingebunden in die kapitalistischen Grenzen. Das sind nach Marx die materiellen Bedingungen, um sich vom Kapitalismus zu verabschieden. Das heißt, die kapitalistische Produktionsweise bricht aus Marxens Sicht nicht einfach zusammen, sondern die materiellen und geistigen Bedingungen der Überwindung des Kapitalismus sind Bestandteile der Entwicklung der Produktivkräfte und sind mit schneidenden Krisen verbunden. Es entsteht ein „enormes Bewusstsein“ und allein dadurch kommt es zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise.

KAPITEL 2

INDUSTRIELLE BETRIEBSWEISEN DES GESELLSCHAFTLICHEN PRODUKTIONSPROZESSES

Die große Industrie unterscheidet sich von seinen Vorläufern, dass der Produktionsprozess ohne Rücksicht auf die menschliche Hand die moderne Technologie zum entscheidenden Bestandteil der Produktion herausbildet. Er behandelt zudem die vorhandene Form des Prozesses nie als definitiv, dafür sorgt das Kapital mit seinem Drang nach gesteigerter Verwertung. Die industrielle Produktionsweise ist insoweit revolutionär im Vergleich zu vorkapitalistischen Produktionsweisen, die im Wesentlichen konservativ sind. Ein Großteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit wird auf einfache Arbeit reduziert, das ist wichtig für die Wirkung des Wertgesetzes, das heißt, für die Herstellung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die verschiedenen Produktionszweige. Neben der einfachen Durchschnittsarbeit entwickelt sich ein Bereich komplizierter Arbeiten, die sich durch überdurchschnittliche Qualifikationen auszeichnen. In der Regel sind es die einfachen Arbeiten, die stärker der Maschinerie und Automatisierung ausgesetzt sind. Je entwickelter allerdings die Technologie ist, desto mehr unterliegen auch kompliziertere Tätigkeiten der Automatisierung. Das Verhältnis der beiden Arbeitsarten wird dann neu bestimmt. Die beständige Revolutionierung der Produktivkräfte führt zu erhöhten politischen Interventionen, beginnend in Großbritannien mit der Fabrikgesetzgebung. Diese Einheit von Struktur des Produktionsprozesses und den Veränderungen im Überbau (Staat, Recht, Bewusstsein) wird von Marx mit der Kategorie der „gesellschaftlichen Betriebsweise“ erfasst. Sie beinhaltet einen ganzen Gesellschaftsmechanismus, aber die Grundlage bildet immer eine bestimmte organisierte und technische Form des Produktionsprozesses.

Die große Industrie als erste Betriebsweise erhebt sich gegenüber der Manufakturperiode, differenziert die betriebliche und gesellschaftliche Arbeitsteilung, und erfordert neue Transport- und Kommunikationsmittel. Die ökonomische Umwälzung ist mit der Fabrikgesetzgebung, der Festlegung des 10-Stunden-Tages, mit Auswirkungen auf Bildungseinrichtungen und weiterentwickelten Familienstrukturen verbunden. Sie greift auf den Weltmarkt über und ermöglicht eine Periodisierung des Kapitalismus. Diese Periodisierung ist das Gegenstück zu einer Theorie der langen Wellen (Kondratieffzyklus) und zu der Stadientheorie des Kapitalismus (Konkurrenzkapitalismus, Monopolkapitalismus, staatsmonopolistischer Kapitalismus). Die Große Industrie entwickelte sich im 19.Jahrhundert. Die Manufakturen wurden niederkonkurriert, die industrielle Produktion ermöglichte außerordentliche Profite mit einer beschleunigten Akkumulation. Dieser Prozess hielt in Großbritannien bis zur 2.Hälfte des 19.Jahrhunderts an, ein Prozess der zeitversetzt auch in den USA und dem Deutschen Reich ablief. Es ergab sich nach einer Sturm- und Drangperiode schon früh eine Tendenz zum Fall der durchschnittlichen Profitrate. Das britische Kapital dominierte zuerst den Weltmarkt und war das Zentrum der Finanzwelt der damaligen Zeit. Dazu gehörte auch die Durchsetzung des internationalen Goldstandards mit dem Weltgeld Gold, das allerdings schon im 19.Jahrhundert teilweise durch nationale und internationale Wechsel ersetzt wurde.

Mit und nach dem 1.Weltkrieg hatte Großbritannien seine industrielle Vorherrschaft verloren. In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich in den USA mit dem Fordismus die zweite industrielle Betriebsweise, sie wurde auch Taylorismus genannt. Es kam zur Fließbandproduktion, also zu einer systematische Neustrukturierung der innerbetrieblichen Arbeitsteilung. Die Arbeit wurde großteils auf monotone und repetitive Funktionen reduziert mit dem Oberziel der Senkung der Kosten der industriellen Massenproduktion. Die charakteristische Unternehmensform sind tief vertikal gegliederte Mischkonzerne und hierarchische Aufbauorganisationen. Unter diesen Bedingungen wurden Gewerkschaften und arbeitnehmerorientierte Parteien zu wichtigen Akteuren in der Zivilgesellschaft und dem Staat. Der Sozialstaat und die Sozialversicherungen wurden wichtig für die Existenzsicherung von Lohnabhängigen aber auch als Konsumenten. Die Märkte wurden inzwischen von Verkäufermärkten zu Käufermärkten. Die entsprechenden Kapitale müssten nun durch Werbung und Marketing versuchen Konkurrenzvorteile zu erlangen. Die Arbeiterklasse differenzierte sich durch die Zunahme von unproduktiven Lohnarbeitern des Kapitals. Während im produktiven Bereich, also in der Mehrwertproduktion, die technischen Angestellten gegenüber den gewerblichen Arbeitern relativ im Umfang zunahmen, wuchsen gleichzeitig die kommerziellen Angestellten im administriven Bereich des Unternehmen (Rechnungswesen, Einkauf und Verkauf, Werbung und Marketing).

Historisch wurde die neue Betriebsweise des Fordismus in den USA entwickelt und verbreitet. Begleitet wurde die Entwicklung durch den „New Deal“ der 30er Jahre, einer Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft und Entwicklung der USA zur internationalen Gläubigernation. Sie errang die Vorherrschaft im Bretton- Woods-System von 1944, der Dollar wurde zum Weltgeld mit Golddeckung. Die 1950er und 1960er Jahre wurden durch die USA geprägt, die Periode wurde auch das „goldene Zeitalter des Kapitalismus“ genannt. International war das auch das Zeitalter Dekolonialisierung, aber auch das des „Kalten Krieges“ zwischen Ost und West. Die Dekolonialisierung kann weniger als Ausdruck der Humanität gewertet werden, sondern gilt auch als Zeit des billigen Rohstoffbezuges und der Erweiterung der Absatzmärkte der kapitalistischen Hauptländer. Auf dem Weltmarkt dominierten die USA bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Erosion ihrer Stellung begann in den 60er Jahren, vor allem wegen der Konkurrenz der Bundesrepublik und Japans. Bei der Kapitalakkumulation des Fordismus machte sich nun in den USA, aber auch in anderen kapitalistischen Hauptländern, der Fall der durchschnittlichen Profitrate geltend. Das Ende der Nachkriegsprosperität wurde deutlich sichtbar mit der Weltwirtschaftskrise 1974/75. Das zeigte sich auch an der Preisinflation an den Warenmärkten, der Spekulation an den Euro-Dollar-Märkten und am Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems. Das wurde frühzeitig von marxistischer Seite als chronische Überakkumulation interpretiert, das heißt, der Fall der durchschnittlichen Profitrate konnte nicht mehr durch eine Steigerung der Profitmasse kompensiert werden.

Der Übergang in die chronische Überakkumulation vollzog sich 1974/75, wurde allerdings von der bürgerlichen Ökonomie und Politik nur als zyklische Krise wahrgenommen mit einer Steigerung des Ölpreises. Es wurde deswegen auch von einer Ölpreiskrise gesprochen und mit einer antizyklisch angelegten Antwort reagiert. Der Erfolg dieser Politik war gering, Konjunkturprogramme heizten noch einmal die Inflation mit an, das geflügelte Wort der bürgerlichen Ökonomie lautete Stagflation. Die offizielle Politik nahm einen neoliberalen Kurs ein und die Zentralbanken schalteten auf eine restriktive Politik um.

Innerhalb des Produktionsprozesses wurde auf verschiedene Weise versucht, die Verwertungsprobleme des Kapitals anzugehen. Durch Lean- Produktion, Abbau von Hierarchieebenen, Null-Fehler-Produktion, kleine Serien für spezielle Kundenwünsche und Outsourcing bestimmter Bereiche soll das Ziel erreicht werden. Gleichwohl zeigte sich, dass diese Elemente nicht ausreichen, um eine neue postfordistische Betriebsweise mit beschleunigter Akkumulation hervorzurufen. Dafür sorgte vor allem die Begrenzung durch die Unterkonsumtion aus Masseneinkommen. Die durch Marktkräfte eingeleitete und neoliberale Wirtschaftspolitik verstärkten Veränderungen verringerten die Produktivität der Arbeitskräfte und führten zum Rückfall in die absolute Mehrwertproduktion (Lohndrückerei und längere Arbeitszeiten). Einer neuen beschleunigten Akkumulation des reproduktiven Kapitals steht auch die verselbständigte Geldakkumulation entgegen. Viele Länder mussten Umschuldungsaktionen vornehmen und auch in den kapitalistischen Metropolen wurde die reproduktive Akkumulation durch Finanzmärkte gesteuert. Dafür sorgten Finanzinvestoren (Hedge-Fonds, Private-Equity-Fonds, Immoblienfonds etc.), die in das operative Geschäft von Aktiengesellschaften eingriffen und dort vor allem die Shareholder-Value-Orientierung durchsetzten. Unternehmen wurden auf Kernkompetenzen zugeschnitten. Es kam zur Steigerung von Kurswerten beim fiktiven Kapital (Wertpapiere) und zur massiven Bereicherung von Vermögensbesitzern auch am Immobilienmarkt. Die Wertpapierspekulation an den Börsen, Immobilienblasen und eine wirtschaftliche Scheinblüte führten zur Finanzmarktkrise 2007/2008. Der Boom, der vor allem kreditgestützt war, konnte keine nachhaltige reproduktive Kapitalakkumulation hervorrufen, insbesondere wegen der Beschränkung der Massennachfrage. Auch eine ultralockere Geldpolitik der Zentralbanken brachte nur kurzzeitige Entlastungen von angeschlagenen Banken aber keine beschleunigte Akkumulation des produktiven Sektors. International ist keine neue Weltordnung in Reichweite. Im Gegenteil, Handels- und Finanzkriege sind nicht auszuschließen gerade wegen der aktuellen Politik der USA. Das Fazit ist: Es fehlen im Augenblick die Voraussetzungen für eine nachfordistische Betriebsweise. Ob die Digitalisierung die Verwertungsprobleme des Kapitalismus lösen kann ist näher zu betrachten

KAPITEL 3:

DER DIGITALISIERTE KAPITALISMUS ALS NUKLEUS EINER NEUEN BETRIEBSWEISE?

Wir haben seit einiger Zeit eine Veränderung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und es wird die Produktivkraftentwicklung auf eine neue Stufe gehoben. Es geht um die Bildung von Netzwerken, auch Plattformökonomie genannt. Wir bekommen das im Privatleben durch Dienstleistungen im Werbebereich oder auch die Vermittlung von Miet- und Handelsgeschäften mit, ebenso wie bei der Durchführung privater Bankgeschäfte. Ein anderes Beispiel ist die Telemedizin, wo anstatt eines persönlichen Arztbesuches eine Beratung per Internet (Skype) erfolgt. Die Entwicklungsperspektive, die mit der Verallgemeinerung der Plattformökonomie einhergeht, erklärt, neben finanzkapitalistischen Spekulationen, die teilweise extrem hohen Marktwerte von Internet- bzw. Plattformunternehmen. Diese Plattformökonomie durchläuft mehrere Stufen. In der ersten Stufe ging es um Netzwerke und Partnerschaften zwischen Unternehmen, gemeinsame Entwicklungsprojekte zwischen selbstständigen Einzelkapitalen. Die Plattformen waren die verbindenden Adern der Produktion und Zirkulation von Einzelkapitalen sowie der massenhaften Ansprache von Konsumenten. Die vielen Einzelkapitale führten die Entwicklung dieser Infrastruktur selbst als profitables Geschäft durch. Der Datenverwertung durch Werbung werden in der zweiten Stufe die netzwerkbasierten Dienstleistungen als Bezahlangebot folgen. Damit dürfte klar sein, dass die Marktallokation nicht untergraben wird, selbst wenn Netzwerkbetreiber zu Beginn Gratisangebote machen. Das heißt auch nicht, dass hier eine quasi immaterielle Produktionsweise entsteht. Es wird missachtet, dass die Plattformökonomie an ihrer Basis hochentwickelte materielle Infrastrukturen wie Rechner/Server, Übertragungsnetze und Endgeräte beinhaltet, die erhebliche Mengen gesellschaftlicher Arbeit verkörpern, diese Infrastruktur wird zu einem Träger der Produktivkräfte. Die aus der Mikroelektronik und Internet entspringenden Produktivkräfte haben insoweit eine neue Qualität, als die Vernetzung selbstständiger Marktakteure die bisher bestehenden Grenzen der marktwirtschaftlichen Ressourcenallokation überwindet, national und international. Früher war das nur im fordistischen Mischkonzern mit hoher Fertigungstiefe möglich, was verschiedene Probleme hervorrief, zum Beispiel die Kostenzurechnung erschwerte, zu Fehlentscheidungen bei der Fortführung einer Produktlinie führte und eine Ausuferung bei der Hierarchisierung der Organisation hervorrief. Diese Defizite der unternehmensinternen Kostenoptimierung werden heute durch Marktpolitik umgangen, das heißt, durch Aufspaltung von Betrieben bzw. Betriebsteilen und danach ihre Verselbstständigung (Profit-Center). Sie sind entscheidungsautonom und Marktprozessen unterworfen. „ Make or buy“ ist die Devise, das heißt, nach dem Outsourcing wir die Fremdleistung bei neuen Anbietern neu eingekauft. Fixe Kosten werden in variable Kosten verwandelt. Es ergeben sich Produktivitätseffekte durch Spezialisierung. Schon Marx wies darauf hin, dass im Innern des Unternehmens planmäßig gearbeitet wird während außerhalb einer regellosen Willkür herrsche, die im Barometer der   Warenpreise wahrnehmbar sei. Heute wird die Marktallokation genutzt, die an sich naturwüchsig abläuft, für die Reduzierung von Verlusten an Arbeitszeit, die nicht im Preis vergütet wird. Dadurch werden die Akteure zur Verringerung ihrer nicht im Marktpreis vergüteten Arbeitszeit angespornt. Das schließt trotzdem nicht aus, dass durch Krisen massenhafte Entwertungsprozesse von Kapital und Arbeit vollzogen werden.

Es muss klar sein, dass zwischen Problemen aus den neuen Produktivkräften und ihrer Anwendung zu unterscheiden ist. Die informationelle Vernetzung ist insoweit der Nukleus eines neuen Rationalisierungsparadigmas, erfolgt aber immer über den Primat der Marktallokation. Es kommt weiter zu Deformationen trotz neuer Rationalisierungsparadigma. Einerseits dadurch, dass die großen Unternehmen den Vorlieferanten die Preise diktieren und andererseits wegen der Konkurrenz verschiedener Internetplattformen, bei der eine oder wenige Plattformen ihre Marktmacht ausnutzen. Dadurch werden Entwicklungspotentiale ausgehöhlt.  Trotz all dieser Probleme können Kapitalbindungen reduziert, gemeinschaftliche Netzwerke und vorhandene Produktionsmittel besser genutzt und Kosten gesenkt werden. Daraus folgt, dass auch die nationale durchschnittliche Profitrate steigen kann, wenn eine erhebliche Kostenreduktion gelingt. Die Automatisierung erhält einen besonderen Anstoß, die Steuerung von Einkauf, Lagerhaltung, Fertigung und Absatz werden weitergetrieben. Auch komplizierte Tätigkeiten im Finanzsektor werden automatisierbar.

Allerdings gilt bei alledem, die Grenzen der Digitalisierung im Blick zu halten. Jeder noch so ausgeklügelte Algorithmus kann nicht die Spezifik menschlicher Arbeit ersetzen, denn sie besteht nicht nur aus der bewussten Wahrnehmung der Außenwelt, sondern auch aus der ideellen Antizipation ihrer Ergebnisse. (kreative und wissenschaftliche Entwicklungsarbeit). Es kommt hinzu das Arbeit immer gesellschaftlich bestimmt ist. Mit dem Ausweis dieser Eigenschaften wird auch der Bezug zur Werttheorie hergestellt und die Gültigkeit der Wertbestimmung durch gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, insbesondere durch die Unterscheidung von einfacher und komplizierter Arbeit. Hier ist das Vehikel um die Wertschöpfung zu steigern. Selbst bei einer totalen Automatisierung der Produktion und einem kompletten Wegfall einfacher Arbeiten wäre die wissenschaftliche Arbeit als nationale Gesamtarbeit einzuordnen in die vielen Nationalarbeiten auf dem Weltmarkt, Sie wäre Arbeit, die erhebliche Surplusprofite hervorriefe im internationalen Maßstab. Das ist aber noch Zukunftsmusik, aus heutiger Sicht rufen vernetzte Arbeitsprozesse verschiedene Folgen hervor:

1.Die Cloud- und Clickworker können an verschiedenen Orten der Welt tätig werden.

2.Es vollzieht sich eine Fragmentierung der Belegschaft

3.Arbeitsplätze im Büro können individuell verlegt werden (Home-Office)

4.Es entstehen erhöhte individuelle Spielräume was den Ort und die Einteilung der Arbeit angeht mit der Gefahr der Sebstausbeutung

Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit einer erweiterten Mitbestimmung der Beschäftigten, die durch Beteiligung am Produktivkapital abzusichern ist. Damit kommt man allerdings zu den ökonomisch entscheidenden Fragen der kapitalistischen Produktionsweise. Wie jede Steigerung der Produktivkräfte wirkt auch die Netzwerkökonomie als Einsparung der lebendigen Arbeit und auch als eine gesamtwirtschaftliche Einsparung von fixem Kapital. Im Gesamtergebnis wird die allgemeine Mehrwertrate gesteigert, vermindert den Vorschuss an konstantem Kapital. Das sind Gegenkräfte gegen den Fall der nationalen Durchschnittsprofitrate. Es hat sich allerdings anhand der Entwicklung der verschiedenen nationalen Profitraten gezeigt, dass Umverteilung zu Gunsten der Profite, vermehrte absoluten Mehrwertproduktion und eine Verlangsamung der Produktivitätssteigerung nur zu einer Stabilisierung der Profitrate auf niedrigem Niveau geführt hat.

Eine konsumgestützt Nachfragebelebung durch die Geldpolitik der Zentralbanken und Aufblähung des fiktiven Kapitals würde auf Dauer zu einer Kernschmelze im Kredit- und Bankensystem führen und zur Diskreditierung der Repräsentativgeldwährungen. Insoweit ist die Weltwirtschaft an einem historischen Knotenpunkt. Neue Produktivkräfte sind vorhanden, die kapitalistische Produktionsweise hemmt jedoch sowohl ökonomisch durch niedrigere Profitraten als auch gesellschaftlich (arbeitspolitisch, politisch, sozial- und klassenstrukturell) eine höhere Betriebsweise. Es kommt hinzu, dass weltpolitisch weder die USA, noch China und die EU in der Lage sind, eine Hegemoniestellung zu stellen und eine internationale Akkumulation in Gang zu bringen. Die Anforderungen, die an ein neues internationales Akkumulationsregime zu stellen sind, hat Keynes bereits in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts formuliert:

1.Es muss eine Clearing-Union geben und eine Steuerung der internationalen Handelsströme erfolgen.

2.Es ist eine internationale Währung zu schaffen, die nicht eine nationale Währung sein kann.

3.Es muss eine Weltzentralbank geschaffen und auch eine Ausgestaltung der Internationalen Handelsagentur (WTO) mit Interventionsmöglichkeiten bei Leistungsbilanzunterschieden.

Für die EU bedeutet das, nationalistische Rückschritte zu überwinden und eine europäische Volkswirtschaft zu entwickeln. Das bedeutet auch, Abhängigkeiten von US-amerikanischen und chinesischen Netzwerken zu vermindern und eigene europäische Internetkonzerne aufzubauen. Die Weiterentwicklung der Produktivkräfte wird nur durch das Zurückdrängen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse möglich sein, ebenso wie die Profitrate als Steuerungselement. Entscheidend wird eine makroökonomische Strukturpolitik, erweiterte Mitbestimmungen der Beschäftigten und eine Wirtschaftsdemokratie in den Unternehmen sein. Es muss die Einsicht Platz greifen, dass sich die Trennung der lebendigen Arbeit von den Produktionsmitteln überlebt hat.

KAPITEL 4:

DIE LOHNARBEIT ZWISCHEN „ÖKONOMISCHER ALLTAGSRELIGION“ UND „ENORMEM BEWUSSTSEIN“, ZWISCHEN KAPITALISTISCHEM PRIVATEIGENTUM UND NEUEN WIRTSCHAFTSDEMOKRATISCHEN ASSOZIATIONSFORMEN.

Eine ausdifferenzierte Infrastruktur und ein qualifizierter Gesamtarbeitskörper sind zentral für moderne kapitalistische Gesellschaften und die subjektiv-objektiven Voraussetzungen für nachkapitalistische Produktionsverhältnisse. Es ist notwendig die Chancen systemkritischer Bewusstseinsveränderungen und die emanzipatorische Handlungsfähigkeit einzuschätzen. Dazu ist die „ökonomische Alltagsreligion“ näher darzustellen.

Für die privaten Haushalte bleibt die Lohnarbeit das strukturierende Moment ihres Lebensalltags. Auf Basis der Erwerbstätigkeit sammeln sich eine Vielzahl von sozial-kulturellen Tätigkeiten bei den Individuen an. Es gilt nun zu verstehen auf Basis der Marxschen Theorie, warum die gesellschaftlichen Individuen keinen Anstoß an den Mystifikationen von Ware, Geld und Kapital nehmen, im Gegenteil ihr Leben als Realisation ihrer Individualität begreifen. Deswegen ist hier durch die Mystifikationen hindurchzugehen und ist festzustellen, dass an der Oberfläche der Gesellschaft der Wert als Resultat des Zusammenwirkens der Revenuetitelbesitzer erscheint. In der bürgerlichen Ökonomie heißt das „Produktionsfaktorentheorie.“ Dieses Resultat geht dann wieder als Voraussetzung in die neue Runde der Reproduktion ein. Es ergibt sich das Terrain eines freien und konkurrenzbestimmten Agierens bürgerlicher Eigentümersubjekte. Mit dieser Oberflächenstruktur wird nach Marx der Brückenschlag zum Alltagsbewußtsein hergestellt. Die Transformation des bürgerlichen Bewusstseins erhält eine potenzierte Wertorientierung in Politik, Recht und Alltagsmoral. Das Alltagsbewusstsein ist allerdings dem Handeln vorausgesetzt und unterliegt historischen Veränderungen. In dem Maße, in dem wie ein gewisses Maß an Umverteilung an Lohn, Vermögen und freier Zeit durchgesetzt werden konnte, ergibt sich eine Verfeinerung der kulturellen Sphäre und der Überbauten. Es verschiebt sich das Klassenbewusstsein und verstärkt die Individualisierung.

Es gilt aber die Widersprüche des Wandels zu beleuchten, die der Neoliberalismus und der Finanzmarktkapitalismus hervorgebracht haben. Es vollzieht sich ein Marktöffnungsprozess in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen und damit eine Ökonomie der Unsicherheit. Es wird für die Arbeitskräfte ein widersprüchlicher Prozess freigesetzt, einerseits die Vorstellung freier Selbstbestimmung und damit zusammenhängend das Bewusstsein, selbst für seine Ware Arbeitskraft verantwortlich zu sein. Andererseits entpuppt sich der „Arbeitskraftunternehmer“ als dankbares Objekt neuer Über-bzw. Unterordnungsstrategien (Empowerment). Jeder ist für sich selbst verantwortlich und nicht Teil einer Klassenpolitik. Im Fordismus fand dieses Über- und Unterordnungsverhältnis noch eine soziale Ausgestaltung. Diese Strukturen werden im gegenwärtigen Finanzkapitalismus durch den weitgehenden Abbau sozialer Sicherheit zerstört. Alle Macht den Märkten gilt nun als Devise als Gegenstrategie gegen soziale Unsicherheit. Die Devise wird von der politischen Klasse ausgenutzt und noch verschärft. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es trotz Versuchen eine neue Betriebsweise aufzubauen, in Form von Lean-Production, Gruppenarbeit, Enthierarchisierung und Digitalisierung, nicht zu einer zukunftsweisenden Betriebsweise. Dagegen wurden eine neoliberale Globalisierung und Finanzialisierung hegemoniefähig, Investitionen und Nachfrageverhältnisse wurden blockiert und das Gesellschaftsbewusstsein stark beeinflusst. Versprechen der sozialen Marktwirtschaft waren nicht mehr einlösbar:

1.Das Leistungs- und Glücksversprechen wurden untergraben. Die Leistungsgerechtigkeit war mit dem Casino-Kapitalismus nicht mehr vereinbar, was besonders die Mittelschichten tangierte.

2.Die Aufstiegsversprechen wurden untergraben.

3.Die Beschäftigten erfahren Kontrollverluste über ihre Arbeit.

4.Es entstand eine Wut gegen das Establishment und rechtspopulistische Ressentiments. Propaganda gegen „unproduktive und parasitäre“ Transferempfänger

Diese Entwicklung bietet allerdings Ansatzpunkte linker Politik:

1.Die Wiedergewinnung sozialer Sicherheit ist umfassend anzugehen. Neben der Erwerbsarbeit geht es um die Qualität von Wohnen, Bildung, Mobilität und Pflege. In der Produktion geht es um die Verwirklichung wirtschaftsdemokratischer Verhältnisse.

2.Die Beschäftigen und die Akteure allgemein können die größere Verantwortung in der Lohnarbeit befördern, indem sie die Trennung von den Bedingungen ihrer Arbeit aufheben.

Die Frage ist, ob sich das formationstheoretisch begründen lässt?

Die Spezifizierung der kapitalistischen Produktionsweise besteht darin, dass das erste Mal in der Geschichte die ungehemmte Entwicklung der Produktivkräfte die Voraussetzung der Gesellschaft darstellt. Das ist das Produktionsgesetz des Kapitals, das heißt, die Schaffung der größtmöglichen Surplusarbeit ohne Rücksicht auf die Schranken des Marktes. Es wird disponible Zeit geschaffen, an der auch Lohnabhängige in gewissem Maße partizipieren. Aber die Bedingungen, unter denen diese Resultate erzielt werden, drängen nach alles Seiten zur Auflösung kapitalistischer Eigentumsgesetze und der entsprechenden Eigentumsvorstellungen. Die Proklamierung der Vorstellung im Kapitalismus „Eigentum entsteht durch Arbeit“ wird immer schwieriger. Der Zugang, Aneignung und Weiterentwicklung der Produktivkräftekönnen sich auf Dauer nicht auf Basis fremdbestimmter Eigentumsverhältnisse entstehen. Deshalb kann und muss eine gesellschaftliche Aneignung des Eigentums vollzogen werden.

Eigentum ist eine zentrale Kategorie in der Analyse, Selbstbeschreibung und Legitimation bürgerlicher Gesellschaften. Das gilt nicht nur für die Produktionsverhältnisse, sondern auch viele andere Lebensbereiche, Recht, Familie, Kunst usw. Der Aufstieg des Neoliberalismus seit Ende der 70er Jahre hat konsequent das Eigentum ins Zentrum der Betrachtung gestellt (Ownership-Society). Spätestens seit der Finanzkrise 2007 gerät diese Vorstellung in einen Legitimationsnotstand.

In der Marxschen Theorie erweist sich die bürgerlich-kapitalistische Eigentumsform als historische Durchgangsform. Sie schafft die Bedingungen für eine höhere Eigentumsform und eine Pluralität von Eigentumsformen bedingt durch die Kreditverhältnisse. Der Kapitalismus gerät in eine Legitimationskrise, weil der Zusammenhang von Arbeit-Leistung-Einkommen-Aneignung und Eigentum immer wieder aus den Fugen gerät. Deswegen kommt es, selbst bei Linken, häufig zum Rückgriff auf Ludwig Erhard mit der Forderung „Wohlstand für alle.“ Im Gegensatz dazu geht Marx so weit, im Kredit und Aktiengesellschaften Ansatzpunkte zu sehen, um weitergehende Veränderungen der kapitalistischen Produktionsweise einzuleiten. Es entwickeln sich Punkte der Rückverwandlung des Kapitals in das Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Eigentum vereinzelter Produzenten, sondern als Eigentum assoziierter Produzenten. Eigentum bleibt allerdings zentral im Bewusstsein des Alltags. Die Herausforderung besteht nun darin, das emanzipatorisch zu verändern. Auf diesen Knotenpunkt in der kapitalistischen Betriebsweise muss sich die Transformationskonzeption einer alternativen Wirtschaftspolitik beziehen: ökologischer Umbau, ressourcensparende Produktqualität, Gruppenarbeit und die Enthierarchisierung sind nur durch die Emanzipation der assoziierten Arbeit auf betrieblicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene zu haben. Es hat die Stunde des kapitalistischen Eigentums geschlagen. Sie stellt sich dar als Konflikt zwischen nach Wirtschaftsdemokratie strebenden Belegschaften und durch die Dominanz der Vermögensbesitzer verriegelten Unternehmenssteuerung und des Kampfes gegen eine Ökonomie der Unsicherheit. Das heißt allerdings nicht, zurück zum Fordismus sondern den Kampf gegen den Finanzkapitalismus und für Wirtschaftsdemokratie  in Betrieb und Gesellschaft. n n});

Kevin Kühnerts Sozialismus

11. Mai 2019  Allgemein

Es war nicht zu erwarten, dass die Große Koalition einen grundlegenden Politikwechsel einleiten würde. Eine mittelfristige Alternative zu dieser Politik wäre eine linkspluralistische Reformregierung aus SPD, Grünen und der Linkspartei. Dazu bedürfte es allerdings eines Konsenses bezüglich einer Beendigung der Austeritätspolitik, einer Strukturpolitik, die grundlegende Probleme des Kapitalismus angeht und von Perspektiven, die schwächere Volkswirtschaften der EU und der Eurozone stabilisiert. Es ist notwendig, dass die SPD, die Grünen und die Linkspartei einen Minimalkonsens erreichen und Widerstände in den eigenen Reihen gegen eine solche Orientierung entschlossen begegnen. Die Situation in der Bundesrepublik sieht augenblicklich so aus, dass weder eine klare Hegemonie für eine Fortsetzung der Politik der etablierten Parteien noch für eine grundlegende Reformalternative existiert. Es ist deutlich geworden, dass ein großes Unbehagen über die tiefe soziale Spaltung in unserer Gesellschaft besteht und eine weitgehende Orientierungslosigkeit bezüglich ihrer zukünftigen Entwicklung. Das hat dazu beigetragen, dass einfache Lösungen von Rechtspopulisten ihren Niederschlag in der Bevölkerung und teilweise auch in der Politik fanden. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dass sich Linke auf eine Reformalternative verständigen und versuchen müssen, die Perspektive eines grundlegenden Politikwechsels im Bewusstsein weiter Bevölkerungsteile zu verankern. Es muss die Hoffnung bestehen, dass eine linke Reformpolitik eine Wende zum Besseren erbringt, sowohl durch ihre inhaltlichen Vorschläge als auch durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, das den Vertretern einer linken Politik entgegengebracht wird. Die einzelnen Reformvorschläge müssen zu einem stimmigen Gesamtpaket zusammengebracht werden und die Überzeugung vermitteln, dass die Versprechen der Vertreter des Kapitalismus nicht in der sogenannten sozialen Marktwirtschaft sondern nur in einem demokratischen Sozialismus zu verwirklichen sind.

Vor diesem Hintergrund und auf Basis der Marxschen Theorie soll nun ein Interview dargestellt und beurteilt werde, das Kevin Kühnert, der Bundesvorsitzende der Jusos, mit der ZEIT bzw. mit ZEITONLINE geführt hat. (1) Die Journalisten Jochen Bittner und Tina Hildebrandt (Im Folgenden Z genannt) beginnen mit der Frage, welche grundlegende Kritik Kevin Kühnert (Im Folgenden K genannt) an der bestehenden Gesellschaftsordnung habe. K. plädiert für eine „Welt freier Menschen, die kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stellt und nicht das Profitstreben.“ K. hält an dem Grundsatz fest, dass das, was unser Leben bestimme, in gesellschaftlicher Hand sein und demokratisch entschieden werden sollte. Dem Einwand von Z., es handele sich dabei doch um die soziale Marktwirtschaft, hält K. entgegen, dass offensichtlich die Versprechungen der Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, die eine Variante des Kapitalismus sei, nicht eingehalten werden könnten. Zum Kapitalismus im Allgemeinen formuliert K: „Es gibt Leute, die Kapital besitzen und Leute, die dieses Kapital erarbeiten. Die Kapitalbesitzer sind in unserer Gesellschaft nicht zwangsläufig Fabrikbesitzer. Es sind auch Leute, die großen Immobilienbesitz haben, große Aktienpakete oder Fondsanteile. Die müssen nicht selbst produktiv tätig sein, sondern können ihr Kapital für sich arbeiten lassen. Über diese Freiheit verfügt in unserer Gesellschaft nur ein kleiner Teil, der Zugang zu Vermögen ist für die meisten faktisch nicht gegeben.“

Richtig an dieser Sichtweise von K. ist, dass wieder über Kapitalismus geredet werden muss und eine Konzentration von Vermögen stattgefunden hat. Richtig ist auch, dass ein Großteil der Bevölkerung davon ausgeschlossen ist. Allerdings sollte die Linke auch dazu beitragen, illusionäre Bewusstseinsformen, die „ökonomische Alltagsreligion“ wie Marx es nennt, und ihre Hintergründe deutlich zu benennen. Wenn gesagt wird, die Leute erarbeiten das Kapital, dann sollte auch gesagt werden, dass dieses Bewusstsein nicht unmittelbar gegeben ist, weil die Wertschöpfung in der Produktion aus dem Zusammenwirken von drei Produktionsfaktoren (Boden, Arbeit und Kapital) erklärt wird. Die Aneignung von Mehrarbeit und Mehrwert der Arbeitenden durch den Kapitalisten stellt sich an der Oberfläche der Gesellschaft verkehrt dar. Dafür sorgt auch die Kategorie des Arbeitslohnes, durch die alle Arbeit als bezahlt erscheint und nicht klar wird, dass nicht die Arbeit sondern die Arbeitskraft bezahlt wird.Es muss dann auch im Unklaren bleiben, wie Profite aus Immobilien, Aktien und Fonds entstehen und auch das Bewusstsein, es sei das Kapital selbst, das dort arbeitet. In Wirklichkeit geht es um die Verteilung des Mehrwerts an verschiedene Personenrubriken.

Aufsehen erregte die These von K., dass bestimmte Firmen, wie zum Beispiel BMW, zwar nicht verstaatlicht, sondern kollektives Eigentum werden sollten und er sich dagegen ausspricht, dass die jetzigen Eigentümer das alleinige Recht haben sollten, über den Gewinn zu verfügen. „Auch der Sozialismus wird und muss mit Marktmechanismen arbeiten. Das Ziel ist vielmehr, demokratische Kontrolle darüber, wie wir arbeiten und was wir produzieren.“  Dieses Ziel zu erreichen sei nur in vielen Schritten möglich. K. bringt als Ziel die Wirtschaftsdemokratie ins Spiel mit genossenschaftlichen Eigentumsformen und weitgehender Beteiligung der Beschäftigten. K. verdeutlicht, dass es heute nicht darum gehe zu alten Zeiten zurückzukehren. „Es geht nicht um ein bloßes Zurück. Richtig ist aber, dass es in einem ersten Schritt auch um restaurative Maßnahmen geht. Die soziale Sicherheit muss wieder erhöht werden. Eine Wiederherstellung des Sozialstaatsversprechens der Siebziger, Achtziger-Jahre in upgedateter Form mit echter Gleichstellung, Homeoffice und Ähnlichem wäre schon mal ein Anfang. Aber es wäre eben noch kein Sozialismus. Wenn ich Leute davon überzeugen will, dass eine bessere Welt vorstellbar ist als die, die sie vorfinden, dann mache ich nicht den zehnten Schritt vor dem ersten.“

Es ist K. zuzustimmen, dass ein Weg zum demokratischen Sozialismus nur in vielen Schritten möglich ist. Was allerdings bei K. unklar bleibt ist, warum unsere Gesellschaft selbst die Voraussetzungen schafft, die eine solche Lösung unabdingbar macht. Dazu hätte es einer Darstellung von grundlegenden Entwicklungstendenzen des Kapitalismus bedurft. Auch hier hätte die Marxsche Theorie weitergeholfen. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts haben wir es mit einem Strukturbruch des Kapitalismus zu tun. Es gelingt nicht mehr, den tendenziellen Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate durch ein Steigen der Profitmasse auszugleichen. Die Folge war und ist, dass erhebliche Kapitalsummen, die sich nicht mehr ausreichend verwerten lassen, in den Finanzsektor abwandern. Hier sollen die Verwertungsprobleme durch Kurssteigerungen von Wertpapieren und Spekulationsgeschäfte auf eine kapitalistische Weise gelöst werden. Es kam hinzu, dass die neoliberale Politik diese Tendenz noch unterstützte mit dem Ergebnis, dass 2007/2008 die zweite große Krise des Kapitalismus entstand, die bis heute nicht überwunden ist. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte und Immoblienmärkte wurde vor allem durch die Politik der Notenbanken und durch staatliche Konjunkturprogrammen verhindert. Es ist deutlich geworden, dass wir an einer Systemgrenze angelangt sind, die nur durch die schrittweise Verwirklichung eines demokratischen Sozialismus überwunden werden kann. Der demokratische Sozialismus ist also nicht, wie aus den Äußerungen von K. herauszulesen ist, die Verwirklichung einer Utopie, sondern der Weg, die Probleme des Kapitalismus, die der Kapitalismus hinterlässt, auf eine demokratische und zivile Weise anzugehen und zu lösen.

K. wurde für seine Kritik an der sozialen Marktwirtschaft von der Union, FDP, AFD und den Wirtschaftsverbänden heftig angegriffen (2). Widerspruch kam auch aus den Reihen der SPD. K. hat offensichtlich einen Nerv getroffen. Seine skizzierte Alternative sollte für die Linke aber auch in der politischen Öffentlichkeit der Anfang einer Diskussion sein. Es ist aber auch klar geworden, dass selbst erste Schritte gegen die gesellschaftlichen Mißstände von Seiten der herrschenden politischen Elite nicht akzeptiert werden und auch keine Diskussion darüber zugelassen werden soll. Es ist darüber hinaus damit zu rechnen, dass eine ernsthafte Umgestaltung des Kapitalismus massiv bekämpft werden wird. Deshalb ist eine mittelfristige Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik, der Eurozone und er EU insgesamt von entscheidender Bedeutung.

  • Siehe ZEITONLINE vom 1.5.19 bzw. die Ausgabe der ZEIT 19/2019.
  • Siehe auch Sozialismus aktuell vom 5.5.19

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Wohnungsbau,Enteignung und linke Reformpolitik

12. April 2019  Allgemein

Die Große Koalition steht bekanntermaßen nicht für eine Transformation, die an die Wurzel der Probleme des Finanzkapitalismus geht. Es ist aber gerade Aufgabe der Linken, ein nachvollziehbares Konzept der sozialen Veränderung zu entwickeln, das zu einer wirklichen Verbesserung der Lebenssituation der großen Masse der Bevölkerung führt. Ein solches Konzept muss erstens mit reformorientierten linken Bündnispartnern erarbeitet werden, das als Grundlage die Verabschiedung von der Austeritätspolitik aufweist und zweitens auch zu politischen Erfolgen führt mit einer dauerhaften politischen Hegemonie in der Bundesrepublik und darüber hinaus in Europa. Ein linkes Konzept muss eine kurz- und mittelfristige Reformagenda so ausrichten, dass eine langfristige Strukturveränderung in Richtung eines demokratischen Sozialismus ermöglicht wird.

Ein Punkt der Reformagenda muss darin bestehen, an die Wohnungsfrage in der Bundesrepublik heranzugehen. Große Demonstrationen in Berlin und anderen Städten haben gezeigt, dass die Wohnungsnot und steigende bzw. unbezahlbare Wohnungsmieten zum Alltag der Bundesrepublik gehören. Laut dem aktuellen repräsentativen Deutschlandtrend/ARD gibt fast jeder zweite Großstadtbewohner an Schwierigkeiten zu haben, einen bezahlbaren Wohnraum zu finden. Als bezahlbare Mieten gelten, sofern sie nicht mehr als 30 % des betreffenden Haushaltseinkommens ausmachen. Es wird geschätzt, dass davon etwa 2 Millionen Wohnungen in der Bundesrepublik fehlen. Besonders betroffen sind dabei arme Haushalte. Die Ausgaben für Wohnen, Energie und Instandhaltung bei armen Haushalten, das heißt bei unter 900 € Haushaltseinkommen monatlich, betragen etwa 50 % des Gesamteinkommens. Bei steigendem Einkommen nimmt die Mietbelastung ab, beträgt allerdings bei Haushalten bis 1500 € monatlichem Haushaltseinkommen immer noch 36 %. Erst wenn ein Haushaltseinkommen von 2000 € erreicht wird, wird mit 27,8 % die 30 % Marke unterschritten. Die Zahlung von Wohngeld hilft kaum weiter. Lediglich 1,2 % der Haushalte können Wohngeld erhalten, weil sie schon andere staatliche Leistungen (Transfers) beziehen.

Die Lösung der Wohnungsnot und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum sehen inzwischen viele Bürger in der Enteignung von großen Wohnungsbauunternehmen, was durch den Start eines Volksbegehrens zur Enteignung in Berlin unterstrichen wurde. Das bedeutet im Klartext, dass die Verhältnisse im Finanzkapitalismus in Frage gestellt werden. Entsprechend waren die Reaktionen bei Teilen der herrschenden Eliten in der Bundesrepublik. In der CDU/CSU, FDP und auch bei Teilen der Grünen und der SPD kam eine schroffe Absage in Bezug auf Enteignungsforderungen. Ministerpräsident Söder von Bayern befürchtet bereits die Einführung des Sozialismus in der Bundesrepublik. Im Gegensatz dazu schloss Robert Habeck von den Grünen eine Enteignung von großen Wohnungsbaugesellschaften nicht aus und berief sich dabei auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der ausdrücklich Enteignungen im Interesse des Gemeinwohls gegen Entschädigung vorsieht. Bodo Ramelow, der Ministerpräsident von Thüringen, wies zu Recht darauf hin, dass Wohnraum, der nicht dem Eigennutz diene, keine normale Handelsware sein dürfe. Deswegen müsse gerade in Ballungszentren der öffentliche und genossenschaftliche Wohnungsbestand massiv erhöht werden, das heißt deutlich über 50 %. Auch Enteignungen könnten ein adäquates Mittel für eine soziale Wohnraumversorgung sein.

Größere Teile der herrschenden Eliten erkennen inzwischen das Problem an, setzen aber auf den Neubau von Wohnungen. „Bauen, Bauen, Bauen“ skandierte jüngst Horst Seehofer von der CSU. Im Koalitionsvertrag wird als erklärtes Ziel der Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen angegeben.  Das reicht jedoch bei weitem nicht aus, sodass das Problem des Wohnungsmangels in den Metropolen inzwischen auch die Mittelschichten der Gesellschaft im Griff hat. Es kommt hinzu, dass die Hälfte der fertiggestellten Wohnungen auf Ein-und Zweifamilienhäuser entfallen, von den verbleibenden 50 Prozent entfiel wiederum die Hälfte auf Eigentumswohnungen. Es wurde also der Markt für Menschen mit einfachem und mittlerem Einkommen somit nicht wirklich entlastet. Mietwohnungen wurden 2017 tatsächlich nur 70000 neu gebaut, davon lediglich ein gutes Drittel als Sozialwohnungen. Es zeigt sich also, dass bisher der Neubau die Probleme nicht ansatzweise gelöst hat. Erforderlich sind deshalb kurz- und mittelfristige Maßnahmen:

1.Es muss eine wirklich wirksame Mietpreisbremse und eine gründliche Renovierung der Regeln des Mietpreisspiegels erfolgen.

2.Die Kappungsgrenzenverordnung ist strikt anzuwenden, das heißt, die Miete darf während eines Zeitraumes von drei Jahren nicht mehr als 20% erhöht werden, selbst wenn die Vergleichsmiete eine größere Erhöhung zuließe.

3.Die sozialen Erhaltungsverordnungen sind auszuweiten, um aufwändige Modernisierungen zu begrenzen und spekulative Umwandlungen zu verhindern.

4.Es ist eine Grundsteuerreform durchzuführen, die nicht auf die Mieter abgewälzt wird.

5.Die Vermögenssteuer ist wieder einzuführen, die Ressourcen für eine soziale Wohnungspolitik vor allem bei den Kommunen erschließt.

6.Die Wohngeldzahlungen sind auszuweiten.

7.Es sind Maßnahmen zur Bekämpfung der Immobilienspekulation zu ergreifen.

Diese kurz- und mittelfristigen Maßnahmen einer linken Reformagenda, die um Sofortmaßnahmen in verschiedenen anderen Bereichen zu ergänzen wären, haben verdeutlicht, dass wir inzwischen an der Grenze der privaten Kapitalverwertung angelangt sind und ökonomische, soziale und politische Fortschritte nur durch grundlegende strukturelle Veränderungen zu haben sein werden. Das bedeutet auch, eine Perspektive für die Überwindung des Finanzkapitalismus zu entwickeln. Die Forderung, große Wohnungsbauunternehmen zu enteignen muss heißen, die Mitbestimmungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Lohnabhängigen insgesamt und der direkt Betroffenen auszuweiten und schrittweise das Eigentum an den Unternehmen sowie das Direktionsrecht des Kapitals zurückzudrängen. Das kann durch die Ausweitung von genossenschaftlichem Eigentum, Belegschaftseigentum, Branchenfonds und auch staatlichem Eigentum geschehen. Es gilt also kurz gefasst um die Verwirklichung von wirtschaftsdemokratischen Verhältnissen. Es müssen die kurz- und mittelfristigen Maßnahmen der Wohnungsbaupolitik in ein Gesamtpaket linker Reformpolitik integriert werden, das auf lange Sicht einen grundlegenden Politikwechsel erbringen muss. Der Wechsel muss bei den Bündnispartnern und größeren Teilen der Bevölkerung durch die Überzeugung getragen werden, dass nur in einem demokratischen Sozialismus eine Wende zum Besseren erreicht werden kann. Es gilt eine politische Hegemonie fortschrittlicher Kräfte aufzubauen, die dann auch dauerhaft erhalten werden kann. In den Zusammenhang der Verwirklichung des Gesamtpaketes linker Reformpolitik ist dann auch die Enteignung von Unternehmen einzuordnen, auch gegen den massiven Widerstand von Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Medien und Wissenschaft.   000

Das Einfache, das so schwer zu machen ist

03. April 2019  Allgemein

DAS EINFACHE, DAS SO SCHWER ZU MACHEN IST (1).

Bertolt Brecht bezeichnet in seinem Werk „Die Mutter. Leben der Revolutionärin Pelagea Wlassowa aus Twer“ die Erreichung und den Aufbau des Kommunismus als das Einfache, das so schwer zu machen sei. Richtig an dieser Aussage ist, das haben die Entwicklung der Arbeiterbewegung und später des Realsozialismus gezeigt, dass eine nachkapitalistische Gesellschaftsordnung zu erreichen und aufzubauen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Worin diese Schwierigkeiten liegen, haben Generationen von Marxisten inzwischen zu ergründen versucht. In der Regel wurde Bezug genommen auf Schriften von Marx und Engels, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen,  dass sie sich in der Regel noch in einem Forschungsprozess befanden und erst mit dem „Kapital“ von Marx eine entwickelte Darstellung der Grundlage  von alltäglichen Bewusstseinsformen in der kapitalistischen Produktionsweise und den Schwierigkeiten ihrer Überwindung vorliegt. Allerdings war es nicht eine vollständige Rezeption des „Kapital“, die für Generationen von Marxisten maßgebend bei der Erfassung von Bewusstseinsformen war, sondern häufig Manuskripte aus dem Forschungsprozess von Marx. In der „Deutschen Ideologie“ beispielsweise wurden von Marx die herrschenden Gedanken in der Gesellschaft als die Gedanken der Herrschenden identifiziert. Zitat von 1845/46:

„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken , das heißt, die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.“

Die Interpretation dieses Auszugs aus der „Deutschen Ideologie“ lud viele Marxisten zu der Vorstellung ein, die Entwicklung zu einem revolutionären Bewusstsein der Arbeiterklasse sei prinzipiell beschränkt und es bedürfe der Nachhilfe durch die Partei der Arbeiterklasse. Lenin zum Beispiel war der Auffassung, die Arbeiterklasse könne selbstständig nur zu „tradeunionistischem“ Bewusstsein kommen und zur Entwicklung von Klassenbewusstsein bedürfe es der Partei der Arbeiterklasse. Damit war der Weg zu einer Verselbständigung der Partei geebnet, mit zum Teil fatalen Folgen für die Arbeiterbewegung. Rosa Luxemburg sah keine Notwendigkeit, eine umfassende Rezeption des „Kapital“ vorzunehmen .Sie meint, alle Probleme des 3.Bandes des „Kapital“ wie zum Beispiel der Fall der durchschnittliche Profitrate, die Aufspaltung des Mehrwertes in Profit, Zins und Grundrente sowie die kapitalistische Konkurrenz  seien wichtig vom theoretischen Standpunkt aus betrachtet, aber gleichgültig vom Standpunkt des praktischen Klassenkampfes. Allein die Erklärung des Mehrwertes im 1.Band des „Kapital“ sei relevant für die sozialistische Umwälzung. Eine unvollständige Kenntnis der Kritik der politischen Ökonomie reiche für den Klassenkampf aus. Luxemburg argumentiert, es sei illusionär zu glauben, die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie könne Hinweise geben über die Struktur des alltäglichen Bewusstseins der Arbeiterklasse und für das Bedürfnis der Arbeiterklasse, den Klassenkampf erfolgreich zu führen. Die geistig-kulturelle Entwicklung im Kapitalismus sei durch die herrschende Klasse bestimmt und es könne keine andere geben als die bürgerliche.

Dem ist entgegenzuhalten, dass Marx im Rahmen seines Forschungsprozesses eine sehr differenzierte Darstellung der Bewusstseinsformen entlang der Formbestimmungen des Kapitals entwickelt hat. Auf verschiedenen Ebenen der ökonomischen Struktur der Gesellschaft wird die Antriebsfeder des Kapitalismus, die Produktion und Aneignung des Mehrwertes, immer weiter verschleiert. Daraus entsteht eine strukturelle Schranke der Entwicklung des Klassenbewusstseins, die im 3.Band des „Kapital“, wo es um die Oberfläche der Gesellschaft geht, dargestellt wird. Es ist außerdem zu sehen, ob und welche Anknüpfungspunkte zur Überwindung dieser Schranke gegeben sind.

Die große Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik befindet sich in einem Lohnarbeitsverhältnis bzw. lebt von Lohnersatzleistungen oder staatlichen Umverteilungen.  Das Lohnarbeitsverhältnis ist auch heute strukturbestimmend für den normalen Alltag der Menschen. Das alltägliche Bewusstsein stellt sich als widersprüchlich dar. Einerseits wird das Lohnarbeitsverhältnis als Subordination unter die Regie des Kapitals empfunden, andererseits aber fühlt sich der Lohnabhängige als freier Warenbesitzer, frei zum Verkauf seiner Arbeitskraft oder frei zum Kauf der für sein Leben notwendigen Waren. Hinzu kommen Ambivalenzen aufgrund von politischen, kulturellen, moralischen und religiösen Auffassungen. Marx prägte in Bezug auf das alltägliche Bewusstsein im 3.Band des „Kapital“ den Begriff der Alltagsreligion. Es handelt sich hier um die Darstellung des Gesamtprozesses des Kapitals und die Betrachtung der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft in seiner ökonomischen Struktur. In ihrem ökonomischen Alltag sind die Gesellschaftsmitglieder Besitzer verschiedener Einkommensquellen, sie beziehen Arbeitslöhne, Profite, Zinsen und Grundrenten. Durch die beständige Reproduktion dieser Verhältnisse entsteht an der gesellschaftlichen Oberfläche der falsche Schein, dass die Wertschöpfung der kapitalistischen Produktion aus dem Zusammenwirken der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden hervorgerufen werde .Der wirkliche Zusammenhang, dass nach dem Verkauf der Arbeitskraft der Lohnabhängige den Wert und den Mehrwert schafft, wird verschüttet. Verantwortlich dafür ist auch die Kategorie des Arbeitslohnes, die den Schein hervorruft, nicht die Arbeitskraft, sondern die Arbeit des Lohnabhängigen werde vergütet. Es kommt hinzu, dass nicht gesehen wird, dass der ursprünglich geschaffene Mehrwert in Profit, Zins und Grundrente zerfällt, deren Existenz auf ganz unterschiedliche Weise erklärt wird. Der Profit erscheint an der Oberfläche als Ergebnis der Leistung und der Risikobereitschaft des Kapitalisten, der Zins als besondere Qualität des Geldes und die Grundrente als Ergebnis der Beschaffenheit des Bodens. Im Alltagsleben der Lohnabhängigen ist somit von Bedeutung, dass der freie Wille und die eigene Leistung als maßgebend für ihre gesellschaftliche Stellung angesehen werden.  Gleichwohl bleibt ihr Bewusstsein widersprüchlich, weil auch die Herrschaftsverhältnisse in der Produktion, die Arbeitsverhältnissen allgemein und auch die anderen Lebensverhältnisse Teil ihrer täglichen Erfahrungen bleiben. Die illusionären Bewusstseinsformen können sich nach Marx erst auflösen, wenn wirtschaftliche, politische und auch kulturelle Krisen das Fenster zur Überwindung der Schranken öffnen. Marxens Theorie der Mystifikation der Verhältnisse läuft somit darauf hinaus zu verstehen, warum gerade auch im entwickelten Kapitalismus die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Anstoß an den Verhältnissen nimmt, sondern sie im Gegenteil als Verwirklichung von Freiheit und Individualität begreift. Das geht so weit, dass die Lohnabhängigen, weil sie als Waren- und Geldbesitzer in die Verhältnisse eingebunden sind, einen ökonomischen Individualismus entwickeln können. Das heißt, sie sind zum Beispiel Lohnabhängige, Hausbesitzer und Aktionäre in einer Person mit all den verschiedenen Ausprägungen im Bewusstsein und sind damit auch erreichbar für Ideologien aus Medien, Politik und Wissenschaft etc.

Eine neue Qualität des ökonomischen Alltags und der Bewusstseinsentwicklung hat sich durch den Finanzkapitalismus und den Neoliberalismus entwickelt. Ihre ideologischen Wirkungen lassen sich auch durch die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie erfassen. Die Entfesselung des Kapitalismus hat in verschiedensten Bereichen zu Marktöffnungen geführt mit einer Ökonomie der Unsicherheit als Ergebnis. Das führt zu einem widersprüchlichen Prozess.  Einerseits wird nun vom Lohnabhängigen mehr Selbstverantwortung als Verkäufer seiner Ware Arbeitskraft gefordert, er wird zum „Arbeitskraftunternehmer.“ Andererseits werden aber seine Bedingungen im Rahmen der Wertschöpfung und der Verwertung des Kapitals verschärft, es entsteht ein neues Verhältnis von Über- und Unterordnung ohne eine größere soziale Ausgestaltung. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen aus der Zeit des Fordismus, die stärker durch die soziale Absicherung gekennzeichnet waren, werden durch die Flexibilität und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse zunehmend zerstört. „Führe dich selbst“ lautet die Devise und die Probleme von sozialer Unsicherheit, Erwerbslosigkeit und Armut werden zur Frage der Selbstsorge. Der Neoliberalismus, der seit den 80er Jahren salonfähig wurde, führte zu weitreichenden sozialen Verwerfungen:

1.Es wurde das zentrale Glücks- und Leistungsversprechen der „sozialen Marktwirtschaft“ untergraben.

2.Das Aufstiegsversprechen der Nachkriegszeit ist kaum noch einzulösen.

3.Viele Beschäftigte erfahren Kontrollverluste und Perspektivlosigkeit angesichts neuer Steuerungsformen, Marktimperativen und permanenten Umstrukturierungen in den Unternehmen.

4.Diese Erfahrungen führen vor allem bei Teilen der Mittelklasse zur Wut auf das politische Establishment und auf Migranten und führen zu einem Bündel von Ressentiments und einer rechtspopulistischen Entwicklung.

Auf dieser Basis sind jedoch auch Ansatzpunkte für eine sozialistische Politik gegeben. Wesentliche Ansatzpunkte sind die Erfahrung von Kontrollverlusten und sozialer Unsicherheit, die umfassenden angegangen werden müssen. Die Qualität von Wohnen, Mobilität, Pflege und Bildung können so politisiert werden, weil gerade auch Leistungsstandards, Qualität, Bezahlung, Arbeitsplatzsicherheit und Motivation im Arbeitsleben mit darüber entscheiden, ob und wie andere gesellschaftlichen Bereiche verändert werden können. Die Stärkung der Wirtschaftsdemokratie ist die Grundlage dafür, dass die Erfahrungen im Arbeitsleben auf andere gesellschaftlichen Bereiche ausstrahlen können. Die Durchlässigkeit von Betrieb und Gesellschaft kann für eine zivilgesellschaftliche Sozialismuskonzeption herangezogen werden.  Das setzt allerdings voraus, dass auch das Grundgesetz des Kapitals, also die Schaffung eines größtmöglichen Mehrwerts, hinterfragt wird und politisch angegangen wird. Die Aneignung des Mehrwertes durch den Kapitalisten und die entsprechenden Eigentumsvorstellung, dass Eigentum immer auf Arbeit zurückzuführen sei, wird allerdings durch die Entwicklung des Kapitalismus selbst untergraben. Es hat sich gezeigt, dass nicht durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln, sondern durch die gesellschaftliche Arbeit auf großer Stufenleiter ein hohes Produktivitätsniveau erzielt werden kann. Das heißt aber nicht, dass die Vorstellung, Arbeit und eigene Leistung führe zu Eigentum, von der Bildfläche verschwunden ist. Eigentum bleibt eine zentrale Kategorie für die Legitimation kapitalistischer Gesellschaften, das gilt auch für den Besitzer der Ware Arbeitskraft. Insoweit konnte auch der Aufstieg des Neoliberalismus seit den 80er Jahren bei weiten Teilen der Lohnabhängigen Zustimmung finden. Die proklamierte Eigentümergesellschaft geriet erst in Erklärungsnöte, als es zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 kam. Die bürgerliche Vorstellung von Arbeit-Leistung-Einkommen und Eigentum geriet aus den Fugen und untergrub auch die Akzeptanz der kapitalistischen Eigentumsordnung. Auch die Idealisierung der „sozialen Marktwirtschaft“, die ebenso in der Linken anzutreffen ist, gerät unter Druck. Es hilft heute kein Zurück zu der Formel, dass Eigentum nur durch eigene Arbeit gerechtfertigt sei, wie es zeitweilig auch von Oskar Lafontaine propagiert wurde. Im Gegensatz dazu ging Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie sogar so weit, im Kredit und den Aktiengesellschaften Ansatzpunkte für die Gesellschaftsveränderung im Kapitalismus zu sehen. Das liegt darin begründet, dass zum Beispiel in der Aktiengesellschaft das Kapitaleigentum und auch die Arbeit getrennt sind von dem direkten Eigentum an den Produktionsmitteln sowie der Geschäftsführung. Damit sieht Marx die Aktiengesellschaften als Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Eigentums der Aktionäre in gesellschaftliches Eigentum. Das bedeutet auch, das die Linke neben dem dominierenden gesellschaftlichen Eigentum in Unternehmen auch andere Eigentumsformen wie Genossenschaftseigentum, Staatseigentum und auch weiterhin Privateigentum für eine nachkapitalistische Ordnung ins Auge zu fassen hat. Ein wesentlicher Grund, weswegen der Realsozialismus gescheitert ist, lag darin, dass Sozialismus und verschiedene Eigentumsformen sowie Marktverhältnisse für nicht miteinander vereinbar erklärt wurden.

Es wird zwar die Stunde des dominierenden Privateigentums an den Produktionsmitteln schlagen, auf der Tagesordnung steht allerdings der Aufbau einer Wirtschaftsdemokratie und einer demokratischen Steuerung der Unternehmen. Der Kampf gegen die Dominanz der Vermögensbesitzer und ihren Vertretern in Fonds und Kapitalanlagegesellschaften muss ein wesentlicher Inhalt linker Politik sein. Anzuknüpfen ist an den gesellschaftlichen Erosionsprozessen des Neoliberalismus mittels einer Bündnispolitik zwischen Linkspartei, Grünen, der Sozialdemokratie, Gewerkschaften und alternativen demokratischen Organisationen. Es muss eine emanzipatorische Perspektive gegen die Ansprüche der Kapitaleigentümer sichtbar gemacht werden.  Eine solche Politik wird gesellschaftlich nur durchsetzbar sein, indem Löhne, soziale Sicherheit, die Förderung von Qualifikationen, Bildung, Schutz der Umwelt, eine soziale Wohnungspolitik und eine soziale Migrationspolitik und einiges mehr  zum Maßstab linker Politik werden und das auch von großen Teilen der Bevölkerung  als Wende zum Besseren anerkannt wird. Das wäre dann auch das Ergebnis einer umfassenden Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, die eine Vielzahl von Hinweisen gibt, wie die Schranken der Bewusstseinsentwicklung hin zu einer emanzipatorischen Politik überwunden werden können.

  •  Als Grundlage des Aufsatzes dienten:

Karl Marx, Kapital Band 1-3

Karl Marx, Die Deutsche Ideologie

W.I.Lenin, Gesammelte Werke

Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke

Bischoff u.a. Die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft 00000000000

Wirtschaftliche Entwicklung 2019

17. März 2019  Allgemein

Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2007/2008 wurde der Grundstein für einen wirtschaftlichen Aufschwung gelegt, der im Wesentlichen von den Notenbanken ausging. Sie verhinderten den globalen Finanzkollaps und kurbelten mit extrem niedrigen Zinssätzen und der Flutung der Finanzmärkte den Aufschwung an. Die inzwischen auslaufende Expansion war eine der längsten der Nachkriegszeit. Die Zentralbanken der entwickelten kapitalistischen Länder pumpten Billionen US-Dollars in die Wirtschaftskreisläufe, wobei sich die US-Ökonomie als Motor der langen Expansion erwies.

Inzwischen schwächt sich die Weltkonjunktur ab, wie eine Untersuchung der OECD feststellt. Vor allem die entwickelten kapitalistischen Länder werden von dem Abwärtstrend erfasst. Das bestätigen auch wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute wie zum Beispiel das Kieler Institut für Weltwirtschaft und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Schon in der 2.Hälfte des Jahres 2018 stagnierte die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts global, besonders bedingt durch die Entwicklung des Außenhandels. Als Reaktion auf die Abschwächung hat die US-Notenbank (FED) einen Kurswechsel eingeleitet. Nachdem sie seit 2015 in mehreren Schritten die Nullzins-Politik gelockert und ihre Ankaufspolitik von Wertpapieren zurückfuhr, um eine Überhitzung der Wirtschaft und inflationäre Tendenzen zu vermeiden, hat sie nun deutlich gemacht, dass sie den Kurswechsel weiterführt und die staatliche Ausgabenpolitik und auch die Geld- und Kreditpolitik der Notenbank wieder eher expansiv ausgerichtet werden. Das wird voraussichtlich einen positiven Wachstumstrend hervorrufen, obwohl nicht unterschlagen werden darf, dass es weitere Anzeichen für ein Auslaufen der Expansionsentwicklung gibt. Die Verbindlichkeiten von Unternehmen, Banken und Konsumenten haben auf hohem Niveau weiter zugenommen und die Vermögenspreisblase zu platzen droht. Es kommt hinzu, dass auch die Wirtschaft der VR China schwächelt, ein möglicherweise ungeregelter Brexit droht, die Eurozone insgesamt lahmt und die US-Administration Handelskriege beginnt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) benennt drei Risiken:

1.Die Verschärfung des Protektionismus

2.Die Rückkehr zu niedrigen Zinsen könnte Unsicherheit erzeugen

3. Die Wertpapiere und Immobilien an den Märkten sind weit überbewertet

Der Konjunkturzyklus hat seinen Scheitelpunkt überschritten, obwohl die ultralockere Geldpolitik die Probleme übertüncht hat. Die Grundlage der Wirtschaftsentwicklung bleibt der Konjunkturzyklus, selbst wenn versucht wird, die Probleme durch Verschuldungspolitik zu entschärfen. Kreditpolitik kann den Zyklus modifizieren und ist seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts immer wichtiger geworden. Durch die Liberalisierung der Finanzmärkte und auch die die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse entstanden Voraussetzungen für Aufschwünge aber auch für Abschwünge bei Rücknahme der Verschuldungspolitik. Insgesamt gilt, dass die Trendwende bei den kapitalistischen Hauptländern eine Gradwanderung bleibt. Schon eine kleine Abschwächung der Niedrigzinspolitik kann Marktturbulenzen auslösen und zu einem Abwärtstrend der Konjunktur führen ebenso wie gerade diese Politik die Spekulationsblase bei Wertpapieren und Immobilien zum Platzen bringen kann. Wirtschaftsbeobachter gegen allerdings für 2019 nur von einer leichten Abschwächung der Wirtschaftsentwicklung aus. Nouriel Roubini, ein international anerkannter Ökonom, meint dazu:

„Doch falls sich einige der skizzierten negativen Szenarien verwirklichen, könnte der synchronisierte Abschwung 2019 zu einem weltweiten Wachstumseinbruch und steilen Marktabsturz in 2020 führen.“

(1)Siehe zu dem Aufsatz: Joachim Bischoff  in Sozialismus aktuell vom 15.3.2019 und Nouriel Roubini in www.project-indicate.org und weitere Links vom 8.2.2019. fffffffffffffff

Die SPD vor der Linkswende?

17. Februar 2019  Allgemein

Was in der SPD passiert, ist auch von großer Bedeutung für die Orientierung unserer Partei, insbesondere deswegen, weil auf Dauer eine linke Reformpolitik mit der SPD und den Grünen anzustreben ist. Der SPD-Vorstand hat nun eine Konzeption für eine Erneuerung des Sozialstaats beschlossen. Die Frage ist, ob es hier um eine wirkliche Erneuerung der SPD oder eher um eine wahlpolitische Abkehr von Hartz IV geht?

Nach dem Vorschlag für eine Respekt-Rente hat die SPD nun eine Konzeption für eine Neuordnung der Arbeitswelt und eine Stärkung der Lohnarbeit präsentiert. Ein Großteil der Medien und der politischen Konkurrenzparteien sehen einen Linksruck der SPD und die Vorbereitung für den Ausstieg aus der Großen Koalition. Die CDU wittert bereits eine Systemkritik und die SPD plane eine Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft. Diese Kritik wird von der SPD-Spitze vehement zurückgewiesen. Fest steht allerdings, dass die SPD durch ihre Konzeption einen zentralen Nerv unserer Gesellschaft getroffen hat. Es wird nun in der SPD vieles davon abhängen, ob der neue Kurs innerparteilich durchgehalten wird und ob sich eine höhere Akzeptanz in der Wahlbevölkerung entwickeln wird. Klar ist auch, dass die programmatische Debatte den Konsens in der Große Koalition erschwert, allerdings gibt es rote Linien, wenn man an der Koalition festhalten will. Die SPD-Konzeption enthält folgende Aspekte:

1.Für jeden Mitbürger und jede Mitbürgerin muss Arbeit und Teilhabe ermöglicht werden.

2.Der Sozialstaat muss den veränderten Bedingungen der Arbeitswelt angepasst werden.

3.Faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen sind Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben.

4.Es müssen eine umfassende Tarifbindung, eine Stärkung der Gewerkschaften und eine Anhebung des Mindestlohnes vollzogen wird Die Ziele müssen ein guter Tariflohn, eine Abschaffung des Vetorechtes der Arbeitgeber bei Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und der Ausbau der Mitbestimmung sein.

5.Die Beschäftigten der Plattformwirtschaft sollen eine gute soziale Absicherung und Mindesthonorare erhalten.

6.Es muss einen gesetzlichen Anspruch auf Weiterbildung geben.

7. Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden. Allerdings will die SPD an den Regelsätzen festhalten und ein Lohnabstandsgebot erhalten. Die Regelsätze bei der Mindestsicherung müssen jedoch dingend erhöht werden, was auch Sozialverbände seit langem fordern.

Das Projekt der SPD wird von der Linkspartei und den Grünen als Schritt in die richtige Richtung angesehen. Es wird als Beitrag zur Zivilisierung des Kapitalismus verstanden. Die Gegenfinanzierung des Projektes bleibt jedoch noch unklar. Im Gespräch ist die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Vermögenssteuer. Das Projekt könnte aber noch innerparteilich und im gesellschaftlichen Diskurs scheitern. Insbesondere muss dringend der Niedriglohnsektor angegriffen werden, denn 40 Prozent der Lohnarbeiter haben die verbesserte Kapitalakkumulation der letzten Jahre nicht gespürt mit der Konsequenz einer wachsenden Altersarmut. Trotzdem ist festzuhalten, dass die SPD an der sozialen Gestaltung der Plattformökonomie arbeitet. Nach einer langen Phase der Illusion arbeitet sie an der Bekämpfung der sozialen Spaltung und könnte einen Schritt in die Richtung einer reformorientierten Linksregierung gehen.

(1)Zusammenfassung von Sozialismus aktuell vom 12.2.19

Die SPD, die Grünen und eine linke Reformpolitik

04. Dezember 2018  Allgemein

Es findet augenblicklich eine radikale Umwälzung in den politischen Kräfte-verhältnissen in fast allen kapitalistischen Hauptländern statt, eine nationale Abschottung, Protektionismus und eine massive politische Rechtsverschiebung. Die Migrationsbewegung droht zu einer großen Zerreißprobe Europas zu werden. In der Bundesrepublik gehören Schwierigkeiten in der Regierungspolitik und das Finden einer gemeinsamen politischen Linie inzwischen zum politischen Alltag. Die Politik der SPD war jahrelang durch die Illusion gekennzeichnet, durch einen „Neoliberalismus Light“ die Wirtschaft und die Reformpolitik beleben zu können. Inzwischen ist diese Illusion weitgehend verschwunden und die SPD versucht, aus ihrer Sackgasse herauszukommen. Die bisherigen Versuche sind allerdings wenig überzeugend, was an den Wählerumfragen deutlich ablesbar ist.
Die Partei Bündnis90/ Die Grünen schickt sich inzwischen an, zur zweitstärksten politischen Kraft in der Bundesrepublik zu werden. Sie bezieht eine deutliche Gegenposition zum Rechtspopulismus und versucht, eine neue Sozialstaatskonzeption zu finden. Robert Habeck, der Ko-Vorsitzende der Grünen, will „das Garantieversprechen des Sozialstaats erneuern und einen Weg finden, wie wir das Hartz-IV-System hinter uns lassen“ (2). Er stellt richtig fest, dass das Hartz-System für ausbleibende Reallohnsteigerungen und das Entstehen eines Niedriglohnsektors verantwortlich ist. Es gebe heute zwar einen Mindestlohn, aber trotzdem arbeiteten viele Menschen für niedrige Löhne und unter miserablen Arbeitsbedingungen. Er plädiert für ein modernes Arbeitsrecht und will durch eine große Sozialstaatsreform den Rechtspopulismus zurückdrängen.
Wer das will, der muss über den Kapitalismus heute sprechen. Davon ist die Sozialdemokratie jedoch noch meilenweit entfernt. Ob eine Rot-Rot-Grüne Bündnispolitik eine Perspektive haben kann, entscheidet sich an dieser Frage und vor allem an der weiteren Entwicklung der SPD. Es herrscht inzwischen auch in der SPD die Auffassung vor, für den Niedergang der Partei seien die Agenda 2010 und das Hartz IV-System verantwortlich. Andrea Nahles hält allerdings immer noch an der Auffassung fest, die Agenda 2010 sei unter den damaligen Bedingungen notwendig gewesen und weist der Politik der Großen Koalition die Schuld für den Niedergang der SPD zu. Sie schlägt deswegen auch ein neues Konzept „Sozialstaat 2025“ vor. Ein Großteil des Konzeptes soll dazu dienen, eine Reform des Hartz IV-Systems zu erreichen. Die Bedürfnisse der Menschen, die Leistungsgerechtigkeit und die Sicherung des Existenzminimums sollen im Mittelpunkt stehen. Was allerdings fehlt ist die Erkenntnis, dass eine Reform des Sozialstaats ohne grundlegende Eingriffe in die Ökonomie unvollständig bleibt. Die Probleme beginnen bereits in der Primärverteilung im gesellschaftlichen Produktionsprozess, ohne Eingriffe hier werden in nachgeordneten Bereichen sich die Probleme auf Dauer nicht beheben lassen.
Es wird nicht erkannt, dass wir seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in allen kapitalistischen Ländern eine sogenannte chronische Überakkumulation haben. „Das enorm gewachsene Gewicht des Eigentums und der Vermögensbestände bricht sich über die Bewegung des Geldkapitals Bahn. Die Realakkumulation kommt ins Stocken…, in den Verteilungsverhältnissen registrieren wir schrittweise die Hegemonie des leistungslosen Einkommens (Zinsen). Der Übergang zu weitgehend ungeregelten Geld- und Kreditmärkten setzt eine beschleunigte Akkumulation des Finanzkapitals in Gang“. (3) Diese Entwicklung wurde noch durch die neoliberale Politik befördert und endete in der Finanzkrise 2007/2008. Seitdem haben wir einen Trend zunehmender sozialer Ungleichheit.
In dieser Situation veranstaltete die SPD im November 2018 ein sogenanntes Debattencamp. Hier ging es um einen partiellen Umbau des Sozialstaates mit dem Ende von Hartz IV als Lösung der Probleme. Aus linker Sicht wird die SPD aber mit diesem beschränkten Ansatz die Zukunftsdebatte nur unzureichend gestalten können. Was nötig wäre, wäre ein kohärentes Programm eines transformatorischen Wandels unserer Wirtschaftsordnung. Jedes noch so gut gemeintes Sozialprogramm wird scheitern, wenn die gesellschaftliche Wertschöpfung und ihre Verteilung unberührt bleiben. „Vor dem Hintergrund der sozialen Ungleichheit durch eine ungesteuerte Kapitalakkumulation sind eine öffentliche Investitionssteuerung und die Etablierung des demokratisch-öffentlichen Eigentums eine Chance für eine umfassende Dezentralisierung der Wirtschaftsmacht. Es ist eine Möglichkeit, den Menschen die Kontrolle über ihr Leben zu geben, nicht nur jenseits der Werktore und der öffentlichen und privatkapitalistischen Verwaltungen, sondern auch in der Arbeit selbst.“(4) Die Entwicklung einer Wirtschaftsdemokratie ist die Voraussetzung für eine echte politische Demokratie.
Der Mangel der politischen Konzeption der SPD setzt sich fort in der Regierungsarbeit der Großen Koalition. Auch hier fehlt eine Transformationsperspektive, die an die Wurzel der Probleme des Finanzkapitalismus herangeht und ein nachvollziehbares Konzept der sozialen Veränderung, das zu einer wirklichen Verbesserung der Lage der Menschen führt. Es ist deswegen Aufgabe der Linken ein solches Konzept zu erarbeiten und in der Öffentlichkeit vorzustellen. Ein linkes Konzept muss darstellen, wie kurz- und mittelfristige Reformen zu langfristigen Strukturveränderungen des Kapitalismus führen. Die Reformagenda hat viele Maßnahmen zu ergreifen. Es geht um die Verteilungsgerechtigkeit von Einkommen und Vermögen, die Erschließung neuer Techniken und ihre Verbindung mit der Humanisierung der Arbeitswelt, eine wirtschaftsdemokratische Organisation der Unternehmen, die Stabilisierung öffentlicher Finanzen im Rahmen einer sozial gerechten Steuerpolitik, den Einstieg in eine öffentliche Strukturpolitik mit einer Investitionssteuerung, den Umbau des Sozialstaates mit einer Bürgerversicherung im Zentrum, das Herangehen an die Wohnungsfrage und eine soziale Zuwanderungspolitik.

Eine Reformagenda stößt allerdings an die Grenzen der privaten Kapitalverwertung und weist darauf hin, dass weitere ökonomische, soziale, ökologische und politische Fortschritte nur durch grundlegende Strukturveränderungen der Wirtschaftsordnung zu haben sein werden. An dieser Stelle entsteht die Aufgabe der Linken, genau den Charakter und die Perspektiven der Strukturveränderungen darzustellen. Nach Lage der Dinge stößt die Linke sehr schnell auf Ablehnung, wenn ein demokratischer Sozialismus als Perspektive angesprochen wird, vor allem als Folge der Erfahrungen mit dem Realsozialismus. Welche Konsequenzen sollte die Linke somit ziehen, wenn über die Reformagenda hinaus eine langfristige Strukturveränderung der Gesellschaft angesprochen werden muss?
Es geht vor allem darum, die Fehler des realen Sozialismus schonungslos offenzulegen und die Eckpunkte eines modernen Sozialismus vorzustellen. Die Fehler des realen Sozialismus bestanden vor allem darin, die marktwirtschaftliche Steuerung und den Sozialismus als unvereinbar zu betrachten. Das führte zu einer Überbelastung der staatlichen Haushalte, weil extrem niedrige Konsumgüterpreise, sehr niedrige Mieten, und niedrige Verkehrs- und Kulturtarife zur massiven Subventionierung führten und als „sozialistische Errungenschaften“ gefeiert wurden. Es kam hinzu, dass die Güterqualität häufig minderwertig war und die Menschen mit ausländischer Valuta in die Intershops getrieben wurden. Viele Menschen verließen das Land in den „goldenen Westen.“ Das Planungssystem war gründlich diskreditiert und die Parteiführungen reagierten mit der Beschränkung von persönlichen Freiheiten. Die Konsequenz, die Linke heute zu ziehen haben, besteht darin, dass in einem demokratischen Sozialismus nicht eine Planungsbehörde über die Produktion und gesellschaftlichen Bedürfnisse zu entscheiden hat, sondern es muss eine Entscheidung der BürgerInnen über den Markt erfolgen. Sozialistische Produktionsverhältnisse und die Steuerung der Märkte sind die Merkmale einer sozialistischen Marktwirtschaft. In einer solchen Wirtschaftsordnung werden die Entscheidungsmöglichkeiten der Lohnabhängigen schrittweise erweitert und das Privateigentum an den Produktionsmitteln sowie das Direktionsrecht der Kapitalisten zurückgedrängt. Das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und eine wirksame Steuerung der Märkte müssen dominieren. Diesen Weg einzuschlagen wird nur möglich sein, wenn Bündnispartner der Linkspartei, wie die SPD, Grüne und alternative Organisationen hierfür gewonnen werden können und vor allem die Mehrheit der Bevölkerung. Eine linkspluralistische Reformregierung wird die Beendigung der Austeritätspolitik als Anfangspunkt setzen müssen. Es gilt vor diesem Hintergrund kurz- und mittelfristige Vorschläge und Maßnahmen zu einem stimmigen Gesamtpaket zusammenzubringen. Die Einzelforderungen müssen in ihrer Gesamtheit die Perspektive einer strukturellen Gesellschaftsveränderung erbringen und die kritische Schwelle für einen grundlegenden Politikwechsel überschreiten. Es muss sich die Überzeugung verbreiten, dass nur durch einen demokratischen Sozialismus eine bessere Gesellschaft entstehen kann. Die große Mehrheit der Bevölkerung muss das Gefühl und die Überzeugung haben, dass nur durch die Hegemonie eines linkspluralistischen Bündnisses eine wirkliche Veränderung ihres Lebens hin zum Positiven erreichbar ist. Diese Hegemonie gilt es auf demokratische Weise gegen Gegner dieser Entwicklung in der Wirtschaft, Politik und Medien zu halten und auszubauen.

(1) Siehe Zeitschrift Sozialismus, Heft 12, 2018 S.12-19 und Stephan Krüger, Soziale Ungleichheit, Hamburg 2017, S.529ff
(2) Robert Habeck, www.grüne.de und weitere Links
(3) Sozialismus a.a.O. S.15
(4) a.a.O. S.18

Jeremy Corbyn, die Labour Party und linke Politik

13. November 2018  Allgemein

Seit Jeremy Corbyn die Spitze der Labour Party in Großbritannien bildet, erlebt die Partei einen beispiellosen Boom. Sie hat inzwischen 540.000 Mitglieder und konnte trotz der Angriffe führender Medien und Richtungskämpfen in der Partei bei den Wahlen 2017 40 Prozent der Wählerstimmen erringen. Die Partei hat unter Corbyn eine wichtige Konsequenz gezogen, es wurde erkannt, dass spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008 der Reichtum im Kapitalismus in die falsche Richtung verteilt wird (1).Corbyn spricht sich klar für eine Anti-Austeritätspolitik aus und setzt sich eindeutig von der Politik des sogenannten „ Dritten Weges“ von Blair und Schröder ab. Er will eine Politik betreiben, bei der „überall in Europa Bürger wieder daran glauben können, dass sie eine Zukunft haben“ (2). Das gehe nur, wenn der Reichtum neu verteilt werde und bestimmte Infrastruktureinrichtungen, zum Beispiel das Strom- und Eisenbahnnetz, wieder in öffentliches Eigentum überführt würden. Corbyn strebt ein Europa an mit Gesellschaften, „die für alle da sind und nicht für ein paar Wenige“ (3). Es gilt also die Losung: „For the many not the few.”

Das Interview mit Jeremy Corbyn ist vor dem Hintergrund des Parteitages der britischen Labour-Party von Ende September 2018 zu beurteilen (4). Hier wurden die Kernpunkte eines zukünftigen Regierungsprogramms diskutiert. Es zeigte sich, dass die Labour Party um die Ausgestaltung eines neuen Gesellschaftsprojektes ringt. Wichtig waren insbesondere die Diskussionen über eine alternative Wirtschaftspolitik, die Probleme der Umsetzung eines Austritts aus der EU und die Perspektiven einer Regierungsübernahme. Dem konservativen Weg der Rückgewinnung einer nationalstaatlichen Souveränität wurde die progressive Perspektive der Wiederaneignung der Arbeits- und Lebenswelt durch die Lohnabhängigen entgegengestellt. Vor dem Hintergrund einer immensen sozialen Ungleichheit werden das öffentliche Eigentum und eine umfassende Dezentralisierung der Wirtschaftsmacht als eine Möglichkeit gesehen, den Menschen ein direktes Mitspracherecht bei Entscheidungen über Arbeitszeiten, Löhnen, Investitionen, neuen Technologien, Gesundheit und Sicherheit einzuräumen. Es soll ein umfassendes Investitionsprogramm des Staates verabschiedet werden, dessen Finanzierung nicht nur aus dem Staatshaushalt, sondern auch aus den Mitteln einer Nationalen Investitionsbank erfolgen soll. Es geht um eine Wirtschaftsdemokratie, die folgende Merkmale enthalten soll:

1.Die Einbeziehung der Beschäftigten und der Zivilgesellschaft allgemein in die wirtschaftliche Entscheidungsfindung.
2.Die Erschließung des Erfahrungswissens der Beschäftigten und der Nachfrager öffentlicher Güter.
3.Die Stärkung der kommunalen Gebietskörperschaften.
4.Die Stärkung der bisher ausgeschlossenen Gruppen und Einzelpersonen.

Es wird somit von der Labour Party eine Gesamtkonzeption für eine progressive Gesellschaft vorgestellt. Diese Konzeption gilt es mehrheitsfähig zu machen. Zu den wirtschaftsdemokratischen Vorschlägen kommen noch weitere wichtige Vorschläge hinzu, zum Beispiel die Errichtung eines Kollektivfonds, in den alle Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten einzuzahlen haben. Er soll dazu dienen, eine öffentlich kontrollierte Investitionspolitik der Unternehmen durchzuführen. Die Labour Party knüpft hier an ein Projekt der schwedischen Gewerkschaften aus den 70er Jahren an.
Was den Brexit angeht, wurde auf dem Parteitag der Labour Party ein weiteres Referendum zum Brexit nicht ausgeschlossen, nachdem vor der Wahl 2017 die Option Corbyns „Bleiben und Reformieren“ keine Mehrheit in der Partei fand. Jetzt soll die Tür für ein umfassendes wirtschaftsdemokratisches Konzept auf europäischer Ebene offengehalten werden. Da die Konservativen im Rahmen des Brexits bzw. Austrittsvertrages total zerstritten seien, ließe sich eine gesellschaftliche Krise nur durch Neuwahlen verhindern. Das politische Vakuum, das die Konservativen hinterlassen würden, könnte die Labour Party füllen.
Die Politikkonzeption der Labour Party könnte für unsere Partei und linke Mehrheiten in der SPD und den Grünen beispielgebend für eine Bündnispolitik sein. Es sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass zur Erringung der Hegemonie progressiver Kräfte im Lande eine echte Alternative zur Austeritätspolitik notwendig ist. Die Ablehnung und Bekämpfung der Austeritätspolitik und die Durchsetzung ökonomischer und sozialer Sofortmaßnahmen muss der Beginn einer schrittweisen Veränderung hin zu wirtschaftsdemokratischen Veränderungen sein. Das geht allerdings nur, wenn es gelingt, diese Politik mehrheitsfähig zu machen und in der Bevölkerung eine inhaltliche und auch affirmative Zustimmung zu erreichen. Eine noch schwierigere Aufgabe wird es sein, eine Überwindung des Finanzkapitalismus und das Ziel eines demokratischen Sozialismus anzusteuern. Das wird nicht gehen ohne eine Kritik an der Struktur des abgelaufenen Realsozialismus und eine Menge Überzeugungsarbeit für einen demokratischen Sozialismus, der ein Projekt im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung und nicht der Wenigen darstellt. Das ist dann auch der Weg, um die Welle des Rechtspopulismus aufzuhalten und zurückzudrängen.

1) Siehe Spiegelinterview mit Jeremy Corbyn vom 10.11.18 S.96
2) a.a.O. S.96
3) a.a.O. S.98
4) Siehe Sozialismus Aktuell vom 2.10.18

Der Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung

06. September 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ wurde gegründet und gleichzeitig ein Gründungsaufruf veröffentlicht, der im Internet nachzulesen ist (1). Die Autorinnen und Autoren wollen ihn verstanden wissen als eine Darstellung der grundsätzlichen Gesinnung der Bewegung und nicht als den Beginn einer Parteigründung.

Der Inhalt des Aufrufs.

1.Es wird zuerst festgestellt, dass heute nur noch Werte zählen, die sich an der Börse handeln lassen und wir in einem Land voller Widersprüche leben. Einerseits werden international gefragte Autos und Maschinen gebaut, andererseits herrscht öffentliche Armut, ablesbar zum Beispiel am Lehrermangel und maroden Schulen. Es werden Banken gerettet und Konzerne subventioniert, viele Menschen werden aber nicht vor Armut geschützt. Die soziale Marktwirtschaft mache Aufstiegsversprechen, die sie nicht mehr halten könne. Das drücke sich aus in Leiharbeit, Niedriglohnjobs und einer großen Einkommensschere sowie Vermögensungleichheit und einer schlecht bezahlten sozialen Arbeit.
2.Die Gewinner dieser Entwicklung sind nach Auffassung der Autorinnen und Autoren große Konzerne, Wohlhabende und hoch Qualifizierte. Im Gegensatz dazu habe die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland heute ein geringeres Realeinkommen als Ende der neunziger Jahre. Die Ärmsten der Armen müssen an den Tafeln um überlagerte Lebensmittel kämpfen. Der Sozialstaat gebe keine ausreichende Sicherheit mehr. Besonders dramatisch sei die Lage am Wohnungsmarkt seit renditeorientierte Investoren hier den Takt bestimmten.
3.Die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts führe zu Unzufriedenheit, empfundener Ohnmacht und Hass und Intoleranz. Die Flüchtlingsentwicklung habe zu einer zusätzlichen Verunsicherung geführt. Die Regierung Merkel habe unverantwortlich gehandelt, indem in dieser Situation Städte, Gemeinden und ehrenamtliche Helfer allein gelassen wurden und sich der Mangel an Sozialwohnungen, überforderten Schulen und fehlenden Kita-Plätzen weiter verschärft habe.

4.In den internationalen Beziehungen ersetze wieder das Faustrecht die Diplomatie. Es gehe um Rohstoffe und geopolitischen Einflusszonen als Ursache dieser Entwicklung. Die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes der Atommächte werde größer, zwischen dem Westen und Russland herrsche Eiszeit. Es komme heute darauf an, gegen eine auf Konflikt orientierte US-Politik anzugehen und sich auf das Erbe der Friedenspolitik W. Brandts zu besinnen.
5.Es sei eine Lüge, die aktuelle Politik sei alternativlos. Soziale Ungleichheit sei keine Naturgewalt und der globale Finanzkapitalismus, der Konzerne und Vermögende begünstige, sei das Ergebnis politischer Entscheidungen. Ein fairer internationaler Handel sei zu bejahen, aber nicht die Betrachtung von Beschäftigten als Spielball von Renditezielen. Die Bürger seien vor dem entfesselten Dumpingwettbewerb des Finanzkapitalismus zu schützen.
6.Eine marktkonforme Demokratie habe die Menschen von der Politik entfremdet. Deswegen wollen die Autorinnen und Autoren des Aufrufs eine neue Politik, denn es gebe in der Bevölkerung Mehrheiten für eine Friedens- und Abrüstungspolitik, für höhere Löhne, bessere Renten, gerechtere Steuern und mehr soziale Sicherheit. Es gebe allerdings keine mehrheitsfähige Parteienkoalition, die für eine solche Politik steht. Deswegen wolle sich die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ ein detailliertes Programm in einem transparenten Diskussionsprozess erarbeiten. Die Bewegung wolle aufklären, eine Diskussion organisieren und gesellschaftlichen Druck entfalten und ihre Forderungen auf die Straße und in die Politik tragen.

Eine kritische Würdigung des Aufrufs.

Die Autorinnen und Autoren gehen vom aktuellen Finanzkapitalismus aus und stellen richtig fest, dass in dieser Gesellschaft eine Menge von Widersprüchen bestehen, u.a. eine ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung und massive soziale Probleme. Insgesamt sind die Aussagen allerdings häufig sehr vage und wenig konkret. Man kann gespannt sein, was in dieser Hinsicht der Diskussionsprozess in der Sammlungsbewegung erbringt. Was jedoch schon jetzt feststellbar ist sind verschieden theoretische Unschärfen, gerade bei der Charakterisierung des Finanzkapitalismus. Er wird als Gesellschaft großer Konzerne, Wohlhabender und Hochqualifizierter dargestellt. Aus linker theoretischer kommt es darauf an, dass nicht auf dem Boden der bürgerlichen Ökonomie verblieben wird und ein Bild des Kapitalismus entworfen wird, in dem kleine und mittlere Unternehmen zum Ideal erklärt werden, quasi im Gegensatz zu den großen Kapitalgesellschaften. Es ist im Rahmen einer linken Politik notwendig, erstens eine starke Regulierung des Finanzsektors mit einer weitgehenden staatlichen Kontrolle von Banken und anderen Kapitalsammelstellen vorzunehmen. Bestimmte Fonds, die nur der Spekulation dienen, sind ganz zu verbieten. Der Nicht-Finanzsektor ist zweitens so umzugestalten, dass auf Dauer eine wirtschaftsdemokratische Struktur mit einem Zurückdrängen der Herrschaft der Aktionäre und einem erheblichen Zuwachs der Entscheidungsmöglichkeiten der Beschäftigten sowie außerbetrieblicher Gruppen, beispielsweise Kommunen, erreicht wird. Wenn die Diskussion in der Sammlungsbewegung nicht in dieser Richtung geführt wird, wird man im schlechtesten Fall in einer ordoliberalen Sackgasse landen. Es ist allerdings zu hoffen, dass in den Diskussionen ein Weg auf Basis der Marxschen und Keynesschen Theorie gefunden wird.

Der Einbezug der Beschäftigten und außerbetrieblichen Gruppen auf Basis gesamtgesellschaftlicher Vorgaben in den betrieblichen Entscheidungsprozess, vor allem der Investitionsentwicklung, wird die ökonomische, soziale und politische Verantwortung der Bürger erhöhen und einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen Unzufriedenheit, empfundene Ohnmacht sowie Hass und Intoleranz leisten können. So kann der Rechtspopulismus Schritt für Schritt zurückgedrängt werden, der ja gerade nicht eine grundlegende Strukturveränderung des Kapitalismus im Auge hat. Es bleibt abzuwarten, ob die Autorinnen und Autoren des Gründungsaufrufs die Diskussion in dieser Richtung weiterentwickeln.
Es ist zuzustimmen, dass in den internationalen Beziehungen das Faustrecht wieder um sich zu greifen droht. Es ist allerdings zu wenig, sich nur auf das Erbe der Friedenspolitik W. Brandts berufen zu wollen. Brandts Friedenspolitik in den 60er und 70er Jahren wurde unter gänzlich anderen gesellschaftlichen Bedingungen betrieben. Es war die Zeit der Systemkonkurrenz und des Kalten Krieges und auch, was wichtig ist, in einer Zeit des noch prosperierenden Kapitalismus. Heute kommt es darauf an, durch einen Kampf gegen den Finanzkapitalismus und für die Verwirklichung einer internationalen Prosperität die internationalen Konfliktpotentiale zu entschärfen. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen dem innergesellschaftlichen Kampf gegen den Finanzkapitalismus und seinen sozialen Verwüstungen und der außenpolitischen Entspannung zwischen den Nationen. Eine sogenannte marktkonforme Demokratie wird auch in der internationalen Politik in die Sackgasse führen.

Wenn es richtig ist, dass für Friedenspolitik, höhere Löhne, bessere Renten, gerechtere Steuern und mehr soziale Sicherheit augenblicklich schon Mehrheiten existieren, dann ergibt sich natürlich die Frage, wie das in politisches Handeln umgesetzt werden kann. Die Autorinnen und Autoren des Gründungsaufrufs beabsichtigen, auf Basis neuer Diskussionsstrukturen ein detailliertes Programm zu entwickeln und stellen fest, dass es augenblicklich keine mehrheitsfähige linke Parteienkoalition gibt. Die logische Konsequenz wäre dann, auf Basis dieses Programms und neuer umfangreicher Diskussionsstrukturen zu einer Neugründung einer linken Partei zu kommen. Wenn aber eine solche Spaltung der Linken vermieden und auch nicht angestrebt werden soll, dann wäre doch die einzige Alternative, den Diskussionsprozess der Sammlungsbewegung in die Linkspartei, die SPD und die Grünen hineinzutragen und auf diese Weise zu erreichen, dass eine mehrheitsfähige linke Parteienkoalition entsteht. Das läuft aber dann auf eine Bündnispolitik der drei Parteien hinaus, die auf absehbare Zeit zu einem Politikwechsel in der Bundesrepublik und darüber hinaus führen muss. Wenn die Diskussion in der Sammlungsbewegung in diesem Sinne geführt würde, könnte auch ein positiver Beitrag zu einer politischen Veränderung geleistet werden.

(1) www.aufstehen.de/gründungsaufruf/und weitere Links

Linke Sammlungsbewegung oder linke Bündnispolitik? (1)

04. August 2018  Allgemein

Seit Monaten fordern Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine eine linke Sammlungsbewegung, weil links der Mitte partout keine neue Machtbasis entstehen will. Oskar Lafontaine will die Gerechtigkeitsthemen wieder stärker aufgreifen, damit verspricht er sich eine große politische Resonanz. Gegen ein solches Ziel ist aus linker Sicht natürlich nichts zu sagen, wobei die Frage zu stellen ist, ob es dazu einer Sammlungsbewegung jenseits der Linkspartei bedarf. Sahra Wagenknecht erklärte, das Projekt solle als „digitale Plattform“ beginnen und schließlich zu Veranstaltungen, Konferenzen, Straßenaktivitäten etc. führen. Das klingt allerdings eher nach Strukturen, die von Parteien im Rahmen eines linken Minimalkonsenses getragen werden können. Das Problem ist jedoch, dass durch den beabsichtigten Aufbruch die bestehenden Parteien, einschließlich der Linkspartei, einer grundsätzlichen Kritik unterzogen werden, insbesondere was ihre programmatische Ausrichtung und ihre politische Arbeit angeht. Es ist zu sehen, welche Kritik auch an der Linkspartei vorgebracht wird?

Es wird auf Podemos in Spanien, Melenchon in Frankreich und Corbyn in Großbritannien verwiesen, wo die soziale Frage in den Mittelpunkt gestellt worden sei. Dass bei uns die AFD in den Bundestag einziehen konnte, habe damit zu tun, dass die SPD und die Linke den Kontakt zum ärmeren Teil der Bevölkerung verloren habe. Abgesehen davon, dass eine Übertragung der Situation anderer Länder auf uns immer problematisch ist, liegt hier eine sehr vereinfachte Darstellung der politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik und des Aufstiegs der AFD vor. Es werden alle Parteien der Bundesrepublik bis auf die Linkspartei dem Spektrum des Neoliberalismus zugeordnet. Auf diese Weise wird ein Bündnis mit Teilen der SPD und der Grünen von Anfang an torpediert. Oskar Lafontaine wirft der SPD und den Grünen vor, sie seien zu sehr auf ihre eigene Partei fixiert, ohne dass von ihm gesagt wird, wie er sich eine Öffnung für ein Spektrum links der Mitte vorstellt. Die Aussagen, was das Neue an der Plattform der Sammlungsbewegung sein soll, beziehen sich darauf, dass eine Wiedergewinnung der Demokratie, eine leistungsgerechte Verteilung und ein friedliches Verhältnis zu anderen Ländern erreicht werden soll. In dieser Allgemeinheit wird auch wohl von der SPD und den Grünen nicht widersprochen werden.
Insgesamt weisen die Initiatoren der Sammlungsbewegung keine klare Zielbestimmung, eine unzureichende Kritik an der aktuellen bundesdeutschen Gesellschaft und auch keine Einordnung in die geopolitische Umbruchsituation auf. Während die AFD damit beginnt, ein Verknüpfung der sozialen Gerechtigkeit mit der Frage der nationalen Identität auf die Tagesordnung zu setzen, dominiert in der Linkspartei immer noch Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Das gilt zum Beispiel für die Frage, wie die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in eine kurz- und mittelfristige Perspektive unserer Politik einzuordnen ist. Das gilt auch für die Frage, welches Verhältnis zur Eurozone bzw.EU eingenommen werden soll und wie wir uns eine humane Flüchtlings- und Asylpolitik vorstellen. Es kann nicht darum gehen, von der Sammlungsbewegung ein umfassendes ökonomisches, politisches und soziales Programm zu verlangen, sondern es geht darum, wie auf die aktuelle bundesdeutsche und europäische Konstellation reagiert werden soll.
Dazu Bischoff/Radke in Sozialismus aktuell:
„ Solange nicht Vorstellungen darüber auf dem Tisch liegen, wie parteiübergreifend mit nachvollziehbaren Schritten Druck auf die Parteien links der Mitte aufgebaut werden kann, für einen Versuch, mit einem Politikwechsel und deutlichen Kurskorrekturen bei der sozialen Sicherheit sowie Eingriffen in die Verteilungsstrukturen eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse zu bewirken, läuft das Projekt der Sammlungsbewegung, sofern es nicht an sich selbst scheitert, auf eine Schwächung, ja weitere Spaltung der linken Kräfte in Deutschland hinaus.“ (2) Wenn allerdings der Druck nicht ausgeübt wird, können weder die Sozialdemokratie noch die Grünen und auch nicht die Linkspartei zu einem wichtigen Faktor der Erneuerung werden. Nur wenn die Verschiebung in den Verteilungsverhältnissen als Grund für Wut und Enttäuschung in der Bevölkerung allgemein anerkannt ist, wird es möglich sein, ein weiter reichendes Programm gesellschaftlicher Veränderung auf den Weg zu bringen. Die Aufgabe der Linken muss es also sein, glaubwürdige Reformen anzustreben und dafür Bündnispartner in der SPD, den Grünen, bei Gewerkschaften und auch außerparlamentarischen Gruppen zu finden.

(1) Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Bischoff/Radke: „Linke“ Sammlungsbewegung? in „Sozialismus aktuell“ vom 5.7.2018.
(2) a.a.O.