Allgemein

Die SPD vor der Linkswende?

17. Februar 2019  Allgemein

Was in der SPD passiert, ist auch von großer Bedeutung für die Orientierung unserer Partei, insbesondere deswegen, weil auf Dauer eine linke Reformpolitik mit der SPD und den Grünen anzustreben ist. Der SPD-Vorstand hat nun eine Konzeption für eine Erneuerung des Sozialstaats beschlossen. Die Frage ist, ob es hier um eine wirkliche Erneuerung der SPD oder eher um eine wahlpolitische Abkehr von Hartz IV geht?

Nach dem Vorschlag für eine Respekt-Rente hat die SPD nun eine Konzeption für eine Neuordnung der Arbeitswelt und eine Stärkung der Lohnarbeit präsentiert. Ein Großteil der Medien und der politischen Konkurrenzparteien sehen einen Linksruck der SPD und die Vorbereitung für den Ausstieg aus der Großen Koalition. Die CDU wittert bereits eine Systemkritik und die SPD plane eine Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft. Diese Kritik wird von der SPD-Spitze vehement zurückgewiesen. Fest steht allerdings, dass die SPD durch ihre Konzeption einen zentralen Nerv unserer Gesellschaft getroffen hat. Es wird nun in der SPD vieles davon abhängen, ob der neue Kurs innerparteilich durchgehalten wird und ob sich eine höhere Akzeptanz in der Wahlbevölkerung entwickeln wird. Klar ist auch, dass die programmatische Debatte den Konsens in der Große Koalition erschwert, allerdings gibt es rote Linien, wenn man an der Koalition festhalten will. Die SPD-Konzeption enthält folgende Aspekte:

1.Für jeden Mitbürger und jede Mitbürgerin muss Arbeit und Teilhabe ermöglicht werden.

2.Der Sozialstaat muss den veränderten Bedingungen der Arbeitswelt angepasst werden.

3.Faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen sind Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben.

4.Es müssen eine umfassende Tarifbindung, eine Stärkung der Gewerkschaften und eine Anhebung des Mindestlohnes vollzogen wird Die Ziele müssen ein guter Tariflohn, eine Abschaffung des Vetorechtes der Arbeitgeber bei Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und der Ausbau der Mitbestimmung sein.

5.Die Beschäftigten der Plattformwirtschaft sollen eine gute soziale Absicherung und Mindesthonorare erhalten.

6.Es muss einen gesetzlichen Anspruch auf Weiterbildung geben.

7. Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden. Allerdings will die SPD an den Regelsätzen festhalten und ein Lohnabstandsgebot erhalten. Die Regelsätze bei der Mindestsicherung müssen jedoch dingend erhöht werden, was auch Sozialverbände seit langem fordern.

Das Projekt der SPD wird von der Linkspartei und den Grünen als Schritt in die richtige Richtung angesehen. Es wird als Beitrag zur Zivilisierung des Kapitalismus verstanden. Die Gegenfinanzierung des Projektes bleibt jedoch noch unklar. Im Gespräch ist die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Vermögenssteuer. Das Projekt könnte aber noch innerparteilich und im gesellschaftlichen Diskurs scheitern. Insbesondere muss dringend der Niedriglohnsektor angegriffen werden, denn 40 Prozent der Lohnarbeiter haben die verbesserte Kapitalakkumulation der letzten Jahre nicht gespürt mit der Konsequenz einer wachsenden Altersarmut. Trotzdem ist festzuhalten, dass die SPD an der sozialen Gestaltung der Plattformökonomie arbeitet. Nach einer langen Phase der Illusion arbeitet sie an der Bekämpfung der sozialen Spaltung und könnte einen Schritt in die Richtung einer reformorientierten Linksregierung gehen.

(1)Zusammenfassung von Sozialismus aktuell vom 12.2.19

Die SPD, die Grünen und eine linke Reformpolitik

04. Dezember 2018  Allgemein

Es findet augenblicklich eine radikale Umwälzung in den politischen Kräfte-verhältnissen in fast allen kapitalistischen Hauptländern statt, eine nationale Abschottung, Protektionismus und eine massive politische Rechtsverschiebung. Die Migrationsbewegung droht zu einer großen Zerreißprobe Europas zu werden. In der Bundesrepublik gehören Schwierigkeiten in der Regierungspolitik und das Finden einer gemeinsamen politischen Linie inzwischen zum politischen Alltag. Die Politik der SPD war jahrelang durch die Illusion gekennzeichnet, durch einen „Neoliberalismus Light“ die Wirtschaft und die Reformpolitik beleben zu können. Inzwischen ist diese Illusion weitgehend verschwunden und die SPD versucht, aus ihrer Sackgasse herauszukommen. Die bisherigen Versuche sind allerdings wenig überzeugend, was an den Wählerumfragen deutlich ablesbar ist.
Die Partei Bündnis90/ Die Grünen schickt sich inzwischen an, zur zweitstärksten politischen Kraft in der Bundesrepublik zu werden. Sie bezieht eine deutliche Gegenposition zum Rechtspopulismus und versucht, eine neue Sozialstaatskonzeption zu finden. Robert Habeck, der Ko-Vorsitzende der Grünen, will „das Garantieversprechen des Sozialstaats erneuern und einen Weg finden, wie wir das Hartz-IV-System hinter uns lassen“ (2). Er stellt richtig fest, dass das Hartz-System für ausbleibende Reallohnsteigerungen und das Entstehen eines Niedriglohnsektors verantwortlich ist. Es gebe heute zwar einen Mindestlohn, aber trotzdem arbeiteten viele Menschen für niedrige Löhne und unter miserablen Arbeitsbedingungen. Er plädiert für ein modernes Arbeitsrecht und will durch eine große Sozialstaatsreform den Rechtspopulismus zurückdrängen.
Wer das will, der muss über den Kapitalismus heute sprechen. Davon ist die Sozialdemokratie jedoch noch meilenweit entfernt. Ob eine Rot-Rot-Grüne Bündnispolitik eine Perspektive haben kann, entscheidet sich an dieser Frage und vor allem an der weiteren Entwicklung der SPD. Es herrscht inzwischen auch in der SPD die Auffassung vor, für den Niedergang der Partei seien die Agenda 2010 und das Hartz IV-System verantwortlich. Andrea Nahles hält allerdings immer noch an der Auffassung fest, die Agenda 2010 sei unter den damaligen Bedingungen notwendig gewesen und weist der Politik der Großen Koalition die Schuld für den Niedergang der SPD zu. Sie schlägt deswegen auch ein neues Konzept „Sozialstaat 2025“ vor. Ein Großteil des Konzeptes soll dazu dienen, eine Reform des Hartz IV-Systems zu erreichen. Die Bedürfnisse der Menschen, die Leistungsgerechtigkeit und die Sicherung des Existenzminimums sollen im Mittelpunkt stehen. Was allerdings fehlt ist die Erkenntnis, dass eine Reform des Sozialstaats ohne grundlegende Eingriffe in die Ökonomie unvollständig bleibt. Die Probleme beginnen bereits in der Primärverteilung im gesellschaftlichen Produktionsprozess, ohne Eingriffe hier werden in nachgeordneten Bereichen sich die Probleme auf Dauer nicht beheben lassen.
Es wird nicht erkannt, dass wir seit der Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in allen kapitalistischen Ländern eine sogenannte chronische Überakkumulation haben. „Das enorm gewachsene Gewicht des Eigentums und der Vermögensbestände bricht sich über die Bewegung des Geldkapitals Bahn. Die Realakkumulation kommt ins Stocken…, in den Verteilungsverhältnissen registrieren wir schrittweise die Hegemonie des leistungslosen Einkommens (Zinsen). Der Übergang zu weitgehend ungeregelten Geld- und Kreditmärkten setzt eine beschleunigte Akkumulation des Finanzkapitals in Gang“. (3) Diese Entwicklung wurde noch durch die neoliberale Politik befördert und endete in der Finanzkrise 2007/2008. Seitdem haben wir einen Trend zunehmender sozialer Ungleichheit.
In dieser Situation veranstaltete die SPD im November 2018 ein sogenanntes Debattencamp. Hier ging es um einen partiellen Umbau des Sozialstaates mit dem Ende von Hartz IV als Lösung der Probleme. Aus linker Sicht wird die SPD aber mit diesem beschränkten Ansatz die Zukunftsdebatte nur unzureichend gestalten können. Was nötig wäre, wäre ein kohärentes Programm eines transformatorischen Wandels unserer Wirtschaftsordnung. Jedes noch so gut gemeintes Sozialprogramm wird scheitern, wenn die gesellschaftliche Wertschöpfung und ihre Verteilung unberührt bleiben. „Vor dem Hintergrund der sozialen Ungleichheit durch eine ungesteuerte Kapitalakkumulation sind eine öffentliche Investitionssteuerung und die Etablierung des demokratisch-öffentlichen Eigentums eine Chance für eine umfassende Dezentralisierung der Wirtschaftsmacht. Es ist eine Möglichkeit, den Menschen die Kontrolle über ihr Leben zu geben, nicht nur jenseits der Werktore und der öffentlichen und privatkapitalistischen Verwaltungen, sondern auch in der Arbeit selbst.“(4) Die Entwicklung einer Wirtschaftsdemokratie ist die Voraussetzung für eine echte politische Demokratie.
Der Mangel der politischen Konzeption der SPD setzt sich fort in der Regierungsarbeit der Großen Koalition. Auch hier fehlt eine Transformationsperspektive, die an die Wurzel der Probleme des Finanzkapitalismus herangeht und ein nachvollziehbares Konzept der sozialen Veränderung, das zu einer wirklichen Verbesserung der Lage der Menschen führt. Es ist deswegen Aufgabe der Linken ein solches Konzept zu erarbeiten und in der Öffentlichkeit vorzustellen. Ein linkes Konzept muss darstellen, wie kurz- und mittelfristige Reformen zu langfristigen Strukturveränderungen des Kapitalismus führen. Die Reformagenda hat viele Maßnahmen zu ergreifen. Es geht um die Verteilungsgerechtigkeit von Einkommen und Vermögen, die Erschließung neuer Techniken und ihre Verbindung mit der Humanisierung der Arbeitswelt, eine wirtschaftsdemokratische Organisation der Unternehmen, die Stabilisierung öffentlicher Finanzen im Rahmen einer sozial gerechten Steuerpolitik, den Einstieg in eine öffentliche Strukturpolitik mit einer Investitionssteuerung, den Umbau des Sozialstaates mit einer Bürgerversicherung im Zentrum, das Herangehen an die Wohnungsfrage und eine soziale Zuwanderungspolitik.

Eine Reformagenda stößt allerdings an die Grenzen der privaten Kapitalverwertung und weist darauf hin, dass weitere ökonomische, soziale, ökologische und politische Fortschritte nur durch grundlegende Strukturveränderungen der Wirtschaftsordnung zu haben sein werden. An dieser Stelle entsteht die Aufgabe der Linken, genau den Charakter und die Perspektiven der Strukturveränderungen darzustellen. Nach Lage der Dinge stößt die Linke sehr schnell auf Ablehnung, wenn ein demokratischer Sozialismus als Perspektive angesprochen wird, vor allem als Folge der Erfahrungen mit dem Realsozialismus. Welche Konsequenzen sollte die Linke somit ziehen, wenn über die Reformagenda hinaus eine langfristige Strukturveränderung der Gesellschaft angesprochen werden muss?
Es geht vor allem darum, die Fehler des realen Sozialismus schonungslos offenzulegen und die Eckpunkte eines modernen Sozialismus vorzustellen. Die Fehler des realen Sozialismus bestanden vor allem darin, die marktwirtschaftliche Steuerung und den Sozialismus als unvereinbar zu betrachten. Das führte zu einer Überbelastung der staatlichen Haushalte, weil extrem niedrige Konsumgüterpreise, sehr niedrige Mieten, und niedrige Verkehrs- und Kulturtarife zur massiven Subventionierung führten und als „sozialistische Errungenschaften“ gefeiert wurden. Es kam hinzu, dass die Güterqualität häufig minderwertig war und die Menschen mit ausländischer Valuta in die Intershops getrieben wurden. Viele Menschen verließen das Land in den „goldenen Westen.“ Das Planungssystem war gründlich diskreditiert und die Parteiführungen reagierten mit der Beschränkung von persönlichen Freiheiten. Die Konsequenz, die Linke heute zu ziehen haben, besteht darin, dass in einem demokratischen Sozialismus nicht eine Planungsbehörde über die Produktion und gesellschaftlichen Bedürfnisse zu entscheiden hat, sondern es muss eine Entscheidung der BürgerInnen über den Markt erfolgen. Sozialistische Produktionsverhältnisse und die Steuerung der Märkte sind die Merkmale einer sozialistischen Marktwirtschaft. In einer solchen Wirtschaftsordnung werden die Entscheidungsmöglichkeiten der Lohnabhängigen schrittweise erweitert und das Privateigentum an den Produktionsmitteln sowie das Direktionsrecht der Kapitalisten zurückgedrängt. Das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und eine wirksame Steuerung der Märkte müssen dominieren. Diesen Weg einzuschlagen wird nur möglich sein, wenn Bündnispartner der Linkspartei, wie die SPD, Grüne und alternative Organisationen hierfür gewonnen werden können und vor allem die Mehrheit der Bevölkerung. Eine linkspluralistische Reformregierung wird die Beendigung der Austeritätspolitik als Anfangspunkt setzen müssen. Es gilt vor diesem Hintergrund kurz- und mittelfristige Vorschläge und Maßnahmen zu einem stimmigen Gesamtpaket zusammenzubringen. Die Einzelforderungen müssen in ihrer Gesamtheit die Perspektive einer strukturellen Gesellschaftsveränderung erbringen und die kritische Schwelle für einen grundlegenden Politikwechsel überschreiten. Es muss sich die Überzeugung verbreiten, dass nur durch einen demokratischen Sozialismus eine bessere Gesellschaft entstehen kann. Die große Mehrheit der Bevölkerung muss das Gefühl und die Überzeugung haben, dass nur durch die Hegemonie eines linkspluralistischen Bündnisses eine wirkliche Veränderung ihres Lebens hin zum Positiven erreichbar ist. Diese Hegemonie gilt es auf demokratische Weise gegen Gegner dieser Entwicklung in der Wirtschaft, Politik und Medien zu halten und auszubauen.

(1) Siehe Zeitschrift Sozialismus, Heft 12, 2018 S.12-19 und Stephan Krüger, Soziale Ungleichheit, Hamburg 2017, S.529ff
(2) Robert Habeck, www.grüne.de und weitere Links
(3) Sozialismus a.a.O. S.15
(4) a.a.O. S.18

Jeremy Corbyn, die Labour Party und linke Politik

13. November 2018  Allgemein

Seit Jeremy Corbyn die Spitze der Labour Party in Großbritannien bildet, erlebt die Partei einen beispiellosen Boom. Sie hat inzwischen 540.000 Mitglieder und konnte trotz der Angriffe führender Medien und Richtungskämpfen in der Partei bei den Wahlen 2017 40 Prozent der Wählerstimmen erringen. Die Partei hat unter Corbyn eine wichtige Konsequenz gezogen, es wurde erkannt, dass spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008 der Reichtum im Kapitalismus in die falsche Richtung verteilt wird (1).Corbyn spricht sich klar für eine Anti-Austeritätspolitik aus und setzt sich eindeutig von der Politik des sogenannten „ Dritten Weges“ von Blair und Schröder ab. Er will eine Politik betreiben, bei der „überall in Europa Bürger wieder daran glauben können, dass sie eine Zukunft haben“ (2). Das gehe nur, wenn der Reichtum neu verteilt werde und bestimmte Infrastruktureinrichtungen, zum Beispiel das Strom- und Eisenbahnnetz, wieder in öffentliches Eigentum überführt würden. Corbyn strebt ein Europa an mit Gesellschaften, „die für alle da sind und nicht für ein paar Wenige“ (3). Es gilt also die Losung: „For the many not the few.”

Das Interview mit Jeremy Corbyn ist vor dem Hintergrund des Parteitages der britischen Labour-Party von Ende September 2018 zu beurteilen (4). Hier wurden die Kernpunkte eines zukünftigen Regierungsprogramms diskutiert. Es zeigte sich, dass die Labour Party um die Ausgestaltung eines neuen Gesellschaftsprojektes ringt. Wichtig waren insbesondere die Diskussionen über eine alternative Wirtschaftspolitik, die Probleme der Umsetzung eines Austritts aus der EU und die Perspektiven einer Regierungsübernahme. Dem konservativen Weg der Rückgewinnung einer nationalstaatlichen Souveränität wurde die progressive Perspektive der Wiederaneignung der Arbeits- und Lebenswelt durch die Lohnabhängigen entgegengestellt. Vor dem Hintergrund einer immensen sozialen Ungleichheit werden das öffentliche Eigentum und eine umfassende Dezentralisierung der Wirtschaftsmacht als eine Möglichkeit gesehen, den Menschen ein direktes Mitspracherecht bei Entscheidungen über Arbeitszeiten, Löhnen, Investitionen, neuen Technologien, Gesundheit und Sicherheit einzuräumen. Es soll ein umfassendes Investitionsprogramm des Staates verabschiedet werden, dessen Finanzierung nicht nur aus dem Staatshaushalt, sondern auch aus den Mitteln einer Nationalen Investitionsbank erfolgen soll. Es geht um eine Wirtschaftsdemokratie, die folgende Merkmale enthalten soll:

1.Die Einbeziehung der Beschäftigten und der Zivilgesellschaft allgemein in die wirtschaftliche Entscheidungsfindung.
2.Die Erschließung des Erfahrungswissens der Beschäftigten und der Nachfrager öffentlicher Güter.
3.Die Stärkung der kommunalen Gebietskörperschaften.
4.Die Stärkung der bisher ausgeschlossenen Gruppen und Einzelpersonen.

Es wird somit von der Labour Party eine Gesamtkonzeption für eine progressive Gesellschaft vorgestellt. Diese Konzeption gilt es mehrheitsfähig zu machen. Zu den wirtschaftsdemokratischen Vorschlägen kommen noch weitere wichtige Vorschläge hinzu, zum Beispiel die Errichtung eines Kollektivfonds, in den alle Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten einzuzahlen haben. Er soll dazu dienen, eine öffentlich kontrollierte Investitionspolitik der Unternehmen durchzuführen. Die Labour Party knüpft hier an ein Projekt der schwedischen Gewerkschaften aus den 70er Jahren an.
Was den Brexit angeht, wurde auf dem Parteitag der Labour Party ein weiteres Referendum zum Brexit nicht ausgeschlossen, nachdem vor der Wahl 2017 die Option Corbyns „Bleiben und Reformieren“ keine Mehrheit in der Partei fand. Jetzt soll die Tür für ein umfassendes wirtschaftsdemokratisches Konzept auf europäischer Ebene offengehalten werden. Da die Konservativen im Rahmen des Brexits bzw. Austrittsvertrages total zerstritten seien, ließe sich eine gesellschaftliche Krise nur durch Neuwahlen verhindern. Das politische Vakuum, das die Konservativen hinterlassen würden, könnte die Labour Party füllen.
Die Politikkonzeption der Labour Party könnte für unsere Partei und linke Mehrheiten in der SPD und den Grünen beispielgebend für eine Bündnispolitik sein. Es sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass zur Erringung der Hegemonie progressiver Kräfte im Lande eine echte Alternative zur Austeritätspolitik notwendig ist. Die Ablehnung und Bekämpfung der Austeritätspolitik und die Durchsetzung ökonomischer und sozialer Sofortmaßnahmen muss der Beginn einer schrittweisen Veränderung hin zu wirtschaftsdemokratischen Veränderungen sein. Das geht allerdings nur, wenn es gelingt, diese Politik mehrheitsfähig zu machen und in der Bevölkerung eine inhaltliche und auch affirmative Zustimmung zu erreichen. Eine noch schwierigere Aufgabe wird es sein, eine Überwindung des Finanzkapitalismus und das Ziel eines demokratischen Sozialismus anzusteuern. Das wird nicht gehen ohne eine Kritik an der Struktur des abgelaufenen Realsozialismus und eine Menge Überzeugungsarbeit für einen demokratischen Sozialismus, der ein Projekt im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung und nicht der Wenigen darstellt. Das ist dann auch der Weg, um die Welle des Rechtspopulismus aufzuhalten und zurückzudrängen.

1) Siehe Spiegelinterview mit Jeremy Corbyn vom 10.11.18 S.96
2) a.a.O. S.96
3) a.a.O. S.98
4) Siehe Sozialismus Aktuell vom 2.10.18

Der Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung

06. September 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ wurde gegründet und gleichzeitig ein Gründungsaufruf veröffentlicht, der im Internet nachzulesen ist (1). Die Autorinnen und Autoren wollen ihn verstanden wissen als eine Darstellung der grundsätzlichen Gesinnung der Bewegung und nicht als den Beginn einer Parteigründung.

Der Inhalt des Aufrufs.

1.Es wird zuerst festgestellt, dass heute nur noch Werte zählen, die sich an der Börse handeln lassen und wir in einem Land voller Widersprüche leben. Einerseits werden international gefragte Autos und Maschinen gebaut, andererseits herrscht öffentliche Armut, ablesbar zum Beispiel am Lehrermangel und maroden Schulen. Es werden Banken gerettet und Konzerne subventioniert, viele Menschen werden aber nicht vor Armut geschützt. Die soziale Marktwirtschaft mache Aufstiegsversprechen, die sie nicht mehr halten könne. Das drücke sich aus in Leiharbeit, Niedriglohnjobs und einer großen Einkommensschere sowie Vermögensungleichheit und einer schlecht bezahlten sozialen Arbeit.
2.Die Gewinner dieser Entwicklung sind nach Auffassung der Autorinnen und Autoren große Konzerne, Wohlhabende und hoch Qualifizierte. Im Gegensatz dazu habe die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland heute ein geringeres Realeinkommen als Ende der neunziger Jahre. Die Ärmsten der Armen müssen an den Tafeln um überlagerte Lebensmittel kämpfen. Der Sozialstaat gebe keine ausreichende Sicherheit mehr. Besonders dramatisch sei die Lage am Wohnungsmarkt seit renditeorientierte Investoren hier den Takt bestimmten.
3.Die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts führe zu Unzufriedenheit, empfundener Ohnmacht und Hass und Intoleranz. Die Flüchtlingsentwicklung habe zu einer zusätzlichen Verunsicherung geführt. Die Regierung Merkel habe unverantwortlich gehandelt, indem in dieser Situation Städte, Gemeinden und ehrenamtliche Helfer allein gelassen wurden und sich der Mangel an Sozialwohnungen, überforderten Schulen und fehlenden Kita-Plätzen weiter verschärft habe.

4.In den internationalen Beziehungen ersetze wieder das Faustrecht die Diplomatie. Es gehe um Rohstoffe und geopolitischen Einflusszonen als Ursache dieser Entwicklung. Die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes der Atommächte werde größer, zwischen dem Westen und Russland herrsche Eiszeit. Es komme heute darauf an, gegen eine auf Konflikt orientierte US-Politik anzugehen und sich auf das Erbe der Friedenspolitik W. Brandts zu besinnen.
5.Es sei eine Lüge, die aktuelle Politik sei alternativlos. Soziale Ungleichheit sei keine Naturgewalt und der globale Finanzkapitalismus, der Konzerne und Vermögende begünstige, sei das Ergebnis politischer Entscheidungen. Ein fairer internationaler Handel sei zu bejahen, aber nicht die Betrachtung von Beschäftigten als Spielball von Renditezielen. Die Bürger seien vor dem entfesselten Dumpingwettbewerb des Finanzkapitalismus zu schützen.
6.Eine marktkonforme Demokratie habe die Menschen von der Politik entfremdet. Deswegen wollen die Autorinnen und Autoren des Aufrufs eine neue Politik, denn es gebe in der Bevölkerung Mehrheiten für eine Friedens- und Abrüstungspolitik, für höhere Löhne, bessere Renten, gerechtere Steuern und mehr soziale Sicherheit. Es gebe allerdings keine mehrheitsfähige Parteienkoalition, die für eine solche Politik steht. Deswegen wolle sich die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ ein detailliertes Programm in einem transparenten Diskussionsprozess erarbeiten. Die Bewegung wolle aufklären, eine Diskussion organisieren und gesellschaftlichen Druck entfalten und ihre Forderungen auf die Straße und in die Politik tragen.

Eine kritische Würdigung des Aufrufs.

Die Autorinnen und Autoren gehen vom aktuellen Finanzkapitalismus aus und stellen richtig fest, dass in dieser Gesellschaft eine Menge von Widersprüchen bestehen, u.a. eine ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung und massive soziale Probleme. Insgesamt sind die Aussagen allerdings häufig sehr vage und wenig konkret. Man kann gespannt sein, was in dieser Hinsicht der Diskussionsprozess in der Sammlungsbewegung erbringt. Was jedoch schon jetzt feststellbar ist sind verschieden theoretische Unschärfen, gerade bei der Charakterisierung des Finanzkapitalismus. Er wird als Gesellschaft großer Konzerne, Wohlhabender und Hochqualifizierter dargestellt. Aus linker theoretischer kommt es darauf an, dass nicht auf dem Boden der bürgerlichen Ökonomie verblieben wird und ein Bild des Kapitalismus entworfen wird, in dem kleine und mittlere Unternehmen zum Ideal erklärt werden, quasi im Gegensatz zu den großen Kapitalgesellschaften. Es ist im Rahmen einer linken Politik notwendig, erstens eine starke Regulierung des Finanzsektors mit einer weitgehenden staatlichen Kontrolle von Banken und anderen Kapitalsammelstellen vorzunehmen. Bestimmte Fonds, die nur der Spekulation dienen, sind ganz zu verbieten. Der Nicht-Finanzsektor ist zweitens so umzugestalten, dass auf Dauer eine wirtschaftsdemokratische Struktur mit einem Zurückdrängen der Herrschaft der Aktionäre und einem erheblichen Zuwachs der Entscheidungsmöglichkeiten der Beschäftigten sowie außerbetrieblicher Gruppen, beispielsweise Kommunen, erreicht wird. Wenn die Diskussion in der Sammlungsbewegung nicht in dieser Richtung geführt wird, wird man im schlechtesten Fall in einer ordoliberalen Sackgasse landen. Es ist allerdings zu hoffen, dass in den Diskussionen ein Weg auf Basis der Marxschen und Keynesschen Theorie gefunden wird.

Der Einbezug der Beschäftigten und außerbetrieblichen Gruppen auf Basis gesamtgesellschaftlicher Vorgaben in den betrieblichen Entscheidungsprozess, vor allem der Investitionsentwicklung, wird die ökonomische, soziale und politische Verantwortung der Bürger erhöhen und einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen Unzufriedenheit, empfundene Ohnmacht sowie Hass und Intoleranz leisten können. So kann der Rechtspopulismus Schritt für Schritt zurückgedrängt werden, der ja gerade nicht eine grundlegende Strukturveränderung des Kapitalismus im Auge hat. Es bleibt abzuwarten, ob die Autorinnen und Autoren des Gründungsaufrufs die Diskussion in dieser Richtung weiterentwickeln.
Es ist zuzustimmen, dass in den internationalen Beziehungen das Faustrecht wieder um sich zu greifen droht. Es ist allerdings zu wenig, sich nur auf das Erbe der Friedenspolitik W. Brandts berufen zu wollen. Brandts Friedenspolitik in den 60er und 70er Jahren wurde unter gänzlich anderen gesellschaftlichen Bedingungen betrieben. Es war die Zeit der Systemkonkurrenz und des Kalten Krieges und auch, was wichtig ist, in einer Zeit des noch prosperierenden Kapitalismus. Heute kommt es darauf an, durch einen Kampf gegen den Finanzkapitalismus und für die Verwirklichung einer internationalen Prosperität die internationalen Konfliktpotentiale zu entschärfen. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen dem innergesellschaftlichen Kampf gegen den Finanzkapitalismus und seinen sozialen Verwüstungen und der außenpolitischen Entspannung zwischen den Nationen. Eine sogenannte marktkonforme Demokratie wird auch in der internationalen Politik in die Sackgasse führen.

Wenn es richtig ist, dass für Friedenspolitik, höhere Löhne, bessere Renten, gerechtere Steuern und mehr soziale Sicherheit augenblicklich schon Mehrheiten existieren, dann ergibt sich natürlich die Frage, wie das in politisches Handeln umgesetzt werden kann. Die Autorinnen und Autoren des Gründungsaufrufs beabsichtigen, auf Basis neuer Diskussionsstrukturen ein detailliertes Programm zu entwickeln und stellen fest, dass es augenblicklich keine mehrheitsfähige linke Parteienkoalition gibt. Die logische Konsequenz wäre dann, auf Basis dieses Programms und neuer umfangreicher Diskussionsstrukturen zu einer Neugründung einer linken Partei zu kommen. Wenn aber eine solche Spaltung der Linken vermieden und auch nicht angestrebt werden soll, dann wäre doch die einzige Alternative, den Diskussionsprozess der Sammlungsbewegung in die Linkspartei, die SPD und die Grünen hineinzutragen und auf diese Weise zu erreichen, dass eine mehrheitsfähige linke Parteienkoalition entsteht. Das läuft aber dann auf eine Bündnispolitik der drei Parteien hinaus, die auf absehbare Zeit zu einem Politikwechsel in der Bundesrepublik und darüber hinaus führen muss. Wenn die Diskussion in der Sammlungsbewegung in diesem Sinne geführt würde, könnte auch ein positiver Beitrag zu einer politischen Veränderung geleistet werden.

(1) www.aufstehen.de/gründungsaufruf/und weitere Links

Linke Sammlungsbewegung oder linke Bündnispolitik? (1)

04. August 2018  Allgemein

Seit Monaten fordern Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine eine linke Sammlungsbewegung, weil links der Mitte partout keine neue Machtbasis entstehen will. Oskar Lafontaine will die Gerechtigkeitsthemen wieder stärker aufgreifen, damit verspricht er sich eine große politische Resonanz. Gegen ein solches Ziel ist aus linker Sicht natürlich nichts zu sagen, wobei die Frage zu stellen ist, ob es dazu einer Sammlungsbewegung jenseits der Linkspartei bedarf. Sahra Wagenknecht erklärte, das Projekt solle als „digitale Plattform“ beginnen und schließlich zu Veranstaltungen, Konferenzen, Straßenaktivitäten etc. führen. Das klingt allerdings eher nach Strukturen, die von Parteien im Rahmen eines linken Minimalkonsenses getragen werden können. Das Problem ist jedoch, dass durch den beabsichtigten Aufbruch die bestehenden Parteien, einschließlich der Linkspartei, einer grundsätzlichen Kritik unterzogen werden, insbesondere was ihre programmatische Ausrichtung und ihre politische Arbeit angeht. Es ist zu sehen, welche Kritik auch an der Linkspartei vorgebracht wird?

Es wird auf Podemos in Spanien, Melenchon in Frankreich und Corbyn in Großbritannien verwiesen, wo die soziale Frage in den Mittelpunkt gestellt worden sei. Dass bei uns die AFD in den Bundestag einziehen konnte, habe damit zu tun, dass die SPD und die Linke den Kontakt zum ärmeren Teil der Bevölkerung verloren habe. Abgesehen davon, dass eine Übertragung der Situation anderer Länder auf uns immer problematisch ist, liegt hier eine sehr vereinfachte Darstellung der politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik und des Aufstiegs der AFD vor. Es werden alle Parteien der Bundesrepublik bis auf die Linkspartei dem Spektrum des Neoliberalismus zugeordnet. Auf diese Weise wird ein Bündnis mit Teilen der SPD und der Grünen von Anfang an torpediert. Oskar Lafontaine wirft der SPD und den Grünen vor, sie seien zu sehr auf ihre eigene Partei fixiert, ohne dass von ihm gesagt wird, wie er sich eine Öffnung für ein Spektrum links der Mitte vorstellt. Die Aussagen, was das Neue an der Plattform der Sammlungsbewegung sein soll, beziehen sich darauf, dass eine Wiedergewinnung der Demokratie, eine leistungsgerechte Verteilung und ein friedliches Verhältnis zu anderen Ländern erreicht werden soll. In dieser Allgemeinheit wird auch wohl von der SPD und den Grünen nicht widersprochen werden.
Insgesamt weisen die Initiatoren der Sammlungsbewegung keine klare Zielbestimmung, eine unzureichende Kritik an der aktuellen bundesdeutschen Gesellschaft und auch keine Einordnung in die geopolitische Umbruchsituation auf. Während die AFD damit beginnt, ein Verknüpfung der sozialen Gerechtigkeit mit der Frage der nationalen Identität auf die Tagesordnung zu setzen, dominiert in der Linkspartei immer noch Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Das gilt zum Beispiel für die Frage, wie die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in eine kurz- und mittelfristige Perspektive unserer Politik einzuordnen ist. Das gilt auch für die Frage, welches Verhältnis zur Eurozone bzw.EU eingenommen werden soll und wie wir uns eine humane Flüchtlings- und Asylpolitik vorstellen. Es kann nicht darum gehen, von der Sammlungsbewegung ein umfassendes ökonomisches, politisches und soziales Programm zu verlangen, sondern es geht darum, wie auf die aktuelle bundesdeutsche und europäische Konstellation reagiert werden soll.
Dazu Bischoff/Radke in Sozialismus aktuell:
„ Solange nicht Vorstellungen darüber auf dem Tisch liegen, wie parteiübergreifend mit nachvollziehbaren Schritten Druck auf die Parteien links der Mitte aufgebaut werden kann, für einen Versuch, mit einem Politikwechsel und deutlichen Kurskorrekturen bei der sozialen Sicherheit sowie Eingriffen in die Verteilungsstrukturen eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse zu bewirken, läuft das Projekt der Sammlungsbewegung, sofern es nicht an sich selbst scheitert, auf eine Schwächung, ja weitere Spaltung der linken Kräfte in Deutschland hinaus.“ (2) Wenn allerdings der Druck nicht ausgeübt wird, können weder die Sozialdemokratie noch die Grünen und auch nicht die Linkspartei zu einem wichtigen Faktor der Erneuerung werden. Nur wenn die Verschiebung in den Verteilungsverhältnissen als Grund für Wut und Enttäuschung in der Bevölkerung allgemein anerkannt ist, wird es möglich sein, ein weiter reichendes Programm gesellschaftlicher Veränderung auf den Weg zu bringen. Die Aufgabe der Linken muss es also sein, glaubwürdige Reformen anzustreben und dafür Bündnispartner in der SPD, den Grünen, bei Gewerkschaften und auch außerparlamentarischen Gruppen zu finden.

(1) Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Bischoff/Radke: „Linke“ Sammlungsbewegung? in „Sozialismus aktuell“ vom 5.7.2018.
(2) a.a.O.

Das Ende der griechischen Tragödie?

01. August 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Das dritte Hilfsprogramm der europäischen Gläubiger für Griechenland endet am 20.8.2018. Es umfasst 86 Mrd. Euro, von denen bisher 46,9 Mrd. Euro ausgezahlt wurden. Die geringeren Rückzahlungspflichten waren eingeräumt worden und dazu gedacht, dass sich Griechenland mit den internationalen Banken und Finanzmärkten in Zukunft leichter arrangieren kann. Allerdings gilt weiter die Einschränkung der EU, dass die Krise weitergehen könnte, sollte Griechenland die vorgeschriebenen „Reformen“ zurücknehmen oder Abstriche bei der Rückzahlung der Kredite machen. Dann müsse Griechenland einem neuen Programm unterworfen werden.
Wie die Entwicklung in Griechenland weitergeht, hängt entscheidend davon ab, wie sich die Zuwachsraten der realen Wirtschaft entwickeln. Diese wiederum werden sich nicht positiv entwickeln, wenn die EU-Politik schwerpunktmäßig darauf setzt, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren und die staatlichen Einnahmen zu erhöhen. Diese Konsolidierungspolitik hat negative Rückwirkungen auf die Wirtschaftskreisläufe. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine Austeritätspolitik die Wirtschaftsbasis Griechenlands nicht stärkt. Infolge der Austeritätspolitik hat Griechenlands Wirtschaft sechs Jahre Schrumpfung und vier Jahre leichtes Wachstum hinter sich. Das hatte erhebliche Folgen für die griechische Bevölkerung. Neben starken Einkommenseinbußen wurde für alle spürbar, dass zum Beispiel in Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen heftig gespart wurde. Das Wirtschaftswachstum steigt jetzt nur leicht, nachdem Griechenland ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren hat. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 Prozent, bei den 15-24Jährigen sogar bei 42 Prozent. Über eine halbe Million gut ausgebildeter Menschen hat das Land verlassen, u.a. in Richtung der Bundesrepublik. Es wird Jahrzehnte dauern, bis Griechenland wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird.

All das bewerten die Gläubiger Griechenlands als Erfolg, insbesondere vor allem deswegen, weil Griechenland an die Finanzmärkte zurückkehren kann und bei der Bedienung der Schulden ein gutes Stück vorangekommen ist. Auf der anderen Seite wird der Regierung Tsipras von Seiten einiger linker KritikerInnen vorgeworfen, nicht frühzeitig die Systemfrage gestellt zu haben und aus der Eurozone bzw.EU ausgetreten zu sein. Ein Beispiel für diese Position lieferte jüngst Steffen Stierle von Attac. „Faktisch ändert sich also mit dem offiziellen Ende der Rettungspolitik wenig…Innerhalb der Währungsunion gibt es für Griechenland keine Möglichkeit, diesen Verarmungs- und Unterwerfungskurs in einem überschaubaren Zeitraum zu beenden und zur Demokratie zurückzukehren. So unglücklich die Rolle eines Yannis Varoufakis heute ist: Er hatte Recht, als er in seiner Zeit als Finanzminister auf einen Alternativplan pochte, der das Land aus der Eurozone führt.“ (2) Stierles Position geht u.a. auf das Frühjahr 2013 zurück, die Oskar Lafontaine schon damals zusammen mit Sahra Wagenknecht vorgetragen haben und im Jahr 2015 durch den sogenannten Lexit-Aufruf verbreitet wurde. Der Aufruf wurde von einigen Mitgliedern von Attac und auch der Linkspartei unterschrieben, in dem eine Alternative zum Euro gesucht wird. Die Diskussion erfuhr eine Zuspitzung von Janine Wissler und Nicole Gohlke im „Neuen Deutschland“ im Jahre 2015. Die grundlegende Schwäche der Lexit- Position ist bis heute die Verkürzung der europäischen Probleme auf die Währungsfrage als Schlüsselfrage. Es ist eine Illusion zu glauben, ohne umfassende Ausgleichsprozesse auf ökonomischen, politischen und sozialen Gebieten in der EU könnten auch für Griechenland die Probleme gelöst werden. Die Rückkehr zu einer nationalen Währung mit möglichen Auf- und Abwertungen kann nur kurzfristige Entlastungen bringen. Im Kern geht es um die Frage, ob die neoliberale Politik auf Dauer weitergeführt werden kann. Eine grundlegende Abkehr von dieser Politik hat in den einzelnen Nationalstaaten, insbesondere in der Bundesrepublik, zu beginnen. Folgende Schlussfolgerungen sind angesagt:

1.Nicht der Euro ist das Kernproblem, sondern die wachsenden Unterschiede in der Produktivität und den Lohnstückkosten in der Eurozone bzw.EU.

2. Die Europäische Währungsunion ist das Unterthema einer Debatte über die Wirtschaftsordnung des Kapitalismus und seines Geld- und Kreditsystems und eines Postkapitalismus des 21.Jahrhunderts.

3. Es geht in Europa um eine Investitionsoffensive des sozial-ökologischen Umbaus.

4. Für die Bundesrepublik ist die Belebung des Binnenmarktes mit dem Ausbau hochwertiger Dienstleistungen in Bildung, Gesundheit und Pflege vordringlich durchzusetzen. Für Griechenland, aber auch Portugal, Spanien etc, ist der Neuaufbau bzw. Erweiterung einer Produktions- und Dienstleistungsstruktur u.a. für den Export zwingend erforderlich.

5.Für die Linke bedeutet das, für eine ökonomische, soziale und politische Wende hin zum demokratischen Sozialismus zusammen mit Bündnispartnern zu kämpfen.

Die Vorstellung, es könne einen sanften Grexit geben, ist eine illusionäre Vorstellung. Abgesehen davon, dass sich die große Mehrheit der Griechinnen und Griechen für den Verbleib in der Eurozone ausspricht, ist von linker Seite vor dem Austritt aus der Eurozone und der Rückkehr zur nationalen Währung zu warnen, und das aus mehreren Gründen.

1.Die meisten Exitbefürworter übersehen, welche inflationäre Wirkung für ein Land hervorgerufen wird, das 48 Prozent seiner Lebensmittel und 82 Prozent seiner Energie aus dem Ausland beziehen muss. Die Abwertung der nationalen Währung gegenüber dem Euro hätte katastrophale Auswirkungen.

2.Die Landwirtschaft und der Tourismus alleine sind nicht in der Lage, Griechenland auf Dauer aus der Krise zu ziehen bzw. herauszuhalten. Da sonst kein relevanter Exportsektor besteht, wird sich das Defizit in der Handelsbilanz wieder vertiefen.

3. Das Schuldenproblem wäre nicht lösbar und Insolvenzen an sich lebensfähiger Unternehmen wären die Folge.

Das bedeutet, das Geld der Gläubiger müsste in eine Investitionsoffensive fließen und ein wettbewerbsfähiger industrieller und Dienstleistungssektor wäre zu errichten. Es müsste ein effektiver öffentlicher Sektor mit einer strikten Steuerdisziplin aufgebaut werden. Eine Regulierung des Bankensystems wäre durchzuführen und es müsste den progressiven Kräften unter der Führung von Syriza die Möglichkeit gegeben werden, den Rekonstruktions- und Transformationsprozess tiefer in der Gesellschaft zu verankern. Es müssen auch nach dem Ende des 3. Hilfsprogramms der EU Mehrheiten im politischen Raum gesichert werden, um die Demokratie in Griechenland weiter auszubauen. Eine Linke, die das Nationale wieder in den Vordergrund stellt und den gemeinsamen europäischen Rahmen verlassen will, wird keine Hilfe in diesem Tranformationsprozess sein. Sie kommt auch nicht darum herum zur Kenntnis zu nehmen, dass damit große Schnittmengen mit den konservativen und rechtspopulistischen Kräften in Europa entstehen werden.

(1) Siehe hierzu: Sozialismus aktuell vom 26.Juli 2018
(2) A.a.O. S. 2

Parteitag des Aufbruchs?

16. Juni 2018  Allgemein

PARTEITAG DES AUFBRUCHS ODER RATLOS IN DIE NÄCHSTEN MONATE? (1)

Der Parteitag unserer Partei in Leipzig fiel in eine Zeit des politischen Umbruchs. Die rechtspopulistischen Kräfte, an der Spitze Donald Trump mit der Devise „America first“, sind dabei, die Fundamente der internationalen und auch der nationalen Ordnungen zu zerlegen. Die Fragen der internationalen Sicherheitskonzeption und die Abwendung eines wirtschaftlichen Protektionismus stehen auf der Tagesordnung. Damit geht es auch um die Zukunft der EU, die nicht nur wegen der Flüchtlingsfrage vor einer Zerreißprobe steht. Der Brexit, das Entstehen und Erstarken rechtspopulistischer Kräfte und die jüngsten Regierungsübernahmen jener Kräfte in Italien und Slowenien zeigen, dass das europäische Projekt auf das Höchste gefährdet ist. Hinzu kommen der politische Niedergang der Sozialdemokratie, die Entwicklung der AFD und der mögliche Bruch innerhalb der Union. In dieser Situation kann für die Linkspartei bestenfalls von einer Stagnation gesprochen werden.

Vor diesem Hintergrund wäre der Parteitag in Leipzig der gebotene Anlass gewesen, sich den strategischen Herausforderungen zu stellen. Aber schon vor dem Parteitag war davon wenig zu spüren, wenn zum Beispiel Petra Paul angesichts der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen eine Programmdebatte anregte, ohne auf die angegebenen Herausforderungen einzugehen. Die sogenannte „Emanzipatorische Linke“ meinte gar, dass die Linke sich neu erfinden müsse. In dieser Situation hatte Oskar Lafontaine noch einmal die Idee einer „linken Sammlungsbewegung“ ins Spiel gebracht.
Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass die politische Linke links der Mitte derzeit kein Bündnis auf Basis eines linken Minimalkonsenses zustande bringt, es ist allerdings zu bestreiten, ob eine „linke Sammlungsbewegung“ zu mehr als einer Verschiebung innerhalb des linken Lagers führen würde. Im Gegenteil, es wäre eine Schwächung der bestehenden Formationen absehbar. Es bleibt somit festzuhalten, dass das Projekt der Sammlungsbewegung auf eine Spaltung der linken Kräfte hinauslaufen würde und damit auch der Versuch, soziale Sicherheit und eine grundlegende Änderung der Verteilungsverhältnisse durch eine linke Bündnispolitik untergraben würde. Ohne einen solchen Versuch werden weder die Sozialdemokratie noch die Linkspartei auf Dauer zu einem gewichtigen politischen Faktor werden.
Die Frage ist also, was der Parteitag in Leipzig im Hinblick auf diese politische Richtung gebracht hat?
Eigentlich sollten Themen wie die Wohnungsfrage, Gesundheit, Pflege, prekäre Beschäftigung und Bildung in den Mittelpunkt gestellt werden. Es wurden auch zwei Tage lang diszipliniert und zumeist praxisnah Anträge abgearbeitet und auch ein Wahlmarathon ohne Eskalation bewältigt. Doch durch die von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht vorgebrachte Kritik an der Flüchtlingspolitik, die sie mit angeblichen Belastungsgrenzen und Problemen der Arbeitsmigration in Verbindung brachten, wurde die Planung des Parteitages deutlich über den Haufen geworfen. Es ging jetzt schwerpunktmäßig um die Formulierung im Parteiprogramm, in der „offene Grenzen für alle Menschen“ gefordert wird. Das Spektrum von Meinungen in dieser Frage in der Partei ist groß, wobei der Parteivorstand meinte, durch Formelkompromisse die Schwierigkeiten umschiffen zu können. Bernd Riexinger forderte dabei einen Dreiklang:
1.Bekämpfung der Fluchtursachen
2. Eröffnung einer sozialen Offensive
3.Eröffnung legaler Fluchtwege
Diese Position unterstützte Katja Kipping ausdrücklich und versuchte, den Konflikt mit Sahra Wagenknecht zu entschärfen. Sahra Wagenknecht bestand aber weiter darauf, eine Welt ohne Grenzen sei unter kapitalistischen Vorzeichen kein realistisches linkes Ziel und wehrte sich gegen die pauschale Formulierung, dass jeder, der nach Deutschland komme, einen Anspruch auf landesübliche Sozialleistungen habe und sich hier Arbeit suchen könne. Das wiederum führte zur Empörung eines Teils der Parteitagsdelegierten. Letztlich kündigten der Parteivorstand und die Fraktionsführung an, dass, da auf dem Parteitag keine Einigung möglich war, die Diskussion auf einer Klausurtagung und Fachkonferenz weitergeführt werde.
Die Konsequenz der mangelnden Bereitschaft der Partei- und Fraktionsführung, bereits im Vorfeld des Parteitages den Konflikt zu entschärfen, bestand und besteht darin, dass sich die Partei zerlegt und eine Spaltung hervorgerufen wird, nicht zuletzt durch die von Wagenknecht und Lafontaine propagierte „Sammlungsbewegung.“ Auch in der Linken ist also nicht zu übersehen, dass es eine große Bandbreite von Positionen zur EU, ihrer Reformierbarkeit oder auch zum Austritt aus der EU bzw. dem Euro gibt. Wenn es nicht gelingt, in diesen Fragen eine vernünftige Debatte zu organisieren, wird auf die Dauer keine Lösung der vielfältigen sozialen Probleme möglich sein und kein demokratisches Bündnis mit anderen fortschrittlichen Parteien und Organisationen zustande kommen.

(1) Siehe auch „Sozialismus aktuell“ vom 5.6.18 und 11.6.18

Kritik des Koalitionsvertrages

10. Februar 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Der Titel des Koalitionsvertrages der CDU/CSU und der SPD lautet: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Es ist zu sehen, ob mit dem Koalitionsvertrag, falls er in Politik umgesetzt wird, diese Ziele erreichbar sind.

Bemerkenswert ist, dass das Thema der europäischen Integration einen besonderen Stellenwert einnimmt. Das ist auch notwendig, weil der Rechtspopulismus und verschiedene EU-Skeptiker mit ihrer Ablehnung der EU sich seit einiger Zeit im politischen Aufwind befinden, nicht zuletzt durch den Brexit-Beschluss in Großbritannien. Die wahrscheinlichen Koalitionäre halten dagegen, indem sie Protektionismus, Isolation und Nationalismus eine Absage erteilen und auch die Eurozone nachhaltig stärken wollen. Dazu gehört auch, dass mit Frankreich zusammen ein Eurobudget und ein Europäischer Währungsfonds zur Stützung finanzschwächerer EU-Länder aufgebaut werden soll. Es wird ein Ende des Spardiktats in Europa gefordert, besonders von den Mitgliedern der Sozialdemokratie in der Koalitions-Kommission. Das ist eine klare Abwendung vom Schäuble-Kurs, der Hilfen für wirtschaftsschwache Eurostaaten nur gegen neoliberale Gesellschaftsreformen in diesen Ländern vorsah. Wenn dieser neue Kurs gelingen sollte, wäre eine neue Etappe europäischer Zusammenarbeit zusammen mit Frankreich nicht auszuschließen.

Doch wie steht es mit einer neuen Dynamik in Deutschland? Gefordert werden müsste, die einseitigen Verteilungseffekte der neoliberalen Politik aufzuheben. Der Ausbau sozialstaatlicher Regulierungen bleibt allerdings im Koalitionsvertrag unterbelichtet. Eine Umverteilung zu Lasten der Lohnabhängigen konnte die Union zwar nicht durchsetzen, aber der Ausbau von Themen wie z.B. der Mindestlohn, der Rente mit 63 oder der Mietpreisbremse bleiben hinter den Erwartungen zurück. Eine wirkliche Umverteilung von oben nach unten, die ökonomisch und sozial notwendig wäre, findet nicht statt. Das kann an verschiedenen Punkten gezeigt werden.

Positiv bei der Rentenproblematik ist, dass bis 2025 das Rentenniveau bei 48% gehalten werden soll. Dabei wird lediglich eine erwartete Entwicklung des Rentenversicherungsberichts festgeschrieben. Die Einführung einer „Grundrente“ wird nur einen kleinen Teil der Menschen treffen, die schon jetzt in Altersarmut leben, verursacht wegen ihrer restriktiven Bedingungen. Sie ist mit 880 Euro viel zu gering, wenn berücksichtigt wird, dass die Armutsschwelle laut Statistischem Bundesamt bei 969 Euro liegt. Es ist also bei der „Grundrente“ kein Schutz vor Altersarmut zu erwarten. Das Gleiche gilt für die Kinderarmut bzw. für die Situation vor allem der Alleinerziehenden, die zu 68% von Armut betroffen sind. Um Kinderarmut wirklich zu bekämpfen bedürfte es einer Aufstockung der Regelleistungen, auf die Situation der jeweiligen Eltern zugeschnitten, die es dann auch den Eltern erlauben würde, sich beruflich zu qualifizieren bzw. einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

Die Deregulierung der Arbeitsmärkte, die unsere Arbeitsmärkte prägt, wird in einem viel zu geringen Maß zurückgenommen. Durch den Koalitionsvertrag soll Langzeitarbeitslosen eine Perspektive eröffnet werden, indem die Zahl öffentlich geförderter Arbeitsplätze ausgeweitet werden soll. Das ist sicherlich zu begrüßen, doch es sollen nur 150000 Personen gefördert werden, was nur der Hälfte des erforderlichen Bedarfs entspricht. Es besteht zudem die Gefahr, dass nur „1 Euro-Jobs plus“ gefördert werden also keine regulären Arbeitsplätze entstehen.
Ein besonderes Anliegen der SPD war die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Das betrifft augenblicklich etwa 4% der 40 Millionen Beschäftigten in der Bundesrepublik, im öffentlichen Dienst immerhin 11% der Beschäftigten. Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund soll jetzt nur noch für 18 Monate, statt 24 Monate bisher, zulässig sein. Diese Befristung kann jetzt nur noch einmal wiederholt werden, bisher war das dreimal möglich. Diese Eingrenzung ist sicherlich eine Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation, ist aber nur ein bescheidener Beitrag zur Eindämmung prekärer Arbeitsverhältnisse.

Weitgehend offen bleiben die Reform der Krankenversicherung bzw. die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin. Ob eine Angleichung der Arzthonorare für gesetzlich und privat Versicherte stattfinden wird ist noch unklar. Von einer weitgehenden Einführung einer Bürgerversicherung ist allerdings nicht mehr die Rede. In Fragen der Bildung war man sich einig, viel Geld in die Digitalisierung der Schulen zu stecken und ab 2025 ein Recht auf eine Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern einzuführen. Aber auch hier ist die minimale Dosierung zu kritisieren und kann nicht von einem großen Wurf gesprochen werden.

Zusammengefasst kann Folgendes festgehalten werden. Diese Koalitionsvereinbarungen, sofern sie das zukünftige Regierungsprogramm werden, werden die soziale Spaltung in Deutschland kaum zurückdrängen. Manche Ansätze sind positiv, aber die Stärkung der Binnenwirtschaft hält sich in engen Grenzen und die soziale Ungleichheit bleibt ein Hindernis zur Entfaltung der gesellschaftlichen Ressourcen. Das kann rückwirkend auch wieder die an sich positiv gedachte Weiterentwicklung einer europäischen Integration negativ beeinflussen. Die mittelfristige Alternative bleibt weiterhin eine pluralistische linke Reformregierung, die viel weitergehende Einzelmaßnahmen zu treffen hätte und, was von der Großen Koalition nicht erwartet werden kann, einen Weg zur grundlegenden Veränderung des Kapitalismus hin zu einem demokratischen Sozialismus zu beschreiten hätte. Das wäre nur möglich durch einen tiefgehenden Wandel der SPD, eine klare und nachvollziehbare Positionierung der Linken und eine Integration der Grünen als Gesamtpartei in ein pluralistisches linkes Parteienbündnis.

(1) Siehe auch: Joachim Bischoff u.a. in Sozialismus aktuell vom 9.2.2018

Erreichung und dauerhafte Erhaltung einer linken Hegemonie als mittelfristige Perspektive.

08. Februar 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Die Wahlerfolge der AFD bei allen Landtagswahlen 2015/2016 und der Bundestagswahl 2017 haben ein Schlaglicht auf die Stimmungslage breiter Bevölkerungsteile geworfen. Eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD wird auf dieser Basis mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fortsetzung der Politik der letzten Legislaturperiode bedeuten und die eingefahrene Bahn nicht verlassen. Es ist jedenfalls kein grundlegender Politikwechsel zu erwarten (1). Die mittelfristige Alternative zu dieser Politik wäre eine linkspluralistische Reformregierung aus SPD, Linkspartei und Grünen. Es ist damit zu rechnen, dass auch die Wirtschaft der Bundesrepublik auf eine abschüssige Ebene der europäischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung gerät, insbesondere deshalb, weil die bisherige Politik im Grundsatz beibehalten wird. Das bedeutet politisch, dass der Bundesrepublik, als sozial zerklüftetes Land, ein weiterer verrohter Umgang in der Zivilgesellschaft bevorsteht, eine zunehmende Entleerung demokratischer Prinzipien und mit großer Wahrscheinlichkeit eine Fortsetzung des Niedergangs der SPD. „Auch für eine uneinige und regierungsunfähige Partei „Die Linke“ ist unter diesen Bedingungen nicht von einem kommoden Überwintern in der Opposition auszugehen.“ (2)

Diesem Szenario steht jedoch mittelfristig die Chance einer linken Reformregierung gegenüber. Dazu bedürfte es allerdings einer Beendigung der Austeritätspolitik und einer von der Bundesrepublik ausgehenden Strukturpolitik, die zugunsten der Stabilisierung schwächerer Volkswirtschaften der Eurozone und der EU betrieben werden muss. Im Inneren der Bundesrepublik müsste eine Weichenstellung zu einem evolutionären Prozess der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umgestaltung in Richtung der Ziele eines demokratischen Sozialismus erfolgen. Dabei käme der Sozialdemokratie als stärkster Partner in einer Reformregierung eine besondere Verantwortung zu. Sie müsste über ihren immer noch wirksamen antikommunistischen Schatten springen und zusammen mit der Linkspartei den linken Flügel der Grünen stützen und dazu beitragen, die grüne Gesamtpartei in ein Reformbündnis zu integrieren. Die Linkspartei müsste es schaffen, einen tragfähigen Konsens in den eigenen Reihen zwischen Oppositionsbefürwortern und EU-Kritikern einerseits und nicht prinzipiell einen Regierungseintritt ablehnenden „Reformeuropäern“ andererseits hinzubekommen.

Die Ausgangssituation in der Bundesrepublik sieht so aus, dass weder eine klare Hegemonie für eine Fortsetzung der bisherigen Politik noch für eine grundlegende Reformalternative existiert. Es ist zwar festzustellen, dass es der bundesdeutschen Bevölkerung nach Meinung vieler Bürgerinnen und Bürger besser geht als dem Rest Europas, aber trotzdem besteht ein großes Unbehagen über die tiefgehende soziale Spaltung in der Gesellschaft. Das könnte auch ein Ansatzpunkt für einen grundlegenden Politikwechsel sein, völlig unabhängig von wahrscheinlichen Kriseneinbrüchen im Finanzsektor und produktivem Sektor (Industrie und kapitalistische Dienstleistungen). Dazu ist es notwendig, die Perspektive eines grundlegenden Politikwechsels im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Es muss die Hoffnung bestehen, dass ein solcher Politikwechsel eine Veränderung zum Besseren erbringen wird, sowohl durch die inhaltlichen Vorschläge als auch durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, das den Vertretern einer neuen Politik entgegengebracht wird.
Vor diesem Hintergrund gilt es, kurz – und mittelfristige Vorschläge und Maßnahmen zu einem stimmigen Gesamtpaket zusammenzubringen. Die Einzelforderungen müssen an drängenden heutigen Problemen ansetzen und auch in kürzerer Frist realisierbar sein. Das sind zum Beispiel der Kampf gegen die Verteilungsungerechtigkeit, für die Demokratisierung der Arbeitswelt, die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen durch eine soziale Steuerreform, die Ausweitung der öffentlichen Investitionen, die Sicherung der umlagefinanzierten Sozialversicherung mit der Perspektive einer Bürgerversicherung, Fortschritte in der Wohnungsfrage, eine bessere Integration von Flüchtlingen, vorwärtstreibende Reformen in der Eurozone und EU, der Kampf gegen das internationale Wohlstandsgefälle und vieles mehr. Die Einzelforderungen müssen in ihrer Gesamtheit die Perspektive einer mittelfristigen Gesellschaftsveränderung erbringen und die kritische Schwelle für einen grundlegenden Politikwechsel überschreiten. Das Gesamtpaket muss die Forderungen zusammenfassen und die Überzeugung vermitteln, dass nur durch einen demokratischen Sozialismus eine bessere Gesellschaft entstehen kann und die Versprechen, die von Vertretern des Kapitalismus, genannt soziale Marktwirtschaft, gemacht wurden, eingelöst werden können. Der Kapitalismus ist mit dem Finanzkapitalismus und seiner jahrzehntelangen Verschlechterung der sozialen Lage an seiner Systemgrenze angekommen, die geradezu nach dem Aufbau eines demokratischen Sozialismus verlangt. Der Politikwechsel ist durch ein Bündnis von SPD, Linkspartei und Grünen zu tragen. Organisationen wie Gewerkschaften und alternative Gruppierungen verschiedenster Art, die sich dem Ziel der Demokratisierung verschrieben haben, sind in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Es geht also nicht darum, eine neue Sammlungspartei zu gründen sondern um die Herstellung eines Konsenses verschiedener Organisationen, die für den Aufbau eines demokratischen Sozialismus zu gewinnen sind und dafür kämpfen, eine politische Hegemonie zu erreichen und dann dauerhaft zu erhalten.

(1) Siehe zum Folgenden: Stephan Krüger, Soziale Ungleichheit, Hamburg 2017 S. 573ff.
(2) a.a.O. S.573

Der aufhaltsame Aufstieg der AFD.

28. Januar 2018  Allgemein

Dr.Peter Behnen

Bertolt Brecht stellte 1941 in seiner Parabel „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ klar, dass der Faschismus kein unabwendbares Schicksal darstellte sondern als Konsequenz der herrschenden Verhältnisse anzusehen war. Ähnliches kann heute zum Aufstieg der AFD gesagt werden. Auch ihr Aufstieg ist bemerkenswert. Seit ihrer Gründung im Jahre 2013 hat sie eine dynamische Entwicklung hingelegt. Ihr gelang 2014 mit einem euroskeptischen Programm der Einzug ins Europaparlament und fünf Länderparlamente und 2017 ein gewaltiger Einzug in den Bundestag. Schon im Jahre 2015 kam es zu harten Auseinandersetzungen zwischen dem wirtschaftsliberalen Flügel und rechtspopulistischen Strömungen und dann zum Bruch der Partei. Die Wirtschaftsliberalen zogen sich aus der Partei zurück und die Radikalisierung nach rechts in der AFD nahm deutlich zu. Die Partei vertritt heute eine teilweise rechtsextreme und völkisch-nationalistische Programmatik.

Die fragile Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik, die soziale Spaltung in der Gesellschaft sowie die starke Flüchtlingsbewegung nach Europa sind die Elemente, die der AFD eine Etablierung im bundesdeutschen Parteienspektrum ermöglichen konnten. Sie ist nicht als reine Protestpartei anzusehen, sondern sie besetzt rechtskonservative bis rechtsextreme Leerstellen, die u.a. durch die Umwälzungen im bürgerlichen Lager entstanden sind. Mit der Eskalation der Euro- und Finanzkrise und dem Zustrom der Schutzsuchenden sind wir europaweit mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus konfrontiert. Die Parteien des bürgerlichen Lagers und die Sozialdemokratie sind gelähmt. Beide Parteienfamilien bieten keine überzeugenden Lösungen für die schwächelnde Wirtschaftsentwicklung, die wachsende Kluft in den Verteilungsverhältnissen und den Niedergang der öffentlichen Infrastruktur. In großen Teilen der Bevölkerung herrscht eine Stimmung der Zukunftsangst und des Missmutes gegenüber den etablierten Parteien vor, sodass immer mehr Wähler bereit sind, dem Rechtspopulismus eine Chance zu geben.
Im Zentrum der rechtspopulistischen Mentalitäten steht die Kritik an den herrschenden Eliten und dem politischen System insgesamt. Die häufig vorgebrachte Interpretation, es handele sich um ein Unterschichtphänomen ist falsch. Die unteren sozialen Schichten haben sich schon seit langem von der politischen Willensbildung und den Wahlen verabschiedet. Mit Protesten und Sympathien für die AFD reagiert vor allem die untere Mittelschicht, die sich massiv bedroht fühlt und verunsichert ist. Das lässt sich an ihrer Lebenssituation und sozialen Struktur deutlich zeigen. Rund ein Viertel der Pegida- Anhänger zum Beispiel haben einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss, sie arbeiten zu 52 Prozent in Vollzeit, der Anteil der Rentner beträgt 34 Prozent. Unzufrieden sind die Befragten, obwohl sie sich relativ zur Unterschicht noch nicht in einer vergleichbaren prekären Lage befinden, mit der Situation in der Bundesrepublik. Rund 65 Prozent sehen ihre Zukunft düster und landen dann zu einem großen Teil bei der AFD. Diese Partei stützt sich auf weit verbreitete Ressentiments. Während die Vorstellungen von Sicherheit und Ordnung, Identität und Gemeinschaft durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse schon seit längerem an Stabilität eingebüßt haben, gerieten diese Wertvorstellungen im alltäglichen Bewusstsein durch die nicht durchschauten Finanzkrisen und die unkontrollierte Massenzuwanderung von Schutzsuchenden vollends aus den Fugen. Es nahmen Ressentiments und soziale Ängste zu, was sich in einer wachsenden Unterstützung für Positionen von Ab- und Ausgrenzungen umsetzt. Es kommt zu einer aggressiven Artikulation von Ressentiments gegenüber Muslimen, Asylbewerbern und Migranten und auch zu Hassparolen gegenüber den politischen und medialen Eliten. Inzwischen beteiligen sich auch Teile der bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratie an den Ab- und Ausgrenzungsritualen. Diese Teile stellen sich immer weniger gegen rechtsextreme Einstellungen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass aus Anhängern aller herkömmlichen Parteien die AFD Zulauf erhält.
Festzuhalten ist, dass der Rechtspopulismus keine Bewegung der Armen, sondern eine Bewegung der unteren Mittelschichten darstellt. Diese Bewegung ist überall in Europa auf dem Vormarsch, sei es die Front National, Ukip, Lega Nord, FPÖ und die AFD in der Bundesrepublik. Sie ist eine Bewegung gegen das politische Establishment, das keine wirtschaftliche, politische und soziale Sicherheit mehr garantieren kann. Diese Bewegung ist allerdings nicht unaufhaltsam. Sie kann aufgehalten werden, wenn überzeugende Konzepte für die wirtschaftliche, politische und soziale Weiterentwicklung vorgelegt und umgesetzt werden. Zu diesen Konzepten gehören eine stärker regulierte Wirtschaftsentwicklung, ein entschlossener Kampf gegen die Einkommens- und Vermögensungleichheit und für eine größere soziale Sicherheit, eine Einbeziehung der Bevölkerung in politische Entscheidungen sowie eine demokratische und soziale Weiterentwicklung in Europa. Für solche Konzepte Bündnispartner zu finden ist u. a. Aufgabe der Linken. Nur einem breiten Block nicht neoliberaler Kräfte wird es gelingen, dem Rechtspopulismus und damit der AFD Einhalt zu gebieten. Das ist von der zukünftigen Koalition aus CDU/CSU und SPD nicht zu erwarten.

(1) Siehe hierzu: Joachim Bischoff und Bernhard Müller, Der Aufstieg der AFD, in Sozialismus aktuell vom 4.3. 2016