„DIE ANATOMIE UND
ZUKUNFT DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT“
ZUSAMENFASSUNG EINES
TEXTES VON BISCHOFF, KRÜGER UND LIEBER. VSA-VERLAG 2018
EINLEITUNG
In dem Text geht es um die Wertschöpfung und
Mystifizierung der Klassenverhältnisse im Kapitalismus. Die Basis der
Betrachtung ist das Hauptwerk von Karl Marx „Das Kapital“ bzw. „Die Kritik der
politischen Ökonomie“. Es erschien vor 150 Jahren und der Jahrestag der
Erstveröffentlichung wurde für viele Medien zum Anlass genommen, wieder
grundsätzlich über den Kapitalismus nachzudenken. Insgesamt überwog die
kritische Würdigung, obwohl viele Autorinnen und Autoren seine Thesen bzw.
Sichtweise als überholt betrachten. Im Zentrum der Marxschen Analyse steht die
permanente Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus, die als
Produktivkräfte des Kapitals erscheinen. Diese Gesellschaft bewirkt einerseits
den gesellschaftlichen Fortschritt durch Produktivkräfte und damit die
Entwicklung von Bedürfnissen und freier Zeit, andererseits wird dieser
Fortschritt einseitig verteilt. Die Herausforderung im entwickelten
Kapitalismus besteht also darin, den aufgetürmten Reichtum und die frei
verfügbare Zeit für die besitzende Minderheit aufzuheben und für die
Bevölkerungsmehrheit zu erschließen. Jeremy
Corbyn fasste das unter folgender Losung zusammen: „ For the many not for the
few.”
Es entsteht also die Frage, ob die „Kritik der
politischen Ökonomie“ von Marx noch eine Richtschnur bzw. Leitlinie der
Betrachtung der heutigen Industrie mit der Digitalisierung, umfassenden
Vernetzung, hohem Robotereinsatz etc. sein kann? Da die Industrieentwicklung
heute eine neue Betriebsweise des digitalen Kapitalismus hervorbringt, entsteht
gleichzeitig das Problem, einen breiteren Konsens über die Interpretation des
Kapitalismus im Sinne der Marxschen Theorie zu erreichen. Jahrzehnte nach
Erscheinen des 1.Bandes des „Kapital“ ging es vor allem um die Interpretation
des unmittelbaren Produktionsprozesses. Friedrich Engels hatte aber aus den
hinterlassenen Manuskripten von Marx den 2.Band des „Kapital“, den
Zirkulationsprozess des Kapitals, zusammengestellt. Erst dann wurde erkannt,
dass die Zirkulation in den Begriff des Kapitals gehört und die Zirkulation des
Kapitals und seine Kreisläufe sowohl Bedingung als auch Resultat des
Produktionsprozesses sind. Erst im 3.Band des „Kapital“, auch von Engels
herausgegeben, kommt Marx auf die Gestaltungen des Kapitals zu sprechen, die
aus dem Bewegungsprozess des Kapitals als Ganzes betrachtet hervorwachsen und
an der Oberfläche der Gesellschaft, der Konkurrenz, zu finden sind.
Es ist also heute notwendig, da wir am Rande einer
neuen digitalisierten, vernetzten gesellschaftlichen Betriebsweise des Kapitalismus
stehen, eine neue ausführliche Interpretation der „Kritik der politischen
Ökonomie“ vorzunehmen. Das heißt, dass
der Wertbegriff der Ausgangspunkt für die Nachzeichnung der Anatomie der
bürgerlichen Gesellschaft ist, also des gesamten industriellen und
kommerziellen Lebens der Individuen. Darüber hinaus aber auch eine
Nachzeichnung zum bürgerlichen Staat und zum Weltmarkt. Die Autoren Bischoff,
Krüger und Lieber gehen also vom Wertbegriff als Schlüsselkategorie aus,
stellen ihre Sichtweise der Kapitalinterpretation dar und entwickeln vor diesem
Hintergrund die Digitalisierung der gesellschaftlichen Betriebsweise, das
Moment der Entfremdung und Mystifikation dieser Gesellschaft sowie das Problem
der Überwindung dieser Produktionsweise.
KAPITEL 1
NACH 150 JAHREN- MARX UND DIE KAPITALISTISCHE
GESELLSCHAFTSFORMATION.
Die Marxsche Analyse der ökonomischen Bewegungsgesetze
der bürgerlichen Gesellschaft erfährt heute eine erstaunliche Aufmerksamkeit.
Das gilt zum Beispiel für Lina Nienhaus von der „Zeit“ und für den
NZZ-Redakteur Rene Scheu, die beide Marx
ein Lob für seine Analyse aussprechen, im Gegensatz zum ehemaligen
NZZ-Redakteur Roger Köppel, für den die freundlich-kritische Sicht auf Marx aus
bürgerlicher Sicht nicht nachvollziehbar ist. Er plädiert für eine
kompromisslose Abgrenzung vom „marxistischen Zeitgeist.“ Ein Blick auf den
Rechtspopulismus in vielen kapitalistischen Ländern offenbart allerdings, dass
der Zeitgeist augenblicklich in eine ganz andere Richtung läuft. Jürgen Neffe,
Verfasser einer aktuellen Marx-Biografie, bringt die aktuelle Marx-Begeisterung
auf den Punkt. Marx sei als Philosoph von überragender Bedeutung gewesen, aber
auch viele Phänomene von heute hätte er als Bestätigung seiner Analyse gesehen.
Dazu zählten die soziale Spaltung, die Perversität des Finanzsystems, das nur
ansatzweise durch die reale Wertschöpfung gedeckt sei und die Bedrohung durch
die Automatisierung. Es sei die Grundsatzkritik am Kapitalismus, die heute
wieder diskutiert werde.
Doch was ist unter einer Grundsatzkritik am
Kapitalismus zu verstehen?
Darauf hat Marx selbst eine Antwort gegeben. Er wollte
eine Kritik der ökonomischen Kategorien oder das System der bürgerlichen
Ökonomie kritisch dargestellt. Das Ganze wollte er in sechs Bücher aufgliedern:
1.Vom Kapital, 2.Vom Grundeigentum, 3.Von der Lohnarbeit, 4.Vom Staat, 5. Vom
internationalen Handel, 6.Vom Weltmarkt. Das „Kapital“ sollte 3 Bücher
umfassen. Der Produktionsprozess des Kapitals, der erste Band des „Kapitals“,
kam 1867 auf den Markt. Das Buch wurde allerdings erst durch die Internationale
Arbeiterassoziation und die Pariser Kommune 1871 einem größeren Kreis bekannt.
Trotzdem blieben Marx und sein Werk, selbst als er 1883 starb, weit davon
entfernt eine internationale Bekanntheit zu erreichen. Das änderte sich erst
später. Grundprobleme waren zuerst Schwierigkeiten bei der Rezeption des
„Kapital“, theoretisch-politische Differenzen und die Unabgeschlossenheit
seines Werkes im Jahre 1883. Erst Friedrich Engels gab danach den 2.und 3.Band
des “Kapital“ auf Basis der nachgelassenen Manuskripte heraus und selbst den
1.Band wollte Marx vor seinem Tod noch überarbeiten. Erst vor kurzem hat Thomas
Kuczynski eine Überarbeitung vorgenommen, die 2017 herausgegeben wurde. Heute
arbeitet eine internationale Forschergruppe an einer neuen kritischen Ausgabe
der Schriften von Marx und Engels (Marx-Engels-Gesamtausgabe, abgekürzt MEGA).
Die Geschichte der Rezeption der „Kritik der
politischen Ökonomie“ ist von Verkürzungen geprägt, vor allem durch die These,
dass der 1.Band des “Kapital“ ausreichend sei für die Politik der
Arbeiterklasse. Andererseits entstand ein Unbehagen über die theoretische
Unabgeschlossenheit des Werkes, aber auch durch die These, zum Beispiel von
Rosa Luxemburg, wichtige politische Entwicklungen wie der Imperialismus und die
erweiterte Akkumulation des Kapitals seien nur politisch zu erklären.
Zusammengefasst sieht Luxemburgs Argumentation folgendermaßen aus:
1.Die Marxsche Theorie sei unzureichend, weil im
2.Band des „Kapital“ nur die Lohnarbeit und das Kapital vorkämen.
2.Die Grenzen der Akkumulation des Kapitals ließen
sich nur durch ein nichtkapitalisches Milieu überwinden. Deswegen wäre der
Imperialismus notwendig für das Überleben des Kapitalismus.
Aus heutiger Sicht ist an dieser Argumentation zu
kritisieren, dass Luxemburg die in Band 2 und Band 3 entwickelten ökonomischen
Formbestimmungen ignoriert, vor allem das sogenannte Zwangsgesetz der
Konkurrenz, das Kredit – und Bankwesen und die Verteilungsverhältnisse und auf
diese Weise dazu beiträgt, das System der Kritik der politischen Ökonomie
erheblich zu verkürzen. Da befindet sich Rosa Luxemburg allerdings in
Übereinstimmung mit Hilferding, Bucharin, Lenin, Bauer und Grossmann. Es wird
also die These vertreten, dass die erweiterte Reproduktion des Gesamtkapitals,
die erweiterte Akkumulation, nur möglich sei durch den Austausch von
kapitalistischen und nichtkapitalistischen Teilen der Volks- und
Weltwirtschaft. Diese Sichtweise wird nicht mehr getragen von einer
werttheoretisch begründeten Akkumulation, sondern von der empirischen
Hypothese, dass nur durch eine Durchkapitalisierung der weniger entwickelten
Zonen des Kapitalismus der Zusammenbruch des Kapitalismus verhindert werde.
Die verkürzte Sichtweise von Rosa Luxemburg und
anderer Autoren hat etwas mit ihrer verkürzten Sichtweise des Wertgesetzes zu
tun. Wie gesagt, es wird ein Großteil der Formbestimmungen des Werts in der
Zirkulation und im Gesamtprozess des Kapitals ausgeblendet. Die Marxsche
Theorie ermöglicht eine weitgehende Vermittlung der inneren Gesetzmäßigkeiten
des Kapitalismus mit oberflächlichen Strukturen der Gesellschaft. Die
Konkurrenz als Teil der Oberfläche wird in ihrer Vielschichtigkeit und ihren
Rückwirkungen entwickelt. Marx entwickelt Basisstrukturen der Konkurrenz, das
sogenannte Grundgesetz der Konkurrenz, und die darauf aufbauenden
Formbestimmungen und verdrehten Erscheinungsformen, die die zugrundeliegende
innere Struktur der Gesellschaft nicht mehr offenbaren. Die Konkurrenz führt zu
Ausgleichsprozessen und hebt die systembedingten Abweichungen ganz oder
teilweise auf. Die oberflächlichen Prozesse stehen im Widerspruch zum
werttheoretischen Kern und bilden dann auch Anschauungen heraus wie zum
Beispiel die Daseinsform der freien Individualität. Über die angesprochenen
Ausgleichsprozesse, insbesondere der Profitraten, vollzieht sich die
gesellschaftliche Verteilung der Waren und der Arbeit. Es vollzieht sich in der
Konkurrenz eine radikale Entwicklung der Produktivkräfte mit einerseits
persönlichen Freiheiten andererseits aber eine völlige Unterordnung unter die
kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse. Die „Kritik der politischen Ökonomie“
ist also nicht nur eine Theorie der Ausbeutung, sondern eine umfassende Theorie
der sozialen Reproduktion und Selbstregulation. Innerhalb der Theorie
existieren systematische Anknüpfungspunkte zur Analyse der Alltagsstrukturen
und der politischen Herrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft.
Zusammenfassend werden von Bischoff/Krüger/Lieber
folgende Thesen aufgeführt, die sie dann näher zu belegen haben:
1.Der Begriff des Wertes ist der abstrakteste Ausdruck
des Kapitals bzw. der kapitalistischen Produktion. Der Begriff des Wertes bzw.
die besondere Form der gesellschaftlichen Arbeit durch Arbeitszeit setzt eine
Produktionsweise voraus, in der das einzelne Produkt Teil der
gesellschaftlichen Warenproduktion ist.
2.Das Kapital als sich verwertender Wert umschließt
nicht nur Klassenverhältnisse, sondern eine Bewegung, einen Kreislaufprozess
durch verschiedene Formen, die Zirkulation und den Gesamtprozess des Kapitals.
3.Eine Nation, die auf dem Wert beruht, umfasst nicht
nur nationale Bedürfnisse, sondern geht darüber hinaus. Bleibt nach Aufhebung
der kapitalistischen Produktionsweise bei der gesellschaftlichen Produktion die
Wertbestimmung vorherrschend, wird die Regelung der Arbeitszeit und die
Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die Produktgruppen wichtiger
denn je. Die Ökonomie der Zeit bleibt wesentlich und die Zeit ist zweckmäßig
einzuteilen, das bleibt das erste ökonomische Gesetz auf der Grundlage der
gesellschaftlichen Produktion.
4.Die kapitalistische Produktionsweise ist eine
historische und wird in eine andere Gesellschaftsform übergehen. Dabei muss das
„Kapital“ die Richtschnur des Denkens und Handelns sein. Dabei gilt es
natürlich der Entwicklung des Kapitalismus Rechnung zu tragen und seine
Veränderungen in den Fokus zu nehmen.
Marx hat als Endzweck des „Kapital“ definiert, die
ökonomischen Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft zu ergründen. Im
Gegensatz zur bürgerlichen Ökonomie, die das Handeln der Subjekte in den
Mittelpunkt stellt, geht es in der Marxschen Theorie um die Erfassung des
spezifischen Charakters der gesellschaftlichen Arbeit und ihrer Verteilung im
Gsamtsystem. In diesen materiellen Lebensverhältnissen wurzeln dann die
Rechtsverhältnisse wie Staatsformen. Der gesellschaftliche Charakter der Arbeit
wird allerdings nicht von den Individuen beherrscht, sondern er erscheint ihnen
gegenüber als etwas Fremdes, ihr wechselseitiger Zusammenhang als eine Sache.
Marx arbeitet sich daran ab, den Zusammenhang von Mehrwertproduktion,
Konkurrenz und den Gesamtprozess des Kapitals darzustellen. Dabei hat er zuerst
das Problem, den Ausgangspunkt der Darstellung zu finden und in den einfachen
und entwickelten Formen des Werts die Strukturzusammenhänge des Gesamtsystems
zu erfassen. Die einfachste Struktur ist die Warenform bzw. ihre Wertform und
deswegen muss die Darstellung auch hier beginnen. Dabei geht es nicht darum,
einer Abfolge von Kategorien nachzuspüren, sondern es geht darum, das
Verhältnis der inneren Natur des Kapitals und seiner Oberfläche in seiner
Kompliziertheit darzustellen. Marx kommt in seinem Forschungsprozess zu der
Schlussfolgerung, dass die Produktion, Distribution, der Austausch und die
Konsumtion Teile eines organischen Ganzen sind, bei denen Wechselwirkung
existiert. Die Schwierigkeit besteht darin, dass dem wirklichen
Aneignungsprozess des Mehrwertes ein oberflächliches Aneignungsverhältnis in
der Zirkulation vorausgesetzt ist. Die
Aneignung scheint auf eigener Arbeit zu beruhen, wodurch der Aneignungsprozess von
Mehrwert in der Produktion verschleiert wird. Marx kommt zu der Erkenntnis,
dass die Konkurrenz der Anfangs- und Endpunkt der Betrachtung sein muss. Die
Formbestimmungen des Werts bis zur Oberfläche der Gesellschaft darzustellen
bedeutet, eine systematische Darstellung vom Kern, den Grundtendenzen bis hin
zur Oberfläche und den Bewusstseinsformen des Kapitalismus vorzunehmen. An der
Oberfläche erscheinen der Lohn, der Profit und die Grundrente als Quellen des
Werts anstatt aus dem Wert als Grundlage abgeleitet zu werden. Das Angebot und
die Nachfrage in der Konkurrenz sind dem bürgerlichen Ökonomen die
Grundkategorien, aus denen er die Einkommen und ihre Höhe ableitet. Im
Gegensatz dazu galt es für Marx den komplizierten Zusammenhang von
Mehrwertproduktion (Bd.1), die Reproduktion des Kapitalverhältnisses (Bd.2) und
den Formen der Oberfläche in der Konkurrenz (Bd.3) zu entschlüsseln. Nach der
einfachen Zirkulation, die das Arbeitsverhältnis einleitet, zeigt Marx, dass
die Kapitalakkumulation davon abhängt, aus dem Arbeiter bzw. der Arbeiterin mehr
Wert herauszuholen als sie selbst für die Reproduktion benötigen. Die
Kapitalisten haben die Zeit der Arbeit zu kontrollieren und sind durch die
Konkurrenz gezwungen, den Arbeitstag zu verlängern und / oder die
Arbeitsintensität an ihre Grenzen zu treiben. Das Fabriksystem ist revolutionär
in dem Sinne, dass es die Intensität der Arbeitsverausgabung und die Konkurrenz
von Arbeiter und Maschine antreibt und damit zu Widersprüchen der
kapitalistischen Form führt. Es wälzt die alte Gesellschaft um und entwickelt
Bildungselemente einer neuen.
An der Oberfläche der Gesellschaft, bei der Bestimmung
der gesellschaftlichen Wertschöpfung, wird in der bürgerlichen Ökonomie von den
drei Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital ausgegangen. Marx Ziel war
es, diesen Schein aufzulösen. Er arbeitete heraus, dass Unternehmergewinn, Zins
und Grundrente Formen des Mehrwerts und damit der Mehrarbeit des Arbeiters bzw.
der Arbeiterin sind. Diese Produktionsfaktorentheorie entspricht den Interessen
der herrschenden Klassen, indem sie die Verteilung der Einkommen als
naturgegeben darstellt. Der entscheidende Punkt für die Arbeiterklasse ist
jedoch, die Kontrolle über die Verteilung und die Produktion zurückzugewinnen.
Das ist aber deswegen schwierig, weil der Großteil der Bürger bzw.
Lohnabhängigen in der Scheinwelt befangen ist. Diese Bewusstseins- formen sind
aufzulösen, wenn man andere Verteilungsverhältnisse, andere Strukturen sozialer
Sicherheit und eine andere öffentliche Ausgabenpolitik entwickeln will. Diese
Bewusstseinsentwicklung muss die Arbeitszeiten, Produktivitäten und die
Einkommens- und Vermögensverteilung im Fokus haben. Das wird nur schrittweise
geschehen. Die Vorstellung bei einigen Vertretern der Arbeiterbewegung, eine
schnelle Abschaffung von Ware-Geld und Kapitalformen sei notwendig war schon
immer absurd und hat zu katastrophalen Ergebnissen geführt (Realer
Sozialismus). Die Grundlage einer nachkapitalistischen Gesellschaftsform wird
ein weitgehend genossenschaftlicher Gemeinbesitz an den Produktionsmitteln sein
sowie ein entwickeltes System gesellschaftlicher Steuerung. Nicht
Kommandogewalt, gar einer Partei, ist entscheidend, sondern der Einsatz von
Kredit, Steuern, staatlicher Nachfrage und von programmierten Investitionen.
Die neue nachkapitalistische Produktionsweise hat ihre Ansatzpunkte in der
alten, zum Beispiel im Kreditwesen oder Aktienwesen.
Das Geldkapital und das Kreditsystem unterzieht Marx
einer besonderen Betrachtung, weil gerade hier wichtige Ansatzpunkte für den
Übergang in eine neue Wirtschaftsordnung gegeben sind. Der 2. Band des
„Kapital“ zeigt schon, dass die Reproduktion des Kapitals die Bewegung des
Geldkapitals, des Kredit- und Bankwesens einschließt. Das Geldkapital, dass dem
Produktionsprozess entstammt und der Kapitalist noch nicht in seinem eigenen
Geschäft verwenden kann, konzentriert sich dann im Bank- und Kreditwesen. Die
Akkumulation des Geldkapitals kann sich von der materiellen Gestalt des Geldes
lösen und durch jeden Titel ersetzt werden. Diese Wertpapiere werden als fiktives
Kapital bezeichnet. Die von Marx hervorgehobene Unterscheidung zwischen
zinstragendem Kapital in Geldform und seinen Anlageformen ist
strukturbestimmend für den gesamten Finanzsektor. Das fiktive Kapital setzt den
Zinsfuß voraus, da sich der Preis des Wertpapiers aus der Kapitalisierung der
Zinserträge ergibt. Es handelt sich um Vermögenspapiere und sie sind reine
Finanzmarktkreationen. Die zugrundeliegende Liquidität der Finanzmarktakteure
bildet die gesellschaftliche Spekulationskasse.
Von besonderer Bedeutung ist heute die Entwicklung der
Produktivkräfte, die Marx vornehmlich auf die Betrachtung der relativen
Mehrwertproduktion stützt. Dabei ist natürlich die Möglichkeit der Verquickung
mit politisch-religiösen Herrschaftsstrukturen inbegriffen. Diese Debatte wird
im Rahmen der Debatte um den Crony- Kapitalismus geführt. Damit sind
Wirtschaften gemeint, in denen die Wertschöpfung durch Verbindungen mit
Machtgruppen modifiziert wird. Das geschieht mithilfe von staatlichen
Interventionen oder Macht- oder Monopolkonstellationen. Neben der politischen
Einflussnahme sieht Marx die beständige Revolutionierung der Produktivkräfte
der Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise selbst begründet. Marx
stellt in diesem Zusammenhang drei Aspekte der relativen Mehrwertproduktion
heraus:
1.Das Kapital als sich verwertender Wert treibt die
relative Mehrwertproduktion und damit die Ausweitung der Mehrarbeit und der
Entfaltung der Produktivkräfte voran. Die beschleunigten Fortschritte der
Zivilisation bewirken auch die Entwicklung der Wissenschaften, Technologie,
Verbesserung der Kommunikations- und Transportmittel und das alles im
Zusammenhang mit der Entwicklung des Weltmarktes.
2.Die Entwicklung der Produktivität der Arbeit
befestigt das Herrschaftsverhältnis des Kapitals und stellt sich als
Produktivkraft des Kapitals dar. Das Gesellschaftliche ihrer eigenen Arbeit
erscheint den Lohnabhängigen als fremd und sogar als feindlich ihnen gegenüber.
Diese Mystifikation wird jetzt viel weiter entwickelt als bei der absoluten
Mehrwertproduktion.
3.Marx arbeitet die historische Bedeutung des
Kapitalismus und damit der Entwicklung der Produktivkräfte durch die
Entwicklung des Kapitalbegriffs heraus.
In den Zusammenhang der Entwicklung der
Produktivkräfte der Arbeit ist auch die Kategorie des Fixkapitals einzuordnen.
Damit ist zunächst nur eine Formbestimmung gemeint, die mit den Kreislaufformen
entwickelt wird. Darüber hinaus aber ist sie ein Indikator für den
Entwicklungsgrad der Zivilisation. Gerade die aktuelle Tendenz der Vernetzung
zeigt den hohen Entwicklungsgrad des fixen Kapitals. Marx geht dabei nicht
davon aus, dass nun das Ende der Aneignung fremder Arbeitszeit gekommen sei,
sondern er konstatiert einen Widerspruch. Einerseits wird die Arbeitszeit zur
Schaffung des Reichtums auf ein Minimum reduziert, andererseits wird aber die
Arbeitszeit als einzige Quelle des Reichtums gesetzt. Einerseits also die
Hervorbringung aller Quellen der Wissenschaft, andererseits aber eingebunden in
die kapitalistischen Grenzen. Das sind nach Marx die materiellen Bedingungen,
um sich vom Kapitalismus zu verabschieden. Das heißt, die kapitalistische
Produktionsweise bricht aus Marxens Sicht nicht einfach zusammen, sondern die
materiellen und geistigen Bedingungen der Überwindung des Kapitalismus sind
Bestandteile der Entwicklung der Produktivkräfte und sind mit schneidenden
Krisen verbunden. Es entsteht ein „enormes Bewusstsein“ und allein dadurch
kommt es zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise.
KAPITEL 2
INDUSTRIELLE BETRIEBSWEISEN DES GESELLSCHAFTLICHEN
PRODUKTIONSPROZESSES
Die große Industrie unterscheidet sich von seinen
Vorläufern, dass der Produktionsprozess ohne Rücksicht auf die menschliche Hand
die moderne Technologie zum entscheidenden Bestandteil der Produktion
herausbildet. Er behandelt zudem die vorhandene Form des Prozesses nie als
definitiv, dafür sorgt das Kapital mit seinem Drang nach gesteigerter
Verwertung. Die industrielle Produktionsweise ist insoweit revolutionär im
Vergleich zu vorkapitalistischen Produktionsweisen, die im Wesentlichen
konservativ sind. Ein Großteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit wird auf
einfache Arbeit reduziert, das ist wichtig für die Wirkung des Wertgesetzes,
das heißt, für die Herstellung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und
die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die verschiedenen
Produktionszweige. Neben der einfachen Durchschnittsarbeit entwickelt sich ein
Bereich komplizierter Arbeiten, die sich durch überdurchschnittliche
Qualifikationen auszeichnen. In der Regel sind es die einfachen Arbeiten, die
stärker der Maschinerie und Automatisierung ausgesetzt sind. Je entwickelter
allerdings die Technologie ist, desto mehr unterliegen auch kompliziertere
Tätigkeiten der Automatisierung. Das Verhältnis der beiden Arbeitsarten wird
dann neu bestimmt. Die beständige Revolutionierung der Produktivkräfte führt zu
erhöhten politischen Interventionen, beginnend in Großbritannien mit der
Fabrikgesetzgebung. Diese Einheit von Struktur des Produktionsprozesses und den
Veränderungen im Überbau (Staat, Recht, Bewusstsein) wird von Marx mit der
Kategorie der „gesellschaftlichen Betriebsweise“ erfasst. Sie beinhaltet einen
ganzen Gesellschaftsmechanismus, aber die Grundlage bildet immer eine bestimmte
organisierte und technische Form des Produktionsprozesses.
Die große Industrie als erste Betriebsweise
erhebt sich gegenüber der Manufakturperiode, differenziert die betriebliche und
gesellschaftliche Arbeitsteilung, und erfordert neue Transport- und
Kommunikationsmittel. Die ökonomische Umwälzung ist mit der Fabrikgesetzgebung,
der Festlegung des 10-Stunden-Tages, mit Auswirkungen auf Bildungseinrichtungen
und weiterentwickelten Familienstrukturen verbunden. Sie greift auf den
Weltmarkt über und ermöglicht eine Periodisierung des Kapitalismus. Diese
Periodisierung ist das Gegenstück zu einer Theorie der langen Wellen
(Kondratieffzyklus) und zu der Stadientheorie des Kapitalismus
(Konkurrenzkapitalismus, Monopolkapitalismus, staatsmonopolistischer
Kapitalismus). Die Große Industrie entwickelte sich im 19.Jahrhundert. Die
Manufakturen wurden niederkonkurriert, die industrielle Produktion ermöglichte
außerordentliche Profite mit einer beschleunigten Akkumulation. Dieser Prozess
hielt in Großbritannien bis zur 2.Hälfte des 19.Jahrhunderts an, ein Prozess
der zeitversetzt auch in den USA und dem Deutschen Reich ablief. Es ergab sich
nach einer Sturm- und Drangperiode schon früh eine Tendenz zum Fall der
durchschnittlichen Profitrate. Das britische Kapital dominierte zuerst den Weltmarkt
und war das Zentrum der Finanzwelt der damaligen Zeit. Dazu gehörte auch die
Durchsetzung des internationalen Goldstandards mit dem Weltgeld Gold, das
allerdings schon im 19.Jahrhundert teilweise durch nationale und internationale
Wechsel ersetzt wurde.
Mit und nach dem 1.Weltkrieg hatte Großbritannien
seine industrielle Vorherrschaft verloren. In der Zwischenkriegszeit
entwickelte sich in den USA mit dem Fordismus die zweite industrielle
Betriebsweise, sie wurde auch Taylorismus genannt. Es kam zur Fließbandproduktion,
also zu einer systematische Neustrukturierung der innerbetrieblichen
Arbeitsteilung. Die Arbeit wurde großteils auf monotone und repetitive
Funktionen reduziert mit dem Oberziel der Senkung der Kosten der industriellen
Massenproduktion. Die charakteristische Unternehmensform sind tief vertikal
gegliederte Mischkonzerne und hierarchische Aufbauorganisationen. Unter diesen
Bedingungen wurden Gewerkschaften und arbeitnehmerorientierte Parteien zu
wichtigen Akteuren in der Zivilgesellschaft und dem Staat. Der Sozialstaat und
die Sozialversicherungen wurden wichtig für die Existenzsicherung von
Lohnabhängigen aber auch als Konsumenten. Die Märkte wurden inzwischen von
Verkäufermärkten zu Käufermärkten. Die entsprechenden Kapitale müssten nun durch
Werbung und Marketing versuchen Konkurrenzvorteile zu erlangen. Die
Arbeiterklasse differenzierte sich durch die Zunahme von unproduktiven
Lohnarbeitern des Kapitals. Während im produktiven Bereich, also in der
Mehrwertproduktion, die technischen Angestellten gegenüber den gewerblichen
Arbeitern relativ im Umfang zunahmen, wuchsen gleichzeitig die kommerziellen
Angestellten im administriven Bereich des Unternehmen (Rechnungswesen, Einkauf
und Verkauf, Werbung und Marketing).
Historisch wurde die neue Betriebsweise des Fordismus
in den USA entwickelt und verbreitet. Begleitet wurde die Entwicklung durch den
„New Deal“ der 30er Jahre, einer Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
und Entwicklung der USA zur internationalen Gläubigernation. Sie errang die
Vorherrschaft im Bretton- Woods-System von 1944, der Dollar wurde zum Weltgeld
mit Golddeckung. Die 1950er und 1960er Jahre wurden durch die USA geprägt, die
Periode wurde auch das „goldene Zeitalter des Kapitalismus“ genannt.
International war das auch das Zeitalter Dekolonialisierung, aber auch das des
„Kalten Krieges“ zwischen Ost und West. Die Dekolonialisierung kann weniger als
Ausdruck der Humanität gewertet werden, sondern gilt auch als Zeit des billigen
Rohstoffbezuges und der Erweiterung der Absatzmärkte der kapitalistischen
Hauptländer. Auf dem Weltmarkt dominierten die USA bis in die 50er Jahre des
letzten Jahrhunderts. Die Erosion ihrer Stellung begann in den 60er Jahren, vor
allem wegen der Konkurrenz der Bundesrepublik und Japans. Bei der Kapitalakkumulation
des Fordismus machte sich nun in den USA, aber auch in anderen kapitalistischen
Hauptländern, der Fall der durchschnittlichen Profitrate geltend. Das Ende der
Nachkriegsprosperität wurde deutlich sichtbar mit der Weltwirtschaftskrise 1974/75.
Das zeigte sich auch an der Preisinflation an den Warenmärkten, der Spekulation
an den Euro-Dollar-Märkten und am Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems. Das
wurde frühzeitig von marxistischer Seite als chronische Überakkumulation
interpretiert, das heißt, der Fall der durchschnittlichen Profitrate konnte
nicht mehr durch eine Steigerung der Profitmasse kompensiert werden.
Der Übergang in die chronische Überakkumulation
vollzog sich 1974/75, wurde allerdings von der bürgerlichen Ökonomie und
Politik nur als zyklische Krise wahrgenommen mit einer Steigerung des
Ölpreises. Es wurde deswegen auch von einer Ölpreiskrise gesprochen und mit
einer antizyklisch angelegten Antwort reagiert. Der Erfolg dieser Politik war
gering, Konjunkturprogramme heizten noch einmal die Inflation mit an, das
geflügelte Wort der bürgerlichen Ökonomie lautete Stagflation. Die offizielle
Politik nahm einen neoliberalen Kurs ein und die Zentralbanken schalteten auf
eine restriktive Politik um.
Innerhalb des Produktionsprozesses wurde auf
verschiedene Weise versucht, die Verwertungsprobleme des Kapitals anzugehen.
Durch Lean- Produktion, Abbau von Hierarchieebenen, Null-Fehler-Produktion,
kleine Serien für spezielle Kundenwünsche und Outsourcing bestimmter Bereiche
soll das Ziel erreicht werden. Gleichwohl zeigte sich, dass diese Elemente
nicht ausreichen, um eine neue postfordistische Betriebsweise mit
beschleunigter Akkumulation hervorzurufen. Dafür sorgte vor allem die
Begrenzung durch die Unterkonsumtion aus Masseneinkommen. Die durch Marktkräfte
eingeleitete und neoliberale Wirtschaftspolitik verstärkten Veränderungen
verringerten die Produktivität der Arbeitskräfte und führten zum Rückfall in
die absolute Mehrwertproduktion (Lohndrückerei und längere Arbeitszeiten).
Einer neuen beschleunigten Akkumulation des reproduktiven Kapitals steht auch
die verselbständigte Geldakkumulation entgegen. Viele Länder mussten
Umschuldungsaktionen vornehmen und auch in den kapitalistischen Metropolen
wurde die reproduktive Akkumulation durch Finanzmärkte gesteuert. Dafür sorgten
Finanzinvestoren (Hedge-Fonds, Private-Equity-Fonds, Immoblienfonds etc.), die
in das operative Geschäft von Aktiengesellschaften eingriffen und dort vor
allem die Shareholder-Value-Orientierung durchsetzten. Unternehmen wurden auf
Kernkompetenzen zugeschnitten. Es kam zur Steigerung von Kurswerten beim
fiktiven Kapital (Wertpapiere) und zur massiven Bereicherung von
Vermögensbesitzern auch am Immobilienmarkt. Die Wertpapierspekulation an den
Börsen, Immobilienblasen und eine wirtschaftliche Scheinblüte führten zur
Finanzmarktkrise 2007/2008. Der Boom, der vor allem kreditgestützt war, konnte
keine nachhaltige reproduktive Kapitalakkumulation hervorrufen, insbesondere
wegen der Beschränkung der Massennachfrage. Auch eine ultralockere Geldpolitik
der Zentralbanken brachte nur kurzzeitige Entlastungen von angeschlagenen
Banken aber keine beschleunigte Akkumulation des produktiven Sektors.
International ist keine neue Weltordnung in Reichweite. Im Gegenteil, Handels-
und Finanzkriege sind nicht auszuschließen gerade wegen der aktuellen Politik
der USA. Das Fazit ist: Es fehlen im Augenblick die Voraussetzungen für eine
nachfordistische Betriebsweise. Ob die Digitalisierung die Verwertungsprobleme
des Kapitalismus lösen kann ist näher zu betrachten
KAPITEL 3:
DER DIGITALISIERTE KAPITALISMUS ALS NUKLEUS EINER
NEUEN BETRIEBSWEISE?
Wir haben seit einiger Zeit eine Veränderung der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung und es wird die Produktivkraftentwicklung auf
eine neue Stufe gehoben. Es geht um die Bildung von Netzwerken, auch
Plattformökonomie genannt. Wir bekommen das im Privatleben durch
Dienstleistungen im Werbebereich oder auch die Vermittlung von Miet- und
Handelsgeschäften mit, ebenso wie bei der Durchführung privater Bankgeschäfte.
Ein anderes Beispiel ist die Telemedizin, wo anstatt eines persönlichen
Arztbesuches eine Beratung per Internet (Skype) erfolgt. Die
Entwicklungsperspektive, die mit der Verallgemeinerung der Plattformökonomie
einhergeht, erklärt, neben finanzkapitalistischen Spekulationen, die teilweise
extrem hohen Marktwerte von Internet- bzw. Plattformunternehmen. Diese
Plattformökonomie durchläuft mehrere Stufen. In der ersten Stufe ging es
um Netzwerke und Partnerschaften zwischen Unternehmen, gemeinsame
Entwicklungsprojekte zwischen selbstständigen Einzelkapitalen. Die Plattformen
waren die verbindenden Adern der Produktion und Zirkulation von Einzelkapitalen
sowie der massenhaften Ansprache von Konsumenten. Die vielen Einzelkapitale
führten die Entwicklung dieser Infrastruktur selbst als profitables Geschäft
durch. Der Datenverwertung durch Werbung werden in der zweiten Stufe die
netzwerkbasierten Dienstleistungen als Bezahlangebot folgen. Damit dürfte klar
sein, dass die Marktallokation nicht untergraben wird, selbst wenn
Netzwerkbetreiber zu Beginn Gratisangebote machen. Das heißt auch nicht, dass
hier eine quasi immaterielle Produktionsweise entsteht. Es wird missachtet,
dass die Plattformökonomie an ihrer Basis hochentwickelte materielle
Infrastrukturen wie Rechner/Server, Übertragungsnetze und Endgeräte beinhaltet,
die erhebliche Mengen gesellschaftlicher Arbeit verkörpern, diese Infrastruktur
wird zu einem Träger der Produktivkräfte. Die aus der Mikroelektronik und
Internet entspringenden Produktivkräfte haben insoweit eine neue Qualität, als
die Vernetzung selbstständiger Marktakteure die bisher bestehenden Grenzen der
marktwirtschaftlichen Ressourcenallokation überwindet, national und
international. Früher war das nur im fordistischen Mischkonzern mit hoher
Fertigungstiefe möglich, was verschiedene Probleme hervorrief, zum Beispiel die
Kostenzurechnung erschwerte, zu Fehlentscheidungen bei der Fortführung einer
Produktlinie führte und eine Ausuferung bei der Hierarchisierung der
Organisation hervorrief. Diese Defizite der unternehmensinternen
Kostenoptimierung werden heute durch Marktpolitik umgangen, das heißt, durch
Aufspaltung von Betrieben bzw. Betriebsteilen und danach ihre
Verselbstständigung (Profit-Center). Sie sind entscheidungsautonom und
Marktprozessen unterworfen. „ Make or buy“ ist die Devise, das heißt, nach dem
Outsourcing wir die Fremdleistung bei neuen Anbietern neu eingekauft. Fixe
Kosten werden in variable Kosten verwandelt. Es ergeben sich
Produktivitätseffekte durch Spezialisierung. Schon Marx wies darauf hin, dass
im Innern des Unternehmens planmäßig gearbeitet wird während außerhalb einer
regellosen Willkür herrsche, die im Barometer der Warenpreise wahrnehmbar sei. Heute wird die
Marktallokation genutzt, die an sich naturwüchsig abläuft, für die Reduzierung
von Verlusten an Arbeitszeit, die nicht im Preis vergütet wird. Dadurch werden
die Akteure zur Verringerung ihrer nicht im Marktpreis vergüteten Arbeitszeit
angespornt. Das schließt trotzdem nicht aus, dass durch Krisen massenhafte
Entwertungsprozesse von Kapital und Arbeit vollzogen werden.
Es muss klar sein, dass zwischen Problemen aus den
neuen Produktivkräften und ihrer Anwendung zu unterscheiden ist. Die
informationelle Vernetzung ist insoweit der Nukleus eines neuen
Rationalisierungsparadigmas, erfolgt aber immer über den Primat der
Marktallokation. Es kommt weiter zu Deformationen trotz neuer
Rationalisierungsparadigma. Einerseits dadurch, dass die großen Unternehmen den
Vorlieferanten die Preise diktieren und andererseits wegen der Konkurrenz
verschiedener Internetplattformen, bei der eine oder wenige Plattformen ihre
Marktmacht ausnutzen. Dadurch werden Entwicklungspotentiale ausgehöhlt. Trotz all dieser Probleme können
Kapitalbindungen reduziert, gemeinschaftliche Netzwerke und vorhandene
Produktionsmittel besser genutzt und Kosten gesenkt werden. Daraus folgt, dass
auch die nationale durchschnittliche Profitrate steigen kann, wenn eine
erhebliche Kostenreduktion gelingt. Die Automatisierung erhält einen besonderen
Anstoß, die Steuerung von Einkauf, Lagerhaltung, Fertigung und Absatz werden
weitergetrieben. Auch komplizierte Tätigkeiten im Finanzsektor werden
automatisierbar.
Allerdings gilt bei alledem, die Grenzen der
Digitalisierung im Blick zu halten. Jeder noch so ausgeklügelte Algorithmus
kann nicht die Spezifik menschlicher Arbeit ersetzen, denn sie besteht nicht
nur aus der bewussten Wahrnehmung der Außenwelt, sondern auch aus der ideellen
Antizipation ihrer Ergebnisse. (kreative und wissenschaftliche
Entwicklungsarbeit). Es kommt hinzu das Arbeit immer gesellschaftlich bestimmt
ist. Mit dem Ausweis dieser Eigenschaften wird auch der Bezug zur Werttheorie
hergestellt und die Gültigkeit der Wertbestimmung durch gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit, insbesondere durch die Unterscheidung von einfacher und
komplizierter Arbeit. Hier ist das Vehikel um die Wertschöpfung zu steigern.
Selbst bei einer totalen Automatisierung der Produktion und einem kompletten
Wegfall einfacher Arbeiten wäre die wissenschaftliche Arbeit als nationale
Gesamtarbeit einzuordnen in die vielen Nationalarbeiten auf dem Weltmarkt, Sie
wäre Arbeit, die erhebliche Surplusprofite hervorriefe im internationalen
Maßstab. Das ist aber noch Zukunftsmusik, aus heutiger Sicht rufen vernetzte
Arbeitsprozesse verschiedene Folgen hervor:
1.Die Cloud- und Clickworker können an verschiedenen
Orten der Welt tätig werden.
2.Es vollzieht sich eine Fragmentierung der
Belegschaft
3.Arbeitsplätze im Büro können individuell verlegt
werden (Home-Office)
4.Es entstehen erhöhte individuelle Spielräume was den
Ort und die Einteilung der Arbeit angeht mit der Gefahr der Sebstausbeutung
Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit einer
erweiterten Mitbestimmung der Beschäftigten, die durch Beteiligung am
Produktivkapital abzusichern ist. Damit kommt man allerdings zu den ökonomisch
entscheidenden Fragen der kapitalistischen Produktionsweise. Wie jede
Steigerung der Produktivkräfte wirkt auch die Netzwerkökonomie als Einsparung
der lebendigen Arbeit und auch als eine gesamtwirtschaftliche Einsparung von
fixem Kapital. Im Gesamtergebnis wird die allgemeine Mehrwertrate gesteigert, vermindert
den Vorschuss an konstantem Kapital. Das sind Gegenkräfte gegen den Fall der
nationalen Durchschnittsprofitrate. Es hat sich allerdings anhand der
Entwicklung der verschiedenen nationalen Profitraten gezeigt, dass Umverteilung
zu Gunsten der Profite, vermehrte absoluten Mehrwertproduktion und eine
Verlangsamung der Produktivitätssteigerung nur zu einer Stabilisierung der
Profitrate auf niedrigem Niveau geführt hat.
Eine konsumgestützt Nachfragebelebung durch die
Geldpolitik der Zentralbanken und Aufblähung des fiktiven Kapitals würde auf
Dauer zu einer Kernschmelze im Kredit- und Bankensystem führen und zur
Diskreditierung der Repräsentativgeldwährungen. Insoweit ist die Weltwirtschaft
an einem historischen Knotenpunkt. Neue Produktivkräfte sind vorhanden, die
kapitalistische Produktionsweise hemmt jedoch sowohl ökonomisch durch
niedrigere Profitraten als auch gesellschaftlich (arbeitspolitisch, politisch,
sozial- und klassenstrukturell) eine höhere Betriebsweise. Es kommt hinzu, dass
weltpolitisch weder die USA, noch China und die EU in der Lage sind, eine
Hegemoniestellung zu stellen und eine internationale Akkumulation in Gang zu
bringen. Die Anforderungen, die an ein neues internationales
Akkumulationsregime zu stellen sind, hat Keynes bereits in den 40er Jahren des
letzten Jahrhunderts formuliert:
1.Es muss eine Clearing-Union geben und eine Steuerung
der internationalen Handelsströme erfolgen.
2.Es ist eine internationale Währung zu schaffen, die
nicht eine nationale Währung sein kann.
3.Es muss eine Weltzentralbank geschaffen und auch
eine Ausgestaltung der Internationalen Handelsagentur (WTO) mit
Interventionsmöglichkeiten bei Leistungsbilanzunterschieden.
Für die EU bedeutet das, nationalistische Rückschritte
zu überwinden und eine europäische Volkswirtschaft zu entwickeln. Das bedeutet
auch, Abhängigkeiten von US-amerikanischen und chinesischen Netzwerken zu
vermindern und eigene europäische Internetkonzerne aufzubauen. Die
Weiterentwicklung der Produktivkräfte wird nur durch das Zurückdrängen der
kapitalistischen Produktionsverhältnisse möglich sein, ebenso wie die
Profitrate als Steuerungselement. Entscheidend wird eine makroökonomische
Strukturpolitik, erweiterte Mitbestimmungen der Beschäftigten und eine
Wirtschaftsdemokratie in den Unternehmen sein. Es muss die Einsicht Platz
greifen, dass sich die Trennung der lebendigen Arbeit von den
Produktionsmitteln überlebt hat.
KAPITEL 4:
DIE LOHNARBEIT ZWISCHEN „ÖKONOMISCHER ALLTAGSRELIGION“
UND „ENORMEM BEWUSSTSEIN“, ZWISCHEN KAPITALISTISCHEM PRIVATEIGENTUM UND NEUEN
WIRTSCHAFTSDEMOKRATISCHEN ASSOZIATIONSFORMEN.
Eine ausdifferenzierte Infrastruktur und ein
qualifizierter Gesamtarbeitskörper sind zentral für moderne kapitalistische
Gesellschaften und die subjektiv-objektiven Voraussetzungen für nachkapitalistische
Produktionsverhältnisse. Es ist notwendig die Chancen systemkritischer
Bewusstseinsveränderungen und die emanzipatorische Handlungsfähigkeit
einzuschätzen. Dazu ist die „ökonomische Alltagsreligion“ näher darzustellen.
Für die privaten Haushalte bleibt die Lohnarbeit das
strukturierende Moment ihres Lebensalltags. Auf Basis der Erwerbstätigkeit
sammeln sich eine Vielzahl von sozial-kulturellen Tätigkeiten bei den
Individuen an. Es gilt nun zu verstehen auf Basis der Marxschen Theorie, warum
die gesellschaftlichen Individuen keinen Anstoß an den Mystifikationen von
Ware, Geld und Kapital nehmen, im Gegenteil ihr Leben als Realisation ihrer
Individualität begreifen. Deswegen ist hier durch die Mystifikationen
hindurchzugehen und ist festzustellen, dass an der Oberfläche der Gesellschaft
der Wert als Resultat des Zusammenwirkens der Revenuetitelbesitzer erscheint.
In der bürgerlichen Ökonomie heißt das „Produktionsfaktorentheorie.“ Dieses
Resultat geht dann wieder als Voraussetzung in die neue Runde der Reproduktion
ein. Es ergibt sich das Terrain eines freien und konkurrenzbestimmten Agierens
bürgerlicher Eigentümersubjekte. Mit dieser Oberflächenstruktur wird nach Marx
der Brückenschlag zum Alltagsbewußtsein hergestellt. Die Transformation des
bürgerlichen Bewusstseins erhält eine potenzierte Wertorientierung in Politik,
Recht und Alltagsmoral. Das Alltagsbewusstsein ist allerdings dem Handeln
vorausgesetzt und unterliegt historischen Veränderungen. In dem Maße, in dem
wie ein gewisses Maß an Umverteilung an Lohn, Vermögen und freier Zeit
durchgesetzt werden konnte, ergibt sich eine Verfeinerung der kulturellen
Sphäre und der Überbauten. Es verschiebt sich das Klassenbewusstsein und
verstärkt die Individualisierung.
Es gilt aber die Widersprüche des Wandels zu
beleuchten, die der Neoliberalismus und der Finanzmarktkapitalismus
hervorgebracht haben. Es vollzieht sich ein Marktöffnungsprozess in
unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen und damit eine Ökonomie der
Unsicherheit. Es wird für die Arbeitskräfte ein widersprüchlicher Prozess
freigesetzt, einerseits die Vorstellung freier Selbstbestimmung und damit
zusammenhängend das Bewusstsein, selbst für seine Ware Arbeitskraft
verantwortlich zu sein. Andererseits entpuppt sich der „Arbeitskraftunternehmer“
als dankbares Objekt neuer Über-bzw. Unterordnungsstrategien (Empowerment).
Jeder ist für sich selbst verantwortlich und nicht Teil einer Klassenpolitik.
Im Fordismus fand dieses Über- und Unterordnungsverhältnis noch eine soziale
Ausgestaltung. Diese Strukturen werden im gegenwärtigen Finanzkapitalismus
durch den weitgehenden Abbau sozialer Sicherheit zerstört. Alle Macht den
Märkten gilt nun als Devise als Gegenstrategie gegen soziale Unsicherheit. Die
Devise wird von der politischen Klasse ausgenutzt und noch verschärft. Seit den
80er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es trotz Versuchen eine neue
Betriebsweise aufzubauen, in Form von Lean-Production, Gruppenarbeit,
Enthierarchisierung und Digitalisierung, nicht zu einer zukunftsweisenden
Betriebsweise. Dagegen wurden eine neoliberale Globalisierung und
Finanzialisierung hegemoniefähig, Investitionen und Nachfrageverhältnisse
wurden blockiert und das Gesellschaftsbewusstsein stark beeinflusst.
Versprechen der sozialen Marktwirtschaft waren nicht mehr einlösbar:
1.Das Leistungs- und Glücksversprechen wurden
untergraben. Die Leistungsgerechtigkeit war mit dem Casino-Kapitalismus nicht
mehr vereinbar, was besonders die Mittelschichten tangierte.
2.Die Aufstiegsversprechen wurden untergraben.
3.Die Beschäftigten erfahren Kontrollverluste über
ihre Arbeit.
4.Es entstand eine Wut gegen das Establishment und
rechtspopulistische Ressentiments. Propaganda gegen „unproduktive und
parasitäre“ Transferempfänger
Diese Entwicklung bietet allerdings Ansatzpunkte
linker Politik:
1.Die Wiedergewinnung sozialer Sicherheit ist
umfassend anzugehen. Neben der Erwerbsarbeit geht es um die Qualität von
Wohnen, Bildung, Mobilität und Pflege. In der Produktion geht es um die
Verwirklichung wirtschaftsdemokratischer Verhältnisse.
2.Die Beschäftigen und die Akteure allgemein können
die größere Verantwortung in der Lohnarbeit befördern, indem sie die Trennung
von den Bedingungen ihrer Arbeit aufheben.
Die Frage ist, ob sich das formationstheoretisch
begründen lässt?
Die Spezifizierung der kapitalistischen
Produktionsweise besteht darin, dass das erste Mal in der Geschichte die
ungehemmte Entwicklung der Produktivkräfte die Voraussetzung der Gesellschaft
darstellt. Das ist das Produktionsgesetz des Kapitals, das heißt, die Schaffung
der größtmöglichen Surplusarbeit ohne Rücksicht auf die Schranken des Marktes.
Es wird disponible Zeit geschaffen, an der auch Lohnabhängige in gewissem Maße
partizipieren. Aber die Bedingungen, unter denen diese Resultate erzielt
werden, drängen nach alles Seiten zur Auflösung kapitalistischer
Eigentumsgesetze und der entsprechenden Eigentumsvorstellungen. Die
Proklamierung der Vorstellung im Kapitalismus „Eigentum entsteht durch Arbeit“
wird immer schwieriger. Der Zugang, Aneignung und Weiterentwicklung der
Produktivkräftekönnen sich auf Dauer nicht auf Basis fremdbestimmter
Eigentumsverhältnisse entstehen. Deshalb kann und muss eine gesellschaftliche
Aneignung des Eigentums vollzogen werden.
Eigentum ist eine zentrale Kategorie in der Analyse,
Selbstbeschreibung und Legitimation bürgerlicher Gesellschaften. Das gilt nicht
nur für die Produktionsverhältnisse, sondern auch viele andere Lebensbereiche,
Recht, Familie, Kunst usw. Der Aufstieg des Neoliberalismus seit Ende der 70er
Jahre hat konsequent das Eigentum ins Zentrum der Betrachtung gestellt
(Ownership-Society). Spätestens seit der Finanzkrise 2007 gerät diese
Vorstellung in einen Legitimationsnotstand.
In der Marxschen Theorie erweist sich die
bürgerlich-kapitalistische Eigentumsform als historische Durchgangsform. Sie
schafft die Bedingungen für eine höhere Eigentumsform und eine Pluralität von
Eigentumsformen bedingt durch die Kreditverhältnisse. Der Kapitalismus gerät in
eine Legitimationskrise, weil der Zusammenhang von Arbeit-Leistung-Einkommen-Aneignung
und Eigentum immer wieder aus den Fugen gerät. Deswegen kommt es, selbst bei
Linken, häufig zum Rückgriff auf Ludwig Erhard mit der Forderung „Wohlstand für
alle.“ Im Gegensatz dazu geht Marx so weit, im Kredit und Aktiengesellschaften
Ansatzpunkte zu sehen, um weitergehende Veränderungen der kapitalistischen
Produktionsweise einzuleiten. Es entwickeln sich Punkte der Rückverwandlung des
Kapitals in das Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Eigentum
vereinzelter Produzenten, sondern als Eigentum assoziierter Produzenten.
Eigentum bleibt allerdings zentral im Bewusstsein des Alltags. Die
Herausforderung besteht nun darin, das emanzipatorisch zu verändern. Auf diesen
Knotenpunkt in der kapitalistischen Betriebsweise muss sich die
Transformationskonzeption einer alternativen Wirtschaftspolitik beziehen:
ökologischer Umbau, ressourcensparende Produktqualität, Gruppenarbeit und die
Enthierarchisierung sind nur durch die Emanzipation der assoziierten Arbeit auf
betrieblicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene zu haben. Es hat die Stunde
des kapitalistischen Eigentums geschlagen. Sie stellt sich dar als Konflikt
zwischen nach Wirtschaftsdemokratie strebenden Belegschaften und durch die
Dominanz der Vermögensbesitzer verriegelten Unternehmenssteuerung und des
Kampfes gegen eine Ökonomie der Unsicherheit. Das heißt allerdings nicht,
zurück zum Fordismus sondern den Kampf gegen den Finanzkapitalismus und für
Wirtschaftsdemokratie in Betrieb und Gesellschaft.
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