In Gedenken an Walter Vielhauer

20. April 2022  Frieden, Reden

Silke Ortwein singt das Walter Vielhauer-Lied, Konrad Wanner steht neben ihr. Im Publikum OB Harry Mergel und Stadtrat Dr. Erhard Jöst.

Ansprache zum Gedenken an Walter Vielhauer, 19. April 2022
auf dem Friedhof Heilbronn, Konrad Wanner

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Antifaschist*innen, liebe
Kolleg*innen,

„Sicher blüht bei Euch im Neckartal jetzt bald alles zusammen wie schön ist es
dann dort.“
Mit diesen Worten endet ein Brief von Walter Vielhauer an seine Familie aus
dem KZ Dachau vom 22. April 1940. Ich konnte ihn im vergangenen Jahr zufällig
erwerben genauso wie einen Brief vom 1. Februar 1942, auch aus dem KZ
Dachau. Die SS hatte sie wohl nie abgeschickt, so fielen sie den Amerikanern
bei der Befreiung des KZ Dachau in die Hände.
Am 3. März 1933 wird Walter Vielhauer zusammen mit 40 weiteren
Heilbronner Kommunisten verhaftet, darunter auch Erich Leucht, der damalige
KPDStadtrat, Landtagsabgeordnete im Jahr 1950 und spätere IGM
Verantwortliche von Heilbronn. Fast 12 Jahre wird Walter Vielhauer von den
Hitlerfaschisten in Gefängnissen und Konzentrationslagern festgehalten, davon
5 Jahre in Einzelhaft im Zuchthaus Ludwigsburg. Den Nazischergen gelingt es
nicht, den aufrechten Gewerkschafter, Antifaschisten und Kommunisten zu
brechen. Eingebunden in die Solidarität seiner Mithäftlinge überlebt Walter
mit geschundenem Körper, aber bei klarem Verstand diese dunkelste Zeit
Deutschlands im 20. Jahrhundert.
Am 1. September 1939 beginnt Deutschland mit dem Überfall auf Polen den zweiten Weltkrieg und löst einen Flächenbrand aus, der Millionen von Tote fordert und am Ende mit dem Abwurf der beiden Atombomben in Hiroshima
und Nagasaki durch die USArmee andeutet, welche Gefahren der Menschheit
inzwischen drohen.
Nach der Befreiung des KZ Buchenwald am 11.4.1945 kehrt Walter Vielhauer nach Heilbronn zurück und wird am 30. Juni von der amerikanischen
Militärregierung als vertrauenswürdige Person zum Bürgermeister ernannt. Als
Verantwortlicher unter OB Beutinger für Wohnungs Arbeits und
Fürsorgefragen ist er damit beschäftigt, die schlimmste Not in der am 4.
Dezember 1944 zerstörten Stadt zu mildern. Walter engagiert sich vor allem
auch bei der Gründung der örtlichen Gewerkschaften und wird
Gründungsmitglied der ÖTV, der Vorgängerorganisation von ver.di in
Heilbronn.
Von 1948 bis Juli 1958 gehört Vielhauer als KPDMitglied dem Heilbronner
Gemeinderat an. Das KPDVerbot im Sommer 1956 zwingt ihn, dieses Amt
niederzulegen. Aber auch beruflich muss er seine Heimatstadt wieder verlassen
und wird in der Valerie Mehler AG in Fulda als kaufmännischer Angestellter
beschäftigt. Der Firmeninhaber ist Walter Albert Bauer, ein CDUMitglied und
Unterstützer der Bekennenden Kirche. Erst 1964 kann Walter Vielhauer wieder
als Rentner nach Heilbronn zurückkehren.
Die folgenden Jahre sind für ihn persönlich geprägt vom Verlust seiner Frau Hedwig, die nach schwerer Krankheit 1970 einem Krebsleiden erliegt. Die Ostermärsche und die Studentenbewegung in den 60ern sowie die von den
erstarkenden Gewerkschaften und der Friedensbewegung geprägten 70er und
80er Jahre lassen Walter Vielhauer politisch neue Hoffnung schöpfen. So ist er
jahrelang als Heilbronner VVNVorsitzender unterwegs, jungen Menschen die
Schrecken und Gräuel der Nazizeit anhand seiner persönlichen Erlebnisberichte
nahe zu bringen. Unermüdlich reist er in Jugendhäuser, zu
Gewerkschaftsversammlungen oder ist bei Friedensgruppen zu Gast und findet
als Antifaschist Gehör, wenn er die Lehren aus den Jahren 1933 bis 1945 zieht:
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Zu seinen besonderen Verdiensten gehören die jährlichen Gedenkfeiern auf
dem KZFriedhof Kochendorf am Ortsrand von Amorbach sowie die Anbringung
der Gedenktafel für Gottlob Feidengruber an der Mauer des ehemaligen
Klaraklosters in der Siebeneichgasse.
Walter Vielhauer engagiert sich auch gegen die auf der Waldheide stationierten
Atomraketen. Ob als Teilnehmer an Ostermärschen, ob an Infoständen oder ob
als Redner auf der Waldheide bis zu seinem Tod am 19. April 1986 ist er ein
anerkannter Mitstreiter der Heilbronner Friedensbewegung.
Ich möchte einen besonderen Verdienst Vielhauers erwähnen: In Buchenwald
wird im Herbst 1944 Willi Bleicher, der spätere Bezirksleiter der IGM
Württemberg, von der SS verschleppt und gefoltert. Bleicher war für die
Betreuung des jüdischen Kindes Jerzy Zweig verantwortlich. Nach der
Verschleppung Bleichers überträgt die illegale Häftlingsorganisation Walter
Vielhauer die Betreuung des jüdischen Kindes und es gelingt, dessen Leben bis
zur Befreiung des KZ Buchenwald vor der SS zu schützen. Bruno Apitz hat dem
Kampf um die Rettung Jerzy Zweigs den Roman „Nackt unter Wölfen“
gewidmet, der auch in dem gleichnamigen Film seine historische Aufarbeitung
findet, wenn auch mit künstlerischer Freiheit in der Darstellung.
Es bleibt mir unerklärlich, wie das Stadtarchiv Heilbronn im Jahr 2020 den Band
Heilbronn 1933 ff. herausgeben kann ohne den Namen Walter Vielhauer und
seine Inhaftierung zwischen 1933 und 1945 zu erwähnen. Es bleibt, dem
Stuttgarter Lehrer und Internetprotagonisten Joo Peter Dank und Anerkennung
auszusprechen, wenn er Vielhauers Rolle in seinem InternetProjekt
„Zeitsprünge sowie in dem Buch „Anpassung und Widerstand“ eindeutig
erwähnt. Ich zitiere:

„Walter Vielhauer war eine Legende des Heilbronner Widerstandes, war fast 12
Jahre in Haft, die meiste Zeit davon im KZ.“ Joo Peter beendet seinen
mehrseitigen Beitrag mit den Sätzen: „ Immer wieder wurde vorgeschlagen,
einen Straßennamen in Heilbronn nach Walter Vielhauer zu benennen.“ Ich
freue mich, wenn den Absichtserklärungen seitens der Verantwortlichen in
Heilbronn in absehbarer Zeit Taten folgen.
Ein weiteres Thema möchte ich heute am Grabe dieses selbstlosen Antifaschisten und Friedenskämpfers erwähnen. Bereits im Jahr 1925 hat Hitler
die Vernichtung des
Bolschewismus zu einem ideologischpolitischen Hauptziel
des
faschistischen Deutschland erklärt. Den Angriff auf die Sowjetunion fasst er
nach dem
Sieg über Frankreich im Juni 1940 ins Auge und dieses Ziel eröffnet er
dem
Oberkommando der Wehrmacht am 31. Juli 1940. Vielhauer und seine Genossen kämpfen schon 1933 unter dem Motto: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg“ gegen den sich abzeichnenden 2. Weltkrieg. 1945
beenden die Alliierten den deutschen Terrorfeldzug: zig Millionen Menschen
sind gestorben, im Krieg gefallen oder in den Vernichtungslagern vergast und
ermordet, halb Europa liegt in Schutt und Asche. Wir wissen in Heilbronn, wie
lange es gedauert hat, der zerstörten Stadt wieder ein Gesicht zu geben.
In der Nachkriegszeit gilt die Aufmerksamkeit der Antifaschisten zum einen der
Aufarbeitung des Faschismus, zum anderen dem Kampf gegen Atomraketen
und für Frieden. Was mit den amerikanischen Atombomben in Hiroshima und
Nagasaki sichtbar wird, prägt die Auseinandersetzung um Krieg oder Frieden
seit dem August 1945: gelingt es der Welt, gelingt es der Menschheit, die Erde
zu bewahren oder sie dem Atomtod zu opfern. Die Antifaschisten von
Buchenwald schwören bei ihrem Appell am 19. April:

„Wir Buchenwalder … kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die
nazistischen Verbrecher für unsere eigene Befreiung. Uns beseelt eine Idee:
Unsere Sache ist gerecht, der Sieg muss unser sein. Wir führten in vielen
Sprachen den gleichen harten und erbarmungslosen Kampf und dieser Kampf
ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen, noch leben die Mörder
unserer Kameraden, noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum. Wir
schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des
faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte
Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit
seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens
und der Freiheit ist unser Ziel, das sind wir unseren gemordeten Kameraden,
ihren Angehörigen schuldig“.
Heute, am 19. April 2022, am 36. Todestages des Antifaschisten und
Friedenskämpfers Walter Vielhauer, angesichts des Krieges in der Ukraine,
angesichts nicht enden wollender Aufrufe, noch mehr Waffen in diesen von
Russland begonnenen Krieg zu werfen, möchte ich meine Ansprache mit den
folgenden Worten beenden, die mir eine Friedensfreundin anlässlich des
Ostermarsches vor drei Tagen geschrieben hat:

Waffen bringen nur Leid und Tod, schaffen keinen Frieden. Sieg kann nicht das
Ziel sein, sondern Frieden! Wir haben allergrößte Sorgen, dass dieses
kriegstreiberische Vorgehen zu einem Weltkrieg und nuklearer Zerstörung
führen kann. Wer trägt die Verantwortung? Statt mehr Waffen braucht es die
größten Anstrengungen zu nichtmilitärischen Konfliktlösungen.
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! Konrad Wanner, 19. April 2022


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