Dr. Erhard Jöst zum Kleistarchiv

15. Mai 2023  Kultur

Die Verwaltung beantragt überaus wortreich, das KLAS als Anker des Literaturhauses
beizubehalten. Die Gruppierung der Linken lehnt dies ab.
Denn prüft man die Begründung für die Weiterführung des KLAS, dann merkt man sofort, dass sie eigentlich substanzlos ist. Die Verwaltung gibt selbst zu, dass die Nutzung des KLAS „sehr überschaubar“ war und nach der Pandemie ganz zurückgegangen ist. Da nützt es auch nichts, wenn man die Wunsch-Behauptung, der zufolge „im Zuge der Neuausrichtung aktuell ein vermehrtes externes Interesse“ zu verzeichnen sei, durch Fettdruck hervorhebt. Auch mit dem Verweis auf die verwickelten rechtlichen Rahmenbedingungen, die angeblich einem Verkauf entgegenstehen, kann man das KLAS nicht festhalten. Und die Aufzählung künftiger Aktivitäten, die auf einmal von dem KLAS angestoßen werden sollen, sind ein fast verzweifelter Rettungs-Versuch. Wer kommt denn auf die wundersame Idee, Kleists „Käthchen von Heilbronn“ in die Grundschulklassen als Stück für Kinder einzubringen? Man fragt sich, ob das ein Witz sein soll.


Auf die Geschichte des KLAS möchten wir gar nicht weiter eingehen. Es genügt der Verweis darauf, dass der Stuttgarter Kleist-Forscher erfolglos versuchte, seine Sammlung (die nach der fraglichen Einschätzung der Verwaltung heute ca. 150.000 Euro Wert sein soll) für 20.000 DM an die Staatsbibliothek zu Berlin bzw. an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach zu verkaufen. Die Stadt Heilbronn hat sie dann 1991 für 50.000 DM (!) gekauft, weil sie ihr „nicht vorhandenes literarisches Renommee aufpolieren“ wollte, so die Aussage von Günther Emig, dem früheren Leiter des KLAS. Von ihm stammt auch die Aussage, dass die Sammlung „kaum etwas Substantielles“ enthalten habe, sondern nach dem Kauf erst aufgebaut werden musste. Vor allem durch die Internetpräsenz und die von Emig herausgegebenen Schriften erreichte das KLAS zeitweise einen hohen Bekanntheitsgrad. Aber auch Emig, der sich auf diesem Gebiet große Verdienste erworben hat, plädierte bei seiner Verabschiedung in den Ruhestand dafür, das KLAS als Dauerleihgabe nach Frankfurt an der Oder zu geben, weil für es „keine realistische Perspektive in Heilbronn besteht“. Er vertritt auch heute noch diese Auffassung, der sich die Linke anschließt. Die Käthchen-Folklore könnte man in Heilbronn künftig auch ohne das KLAS betreiben, sofern man an dieser Tradition festhalten will.
Erhard Jöst

Inhaltlich unterstützt wird Stadtrat Dr. Erhard Jöst dabei von Günther Emig, Direktor i.R. der folgenden (nur in Teilen veröffentlichter) Leserbrief an die Heilbronner Stimme schrieb. Hier in voller Gänze:

Den Bericht über die Stadtratssitzung zum Kleist-Archiv Sembdner habe ich teils belustigt, teils verärgert zur Kenntnis genommen. Belustigt, weil er einen guten Einblick in das Milieu von Neureichs gibt, in dem man glaubt, für Geld alles kaufen zu können – außer Geist. So möge denn das Kleist-Archiv Sembdner getrost in Heilbronn eingemottet bleiben. Einen Nutzen wird es nicht stiften, weder für die „Kleist-Welt“ noch für sonst wen, aber zumindest wird es keinen Schaden anrichten. Und das ist doch immerhin schon etwas!
Geärgert hat mich die Art und Weise, wie die Stadt mit Leistungen umgeht. Wenn das KLAS eine Zeitlang überregional Aufmerksamkeit erregt hat und Ansehen erwerben konnte, dann doch nicht auf Grund der Leistungen des damals noch unpromovierten Anton Philipp Knittel. Herr Knittel war ziemlich genau 20 Monate befristet als Aushilfe (Erziehungsurlaubsvertretung) als mein Mitarbeiter und ohne jegliche Archiverfahrungen tätig. 1992 bis 2000 als Direktor der Stadtbücherei, von 2000 bis 2018 als Direktor des Kleist-Archivs Sembdner war es mein Job, aus den kümmerlichen Überresten einer vorher größtenteils bereits anderweitig verkauften Privatsammlung, die trotz meiner Warnung zu einem irrwitzig überhöhten Preis von der Stadt erworben worden war, etwas zu machen. Dies ist mir mit viel Glück gelungen auf Grund persönlicher Kenntnisse und Fähigkeiten, die nicht unbedingt zum Berufsbild eines Bibliothekars gehören. Als Internet-Pionier in den Geisteswissenschaften durfte ich mit Sondergenehmigung 1996 das Kleist-Archiv Sembdner ins Internet bringen. Da war das Internet bei der Stadt noch Teufelszeug. Der Internetauftritt hat nicht nur in der damaligen Computerwelt für eine Auszeichnung gesorgt, sondern auch Anerkennung bei den germanistischen Kollegen, die zum damaligen Zeitpunkt noch lange nicht so weit waren wie wir. Sämtliche Arbeiten, technisch wie inhaltlich, sind all die Jahre von mir allein geleistet worden. Das zweite waren Kenntnisse im Verlagsgeschäft. Bereits 1972, als Germanistikstudent im 3. Semester, hatte ich einen Verlag gegründet, den ich mit Eintritt in die Dienste der Stadt aufgegeben habe. Mit diesen Kenntnissen aus dem Milieu sind ab 1993 die ersten Veröffentlichungen des KLAS erschienen, bis zu meinem Ausscheiden 167 Veröffentlichungen, 3 lfd. Meter auf dem Buchregal. „Publish or perish“ hieß es damals für ambitionierte Wissenschaftler, und veröffentlichen konnten sie relativ niederschwellig in Heilbronn. Auf dieser Basis konnte ich auch mit der Professorenzunft auf Augenhöhe verhandeln, denen ich als unpromovierter Staatsexamensgermanist in der Uni gerade einmal hätte die Tasche nachtragen dürfen.
Daß mit der Wiedervereinigung die Karten in Sachen Kleist neu gemischt worden sind, konnte man beim Sembdner-Ankauf 1990 nicht unbedingt vorhersehen, wohl aber konnte man erkennen und ich habe das ab 2012 auch intern kommuniziert, daß sich in der Folge Bund, Land und Stadt Frankfurt (Oder) mit siebenstelligen Beträgen für das Frankfurter Kleist-Museum stark gemacht haben Damit ist der Fokus schleichend von Heilbronn nach Frankfurt gewandert. Daraus wären Konsequenzen zu ziehen gewesen, aber dazu hat es wohl nicht gereicht.
Was bleibt? Ein bißchen Glanz aus vergangenen Zeiten, den man sich auch noch unberechtigt glaubt an den Hut stecken zu dürfen. Wie schäbig!

 


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