Ansprache zum Gedenken an Walter Vielhauer, 19. April 2024 auf dem Friedhof Heilbronn, Konrad Wanner

19. April 2024  Allgemein

Liebe Kolleg*innen, liebe Antifaschist*innen,
heute gedenken wir des Todes von Walter Vielhauer, der am 19. April 1986 im
Alter von 77 Jahren gestorben ist.
Ich begrüße Euch im Namen der VVN, des DGB Heilbronn – Franken und der
Gruppe DIE LINKE im Gemeinderat Heilbronn.
Oberbürgermeister Harry Mergel bat mich besondere Grüße zu übermitteln. Er
bedauert es außerordentlich, wegen einer Klausursitzung des Gemeinderates
heute nicht an unserer Gedenkfeier teilnehmen zu können. Auch mein
Stadtratskollege Erhard Jöst lässt Grüße ausrichten, er nimmt ebenfalls an der
Klausursitzung teil.
Unser Gedenken wird heute wieder von der Kulturgruppe DIE MARBACHER
begleitet. DIE MARBACHER blicken in diesem Jahr auf 50 Jahre zurück. 50 Jahre,
in denen Ihr die Kämpfe der Friedensbewegung, der Gewerkschaften, der
antifaschistischen Gruppen und der Naturfreunde mit Euren kämpferischen
Liedern begleitet habt. Und seit einigen Jahren setzt Ihr Euch mit dem Lied zu
Walter Vielhauer für eine Würdigung seines Wirkens in Heilbronn ein. Vielen
Dank Silke, vielen Dank Bernhard für Eure Solidarität.

An dieser Stelle möchte ich auch meinen Dank an die Friedhofsverwaltung
aussprechen, die mit Geldern aus dem Etat des Oberbürgermeisters die
Inschrift auf der Grabplatte aufgearbeitet hat.
Ich begrüße auch Frau Fritz-Kador von der Rhein-Neckar-Zeitung.
Liebe Antifaschist*innen,
der Blick zurück auf das Leben und Wirken von Walter Vielhauer ist die
Würdigung eines äußerst engagierten Lebens. Geboren 1909 in Reutlingen
wächst Walter in Heilbronn auf. Mit 14 Jahren beginnt er eine Ausbildung zum
Silberschmied in der Firma Bruckmann. Beim Bruckmann lernt Walter die
Organisationen der Arbeiterbewegung kennen und engagiert sich bald in der
Gewerkschaft, im kommunistischen Jugendverband und tritt mit 21 Jahren in
die KPD ein. Im Herbst 1932 fliegt er aus dem Betrieb und nutzt die Zeit der
Arbeitslosigkeit zum Besuch der Marxistischen Arbeiterschule MASCH in Berlin.
Dort erlebt er auch die Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933.
Schon im März 1933 gehört er zur ersten Gruppe von Kommunisten, die in
Heilbronn verhaftet werden. Abgesehen von 4 Monaten im Sommer 1933
bleibt Walter Vielhauer während der Jahre der faschistischen Herrschaft in
Deutschland inhaftiert. Zeitweise ist er in Einzelhaft, z.B. im Zuchthaus
Ludwigsburg, wird 1939 ins KZ Dachau gebracht, erlebt seine schlimmste Zeit
während 6 Monaten im KZ Mauthausen, weil dort die illegale
Häftlingsorganisation nicht gegen die kriminellen Strukturen der
Häftlingsverwaltung ankommt.
Wieder zurück in Dachau wird Walter zusammen mit anderen
Widerstandskämpfern im Sommer 1944 zum Tode verurteilt. Die SS hat die
Häftlingsorganisation ausfindig gemacht, will die Todesurteile aber aus Angst
vor Unruhen nicht in Dachau vollziehen. Sechs Antifaschisten werden nach
Buchenwald verlegt – als sie dort ankommen, ist das der Widerstandsgruppe
schon bekannt und es gelingt, die Dachauer zu verstecken. Ein Luftangriff auf
die Waffenfabrik Gustloffwerke verursacht ein großes Chaos, Walter erhält die
Identität eines toten französischen Häftlings. Er wird Kapo der
Effektenkammer, in der das jüdische Kind Stefan Jerzy Zweig vor der SS
versteckt wird. Vor kurzem ist bekannt geworden, dass Jerzy im Alter von 83
Jahren gestorben ist. Lange Zeit war Willi Bleicher in Buchenwald persönlich für
den Schutz des kleinen jüdischen Kindes verantwortlich. Als Willi Bleicher im
Oktober 1944 im Weimarer Polizeigefängnis schwerstens gefoltert wird und
nicht mehr ins KZ zurückgebracht wird, wird Walter Vielhauer die Betreuung
Jerzys übertragen. Zeit seines Lebens hat Walter nie über seinen persönlichen
Anteil an der Rettung des jüdischen Kindes gesprochen. Erst an seinem Grab
hat Emil Carlebach Walters persönlichen Verdienst geschildert. In der Literatur
bleibt das aufgrund Walters französischer Identität bis heute unerwähnt.
Am 11. April 1945 gelingt es der Widerstandsorganisation mit erbeuteten
Waffen, die SS von der Räumung des KZs Buchenwald abzuhalten und der
amerikanischen Armee die Betreuung des Lagers mit immer noch über 20.000
Häftlingen zu übertragen.
Fast 12 Jahre hat Walter Vielhauer in Gefängnissen und Konzentrationslagern
verbringen müssen. Der SS und den Nazis ist es nicht gelungen, auch nicht mit
körperlicher Gewalt und Folter, den Gewerkschafter und Kommunisten zu
brechen.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Heilbronn engagiert sich Walter beim
Wiederaufbau der Gewerkschaften und wird Mitbegründer der ÖTV. Die
amerikanische Militärverwaltung setzt ihn als Dezernenten bzw. Bürgermeister
für Wohnungswirtschaft, Arbeitsverwaltung und soziale Angelegenheiten bei
OB Beutinger ein. Später wechselt Walter als Stadtrat der KPD in den
Heilbronner Gemeinderat, aus dem er 1958 aufgrund des KPD-Verbotes wieder
ausscheiden muss. Die alten Machtverhältnisse werden wieder hergestellt –
Walter findet in Heilbronn keine Arbeit. In Fulda kann er von 1957 bis 1964 in
den Mehler-Werken arbeiten, die Dr. Walter Bauer gehören. Der Heilbronner
Walter Bauer, ein Mitstreiter der Bekennenden Kirche und CDU-Mitglied, ist
mit Walter Vielhauer befreundet und ermöglicht ihm 1964 die Rückkehr nach
Heilbronn durch eine Anstellung in der Fa. Haakh.
In den folgenden Jahren widmet sich Walter mit ganzer Kraft dem Kampf für
Frieden und gegen Hochrüstung, tritt immer wieder bei Aktionen gegen alte
und neue Nazis auf und engagiert sich ab 1968 in der neu gegründeten DKP.
Heute, 38 Jahre nach seinem Tod, kämpfen wir immer noch um eine öffentliche
Würdigung des Lebens und Wirkens von Walter Vielhauer. Es bleibt mir
unerklärlich, wie das Stadtarchiv Heilbronn im Jahr 2020 den Band „Heilbronn
1933 ff.“ herausgeben kann ohne den Namen Walter Vielhauer und seine
Inhaftierung zwischen 1933 und 1945 zu erwähnen. Es bleibt, dem Stuttgarter
Lehrer und Internetprotagonisten Joo Peter Dank und Anerkennung
auszusprechen, wenn er Vielhauers Rolle in seinem Internet-Projekt
„Zeitsprünge“ sowie in dem Buch „Anpassung und Widerstand“ eindeutig
erwähnt. Ich zitiere daraus:
„Walter Vielhauer war eine Legende des Heilbronner Widerstandes, war fast 12
Jahre in Haft, die meiste Zeit davon im KZ.“ Joo Peter beendet seinen
mehrseitigen Beitrag mit den Sätzen: „ Immer wieder wurde vorgeschlagen,
einen Straßennamen in Heilbronn nach Walter Vielhauer zu benennen.“ Ich
freue mich, wenn den Absichtserklärungen seitens der Verantwortlichen in
Heilbronn in absehbarer Zeit Taten folgen. Inzwischen ist ein Heidelberger
Student damit beauftragt worden, zu Walter Vielhauers Leben eine
Masterarbeit zu erarbeiten. Wir werden weiterhin um Walters Anerkennung
und Würdigung kämpfen. Besonders den Vorschlag von Anneliese Fleischmann-
Stroh, die Verlegung eines Stolpersteins zu veranlassen, wollen wir aufgreifen.
Liebe Antifaschist*innen,
wir erleben in jüngster Zeit die rasante Wiederbelebung des deutschen
Militarismus. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird verstärkt
aufgerüstet. Fast täglich werden neue Rüstungsvorhaben veröffentlicht, die
Diplomatie und das Drängen auf Verhandlungen werden als Anbiedern an
Russland verteufelt. Im Nahen Osten laufen die Bemühungen um einen
Waffenstillstand ins Leere, dem Terror der Hamas folgt ein beispielloses
Gemetzel im Gazastreifen durch Israel. Kriegstüchtigkeit, das nächste 100-
Milliarden-Aufrüstungsprogramm, Modernisierung des Atomwaffenstütz-
punktes in Büchel, 5000 Bundeswehr-Soldaten in Litauen, die deutsche Marine
im Nahen Osten und im südchinesischen Meer. Die Aktienkurse von
Rüstungsfirmen wie Rheinmetall explodieren, Profite mit dem Tod sind
unendlich. Wer zu Frieden, wer zu Verhandlungen aufruft, wird geschnitten,
verleumdet, aus den öffentlichen Medien ausgeschlossen – die Vorgänge um
den Vortrag von Moshe Zuckermann am 12. März in Heilbronn haben uns vor
Augen geführt, wie Kriegsgegner behindert werden.
In dieser Situation ist die Erinnerung an Friedenskämpfer wie Walter Vielhauer
ein Kontrastprogramm. Wir Antifaschist*innen warnen vor dem Hintergrund
der Erinnerung an die Folgen von Aufrüstung und Krieg, die Heilbronn mit der
Zerstörung der Innenstadt am 4.12.1944 erlebt hat, vor dem aktuellen
Aufrüstungskurs. Die Forcierung militärischer Aufrüstung ist dabei eng mit der
Zurückdrängung demokratischer Rechte und dem Erstarken rechtsextremer
und faschistischer Gruppen und Parteien verbunden.
Wir bringen das Vermächtnis des Widerstandskampfes von Menschen wie
Walter Vielhauer deshalb immer mit der Forderung zum Ausdruck:
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!
Konrad Wanner, 19. April 2024


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