Gedenken an Walter Vielhauer

20. April 2023  Frieden

Wir dokumentieren hier die Ansprache von Stadtrat Konrad Wanner zum Gedenken an Walter Vielhauer, 19. April 2023 auf dem Friedhof Heilbronn. Die Rhein-Neckar-Zeitung hat darüber auch berichtet: 2023-04-19 Ein trauriges Kapitel der Stadtgeschichte RNZ

Liebe Kolleg*innen, liebe Antifaschist*innen, sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister,
das Frühjahr ist eigentlich die Jahreszeit, die zweimal Walter Vielhauer das
Leben geschenkt hat: am 1. April 1909 wurde er geboren. Und am 11. April
1945 war er daran beteiligt, als sich die Häftlinge des KZ Buchenwald gegen die
SS-Wachmannschaften aufbäumten und zusammen mit der amerikanischen
Armee verhinderten, daß die verbliebenen etwa 20.000 Häftlinge von den SS-
Verbrechern in den Tod geschickt wurden. Doch im Frühjahr 1986, am 19. April hörte sein Herz auf zu schlagen. Ein kämpferisches Herz, das 77 Jahre lang dem Gewerkschafter, dem Kommunisten, dem Antifaschisten Kraft und Ausdauer gespendet hat.

Walter Vielhauer stammt aus einem christlich geprägten Elternhaus in der Heilbronner Nordstadt und engagiert sich als Jugendlicher im CVJM. Mit knapp
15 Jahren beginnt er eine Lehre zum Silberschmied bei der renommierten
Heilbronner Silberwarenfabrik Bruckmann. Heute steht an deren Stelle in der
Lerchenstraße Ecke Oststraße das Landratsamt. Walter tritt 1927 in den Deutschen Metallarbeiterverband ein, gewinnt schnell
das Vertrauen seiner Kollegen, wird Jugendvertrauensmann und Delegierter in
der Vertreterversammlung des DMV. Bei Bruckmann gibt es eine aktive
Betriebsgruppe der KPD. 1928 tritt er dem KJVD und 1930 mit 21 Jahren der
KPD bei. In Heilbronn prägen in den 20ern und 30ern Knorr, die Zuckerfabrik, die
Maschinenfabrik Heilbronn, die Seifenfabrik Flammer oder auch Bruckmann
Firmen mit Weltruf die Industrie- und Arbeitswelt. Politisch schlägt sich das bei
den Wahlen zwischen 1928 und 1933 in den Wahlergebnissen nieder: die
beiden großen Arbeiterparteien SPD und KPD erhalten zusammen zwischen
50,25 und 40,88% der Stimmen und sind damit selbst am 5.3.1933 immer noch
stärker als die NSDAP mit etwa 32%, als bekanntlich die KPD-Funktionäre schon
in den ersten Konzentrationslagern sitzen und auch die Sozialdemokraten um
ihre politische Existenz kämpfen.
Aber anstatt ihre Stärke gemeinsam einzusetzen, herrscht unter den
Arbeiterparteien ein erbitterter Kampf. Es gelingt den Faschisten der NSDAP,
sich am 30.1.1933 mit Hitler als Reichskanzler die Regierungsgewalt zu sichern
und damit dem aggressivsten Teil des Großkapitals seinen Weg aus der Krise zu
ebnen: Terror nach innen und klarer Kurs auf Krieg nach außen. Sehr schnell sichern sich die Nazis ihre Macht strategisch ab. Nach dem
Reichstagsbrand am 27.2.1933 werden reichsweit in einer ersten
Verhaftungswelle Funktionäre der KPD verhaftet. So auch am 3.März 1933 u.a.
Erich Leucht, Stadtrat der KPD und Funktionär des DMV sowie der junge,
23jährige Walter Vielhauer in Heilbronn. Doch schon Ende März 1933 verhaften
die Nazis auch bedeutende Funktionäre der SPD, unter anderen Fritz Ulrich aus
Heilbronn. Alle sehen sich wieder im KZ Heuberg. Was sich vorher im Streit
bekämpft, wird in den KZs zusammengepfercht. Über die Einlieferung des HNer Sozialdemokraten Fritz Ulrich berichtet Walter
Vielhauer später im Mai 1983 bei einem Interview mit den damals jungen
Lehrern der GEW:
„..der Fritze Ulrich, der war ein rabiater Antikommunist; solange, bis er zu uns
auf den Heuberg…kam. Ich sehe ihn heute noch, wie er an seinem Rednerpult
stand, wenige Wochen vor der Machtergreifung Hitlers…“Wir werden die Kozis
(Kommunisten) und Nazis rechts und links abservieren“. Und dann kam er zu
uns auf den Heuberg und die SA hat ihm einen Brennnesselstrauß in die Hand
gedrückt. Dann mußte er sagen: „Ich habe mein Volk und mein Vaterland
verraten.“ Die SA hat uns um den Fritze Ulrich herumgestellt und meinte, wir
gingen auf ihn los, weil er schmutzig zu uns gewesen war. Wir haben dies nicht
gemacht, sondern einer ging ganz schnell hin und hat ihm den
Brennnesselstrauß aus der Hand genommen und über den Zaun geworfen.
Dann sind wir alle um den Fritze Ulrich herum und haben ihn in den Bau
gedrängt. Alle Sozialdemokraten wurden auf dem Heuberg als Kameraden
behandelt.“ Nur wenige Wochen später zerschlagen die Nazis die Gewerkschaften. Der
ADGB versucht zunächst noch, sich von der SPD zu lösen und ruft dazu auf, sich
am 1. Mai 1933 an dem von der NSDAP inszenierten „Tag der nationalen
Arbeit“ zu beteiligen. Die Anbiederung an die Faschisten wird von denen ins
Gegenteil gekehrt und die SA stürmt am 2. Mai 1933 reichsweit die
Gewerkschaftshäuser, so auch in Heilbronn. Beschlagnahmung des Vermögens,
Entlassung aller hauptamtlichen Sekretäre, die unter vorgehaltenem Revolver
ihre Entlassung unterschreiben müssen. Die braunen Machthaber
unterscheiden nicht mehr nach Parteibüchern, sie greifen durch. In wenigen
Tagen jährt sich diese Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften zum 90.
Mal. Viele Gewerkschafter landen wie Sozialdemokraten, wie Christen, wie
Kommunisten in den Gefängnissen und Konzentrationslagern. Ich nenne nur
einige bekannte Namen, die in den KZs ihr Leben verloren: Paul Schneider, evang. Pfarrer, ermordet am 18.9.1939 im KZ Buchenwald Ernst Thälmann, KPD-Vorsitzender, am 18.8.1944 im KZ Buchenwald ermordet Rudolf Breitscheid, SPD-Außenpolitiker, am 24.8.1944 bei einem Luftangriff im
KZ Buchenwald gestorben Wilhelm Leuschner, ADGB-Funktionär, ermordet am 29.9.1944 in Berlin
Plötzensee; Doch der Terror der Nazis wird auf die schrecklichste Art besonders auf
jüdische Mitmenschen, auf Andersdenkende und auf alle nicht der braunen
Norm entsprechende Menschen ausgeweitet: Millionen ermordete Juden, Sinti
und Roma, Homosexuelle und Zeugen Jehovas finden in den KZs den Tod. Am 1. September 1939 beginnt die deutsche Wehrmacht mit dem Überfall auf
Polen den 2. Weltkrieg und überzieht mit einem unvorstellbaren
Vernichtungskrieg fast alle europäischen Länder. Mit dem Überfall auf die
Sowjetunion am 22.6.1941 will Hitler seinen Hauptfeind, die Bolschewisten
vernichten und sich die Ölfelder, die großen Weizen- und Korngebiete sowie
weitere ergiebige Ressourcen im Osten Europas einverleiben. Die deutsche Wehrmacht geht rücksichtslos vor allem gegen die russische, die
ukrainische und andere slawische Völker vor und hinterlässt nach den
verschiedenen militärischen Niederlagen ein Feld der Verwüstung – verbrannte
Erde. Wer sich einmal die Mühe macht, die Berichte aus den KZ zu lesen, findet auch
dort zahlreiche Schilderungen über die Misshandlung der slawischen
Gefangenen. Russische Gefangene werden noch schlechter behandelt,
bekommen noch weniger zu essen, müssen noch schlimmere Arbeiten
verrichten als andere, sowieso schon mehr schlecht als recht behandelte
andere Häftlinge. Walter Vielhauer verbringt bis auf wenige Monate die ganze Zeit zwischen dem
3.3.1933 und dem 11.4.1945 in den Gefängnissen und den KZ der Nazis. Er ist
gesundheitlich beeinträchtigt, aber in seinem politischen Willen ein
ungebrochener Antifaschist, als er im April 1945 wieder nach Heilbronn
zurückkehrt. Endlich kann er seine Jugendliebe Helene Stegmeier aus Stuttgart
heiraten und wird 1946 Vater. Im Juni 1945 beruft ihn die amerikanische Militärregierung zum Dezernenten
bei Heilbronns OB Emil Beutinger und er ist u.a. zuständig für Wohnungsfragen. Doch schnell wird sein Leben von den alten Konflikten in Deutschland wieder
durcheinandergewirbelt. Mit dem kalten Krieg, mit der Aufrüstung in den 50er
Jahren und mit dem KPD-Verbot 1956 wird es für Walter Vielhauer unmöglich,
in Heilbronn eine Arbeit zu finden. Als kaufmännischer Angestellter kommt er
bei den Mehler-Werken in Fulda unter. Erst 1964 kann er wieder in Heilbronn
bei der Tabakfirma F.M.Haakh arbeiten. Beide Stellen ermöglicht ihm der
Christ, Unternehmer und Industrielle Dr. Walter Bauer, ein 1901 in Heilbronn
geborener Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und Mitglied der
bekennenden Kirche. Bis zu seinem Lebensende 1986 engagiert sich Walter Vielhauer in Heilbronn
vor allem in den 70ern und 80er Jahren in der Friedensbewegung und ist auch
Redner bei Kundgebungen auf der Waldheide. Frieden ist nicht alles, aber ohne
Frieden ist alles nichts. Walter Vielhauer ist ein vielfältig engagierter Heilbronner Mensch gewesen. Er
hat bleibende Verdienste um seine ihm ans Herzen gewachsene Stadt. Ich
denke, es ist mehr als an der Zeit, ihm ein würdiges Andenken im Stadtbild
Heilbronns zu verschaffen. Ich möchte heute den 37. Todestag dieses unerschütterlichen Kämpfers für
eine Welt ohne Krieg dazu nutzen, den aktuellen Krieg in der Ukraine, den
Rußland am 24. Februar 2022 vom Zaun gebrochen hat, aufs schärfste zu
verurteilen. Dabei will ich aber ganz im Sinne des Dialektikers und Marxisten
Walter Vielhauer auch den Blick darauf richten, daß auch dieser Krieg eine
Vorgeschichte hat. Eine immer aggressiver aufrüstende NATO rückt seit 1990 in
mehreren Etappen nach Osten vor und wir haben heute eine Situation in
Europa, die fast noch explosiver, fast noch gefährlicher ist als während der Zeit
des Kalten Krieges. Gelingt es uns nicht, so bald wie möglich, statt mit Panzern, Kampfflugzeugen
oder mit Uranmunition den Krieg weiter anzuheizen, der Diplomatie wieder das
erste Wort auf der internationalen Bühne zu verschaffen, ist eine Eskalation
mit unausweichlichen Konsequenzen die Folge und Europa eine verwüstete
Region. Im Sinne Walter Vielhauers appelliere ich: Nie wieder Faschismus, nie wieder
Krieg! Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! Konrad Wanner, 19. April 2023


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